Donnerstag, 15. Dezember 2016


Da nun einmal für mich die Zeit freier Geständnisse herangekommen, so sei auch folgendes gegenwärtig ausgesprochen.

In späteren Jahren übergab ich lieber etwas dem Druck als in den mittleren, denn in diesen war die Nation irre gemacht durch Menschen, mit denen ich nicht rechten will. Sie stellten sich der Masse gleich, um sie zu beherrschen; sie begünstigten das Gemeine als ihnen selbst gemäß, und alles Höhere ward als anmaßend verrufen. Man warnte vor tyrannischem Beginnen anderer im Literarkreise, indessen man selbst eine ausschließende Tyrannei unter dem Scheine von Liberalität auszuüben suchte. Es bedarf keiner langen Zeit mehr, so wird diese Epoche von edlen Kennern frei geschildert werden.
Diesen werten Freunden kann ich für den Augenblick nur so viel erwidern: daß es mich tiefrührend ergreifen muß, das Problem meines Lebens, an dem ich selbst wohl noch irre werden könnte, vor der Nation so klar und rein aufgelöst zu sehen; wobei ich mich denn auch über manches Zweifelhafte belehrt, über manches Beunruhigende beschwichtigt fühle. Ein solcher Fall möchte sich in irgendeiner Literatur wohl selten zugetragen haben, und es wird sich gar wohl ziemen, auf diese Betrachtungen gelegentlich zurückkehrend, meine Bewunderung auszudrücken über den durchdringenden Blick ernster Männer und Freunde, die ihre Aufmerksamkeit einem einzelnen in dem Grade geschenkt, daß sie seine Eigenheiten besser 
kennen als er selbst und, indem sie einem Individuum alles Liebe und Gute erweisen, es doch in seiner Beschränktheit stehen lassen, das Unvereinbare von ihm nicht fordernd. 

Freitag, 9. Dezember 2016


Die Natur des Menschen ist eine sehr hinfällige Schönheit.

Ich will von einer jeden dieser Classen, so kurz als die Deutlichkeit erlaubt, eine Beschreibung geben.
Die erste ist die niedrigste und dem Thierreich die nächste. Ich rechne zu ihr den großen Haufen von Menschen, deren bester Theil nicht nur in seiner natürlichen Rohheit bleibt, sondern überdas nach und nach so sehr verunstaltet wird, daß er auch die darunter hervorglimmende natürliche Schönheit fast gänzlich verliert; deren zarte Fähigkeiten theils unentwickelt geblieben, theils im Bearbeiten verdorben werden; die nie zu wahren Menschen reif werden. Ihre Unwissenheit wird mit den Jahren zur Dummheit; und die sinnlichen Triebe, die mit ihnen aufwachsen und keiner gesetzmäßigen Gewalt gehorchen lernen, dünsten eine Menge Vorurtheile aus, welche den unterscheidenden Sinn des Guten und Bösen, das Vorrecht der menschlichen Natur, dicht überziehen; sie arten mit der Zeit in herrschende Neigungen aus, welche nur nach Beschaffenheit des Temperaments und der äußerlichen Umstände abgeändert sind. Diese Menschen sind also sehr sinnliche Geschöpfe, ungestüm in ihren Leidenschaften, wankelmüthig, kurzsichtig, eigensinnig und doch leichtgläubig und also leicht zu betrügen. Die Einbildung ist ihre Vernunft, der äußere Schein der Grund ihrer Entscheidung, ihres Wollens und Nichtwollens. Sie sind größtentheils dazu verurtheilt, nur für den Leib zu sorgen. Daher ziehen sie sich eine niedrige und thierische Denkart zu, daß sie sich niemals über die Erde, wo ihr Futter wächst, erheben können. Ihre Sitten sind so plump wie ihr Geschmack, ihre Vergnügungen sind wenig und von der gröbsten Art; hingegen vergrößert die Unwissenheit, der Aberglaube, die Furcht, die Kleinmüthigkeit die Zahl ihrer Uebel ungemein. Es ist kein Wunder, daß diese Art von Menschen das glückliche Leben nicht kennt, da sie so sehr wenig sind, was der Mensch seyn soll, und ein geheimer Instinct ihnen immer sagt, daß sie keine blose Thiere sind, ob sie gleich von Tyrannen, die oft zu ihrer eignen Art gehören, so gehalten werden.

Man sieht leicht, daß daran nicht zu gedenken ist, daß diese Mittelgattung zwischen Menschen und Yahoos jemals zu etwas Höherm geadelt werde. Ich besorge, daß das so viel als unmöglich sey. Aber man sieht auch gleich, daß die Natur dieser Menschen sie nicht nur fähig, sondern es ihnen unentbehrlich macht, regiert zu werden. Wenn man sich theils ihrer Neigung zum Neuen und Wunderbaren, theils ihrer Trägheit und Furchtsamkeit und ihrer andern Leidenschaften klüglich zu bedienen weiß, so müssen eben diese helfen, sie in so vieler Ordnung zu erhalten, als nöthig ist, um zu verhindern, daß unsre Erde kein Chaos werde. Man muß nicht vergessen, daß es auch unter diesem Pöbel wieder Grade gibt; aber, wenn wir genau untersuchen, so wird der Unterschied zuletzt kaum größer seyn, als der Unterschied zwischen einer Hofcoquette im Gallakleid und zwischen einer Coquette im Mieder, oder zwischen einem Narren im Zwillichkittel und einem Narren mit einem Ordensbande.

Samstag, 3. Dezember 2016


In die andre Classe setze ich die große Menge der Leute von bessern Glücksumständen, welche Vergnügen und Zeitvertreib zum Zweck ihres Lebens machen. Diese werden beinahe den größten Theil jener beiden Welten ausmachen, die man die große und die schöne Welt zu nennen pflegt. Diese Leute scheinen unsre Erde für einen großen Maskeradeplatz anzusehen, wo es Jedem erlaubt ist, zu seyn, was er will, wenn nur die große Absicht erreicht wird, die Zeit zu tödten. Sie machen sich bekannter mit dieser Welt, als die erste Classe. Sie rennen nach Vergnügen; alle ihre übrigen Leidenschaften sind nur Aufwärterinnen des Hangs zum Vergnügen. Der Witz, dieser gefährliche Affe der Vernunft, ist ihr Abgott. Dieser lehrt sie die giftige, aber süße Kunst, sich selbst zu betrügen. Er setzt die Zukunft und jede ernste Wahrheit in Entfernung und Schatten und blähet kleine kindische Freuden zu Riesengröße auf. Er erhitzt die Phantasie und zeigt ihr lauter bezauberte Gegenden. Er erfindet andere Gesetze, als die ewigen Tafeln des göttlichen Willens; oder er verändert, erweitert sie und läßt sie nach. Der Mensch wird zu einem  feinen wollustathmenden Vieh gemacht, dessen Freuden nur mannigfaltiger, weitläufiger und künstlicher sind als der übrigen Thiere. Ihre Seele scheint in ihrem Blute zu sprudeln; solange dieses wallet, so sind sie. Sie befinden sich so wohl in dieser Welt, daß sie keine Zeit haben, an eine bessere zu denken; und wenn es geschehen würde, so müßten es Mahommeds Paradiese seyn.

Diese Classe ist allerdings von der ersten unterschieden. Eine feinere Anlage, zartere Empfindungen, mehr Lebhaftigkeit des Geistes, Geschmack, Witz und Artigkeit machen diesen Unterschied. Das, was sie mit einander gemein haben, will ich jetzt nicht untersuchen. Diese Leute sind es, denen wir den angenehmen Mißbrauch der schönen Künste, der den Gebrauch fast ganz verdrängt hat, die Erfindung unzählig vieler Instrumente der Wollust, Zierrathen und Artigkeiten, Moden und Spiele – zu danken haben. Sie haben ganz gewiß einen Theil der Erde verschönert, aber immer auf Unkosten eines andern. Die Menschen von der ersten Classe sind die Sklaven der Vergnügungen ihrer Brüder von der zweiten. Sie müssen sich ermüden, diesen die Nothdurft und die Bequemlichkeiten des Lebens zu verschaffen, und werden gezwungen erfindsam zu seyn, um sie immer mit neuen Spielwerken zu versehen. So halten sie einander wechselsweise in Thätigkeit.

Wie schön und gut würden die Menschen werden, wenn man sie bereden könnte, die Gegenstände ihrer Neigung mit bessern zu verwechseln und die Freude aus reinern Quellen zu schöpfen. Die Wahrheit kann etwas hierzu thun, wenn sie sich gefallen läßt, sich mit Witz zu schminken. Doch wirkt selten etwas kräftiger auf solche weichliche Gemüther, als der Ueberdruß, das Alter, und was man Unglücksfälle zu nennen  pflegt. Die gewöhnlichen Wirkungen davon sind bei ihnen entweder Misanthropie, eine Art von Fieber, welches seine guten Stunden leidet, in denen sie sich ihrer ehemaligen Freuden wenigstens erinnern – oder ein gewisser fanatischer Schwung der Einbildungskraft und des Herzens, der eine Neigung hervorbringt, sich vom Leibe zu entkörpern, der seine Dienste versagt; eine große Verachtung dieser Welt, die uns verläßt, und eine schwärmende Sehnsucht nach der unsichtbaren, die jetzt am bequemsten ist, weil man, sie zu genießen, nur eine erhitzte Einbildung nöthig hat. Es ist bekannt, daß man vornehmlich dem schönern Theil des menschlichen Geschlechts Schuld gibt, daß viele desselben auf den Einfall kommen, reine Geister zu werden, nachdem sie sich genöthiget sehen, sich des Titels irdischer Engel zu begeben.

Diese beiden Classen haben das Unglück gemein, daß die sinnliche Seele den ganzen Menschen auf eine despotische Art beherrschet, woraus nothwendig tausend regellose excentrische Bewegungen und einheimische Unruhen entstehen müssen, welche oft seine ganze Glückseligkeit in Gefahr setzen.

Donnerstag, 1. Dezember 2016


Die dritte Classe wird von den speculativen Köpfen eingenommen, die einen beträchtlichen Theil des menschlichen Geschlechts ausmachen, von jenem Grammatiker an, welcher ausrechnete, wie oft ein jeder Buchstabe im Homer vorkommt, bis zu dem Fakir, der sich bemüht, über den tiefsinnigsten Betrachtungen des Nichts, als des Ursprungs aller Dinge, selbst zu Nichts zu werden. Diese Leute scheinen nur Zuschauer in dieser Welt zu seyn, sie gaffen sie an, als ob sie weiter keine Verbindungen mit ihr hätten; und zu allem Unglück verschwenden die meisten ihre Aufmerksamkeit nur auf das, was ein weiser Mann kaum eines flüchtigen Anblicks werth hält.
Diese Classe theilt sich, gleich den vorigen, in viele besondere Gattungen ein. Einige, denen die Erde zu klein vorkommt (denn sie ist ja nur ein Sonnenstaub gegen das ganze Himmelssystem), haben sich gänzlich dem Himmel gewidmet, ob sie gleich an demselben fast nichts als Unordnung und Abweichungen von ihren Regeln sehen, welche sie sich bestmöglich aufzulösen bestreben. Man könnte glauben, sie borgten von den Sphären Feuer zur Erweckung und Nährung der Andacht und der Richtung der Seele gegen das Ewige; sie gewöhnten sich an eine höhere und reinere Denkart, als die andern Sterblichen, und an ein lebhafteres Gefühl der hohen Bestimmung der menschlichen Natur. Aber das ist es nicht. Sie rechnen nur aus, in was für einer Art von Linien sich die Planeten um die Sonne herumdrehen, oder wie weit der Hundsstern von der Erde absteht. – Andere nicht so hoch fliegende Geister begnügen sich demüthig an der Contemplation der Sommervögel und aller Arten von Ungeziefer; sie wissen ihre Zahl und nennen sie mit Namen.

Andere kriechen unter dem Schutt alter Ruinen herum, sie verstehen sich auf Sprachen, die verloren gegangen sind, und erklären die geheimnißvollen Figuren auf dem Tisch der Isis. Andere zerquälen sich, den ganzen Umfang der Sittenlehre aus einem einzigen Grundsatz zu demonstriren; Andere beweisen die Unsterblichkeit der Seele aus der Vernunft; Einige erfinden neue Lehrgebäude, um Andern die Mühe zu machen, sie wieder umzuwerfen. Einige speculiren so lange, bis sie an Allem, was ist, zu zweifeln anfangen; Andere beweisen durch eine lange Reihe von Schlüssen, daß es Mittag ist, wenn uns die Sonne auf den Wirbel brennt. Viele verbrauchen ihr Leben mit der Bemühung, alle Meinungen, Erfindungen, Träume und Wahrheiten, Gutes und Böses aller  andern Scribenten zusammenzulesen, ohne darauf zu sinnen, was sie mit diesem Schatz anfangen wollen. – Der größte Theil dieser wunderlichen Leute ermüdet sich in Kleinigkeiten, und die Wenigen, die sich mit wichtigern Dingen beschäftigen, haben das Unglück, die Wahrheit für einen blosen Gegenstand der Betrachtung zu halten, für ein Ding, das, wie der Baum des Erkenntnisses, lieblich zum Anschauen ist. Sie gleichen den Hütern der schönen Sklavinnen eines Sultans, welche zwar die Erlaubniß zu sehen, aber nicht das Recht zu genießen haben, oder den bezauberten Drachen in den alten Romanen, die in unterirdischen Höhlen große Schätze bewachen, deren Werth oder Gebrauch ihnen unbekannt ist.

Die vierte Classe ist (wie ich befürchte) viel weniger zahlreich als die vorige; und nun werden wir gleich errathen, daß sie die beste ist. Sie ist in der That die wahre Zierde der Erde, und wenn noch etwas auf derselben ist, das englische Blicke herabholen kann, so ist es das Leben dieser liebenswürdigen Menschen, welchen die Natur eine glückliche Anlage zu einer harmonischen Gemüthsart, eine feine Empfindung des Schönen und edle Neigungen zum Guten verliehen hat. Ohne einige Fähigkeiten in einem außerordentlichen Grad zu haben, sind sie scharfsichtig genug, das Wahre von dem Schein zu unterscheiden und durch die Verblendungen der Einbildungskraft, der Leidenschaft und Gewohnheit hindurchzudringen. Die Tugend scheint ein vorzügliches Recht an ihre Herzen zu haben. Sie verachten die Niederträchtigkeit der Seele, die nur sich selbst liebt. Ihre Freude ist Gutes thun. Die Neigung zum Vergnügen mag wohl hauptsächlich ihre Jugend beleben, sie wird aber von einer gleich starken Liebe zur Ehre bewacht, und beide leiten sie nach und nach zu den reinern Quellen der Tugend. Sie können irren, sie  können durch eine unvorsichtige Neigung geblendet oder auf Seitenwege gelockt werden. Aber ihr Herz ist keiner Bosheit, keiner Tücke, keines Neides, keiner Niederträchtigkeit fähig; ihr offner Verstand, die Güte ihres Gemüths, ihre Redlichkeit gegen sich selbst lassen sie nie weit verirren, bringen sie bald wieder zurück und befördern sie immer weiter. Diese allein sind zur Freundschaft und wahren Zärtlichkeit recht aufgelegt. Für sie ist die Natur schön, für sie sind so viel feine und beglückende Freuden in den Verbindungen der Gesellschaft. Sie genießen der Welt mit Vernunft, aber sie sind nicht an sie gefesselt. – Wenn es wahr ist, daß lebende Beispiele und redende Gemälde der Tugend mehr nutzen als moralische oder metaphysische Dissertationen, so trägt gewiß diese kleine Anzahl von thätigen Weisen, beiderlei Geschlechts, mehr zum wahren Vortheil der Menschen bei, als die ganze unabsehbare Welt der speculativen Gelehrten.
Mich dünkt, ich habe nun allen Sterblichen, so verschieden als sie immer scheinen mögen, ihre Classen angewiesen, bis auf die sonderbaren und seltnen Geister, die man über die übrigen Menschen so erhaben gefunden hat, daß man sie mit dem Namen Genien zu unterscheiden pflegt, welcher sonst Wesen von höherer Ordnung andeutet. Ihre Anzahl ist so groß, als es Gott zur Erhaltung der moralischen Ordnung oder zur Züchtigung der Menschen nöthig findet. Denn es gibt gutthätige und böse Genien. Beide kommen darin überein, daß sie ungewöhnliche Fähigkeiten und, wenn ich so sagen darf, etwas Kolossalisches in der Gestalt ihres Geistes haben. Von Jugend auf unterscheidet sie eine brennende Begierde zum Wissen; ein Fleiß, den Hindernisse nur muthiger machen; eine Freiheit der Seele, die so ungelehrig ist, das Joch zu tragen, daß sie manchmal auch die nothwendigen Schranken überspringt; eine gewisse Begeisterung der Imagination, die ihnen tausend unbekannte Ideen aufdeckt, und etwas Heldenmäßiges im Herzen, das sie zu großen Thaten fähig macht. Durch die Entwicklung und Ausbildung dieser großen Fähigkeiten vermittelst der Wissenschaften, des Nachsinnens, der Kenntniß der Welt und der Erfahrung gelangen sie zuletzt zu dieser durchdringenden Schärfe des Geistes und männlichen Stärke des Gemüths, welche sie so sehr über die gemeinen Menschen hinwegsetzt.

Donnerstag, 24. November 2016


Der Kreis, worin solche Kräfte wirken sollen, muß nothwendig groß seyn. Sie sind zu Gesetzgebern, zu Lehrern, zu Führern des menschlichen Geschlechts bestimmt. Sie sollen das Ganze übersehen, für das Ganze sorgen. Von ihnen sollen die Entwürfe herkommen, wie die Beschwerden der Menschen zu verringern sind, und wie ihre Vortheile vermehrt werden können. Und eben, weil die Hindernisse, die der Ausführung im Wege liegen, an Zahl und Gewicht so groß sind, wurden sie mit so vieler Stärke, mit so weitsehenden hellen Einsichten, mit einem so lebhaften Instinct zum Großen und Ruhmwürdigen, mit einem so mächtigen Enthusiasmus versehen, damit sie den Menschen das Gute wirklich thun, was schwächere, obgleich gutwillige Geister ihnen nur wünschen können. Diejenigen unter diesen Genien, die ihrer Bestimmung getreu sind, sind den englischen Schutzgeistern ähnlich, welche nach der frommen Meinung der Alten über die Welt wachen, die Sphären regieren und den Befehl des Schöpfers diesseits des Himmels vollziehen. Sie haben Alles, was den übrigen Menschen abgeht, um sich selbst glücklich zu machen; sie sind zum Regieren, wie diese zum Gehorchen gemacht. Sie vertreiben die Unwissenheit und bekriegen die Vorurtheile und praktischen  Irrthümer, tausendmal schädlichere Ungeheuer als diejenigen, deren Vertilgung dem Hercules einen Platz bei den griechischen Göttern verdiente. Sie bringen Licht, Wahrheit und Ordnung ins menschliche Leben. Sie lehren oder bewachen die heiligen Gesetze der Natur, welche die Quellen aller übrigen Gesetze sind. Sie bezähmen und mildern die Wildheit und Härte der Menschen, verbessern, bilden und poliren ihre Sitten; lehren sie das Anständige, das Edle, das Schöne – und so machen sie gewisser Maßen die Fabel wahr, welche der zaubrischen Laute des Orpheus die Kraft, wilde Thiere zu besänftigen, andichtete.

Wie traurig ist es, daß solche Fähigkeiten mißbraucht werden können! daß solche Geister ihres Endzwecks verfehlen und von ihrer Hoheit herabstürzen können; daß sie die wahre Ehre, Wohlthäter der Menschen zu seyn, aus den Augen verlieren und, von dem falschen Schimmer einer eingebildeten Göttlichkeit, von einer Chimäre, einem leeren Getön getäuscht, Zerstörer der Welt werden können. Wenn ich einen Alexander nach Lorbeern rennen sehe, so dünkt mich, ich sehe die Fähigkeit eines Engels Werke eines Insects verrichten. Sollen so kleine, so niederträchtige Begierden in himmlische Seelen kommen? Sich selbst beherrschen, ist die höchste Stufe der Hoheit. Wer dieß nicht kann, hat das Recht verloren, sich der Regierung der Menschen anzumaßen. Wie unglücklich ist es, wenn Helden unrichtig denken! Wie viel kommt es darauf an, daß diese wissen, was wahrhaftig groß und ruhmwürdig ist. Wie nöthig ist es, daß diese fühlen, daß sie von einem Höhern abhängen, daß seine Gesetze ihre Richtschnur sind, daß sie ihm nur im Wohlthun ähnlich seyn können! Ein Genie, der sich auf die schlimme Seite wendet, ein Erobrer, ein Zerstörer, ein  Verführer der Menschen ist ein desto häßlicheres Ungeheuer, je größer und liebenswürdiger er gewesen seyn würde, wenn er in seiner gehörigen Laufbahn geblieben wäre. Ein gefallner Engel ist tausendmal häßlicher, als der schlimmste Mensch.

Freitag, 18. November 2016


Die Liebe zum Ruhm hat eigentlich nur bei großen Seelen Statt und wächst nur bei ihnen so groß, daß ihr alle übrige Neigungen Platz machen müssen. Was man bei Leuten, die eigentlich in die Classe des Pöbels gehören, Ruhmsucht und Ehrgeiz heißt, ist nur ein verkleideter Eigennutz; sie wünschen angesehen und groß zu seyn, um niedrigen Begierden desto besser nachhängen zu können. – Weil die Leidenschaften einmal die Winde sind, die uns in Bewegung setzen, so seh' ich diesen edeln Ehrgeiz großer Geister für nöthig an, um sie zu ihrer Bestimmung zu befördern und die Hindernisse zu überwinden. Wir sehen aber aus der Geschichte, wie schädliche Stürme er hervorbringt, wenn ihn die Vernunft nicht mäßigt und ihm die wahre Richtung gibt. Genien haben sich noch nie mit Kleinigkeiten beschäftiget. Ihre Bemühungen interessiren immer den Menschen, und das erstreckt sich bis auf ihre Spiele. Es gibt Leute, die in Kleinigkeiten groß sind; sie gehören aber in die dritte Classe.

Wir haben nun die Menschen, wie sie wirklich sind, in ihren verschiedenen Classen übersehen; und die Gradation verdient bemerkt zu werden, die sich in denselben zeigt. Wir fanden unreife, ungebildete Menschen, und dieser waren die meisten; Menschen, die nur die sinnlichen Vollkommenheiten ausbilden; solche, welche nur Intelligenzen seyn wollen; eine kleine Zahl von solchen, deren moralische Güte sie liebenswerth macht; und endlich ganz ausgewickelte, und  (soweit es diese Welt verstattet) vollständige Menschen, welche daher große und majestätische Geschöpfe seyn müssen. Wenn wir das Beste aus allen diesen Classen zusammennehmen, so bekommen wir den Menschen, den ich anfangs geschildert habe. Und so habe ich einen Theil meiner Absicht erreicht.

Das menschliche Geschlecht hat also unstreitig eine sehr schöne Seite. Aber was wollen wir uns schmeicheln? Sie wird von der häßlichen fast ganz verdunkelt. Ich erröthe, ich erschrecke, wenn ich die unzähligen Ausbrüche des Unsinns, die schwarzen Thaten, die Schande, womit so viele Menschen ihr Geschlecht gebrandmarkt haben, überdenke; wenn ich die Zahl und die Größe der Uebel bedenke, die uns drücken. Regellose, thierische Leidenschaften, die am gefährlichsten werden, wenn sie der Witz in seinen Schutz nimmt; niederträchtige Selbstheit, die alles in ihren Strudel hineinzieht, was sie erreichen kann; Vergessenheit der heiligsten, unwidersprechlichsten Pflichten, die wir gegen unsern Schöpfer und Oberherrn, gegen die Welt und die menschliche Gesellschaft haben; schändliche Heuchelei, womit man den Allwissenden selbst zu betrügen glaubt; Aberglauben, der der Ruhe und Ordnung des menschlichen Geschlechts allein mehr geschadet hat, als alle übrige Laster; Tyrannen und willkürliche Gewalt – mit einem Wort, ein so tiefer Grad der Unordnung, daß ich mir, unmittelbar unter demselben, nichts Anderes als ein moralisches Chaos denken kann.

Der größte Haufen sind Sklaven, willenlose, gebundene, mißhandelte Sklaven; Sklaven der willkürlichen Gewalt, der Schwärmerei, der Gewohnheit und, was das Aergste ist, ihrer eigenen Unvernunft und ihrer Leidenschaften. Ohne diese innerliche Sklaverei hätten jene Ungeheuer keine Gewalt über sie. Und  was thun diese großen königlichen Geister, diese Genien, von denen man so viel erwarten sollte? Die meisten mißbrauchen ihre Obermacht, jene elenden und verführten Sklaven noch tiefer ins Verderben hineinzuführen, und glauben es am besten gemacht zu haben, wenn sie die Unglücklichen bereden können, freiwillig an die Schlachtbank zu gehen oder wenigstens angenehm zu träumen, wenn sie wachend unglücklich sind. – Und diese scharfsichtigen denkenden Köpfe, welche die Geschicklichkeit hätten, die Größe unsers Elends, seine Quellen und die dienlichsten Gegenmittel auszuspähen? – Sie zählen den Sand des Meers, messen das Unermeßliche, wühlen im Eingeweide der Natur herum, als ob alle wichtige Geschäfte schon gethan wären, und bringen ihr Leben mit Spitzfindigkeiten zu, deren größter Werth ist, daß sie dadurch abgehalten werden, etwas Schlimmeres zu thun. – Wie kränkend sind diese nur allzu gegründeten Betrachtungen für ein Herz, das ein Gefühl für das Wohl oder Elend seiner Mitgeschöpfe hat!

Samstag, 5. November 2016

»Sie haben recht«, versetzte er mit einiger Verlegenheit, »der Mensch ist dem Menschen das Interessanteste und sollte ihn vielleicht ganz allein interessieren. Alles andere, was uns umgibt, ist entweder nur Element, in dem wir leben, oder Werkzeug, dessen wir uns bedienen. Je mehr wir uns dabei aufhalten, je mehr wir darauf merken und teil daran nehmen, desto schwächer wird das Gefühl unsers eignen Wertes und das Gefühl der Gesellschaft. Die Menschen, die einen großen Wert auf Gärten, Gebäude, Kleider, Schmuck oder irgendein Besitztum legen, sind weniger gesellig und gefällig; sie verlieren die Menschen aus den Augen, welche zu erfreuen und zu versammeln nur sehr wenigen glückt. Sehn wir es nicht auch auf dem Theater? Ein guter Schauspieler macht uns bald eine elende, unschickliche Dekoration vergessen, dahingegen das schönste Theater den Mangel an guten Schauspielern erst recht fühlbar macht.« 

Sie sah, indem sie so sprach, Wilhelmen, der ihr gegenüber saß, mit einem Blick in die Augen, dem er nicht wehren konnte, wenigstens bis an die Türe seines Herzens vorzudringen.

 

Samstag, 29. Oktober 2016


Der Alte nahm wieder Mut und fing nun an, nach den süßen Geheimnissen der Liebe mit dürren Worten und in hergebrachten trockenen Formeln sich zu erkundigen.

Mittwoch, 26. Oktober 2016


Eine Folge von sieben Jahren ist in diesen Tagen verflossen, seit die höchsten H.H. Erhalter der Akademie Jena das dortige Bibliotheksgeschäft unterzeichneter Behörde gnädigst zu übertragen geruhten. Die Aufgabe war bedenklich, ja in den ersten Augenblicken nicht zu übersehen.

In einem beengten und durch Umstände höchst ungünstigen Lokale befand sich ein seit Jahrhunderten aufgehäufter, aus vielen einzelnen Teilen und Sammlungen übereinander gedrängter, keineswegs geordneter Bücherschatz; diese Masse sollte geregelt und zugleich die heranzubringende Schloßbibliothek eingeschaltet werden. Unmöglich schien es, bei erster näherer Ansicht, einen allgemeinen Plan des gehörigen Verfahrens alsobald zu entwerfen; daher man, wie Ärzte bei rätselhaften Krankheiten, sich nur schrittweise bewegte, um vor allen Dingen die auffallenden Übel, die größten Hindernisse zu beseitigen.

Zugleich müßte man gegenwärtig aufgeben, eine Schilderung des damaligen Zustandes zu entwerfen, wenn nicht die höchsten Herrn Erhalter Selbst sowohl als Ihre ersten Staatsdiener durch eigene Einsicht und getreue Berichte, von ausgezeichnet tüchtigen und redlichen Männern entworfen, sich davon vorläufig genugsam hätten überzeugt gesehen. Dabei bleibt gern und dankbar einzugestehen, daß man aus einer einsichtig bemühten Vorarbeit des Staatsminister Frhrn. v. Ziegesar die erstere genaue Kenntnis gezogen und hieraus mit treuer Beachtung der bemerkten Mängel und aufgestellten Besserungs-Vorschläge die eigne Arbeit begonnen.
Anzuerkennen sind hier gleichfalls manche vorbereitende Bemühungen späterer Bevollmächtigten, welche zu Aufklärung damaliger Verworrenheiten bedeutende Dienste leisteten und zugleich die Fragen: was und wie das nächste zu tun sei? wohlbedächtig anregten.

Donnerstag, 13. Oktober 2016

Ich aber kann nur mit wenig Worten das Glück dieses Tages bezeichnen. Ich habe die Freskogemälde von Dominichin in Andrea della Valle, ingleichen die Farnesische Galerie von Carraccio gesehen. Freilich zuviel für Monate, geschweige für einen Tag.  
Ich sah in der Farnesina die Geschichte der Psyche, deren farbige Nachbildungen so lange meine Zimmer erheitern, dann zu St. Peter in Montorio die »Verklärung« von Raffael. Alles alte Bekannte, wie Freunde, die man sich in der Ferne durch Briefwechsel gemacht hat, und die man nun von Angesicht sieht. Das Mitleben ist doch ganz was anders, jedes wahre Verhältnis und Mißverhältnis spricht sich sogleich aus.    

Was träumet Ihr auf Eurer Dichterhöhe?
Was macht ein volles Haus Euch froh?
Beseht die Gönner in der Nähe!
Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.
Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,
Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.
Was plagt ihr armen Toren viel,
Zu solchem Zweck, die holden Musen?

Sonntag, 25. September 2016


Ich traf ihn um 4 Uhr ganz alleine und sehr gemüthlich. Zuerst zeigte er mir sein neu zusammengebrachtes Münzcabinet ephemerer und erloschener Souverainetäten, Iturbidens Wappen mit einem Adler auf dem Cactus, schöne kleine Münzen von Columbia.
Du kennst ihn und denkst ohne Anstrengung, daß er mich so wenig als die Welt schonte. Am stärksten aber lehnte er sich auf das Argument, das er im Namen der großen Gesellschaft gegen mich wendete. »Narrenpossen«, sagte er, »sind eure allgemeine Bildung und alle Anstalten dazu. Daß ein Mensch etwas ganz entschieden verstehe, vorzüglich leiste, wie nicht leicht ein anderer in der nächsten Umgebung, darauf kommt es an, und besonders in unserm Verbande spricht es sich von selbst aus. Du bist gerade in einem Alter, wo man sich mit Verstande etwas vorsetzt, mit Einsicht das Vorliegende beurteilt, es von der rechten Seite angreift, seine Fähigkeiten und Fertigkeiten auf den rechten Zweck hinlenkt.« 

Samstag, 17. September 2016


¡Un ángel ¡Ay! Todos dicen otro tanto del dueño de su alma. ¿No es verdad? ¡Y sin embargo, como decirte lo perfecta que es, porque lo es. Basta; ella abarca todos mis sentidos, los domina. ¡Tanta ingenuidad unida a tanto ingenio!, ¡tanta bondad con tanta fuerza de carácter! ¡Y la tranquilidad del alma en medio de la vida más agitada!
liebe Frau, leide, dass ich dich so lieb habe

Mittwoch, 14. September 2016

„Meister Ludwig, woher habt Ihr nur alle diese Possen“, soll jener Kardinal von Este verständnislos ausgerufen haben, als er Ariost, dem Dichter des Rasenden Roland, gegenübertrat.

Träumt ihr den Friedenstag?
Träume, wer träumen mag.
Krieg! ist das Losungswort.
Sieg! und so klingt es fort.

Und hört ihr donnern auf dem Meere?
Dort widerdonnern Tal um Tal,
In Staub und Wellen, Heer dem Heere,
In Drang um Drang, zu Schmerz und Qual.
Und der Tod
Ist Gebot,
Das versteht sich nun einmal.

Freitag, 26. August 2016


Christoph Martin Wieland. Platonischen Betrachtungen über den Menschen. 1755. 
In der unendlichen Leiter der lebenden und beseelten Geschöpfe steht der Mensch, wie es scheint, in der Mitte und verbindet die Welt der Geister mit dem unabsehbaren Reiche der Thiere. Seiner Gestalt nach scheinet er weiter nichts als das schönste und vornehmste unter den Thieren; aber seine Werke zeigen, daß englische Fähigkeiten in diesen Leib eingeschränkt sind. Die Vernunft gibt auch seinem sinnlichen Vermögen eine unendlich weitere Ausdehnung als den andern Thieren. Mit Augen, welche schwächer sind als des Adlers, sieht er die entferntesten Gestirne, dringt in die Tiefen des Meeres und entblöst das Eingeweide der Erde. Seine Einbildungskraft entdeckt ihm unzählbare Welten und ahmet von ferne dem Schöpfer nach, der in einem Anblick einen Himmel voll Ordnung und Schönheit aus dem Nichts hervorrufen kann. Er holt das Vergangene zurück und gibt ihm eine zweite Wirklichkeit; er überschaut das Gegenwärtige und deckt sogar den Vorhang der Zukunft auf. Durch die Fähigkeit, seine Begriffe in Ordnung zu bringen, ist er im Stand, unzählige Empfindungen und Vorstellungen zu erhalten, die sich sonst in der Menge verloren hätten. Und durch das Vermögen, die Regel des Schönen und Angenehmen zu entdecken, kann er die Grenzen seiner Vergnügen fast ins Unendliche erweitern. –

Nehmet ihm die Vernunft und lasset nur das Thier übrig: der Mensch wird in einem sehr kleinen Kreise empfinden, er wird immer die  gleichen Vorstellungen haben, er wird wenigen Trieben der Natur immer gleich genug thun; jeder Tag wird ihm der vorige seyn, er wird eine Uhr seyn, die immer gleich läuft, bis sie die Bewegung verliert. Ein Thier ist nicht Meister weder über die Eindrücke, die es von außen bekommt, noch über die Triebe, die dadurch erregt werden. Es kann weder seine Freuden vergrößern, noch seine Schmerzen verringern. Der Mensch empfindet fast jedes Vergnügen dreifach und jedes Mal mit eigenen Reizungen begleitet. Er sieht es zum voraus, er genießt es, eh' es da ist, und die Hoffnung vergrößert es vor seinen Augen. Nachdem er es genossen hat, kann er es wieder erneuern, so oft er will, und vermittelst einer kleinen Entzückung, welche durch die wunderbaren Triebfedern der Imagination hervorgebracht wird, es fast bis zur Lebhaftigkeit der wirklichen Empfindung erhöhen. Seine Gefühle sind feiner, ordentlicher und verknüpfter, und sie sind auch mehr in seiner Gewalt. Selbst die widrigen sind es; denn er kann sie verkleinern, entfernen oder mit angenehmen Farben übermalen; ja, so groß ist die Gewalt der Vernunft, daß sie aus dem Schmerz selbst Vergnügen erzwingen kann. So große Einflüsse hat die Vernunft auf die sinnlichen Kräfte der Seele. Sie erhöhet, verschönert und erweitert sie und adelt das Thier zu einer Art von Engeln.

Donnerstag, 25. August 2016

Schiller. - Dieser freie emporstrebende Geist ist in das starre unwandelbare Uhrwerk eines sterblichen Körpers geflochten, mit seinen kleinen Bedürfnissen vermengt, an seine kleinen Schicksale angejocht – dieser Gott ist in eine Welt von Würmern verwiesen. 

Montag, 15. August 2016

Er sah sie oft im Lesen an, als wenn er diesen Eindruck sich auf ewig einprägen wollte, und las einigemal falsch, ohne darüber in Verwirrung zu geraten, ob er gleich sonst über die Verwechselung eines Wortes oder Buchstabens als über einen leidigen Schandfleck einer ganzen Vorlesung verzweifeln konnte.
»Sollten nicht«, sagte er manchmal im stillen zu sich selbst, »uns in der Jugend wie im Schlafe die Bilder zukünftiger Schicksale umschweben und unserm unbefangenen Auge ahnungsvoll sichtbar werden? Sollten die Keime dessen, was uns begegnen wird, nicht schon von der Hand des Schicksals ausgestreut, sollte nicht ein Vorgenuß der Früchte, die wir einst zu brechen hoffen, möglich sein?«

Mittwoch, 3. August 2016

In den meisten Ländern des Morgens dämpft die Härte der Regierung alle die Triebe, die das Herz des Volkes erhöhen sollten. In China haben die ersten Kaiser unter dem Volke die Tugend aufgesucht, um sie dem Throne zu nähern; sie haben mit Ausschliessung ihrer Söhne, das Zepter dem Würdigsten abgetreten; lange haben die Kaiser den Rath der Unterthanen willig angenommen, ihre Fehler erkannt, und dem treuen Diener den Ruhm gelassen, daß die bessern Thaten des Fürsten von seinen Warnungen herkämen. Aber auch in China ist die alte Einfalt der Herrscher durch die Schmeichler verdrungen; Usong gestund es. Die Belohnungen werden durch den Rath unwürdiger Verschnittenen ausgetheilt, der obersten Mandarinen Unterdrückungen übersehen, und das Joch auf das Volk erschweret. Noch gewinnen zuweilen die glänzenden Beyspiele tugendhafter Kaiser, und die siegreiche Beredsamkeit alter Weisen, das Herz eines Fürsten, und bereden ihn, sein Vergnügen, im Glücke des Landes zu suchen. Aber das Uebel ist geschehen, das Herz des Volkes ist in den Koth getreten, und keiner edlen Begierden mehr fähig.

»Danischmend Danischmend!« (rief der Sultan) »was ich sagen würde? – Ich würde« – hier hielt Seine Hoheit eine ziemliche Weile ein, und der schönen Nurmahal pochte das Herz vor Furcht für den ehrlichen, wohl meinenden, aber, in der Tat, gar zu unbedachtsamen Danischmend. – »Ich würde sagen«, fuhr der Sultan endlich fort, »daß du mir den großen Fürsten auf der Stelle nennen sollst, der dies alles getan hat.«

»Sire«, antwortete Danischmend ganz demütig, »ich gestehe freimütig, daß ich, wofern Ihre Hoheit Sich nicht entschließen es selbst zu sein, weder unter Ihren Vorgängern noch unter Ihren Zeitgenossen einen kenne, der dies alles getan hätte. Aber mein Herz sagt mir, daß die Idee eines solchen Fürsten, die ich in diesem Augenblick, wie durch eine Art von Eingebung, auf einmal in meiner Seele fand, kein Hirngespenst ist. Er wird kommen, und sollt es auch erst in vielen Jahrhunderten sein; ganz gewiß wird er kommen, um zu gleicher Zeit die Ehre der Vorsehung, der Menschheit und des Fürstenstandes zu retten, und der Trost eines unglücklichen Zeitalters, das Vorbild der Könige, und die Liebe und Wonne aller Menschen zu sein.«

»Gute Nacht, Danischmend«, sagte der Sultan lächelnd: »ich sehe du rappelst. Unser Prophet befiehlt uns, Leute in deinen Umständen mit Ehrerbietung anzusehen; aber gleichwohl könnte, deucht mich, eine Prise Niesewurz nichts schaden, Freund Danischmend!« 

»Danischmend hat uns die Verdorbenheit der scheschianischen Nation so groß und so allgemein vorgestellt«, sagte die Sultanin, »daß ich nicht begreife, wo er den Mann hernehmen will, der aus diesem Chaos eine neue Welt zu erschaffen fähig sein sollte. Dies bin ich wenigstens gewiß, daß dieser Mann sich nicht am Hofe zu Scheschian gebildet haben kann.« 

Dienstag, 2. August 2016


»Es ist ein trauriges Los aller guten Dinge in der Welt«, fing Danischmend an, als er nach einigen Tagen wieder an das Bette Seiner Hoheit gerufen wurde, »daß sie unter den Händen der Menschen nicht lange unbeschädigt und unverdorben bleiben können. Leider gilt dies von Gesetzgebungen, Staatsverfassungen und Regierungen ganz vorzüglich. Wie vollkommen auch die gesetzmäßige Verfassung eines Staats sein mag, bei der Vollziehung kommt alles auf die Beschaffenheit der Menschen an, in deren Händen die Gewalt ist, welche der Staat dem Fürsten, und der Fürst wieder teilweise denen, die ihm regieren helfen sollen, anzuvertrauen genötigt ist. Wie angelegen ließ sich's nicht der guten Tifan sein, seiner Gesetzgebung eben dadurch die Krone der Vollkommenheit aufzusetzen, daß er ihr die möglichste Dauerhaftigkeit zu geben suchte! Eben darum, weil er einsah, wie sehr alles auf die sittliche Beschaffenheit der Regierten sowohl als der Regierenden ankommt, machte er die moralische Bildung der Scheschianer zum Hauptzweck seiner Erziehungsanstalten, und die Erhaltung der Sitten in der möglichsten Lauterkeit zum Augenmerk aller seiner Verordnungen. Aber eben darum, weil es unmöglich ist unter einem großen Volke die Sitten lange unverdorben zu erhalten, konnt er mit aller seiner Vorsicht mehr nicht bewirken, als daß es mit der sittlichen Verderbnis seines Volkes langsamer zuging, und also der Zeitpunkt des politischen Todes, welchem sich jeder Staat mit immer zunehmender Geschwindigkeit nähert, von dem seinigen etwas weiter entfernt wurde, als es ohne seine Vorkehrungen geschehen wäre.

Mittwoch, 27. Juli 2016

Zu Hause aufgeräumt, meine Papiere durchgesehen und alle alten Schaalen verbrannt. Andre Zeiten andre Sorgen. Stiller Rückblick aufs Leben, auf die Verworrenheit, Betriebsamkeit Wissbegierde der Jugend, wie sie überall herumschweift um etwas befriedigendes zu finden. Wie ich besonders in Geheimnissen, dunklen Imaginativen Verhältnissen eine Wollust gefunden habe. Wie ich alles Wissenschafftliche nur halb angegriffen und bald wieder habe fahren lassen, wie eine Art von demütiger Selbstgefälligkeit durch alles geht was ich damals schrieb. Wie kurzsinnig in Menschlichen und göttlichen Dingen ich mich umgedreht habe. Wie des Thuns, auch des Zweckmäsigen Denckens und Dichtens so wenig, wie in zeitverderbender Empfindung und Schatten Leidenschafft gar viel Tage verthan, wie wenig mir davon zu Nuz kommen und da die Hälfte nun des Lebens vorüber ist, wie nun kein Weeg zurückgelegt sondern vielmehr ich nur dastehe wie einer der sich aus dem Wasser rettet und den die Sonne anfängt wohlthätig abzutrocknen. Die Zeit dass ich im Treiben der Welt bin seit 75 Oktbr. getrau ich noch nicht zu übersehen. Gott helfe weiter. und gebe Lichter, dass wir uns nicht selbst so viel im Weege stehn. Lasse uns von Morgen zum Abend das gehörige thun und gebe uns klare Begriffe von den Folgen der Dinge. Dass man nicht sey wie Menschen die den ganzen Tag über Kopfweh klagen und gegen Kopfweh brauchen und alle Abend zu viel Wein zu sich nehmen. Möge die Idee des reinen die sich bis auf den Bissen erstreckt den ich in Mund nehme, immer lichter in mir werden. 


Blitz, wie die wackern Dirnen schreiten!
Herr Bruder, komm! wir müssen sie begleiten.

Dienstag, 19. Juli 2016

Das Rohe am Menschen bleibt immer einigermaßen, oder etwas Rohes bleibt immer an jedem Menschen, und das ist dasjenige, wodurcht er lebt und woraus er sich nährt. Es ist wie der Mutterkuchen oder das Eidotter am Hintern des Huhns, woraus es eine Zeitlang Nahrung nimmt.

DICHTER.  Nicht so vieles Federlesen!
Lass mich immer nur herein:
Denn ich bin ein Mensch gewesen
Und das heisst ein Kämpfer sein.

Unvergeßlich wird mir der Augenblick seyn in dem ich das Glück hatte mich Ew. Durchl. vor meiner Abreise zu empfehlen, unaussprechlich die Gewalt die ich anwenden mußte mein weiteres Vorhaben zu verschweigen. Laßen mich Ew. Durchl. bey meiner Rückkehr eine immer gleich gnädig gesinnte Fürstinn wiederfinden.

Bereits in Sturm-und-Drang-Zeiten hatte sich Goethe ein Jesaja-Wort „Wenn ihr stille werdet, so wird euch geholfen“  (Jes. 30,15) zum Lebensmotto genommen.

Freitag, 15. Juli 2016


wenn ich jemand lieber haben kann, will ich dir’s sagen, will dich ungeplagt lassen

Freitag, 1. Juli 2016


So wurde ich denn als ein junger Bewohner einer großen Stadt von einem Gegenstand zum andern hin und wider geworfen, und es fehlte mitten in der bürgerlichen Ruhe und Sicherheit nicht an gräßlichen Auftritten. Bald weckte ein näherer oder entfernter Brand uns aus unserm häuslichen Frieden, bald setzte ein entdecktes großes Verbrechen, dessen Untersuchung und Bestrafung die Stadt auf viele Wochen in Unruhe. Wir mußten Zeugen von verschiedenen Exekutionen sein, und es ist wohl wert, zu gedenken, daß ich auch bei Verbrennung eines Buchs gegenwärtig gewesen bin. Es war der Verlag eines französischen komischen Romans, der zwar den Staat, aber nicht Religion und Sitten schonte. Es hatte wirklich etwas Fürchterliches, eine Strafe an einem leblosen Wesen ausgeübt zu sehen. Die Ballen platzten im Feuer und wurden durch Ofengabeln aus einander geschürt und mit den Flammen mehr in Berührung gebracht. Es dauerte nicht lange, so flogen die angebrannten Blätter in der Luft herum, und die Menge haschte begierig darnach. Auch ruhten wir nicht, bis wir ein Exemplar auftrieben, und es waren nicht wenige, die sich das verbotne Vergnügen gleichfalls zu verschaffen wußten. Ja, wenn es dem Autor um Publizität zu tun war, so hätte er selbst nicht besser dafür sorgen können.


Montag, 20. Juni 2016

„Wollen wir denn hier überall im Absurden vorausgehen, alles Fratzenhafte zuerst probieren?“ sagte er unter anderem.
Wir kamen auf die Paria's-Gedichte zu sprechen und auf den ewigen Hang der Menschen zu Unterscheidung der Kasten. »Jeder Mensch,« sagte er, »schlägt die Vortheile der Geburt blos deßwegen so hoch an, weil sie etwas Unbestreitbares sind. Alles was man erwirbt, leistet, durch Anstrengung verdient, bleibt dagegen ewig von der Verschiedenheit der Urtheile und Ansichten abhängig. Eine Aussöhnung hierüber ist vergeblich, macht das Übel nur schlimmer, wie es z.B. die Bürger mit dem Luxus einer Hoftafel nicht versöhnt, wenn man einige aus ihrer Mitte zuweilen daran Theil nehmen läßt.«

Samstag, 18. Juni 2016


Das Individuum gewinne hiernach in seiner höchsten Entfaltung überindividuellen Rang, vermöge die Lebenserfahrungen ungezählter Individuen in sich aufzunehmen und dabei zur Reife zu bringen, freilich assimiliert, in eine neue Einheit überführt, erhalte und steigere doch das Genie in diesen Aneignungsprozessen seinen Charakter oder die seinem Daimon entsprechende »Grundbestimmung«.
Wir streifen hier unversehens Goethes alten Glauben an die »Entelechie«, die individuelle seelische Kraft, die, unsterblich, zu ihrer Vervollkommnung immer neue Verbindungen eingehen müsse, dabei schwächere »entelechische Monaden« in ihren Bann ziehe, ihrerseits aber auch einer mächtigeren Hauptmonade untergeordnet werden könne. Die Möglichkeit einer bloß energetischen Unsterblichkeit einmal unterstellt, scheint es jedoch für Goethe selbst fraglich geblieben zu sein, inwiefern bei all den Metamorphosen der Monaden, ihren Rangkämpfen und Abhängigkeiten (vom eigenen Körper, von anderen Lebewesen oder gar Gestirnen) noch sinnvoll von Individualität zu sprechen wäre .

Samstag, 11. Juni 2016


Ob du unsern Mosleminen
Auch recht eigentlich verwandt? 
Ob dein Kämpfen, dein Verdienen
Dich ans Paradies gesandt?

Donnerstag, 26. Mai 2016


Qui suis-je? Qu'ai-je créé? J'ai tout reçu, tout accueilli, j'ai assimilé tout ce qui passait à ma portée. Mon œuvre est celle d'un être collectif qui porte un nom Goethe.

Selbst ein Herkules sei ein Kollektivwesen, und selbst ein Genie bedürfe der guten Einfälle derer, die es umgeben, sagte Goethe im Februar 1832, einen Monat vor seinem Tod, zu Frédéric Soret. »Was bin ich denn selbst, was habe ich geleistet? Alles, was ich gesehen, gehört und beobachtet habe, habe ich gesammelt und ausgenutzt. Meine Werke sind von unzähligen verschiedenen Individuen genährt worden, von Ignoranten und Weisen, Leuten von Geist und von Dummköpfen; die Kindheit, das reife und das Greisenalter, alle haben mir ihre Gedanken entgegengebracht, ihre Fähigkeiten, Hoffnungen und Lebensansichten. Ich habe oft geerntet, was andere gesät haben, mein Werk ist das eines Kollektivwesens, das den Namen Goethe trägt.«

Freitag, 20. Mai 2016


Ich komm’! Ich komme!
Wohin? Ach, wohin?


 
Als man dem Dichter mitteilte, man wolle ihm zu Ehren den Faust am Hoftheater spielen, wobei wohl La Roche, der den Mephisto darstellte, der drängendste Sprecher war, fuhr Goethe auf, wie von einer Bremse gestochen. "Ist es billig, über meine Werke zu verfügen, ohne zu fragen, was ich selbst damit vorhabe? Bin ich denn nicht mehr am Leben? Beschlossen hat man?" Goethe ging wütend in seinem Zimmer auf und ab. Die Beschließer befanden sich in einer peinlichen Lage. Trotzdem fand die Aufführung statt, doch Goethe hat sie nicht besucht.

Aber wenn Sie nun auch alle Quellen zu klären und zu durchforschen vermöchten: was würden Sie finden? Nichts anderes, als eine grosse Wahrheit, die längst entdeckt ist, und deren Bestätigung man nicht weit zu suchen braucht; die Wahrheit nämlich, dass es zu allen Zeiten und in allen Ländern miserabel gewesen ist. Die Menschen haben sich stets geängstigt und geplagt; sie haben sich untereinander gequält und gemartert; sie haben sich und anderen das bisschen Leben sauer gemacht, und die Schönheit der Welt und die Süssigkeit des Daseins, welche die schöne Welt ihnen darbietet, weder zu achten noch zu geniessen vermocht. Nur wenigen ist es bequem und erfreulich geworden. Die meisten haben wohl, wenn sie das Leben eine Zeitlang mitgemacht haben, lieber hinausscheiden, als von neuem beginnen mögen. Was ihnen noch etwa einige Anhänglichkeit an das Leben gab oder gibt, das war und ist die Furcht vor dem Sterben. So ist es; so ist es gewesen; so wird es wohl auch bleiben. Das ist nun einmal das Los der Menschen. Was brauchen wir weiter Zeugnis.
Es ist mit den Völkern wie mit den Menschen. Die Völker bestehen ja aus Menschen. Auch sie treten ins Leben, wie die Menschen, treiben’s, etwas länger, in gleich wunderlicher Weise, und sterben gleichfalls entweder eines gewaltsamen Todes, oder eines Todes vor Alter und Gebrechlichkeit. Die Gesamtnot und Gesamtplage der Menschen ist eben die Not und die Plage der Völker.

Samstag, 30. April 2016


Aber abseits wer ist’s?
In’s Gebüsch verliert sich sein Pfad,
Hinter ihm schlagen
Die Stäuche zusammen
Das Gras steht wieder auf,
Die Öde verschlingt ihn.

Donnerstag, 28. April 2016

Nun lasst nur mit allen Glocken läuten, macht, dass ihr die Alten alle begrabt, und seht zu, wie ihr mit den Jungen fertig werdet. Seid nur lustig und wohlgemut dabei, das ist die Hauptsache. 

Mittwoch, 13. April 2016

Goethe zeigte mir einen eleganten grünen Lehnstuhl, den er dieser Tage in einer Auktion sich hatte kaufen lassen. „Ich werde ihn jedoch wenig oder gar nicht gebrauchen“, sagte er, „denn alle Arten von Bequemlichkeit sind eigentlich ganz gegen meine Natur. Sie sehen in meinem Zimmer kein Sofa, ich sitze immer in meinem alten hölzernen Stuhl, und habe erst seit einigen Wochen eine Art von Lehne für den Kopf anbringen lassen. Eine Umgebung von bequemen geschmackvollen Meublen hebt mein Denken auf und versetzt mich in einen behaglichen passiven Zustand. Prächtige Zimmer und elegante Meublen ist etwas für Leute, die keine Gedanken haben und haben möchten.

Dienstag, 12. April 2016

Ah! mon cher ami, il faut apprendre à s’arranger avec la vie pour pouvoir la supporter et ne pas se laisser abattre par elle!

Man bildet sich vergebens ein, dass man allen literarischen Erscheinungen face machen könnte; es geht einmal nicht; man tappt in allen Jahrhunderten, in allen Weltteilen herum und ist doch nicht überall zu Hause, stumpft sich Sinn und Urteil ab, verliert Zeit und Kraft; mir geht es selbst so, ich bereue es, aber zu spät. Man liest Folianten und Quartanten durch und wird um nichts klüger, als wenn man alle Tage in der Bibel läse, man lernt nur, dass die Welt dumm ist, und das kann man in der Seifengasse hier zunächst auch erproben.
Ich bin ganz unerträglich. Und darum fleisig an sinnlicher Arbeit. Ich kann nicht kommen. Geb Ihnen Gott was zu treiben. Mit mir nimmts kein gut Ende. Ade.

Mittwoch, 30. März 2016


Heute steh ich meine Wache
Vor des Paradieses Tor,
Weiss nicht grade wie ich’s mache,
Kommst mir so verdächtig vor!

Dienstag, 29. März 2016

Da fiel es denn recht auf, wie nötig es sei, in der Erziehung die Einbildungskraft nicht zu beseitigen, sondern zu regeln, ihr durch zeitig vorgeführte edle Bilder Lust am Schönen, Bedürfnis des Vortrefflichen zu geben. Was hilft es, die Sinnlichkeit zu zähmen, den Verstand zu bilden, der Vernunft ihre Herrschaft zu sichern, die Einbildungskraft lauert als der mächtigste Feind, sie hat von Natur einen unwiderstehlichen Trieb zum Absurden, der selbst in gebildeten Menschen mächtig wirkt und gegen alle Kultur die angestammte Roheit fratzenliebender Wilden mitten in der anständigsten Welt wieder zum Vorschein bringt. 
»Das Gastmahl der Weisen«, ein dramatisch-lyrischer Scherz, worin die verschiedenen Philosophen jene zudringlichen metaphysischen Fragen, womit das Volk sie oft belästigt, auf heitere Weise beantworten oder vielmehr ablehnen, war wohl nicht fürs Theater,

Freitag, 25. März 2016

Warum gibt uns ein einziger grosser Mensch solche Freude, ja Wonne? warum wiegt er uns Tausende auf? Weil er es ist, der zum ersten Mal die Idee eines Menschen erfüllt, und alle übrigen nur als Missrätnisse, als citra et infra jener Idee erscheinen. Was in ihnen allenfalls recht ist, ist es in einem geringeren Grade, und das Schlimme erscheint um so miserabler, als es durch das Gute nicht aufgewogen und balanciert wird.
Die kleinen Schwächen von Goethe, das was wir manchmal von ihm wegwünschten, wie geringfügig ist es gegen das Grosse, Schöne, Gute, Wahre, Rechte, was wir von ihm haben und in seinen Schriften lebt!

Dienstag, 8. März 2016


Wie sehr irrst du, lieber Freund, wenn du glaubst, daß ein Werk, dessen erste Vorstellung die ganze Seele füllen muß, in unterbrochenen, zusammengegeizten Stunden könne hervorgebracht werden. Nein, der Dichter muß ganz sich, ganz in seinen geliebten Gegenständen leben. Er, der vom Himmel innerlich auf das köstlichste begabt ist, der einen sich immer selbst vermehrenden Schatz im Busen bewahrt, er muß auch von außen ungestört mit seinen Schätzen in der stillen Glückseligkeit leben, die ein Reicher vergebens mit aufgehäuften Gütern um sich hervorzubringen sucht. Sieh die Menschen an, wie sie nach Glück und Vergnügen rennen! Ihre Wünsche, ihre Mühe, ihr Geld jagen rastlos, und wonach? Nach dem, was der Dichter von der Natur erhalten hat, nach dem Genuß der Welt, nach dem Mitgefühl seiner selbst in andern, nach einem harmonischen Zusammensein mit vielen oft unvereinbaren Dingen.

Was beunruhiget die Menschen, als daß sie ihre Begriffe nicht mit den Sachen verbinden können, daß der Genuß sich ihnen unter den Händen wegstiehlt, daß das Gewünschte zu spät kommt und daß alles Erreichte und Erlangte auf ihr Herz nicht die Wirkung tut, welche die Begierde uns in der Ferne ahnen läßt. Gleichsam wie einen Gott hat das Schicksal den Dichter über dieses alles hinübergesetzt. Er sieht das Gewirre der Leidenschaften, Familien und Reiche sich zwecklos bewegen, er sieht die unauflöslichen Rätsel der Mißverständnisse, denen oft nur ein einsilbiges Wort zur Entwicklung fehlt, unsäglich verderbliche Verwirrungen verursachen. Er fühlt das Traurige und das Freudige jedes Menschenschicksals mit. Wenn der Weltmensch in einer abzehrenden Melancholie über großen Verlust seine Tage hinschleicht oder in ausgelassener Freude seinem Schicksale entgegengeht, so schreitet die empfängliche, leichtbewegliche Seele des Dichters wie die wandelnde Sonne von Nacht zu Tag fort, und mit leisen Übergängen stimmt seine Harfe zu Freude und Leid. Eingeboren auf dem Grund seines Herzens wächst die schöne Blume der Weisheit hervor, und wenn die andern wachend träumen und von ungeheuren Vorstellungen aus allen ihren Sinnen geängstiget werden, so lebt er den Traum des Lebens als ein Wachender, und das Seltenste, was geschieht, ist ihm zugleich Vergangenheit und Zukunft. Und so ist der Dichter zugleich Lehrer, Wahrsager, Freund der Götter und der Menschen. Wie! willst du, daß er zu einem kümmerlichen Gewerbe heruntersteige? Er, der wie ein Vogel gebaut ist, um die Welt zu überschweben, auf hohen Gipfeln zu nisten und seine Nahrung von Knospen und Früchten, einen Zweig mit dem andern leicht verwechselnd, zu nehmen, er sollte zugleich wie der Stier am Pfluge ziehen, wie der Hund sich auf eine Fährte gewöhnen oder vielleicht gar, an die Kette geschlossen, einen Meierhof durch sein Bellen sichern?

Montag, 22. Februar 2016


Gewiss! Das Alter ist ein kaltes Fieber
Im Frost von grillenhafter Not,
Hat einer dreissig Jahr vorüber,
So ist er schon so gut wie tot.
Am besten wär's, euch zeitig totzuschlagen.

Blitz, wie die wackern Dirnen schreiten!

Samstag, 6. Februar 2016

Du, Erde, warst auch diese Nacht beständig.

Samstag, 23. Januar 2016


Goethes Klassizismus hat seinem Diskurs des Sehens, des Anblickens, der sein ganzes Werk kennzeichnet, eine ganz besondere Volte gegeben. Denn im Unterschied zur Romantik, deren entgrenzende Bildphantasie sich gewissermassen den Konsequenzen der Katastrophe nicht konkret stellte, indem sie diese ins Grenzenlose hob, ist dem klassizistischen Bewusstsein der Verlust einer jeweiligen Gegenwart durch nichts ersetzbar. In seiner klaren Konkretheit und also Verletzbarkeit verbirgt sich im Klassizismus also eine grössere Affinität zum tragischen Bewusstsein.

 

... denn dieses (das tragische Bewusstsein) begründet sich im Gefühl des Verlustes der utopischen Sphäre, und zwar in einer Radikalität, die nur Goethes Klassizismus möglich war. Warum?
Um diese Radikalität angemessen zu verstehen, ist es nötig, die Differenz von Geothes Verlusttrauer zu jener Trauer kurz anzudeuten, die das grosse Thema des deutschen Idealismus gewesen ist: die Trauer um den Verlust des Goldenen Zeitalters, das heisst die Trauer um den Verlust des Griechisch-Schönen. Es waren Friedrich Schiller und dann Hölderlin, die diesen Verlust vor allem zum Thema sowohl ihrer grossen Lyrik als auch ihres theoretischen Nachdenkens gemacht haben.     ... 

Mittwoch, 13. Januar 2016

Goethe ist wohl und prächtig und im höchsten Grade tätig.

Seltsam schiefe Stellung des Friedrich von Müller. Ihm erscheint ein anderer Goethe, und Goethe duldet und schätzt ihn, weil er sich ihm gegenüber anders zeigen kann, sehr düster, pessimistisch, bissig und ungezogen. Er verbirgt vor ihm Dinge, er bricht Unterhaltungen ab, in dem er ans Fenster geht und dort in einem Buch zu lesen beginnt, er schimpft, lässt seinen Launen freien Lauf.
Darüber war ich sehr froh; denn nichts ist peinlicher als das Zusammensein mit ihm, wenn er jeden Gesprächsfaden sogleich fallen lässt oder abreisst, auf jede Frage mit. „Gute Menschen! es ist ihnen aber nicht zu helfen“ oder „Da mögt Ihr jungen Leute zusehen, ich bin zu alt dazu“ antwortet und manche lange Pause mit nichts als Hm! Hm! ausfüllt, auch wohl den Kopf wie aus Schläfrigkeit sinken lässt.

... „Sie hat etwas“, sagte Goethe, „wovon Ihr beide keinen Begriff habt und welches ich nicht verraten will.“ ....
„Da wir allein sind“, sagte Goethe, „so kann ich Ihnen wohl entdecken, wie es um jenes Fräulein steht. - Geist hat sie nicht, denn dies ist etwas sehr Seltenes, besonders bei Frauen. Aber sie hat eine gewisse innere Freiheit, wodurch sie dem Augenblick überlegen ist und wodurch sie oft höchst anmutig und angenehm sein kann. ...

Samstag, 2. Januar 2016


Bey manchen innern stillen Arbeiten, wobey ich dein immerfort gedenke, bin ich doch auch in das neuere Französische mitunter hineingezogen worden und habe bey solcher Veranlassung über die Réligion Simonienne nachzudenken gehabt. An der Spitze dieser Secte stehen sehr gescheite Leute, sie kennen die Mängel unserer Zeit genau und verstehen auch das Wünschenswerthe vorzutragen; wie sie aber anmaßen wollen, das Unwesen zu beseitigen und das Wünschenswerthe zu befördern, so hinkt sie überall. Die Narren bilden sich ein, die Vorsehung verständig spielen zu wollen, und versichern, jeder solle nach seinem Verdienst belohnt werden, wenn er sich mit Leib und Seele, Haut und Haar an anschließt und sich mit ihnen vereinigt.