Dienstag, 5. Juni 2007

Sie wollen in dieser wunderlichen und furchtbaren Zeit ein Journal herausgeben, ein politisches Journal; Sie gedenken, dasselbe gegen Napoleon zu richten und gegen die Franzosen. Aber, glauben Sie mir: Sie mögen sich stellen, wie Sie wollen, so werden Sie auf dieser Bahn bald ermüden; Sie werden bald daran erinnert werden, daß die Windrose viele Strahlen hat. Alsdann werden Sie an die Throne stoßen und wenn auch nicht denen, welche auf denselben sitzen, doch denen mißfallen, welche dieselben umgeben. Sie werden alles gegen sich haben, was groß und vornehm in der Welt ist; denn Sie werden die Hütten vertreten gegen die Paläste und die Sache der Schwachen führen gegen die Hand der Starken. Zugleich werden Sie von Gleichen Widerspruch erfahren theils über Grundsätze, theils über Thatsachen. Sie werden sich vertheidigen und, wie ich hoffen will, glücklich, und dadurch werden Sie neue Feindschaft wider sich erwecken. Mit Einem Worte: Sie werden in mannigfaltige Händel verwickelt werden. Mit den Gleichen dürften Sie vielleicht fertig werden; wen Sie nicht überwinden, den können Sie ignoriren, und manchem geschieht mit Verachtung zu viele Ehre. Aber anders ist es mit den Mächtigen und Großen: mit denselben ist nicht gut Kirschen zu essen; Sie wissen aus welchen Gründen: den Waffen derselben hat man nichts einzusetzen.
Goethe sass ganz ruhig. Endlich erhob er mit einem Lächeln die rechte Hand. Ich schwieg. Sogleich fing Goethe mit einer ungemein sanften Stimme, die zuweilen etwas bewegt zu werden schien, zu reden an, und sprach ohne Unterbrechung ziemlich lange. Von dem, was er sagte, vermag ich indes nur einzelnes mitzuteilen, kann aber nicht unbemerkt lassen, dass ich mehr als einmal auf das tiefste ergriffen wurde, zum Teil allerdings durch seine Worte, weit mehr noch durch seine Weise, durch den Ton seiner Stimme, den Ausdruck seines Gesichtes, die Bewegung seiner Hände.
Um 6 Uhr ging ich zu Goethe. Ich fand ihn allein, wunderbar aufgeregt, glühend, ganz wie im Kügelschen Bilde. Ich war zwei Stunden bei ihm, und ich habe ihn zum ersten Male nicht ganz verstanden. Mit dem engsten konfidentiellen Zutrauen teilte er mir grosse Plane mit und forderte mich zur Mitwirkung auf. Ich glaubte, es sei die Zeit nach Tische, aber es gab kein Tröpfchen, und dennoch wurde er immer lebendiger. Ich war zu müde, um mich in dieselbe Stimmung zu versetzen; so habe ich mich endlich ordentlich losgerissen. Ich fürchtete mich beinahe vor ihm; er erschien mir, wie ich mir als Kind die goldenen Drachen der chinesischen Kaiser dachte, die nur die Majestät tragen können. Ich sah ihn nie so furchtbar heftig, gewaltig, grollend; sein Auge glühte, oft mangelten die Worte, und dann schwoll sein Gesicht und die Augen glühten, und die ganze Gestikulation musste dann das fehlende Wort ersetzen. Ich habe seine Worte und Plane, aber ihn selbst nicht verstanden. Ich muss morgen nach dem Theater wieder zu ihm, um ihn zu ergründen. Er sprach über sein Leben, seine Taten, seinen Wert, mit einer Offenheit und Bestimmtheit, die ich nicht begriff. Ob ihn der grosse Plan, den ich Ihnen nur mündlich sagen kann, so ergriff?
Die Verheerungen der Kosaken, die wirklich arg sind, nehmen ihm alle Freude an dem Spaß. Er meint, das Heilmittel sei übler als die Krankheit, man werde der Knechtschaft loswerden, aber zum Untergehn. Ich habe mich wenig darauf eingelassen, diese Dinge zu bestreiten, es kam mir mehr darauf an, es zu kennen und aus ihm zu hören. Übrigens sieht er's sehr locker und lose an. Die Weltgeschichte, meint er, habe auch diesen Spaß haben müssen.
Seine Stube kommt ihm vor wie Diogenes’ Fass.