Ich bin heut musikalisch und esse mit der Schrötern, bin und bleibe doch aber ganz dein.
Donnerstag, 5. Dezember 2013
Wenn ein Teil der Jenaer Studenten ihm am 28. August 1823, ausgerechnet
an seinem vierundsiebzigsten Geburtstag, als einem Vertreter des
Indifferentismus auf dem Markt ein Pereat bringt, nimmt dies sowohl die
liberale als auch die national-burschenschaftliche Kritik an Goethe vorweg,
welche die kommenden Jahrzehnte beherrschen wird und ihn in den Schatten
Schillers treten läßt. Börne schilt Goethe einen Stabilitätsnarren und rügt
seine breite, kunstschmausende Behaglichkeit; nicht viel anders Heine, der an der
stets auf Ruhe und Ordnung bedachten Kunstbehaglichkeit des großen
Zeitablehnungsgenies Anstoß nimmt.
Sein episches Gedicht haben Sie gelesen; Sie werden gestehen, daß es der
Gipfel seiner und unserer ganzen neueren Kunst ist. Ich hab' es entstehen sehen
und mich fast eben so sehr über die Art der Entstehung als über das Werk
verwundert. Während wir andern mühselig sammeln und prüfen müssen, um etwas
leidliches langsam hervorzubringen, darf er nur leis an dem Baume schütteln, um
sich die schönsten Früchte, reif und schwer, zufallen zu lassen. Es ist
unglaublich, mit welcher Leichtigkeit er jetzt die Früchte eines
wohlangewandten Lebens und einer anhaltenden Bildung an sich selber einärntet,
wie bedeutend und sicher jetzt alle seine Schritte sind, wie ihn die Klarheit
über sich selbst und über die Gegenstände vor jedem eiteln Streben und
Herumtappen bewahrt. Doch Sie haben ihn jetzt selbst, und können sich von allem
dem mit eignen Augen überzeugen. Sie werden mir aber auch darin beipflichten,
daß er auf dem Gipfel, wo er jetzt steht, mehr darauf denken muß, die schöne
Form die er sich gegeben hat, zur Darstellung zu bringen als nachneuem Stoffe
auszugehen, kurz daß er jetzt ganz der poetischen Praktik leben muß. Wenn es
einmal einer unter Tausenden, die darnach streben, dahin gebracht hat, ein
schönes vollendetes Ganzes aus sich zu machen, der kann meines Erachtens nichts
besseres thun, als dafür jede mögliche Art des Ausdrucks zu suchen; denn wie
weit er auch noch kommt, er kann doch nichts Höheres geben.
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