Dienstag, 10. Januar 2012

„Ein solches Talent wie Béranger,“ sagte ich, „würde an sittlichen Stoffen nichts zu tun finden.“ „Sie haben recht,“ sagte Goethe, „eben an den Verkehrtheiten der Zeit offenbart und entwickelt Béranger seine bessere Natur.“ „Aber,“ sagte ich, „ist denn dieser chinesische Roman vielleicht einer ihrer vorzüglichsten?“ „Keineswegs,“ sagte Goethe, „die Chinesen haben deren zu Tausenden und hatten ihrer schon, als unsere Vorfahren noch in den Wäldern lebten.“


„Ich sehe immer mehr,“ fuhr Goethe fort, „daß die Poesie ein Gemeingut der Menschheit ist, und daß sie überall und zu allen Zeiten in Hunderten und aber Hunderten von Menschen hervortritt. Einer macht es ein wenig besser als der andere und schwimmt ein wenig länger oben als der andere, das ist alles. Der Herr von Matthisson muß daher nicht denken, er wäre es, und ich muß nicht denken, ich wäre es, sondern jeder muß sich eben sagen, daß niemand eben besondere Ursache habe, sich viel darauf einzubilden, wenn er ein gutes Gedicht macht. Aber freilich, wenn wir Deutschen nicht aus dem engen Kreise unserer eigenen Umgebung hinausblicken, so kommen wir gar zu leicht in diesen pedantischen Dünkel. Ich sehe mich daher gern bei fremden Nationen um und rate jedem, es auch seinerseits zu tun. Nationalliteratur will jetzt nicht viel sagen, die Epoche der Weltliteratur ist an der Zeit und jeder muß jetzt dazu wirken, diese Epoche zu beschleunigen.