Mittwoch, 14. Mai 2014

Bei Goethe zu Tisch in heiteren Gesprächen. Eine junge Schönheit der weimarischen Gesellschaft kam zur Erwähnung, wobei einer der Anwesenden bemerkte, daß er fast auf dem Punkt stehe sie zu lieben, obgleich ihr Verstand nicht eben glänzend zu nennen.
»Pah!« sagte Goethe lachend, »als ob die Liebe etwas mit dem Verstande zu tun hätte! Wir lieben an einem jungen Frauenzimmer ganz andere Dinge als den Verstand. Wir lieben an ihr das Schöne, das Jugendliche, das Neckische, das Zutrauliche, den Charakter, ihre Fehler, ihre Kapricen, und Gott weiß was alles Unaussprechliche sonst; aber wir lieben nicht ihren Verstand. Ihren Verstand achten wir, wenn er glänzend ist, und ein Mädchen kann dadurch in unsern Augen unendlich an Wert gewinnen. Auch mag der Verstand gut sein, uns zu fesseln, wenn wir bereits lieben. Allein der Verstand ist nicht dasjenige, was fähig wäre, uns zu entzünden und eine Leidenschaft zu erwecken.«