Donnerstag, 10. Juli 2014


Goethe saß schon am gedeckten Tisch, als ich hereintrat; er empfing mich sehr heiter. „Ich habe einen Brief erhalten,“ sagte er, „woher?“  – – Von Rom! Aber von wem? – Vom König von Bayern!

„Ich teile Ihre Freude,“ sagte ich. „Aber ist es nicht eigen, ich habe mich seit einer Stunde auf einem Spaziergange sehr lebhaft mit dem Könige von Bayern in Gedanken beschäftigt, und nun erfahre ich diese angenehme Nachricht. –“ „Es kündigt sich oft etwas in unserm Innern an,“ sagte Goethe. „Dort liegt der Brief, nehmen Sie, setzen Sie sich zu mir her und lesen Sie!“

Ich nahm den Brief, Goethe nahm die Zeitung, und so las ich denn ganz ungestört die königlichen Worte. Der Brief war datiert: Rom, den 26. März 1829, und mit einer stattlichen Hand sehr deutlich geschrieben. Der König meldete Goethe, daß er sich in Rom ein Besitztum gekauft, und zwar die Villa di Malta mit anliegenden Gärten, in der Nähe der Villa Ludovisi, am nordwestlichen Ende der Stadt, auf einem Hügel gelegen, so daß er das ganze Rom überschauen könne und gegen Nordost einen freien Anblick von Sankt Peter habe. „Es ist eine Aussicht,“ schreibt er, „welche zu genießen man weit reisen würde, und die ich nun bequem zu jeder Stunde des Tages aus den Fenstern meines Eigentums habe.“ Er fährt fort, sich glücklich zu preisen, nun in Rom auf eine so schöne Weise ansässig zu sein. „Ich hatte Rom in zwölf Jahren nicht gesehen,“ schreibt er, „ich sehnte mich danach, wie man sich nach einer Geliebten sehnt; von nun an aber werde ich mit der beruhigten Empfindung zurückkehren, wie man zu einer geliebten Freundin geht.“
Von den erhabenen Kunstschätzen und Gebäuden spricht er sodann mit der Begeisterung eines Kenners, dem das wahrhaft Schöne und dessen Förderung am Herzen liegt, und der jede Abweichung vom guten Geschmack lebhaft empfindet. Überall war der Brief durchweg so schön und menschlich empfunden und ausgedrückt, wie man es von so hohen Personen nicht erwartet. Ich äußerte meine Freude darüber gegen Goethe. „Da sehen Sie einen Monarchen“, sagte er, „der neben der königlichen Majestät seine angeborene schöne Menschennatur gerettet hat. Es ist eine seltene Erscheinung und deshalb um so erfreulicher.“

Ich sah wieder in den Brief und fand noch einige treffliche Stellen. „Hier in Rom,“ schreibt der König, „erhole ich mich von den Sorgen des Thrones; die Kunst, die Natur, sind meine täglichen Genüsse, Künstler meine Tischgenossen.“ Er schreibt auch, wie er oft an dem Hause vorbeigehe, wo Goethe gewohnt, und wie er dabei seiner gedenke. Auch aus den römischen Elegien sind einige Stellen angeführt, woraus man sieht, daß der König sie gut im Gedächtnis hat und sie in Rom, an Ort und Stelle, von Zeit zu Zeit wieder lesen mag. „Ja“, sagte Goethe, „die Elegien liebt er besonders; er hat mich hier viel damit geplagt, ich sollte ihm sagen, was an dem Faktum sei, weil es in den Gedichten so anmutig erscheint, als wäre wirklich was Rechtes daran gewesen. Man bedenkt aber selten, daß der Poet meistens aus geringen Anlässen was Gutes zu machen weiß.“