Montag, 24. Januar 2022

In jedem Kleide werd' ich wohl die Pein

Des engen Erdelebens fühlen.

Ich bin zu alt, um nur zu spielen,

Zu jung, um ohne Wunsch zu sein.

Was kann die Welt mir wohl gewähren?

Entbehren sollst du! sollst entbehren!

Das ist der ewige Gesang,

Der jedem an die Ohren klingt,

Den, unser ganzes Leben lang,

Uns heiser jede Stunde singt.

Nur mit Entsetzen wach' ich morgens auf,

Ich möchte bittre Tränen weinen,

Den Tag zu sehn, der mir in seinem Lauf

Nicht Einen Wunsch erfüllen wird, nicht Einen,

Der selbst die Ahnung jeder Lust

Mit eigensinnigem Krittel mindert,

Die Schöpfung meiner regen Brust

Mit tausend Lebensfratzen hindert.

Auch muß ich, wenn die Nacht sich niedersenkt,

Mich ängstlich auf das Lager strecken;

Auch da wird keine Rast geschenkt,

Mich werden wilde Träume schrecken.

Der Gott, der mir im Busen wohnt,

Kann tief mein Innerstes erregen;

Der über allen meinen Kräften thront,

Er kann nach außen nichts bewegen;

Und so ist mir das Dasein eine Last,

Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt.

Wie wäre es denn, wenn wir dem Teufel einräumten, dass er den Begriff des Guten nicht dem göttlichen Wertsystem entnimmt, sondern seiner eigenen Wertskala, die der göttlichen radikal entgegengesetzt ist? Dann freilich würde offenbar, was Mephisto meint, wenn er sich einen Teil der Kraft nennt, die stets das „Gute“ schafft. Das Gute wäre dann ein Gutes vom Teufel her gesehen, und von ihm, so hofft er, auch bewirkbar.   (Oskar Seidlin)