Hier
trat eine Pause ein. Ich schwieg still, weil ich, was ich etwa zu sagen
vermocht hätte, nicht zu sagen wagte, und weil ich auch diesem Manne gegenüber
in der That sehr bewegt war. Bald fuhr Goethe fort:
«Glauben Sie ja
nicht, daß ich gleichgültig wäre gegen die großen Ideen Freiheit, Volk,
Vaterland. Nein! diese Ideen sind in uns; sie sind ein Theil unsers Wesens, und
niemand vermag sie von sich zu werfen. Auch liegt mir Deutschland warm am
Herzen; ich habe oft einen bittern Schmerz empfunden bei dem Gedanken an das
deutsche Volk, das so achtbar im Einzelnen und so miserabel im Ganzen ist. Eine
Vergleichung des deutschen Volkes mit andern Völkern erregt uns peinliche
Gefühle, über welche ich auf jegliche Weise hinwegzukommen suche, und in der
Wissenschaft und in der Kunst habe ich die Schwingen gefunden, durch welche man
sich darüber hinwegzuheben vermag; denn Wissenschaft und Kunst gehören der Welt
an und vor ihnen verschwinden die Schranken der Nationalität. Aber der Trost,
den sie gewähren, ist doch nur ein leidiger Trost und ersetzt das stolze
Bewußtsein nicht, einem großen, starken, geachteten und gefürchteten Volke
anzugehören. In derselben Weise tröstet auch nur der Gedanke an Deutschlands
Zukunft; ich halte ihn so fest, als Sie, diesen Glauben. Ja, das deutsche Volk
verspricht eine Zukunft, hat eine Zukunft. Das Schicksal der Deutschen ist –
mit Napoleon zu reden – noch nicht erfüllt. Hätten sie keine andere Aufgabe zu
erfüllen gehabt, als das römische Reich zu zerbrechen und eine neue Welt zu schaffen
und zu ordnen, sie würden längst zu Grunde gegangen sein; da sie aber
fortbestanden sind, und in solcher Kraft und Tüchtigkeit, so müssen sie nach
meinem Glauben noch eine große Zukunft haben, eine Bestimmung, welche umsoviel
größer sein wird, denn jenes gewaltige Werk der Zerstörung des römischen
Reiches und der Gestaltung des Mittelalters, als ihre Bildung jetzt höher
steht. Aber die Zeit, die Gelegenheit, vermag ein menschliches Auge nicht
vorauszusehen und menschliche Kraft nicht zu beschleunigen oder herbeizuführen.
Uns einzelnen bleibt inzwischen nur übrig, einem jeden nach seinen Talenten,
seiner Neigung und seiner Stellung, die Bildung des Volkes zu mehren, zu
stärken und durch dasselbe zu verbreiten nach allen Seiten und wie nach unten,
so auch, und vorzugsweise, nach oben, damit es nicht zurückbleibe hinter den
andern Völkern, sondern wenigstens hierin voraufstehe, damit der Geist nicht
verkümmere, sondern frisch und heiter bleibe, damit es nicht verzage, nicht
kleinmüthig werde, sondern fähig bleibe zu jeglicher großen That, wenn der Tag
des Ruhmes anbricht.»