Samstag, 12. April 2008

Er wartet stets die Neigung ab, lauscht auf Eingebung - Schiller, die Freiheit des Willens verteidigend, nahm sich die Arbeiten vor, gab sie sich auf und zwang sich zur Begeisterung. Das aber hat ihn auch allzu früh aufgerieben. Schiller wäre nach Goethes Behauptung noch unendlich höher gestiegen, hätte er länger gelebt. Ja, seine Fortschritte seien so ausserordentlich gewesen, dass er ihn nach vier Tagen oft nicht mehr erkannt habe. - Goethe geriet in Begeisterung, wie er von seinem Freunde sprach, - unsäglich viel hätte er an ihm verloren. Nun beschrieb er mir, wie Schiller es machte, wenn er etwas Grosses vor-hatte, zum Beispiel den „Wilhelm Tell“. Sobald er den Entschluss zu diesem Stücke gefasst hatte, klebte er sich eine möglichst spezielle Karte von der Schweiz an die Wand, setzte sich davor und las, was über die Schweiz und die Geschichte ihrer Befreiung vorhanden war. Dabei besprach er vielfältig seinen Gegenstand, und wenn er sich nun so ganz davon durchdrungen hatte, schrieb er mit unglaublicher Leichtigkeit so lange fort, bis ihm die Augen zufielen. Nun schlief er angezogen und sitzend, bis er wieder erwachte, wo er dann sogleich die Arbeit fortsetzte. Ob es Tag oder Nacht, das war ihm gleichviel.
Seine Geisteskräfte scheinen nicht abnehmen zu wollen; doch scheint es mir, dass sich über sein Inneres ein Flor ziehe, der ihm das Leben eben nicht, wie man sagt, in rosenfarbenen Licht erscheinen lässt.Dies ist nun in meinem und seinem Alter nicht eben zu verwundern, am wenigsten bei dem, der das Le-ben immer von einer strengen und aufmerksamen Seite in seiner Wirklichkeit und Konsequenz genommen hat.
Goethe sagte, als von den Streitigkeiten Vossens und Stolbergs die Rede war, Voss contra Stolberg komme ihm vor wie in Dantes Hölle, wie der im Sumpf Eingefrorene die Köpfe seiner Miteingefrorenen benagt.
Am 9. August 1819 verlebten wir den Abend bei Goethe. Dieser hohe Freund hatte Julien Kreide zum Zeichnen geschenkt. Diese Gabe brachte das Gespräch auf die Zeichnung des Posthalters von Langensalza. Bei der Erzählung, wie wir in seine Schwächen eingegangen und dadurch seiner bis zur Verrücktheit gesteigerten Eitelkeit noch geschmeichelt hätten, bemerkte Goethe auf eine sein persiflirende Weise, daß darin die eigentliche Lebensklugheit bestehe und er ihr solches Benehmen gegen jedermann anrathe. Auf Juliens Frage, warum man nur gegen Carricaturen sich diese augenblickliche Verläugnung seiner Ansichten gestatte, erwiederte er mit sichtbarer Freude über ihre Bemerkung, daß diese Gattung von Menschen, indem sie aus ihrer Natur heraustrete, auch alle Verpflichtungen, so wir gegen uns und andere üben, auflösen, und man daher diese Personen als halbe Wahnwitzige dulde, statt sie zu widerlegen in ihre Ideen eingehe. Julie citirte eine Person aus ihrer Bekanntschaft, wo man täglich diese Regel übe. Jedes glaubte, sie errathen zu haben, als der alte Herr mit Feinheit einfiel, daß man nur im Staatskalender suchen dürfe, um so einen Gegenstand zu finden. »Erhaltet Eure Aufrichtigkeit und Wahrheitsliebe so viel wie möglich«, fuhr er fort, »aber verfallt nicht in den Fehler der jetzigen Zeit, nämlich: durch allzugroße Aufrichtigkeit grob zu werden.« Hierauf erzählte er uns eine niedliche Anekdote von einer alten würdigen Castellanin zu Nürnberg, welche in einer Gesellschaft von jungen Leuten, die sich mit ungeziemender Heftigkeit und Unart über die Schmeichler und Heuchler äußerten, plötzlich hinter ihrem Kaffeetisch mit zusammengeschlagenen Händen in vollem Unmuth ausrief: Ach, wie lieb' ich die Schmeichler und Heuchler!
Über Goethe schreibst Du sehr schön und richtig. Liebe hat ihm immer gefehlt, er hat sie schwerlich empfunden, und die rechte ist ihm nicht geworden. Allein der wahre Grund dazu ist doch wohl das früh in ihm waltende, schaffende Genie und die Phantasie gewesen. Wo sich die Natur einen solchen eigenen und inneren Weg bahnt, da wird es wohl unmöglich, sich einem anderen Wesen in der Wirklichkeit un-eigennützig hinzugeben, und ohne das ist keine Liebe denkbar. Man muss sich immer erst verlieren, um sich schöner und reicher wieder zu empfangen. Aber eine Leere lässt es dann freilich im Leben zurück, und ich glaube nicht, dass ausser den Stunden und Zeiten des glücklichen Hervorbringens Goethe eigentlich glücklich oder reich in sich beschäftigt ist.
Anfangs schien Goethe taciturn und marode.
Exzellenz haben die Gnade gehabt, geneigtest zuzuhören