Goethe war in besonders guter, erhöhter Stimmung. Er ließ eine Flasche
Wein kommen, wovon er sich und mir einschenkte. Unser Gespräch ging wieder auf
den Großherzog Karl August zurück.
»Sie sehen,« sagte Goethe, »wie sein außerordentlicher Geist das ganze
Reich der Natur umfaßte. Physik, Astronomie, Geognosie, Meteorologie, Pflanzen
und Thierformen der Urwelt, und was sonst dazu gehört, er hatte für alles Sinn
und für alles Interesse. Er war achtzehn Jahre alt, als ich nach Weimar kam,
aber schon damals zeigten seine Keime und Knospen, was einst der Baum sein
würde. Er schloß sich bald auf das innigste an mich an und nahm an allem, was
ich trieb, gründlichen Antheil. Daß ich fast zehn Jahre älter war als er, kam
unserm Verhältniß zugute. Er saß ganze Abende bei mir in tiefen Gesprächen über
Gegenstände der Kunst und Natur und was sonst allerlei Gutes vorkam. Wir saßen
oft tief in die Nacht hinein, und es war nicht selten daß wir
nebeneinander aus meinem Sofa einschliefen. Fünfzig Jahre lang haben wir es
miteinander fortgetrieben, und es wäre kein Wunder wenn wir es endlich zu etwas
gebracht hätten.«
»Eine so gründliche Bildung,« sagte ich, »wie sie der Großherzog gehabt
zu haben scheint, mag bei fürstlichen Personen selten vorkommen.«
»Sehr selten!« erwiderte Goethe. »Es giebt zwar viele, die fähig sind
über alles sehr geschickt mitzureden; aber sie haben es nicht im Innern und
krabbeln nur an den Oberflächen. Und es ist kein Wunder, wenn man die
entsetzlichen Zerstreuungen und Zerstückelungen bedenkt, die das Hofleben mit
sich führt und denen ein junger Fürst ausgesetzt ist. Von allem soll er Notiz
nehmen. Er soll ein bißchen das kennen und ein bißchen das, und dann ein
bißchen das und wieder ein bißchen das. Dabei kann sich aber nichts setzen und
nichts Wurzel schlagen, und es gehört der Fonds einer gewaltigen Natur dazu, um
bei solchen Anforderungen nicht in Rauch aufzugehen. Der Großherzog war
freilich ein geborener großer Mensch, womit alles gesagt und alles gethan ist.«