Samstag, 23. Januar 2016


Goethes Klassizismus hat seinem Diskurs des Sehens, des Anblickens, der sein ganzes Werk kennzeichnet, eine ganz besondere Volte gegeben. Denn im Unterschied zur Romantik, deren entgrenzende Bildphantasie sich gewissermassen den Konsequenzen der Katastrophe nicht konkret stellte, indem sie diese ins Grenzenlose hob, ist dem klassizistischen Bewusstsein der Verlust einer jeweiligen Gegenwart durch nichts ersetzbar. In seiner klaren Konkretheit und also Verletzbarkeit verbirgt sich im Klassizismus also eine grössere Affinität zum tragischen Bewusstsein.

 

... denn dieses (das tragische Bewusstsein) begründet sich im Gefühl des Verlustes der utopischen Sphäre, und zwar in einer Radikalität, die nur Goethes Klassizismus möglich war. Warum?
Um diese Radikalität angemessen zu verstehen, ist es nötig, die Differenz von Geothes Verlusttrauer zu jener Trauer kurz anzudeuten, die das grosse Thema des deutschen Idealismus gewesen ist: die Trauer um den Verlust des Goldenen Zeitalters, das heisst die Trauer um den Verlust des Griechisch-Schönen. Es waren Friedrich Schiller und dann Hölderlin, die diesen Verlust vor allem zum Thema sowohl ihrer grossen Lyrik als auch ihres theoretischen Nachdenkens gemacht haben.     ...