Samstag, 22. September 2007

Bei Goethe in einer Abendgesellschaft. Die Herren Riemer, Coudray Meyer, Goethes Sohn und Frau von Goethe waren unter den Anwesenden.
Die Studenten in Jena sind in Aufstand begriffen; man hat eine Compagnie Artillerie hingeschickt, um sie zu beruhigen.
Goethe ward im Laufe des Gesprächs immer freier und mittheilender. Ich blieb länger als eine Stunde, und er sagte mir beim Abschiede viel Gutes.
Seine Gestalt ist noch schön zu nennen, seine Stirn und Augen sind besonders majestätisch. Er ist groß und wohlgebaut und von so rüstigem Ansehen, daß man nicht wohl begreift, wie er sich schon seit Jahren hat für zu alt erklären können, um noch in Gesellschaft und an Hof zu gehen.
„Man sagt immer, die Lebenszeit ist kurz, allein der Mensch kann viel leisten, wenn er sie recht zu benützen weiß. Ich habe keinen Tabak geraucht, nicht Schach gespielt, kurz nichts betrieben, was die Zeit rauben könnte. Ich habe immer die Menschen bedauert, welche nicht wissen, wie sie die Zeit zubringen oder benützen können.“
Dann aber setzte er ernst hinzu: Aber wenn man die Unredlichkeit der Deutschen in ihrer ganzen Grösse kennenlernen will, muss man sich mit der deutschen Literatur bekannt machen.
In der letzten halben Stunde ward Goethe immer in sich gekehrter, abbrechender, er schien körperlich zu leiden, der besorgte Sohn mahnte mit Recht an den Rückzug und so schied ich um 8 1/2 Uhr ganz bedenklich und betrübt.
»Ja, wenn sie es auf Gefahr der bösen Gesellschaft, in der sie mich findet, wagen will; doch kann ich es ihr freilich nicht zumuthen,« ließ er ironisch antworten, und empfing sie mit tausend Scherzen und Neckereien. »Es geht mir schlecht« sagte Goethe, »denn ich bin weder verliebt, noch ist jemand in mich verliebt.«