Dienstag, 22. Dezember 2009
Da nun den Menschen eigentlich nichts interessiert als seine Meinung, so sieht jedermann, der eine Meinung vorträgt, sich rechts und links nach Hilfsmitteln um, damit er sich und andere bestärken möge. Des Wahren bedient man sich, solange es brauchbar ist, aber leidenschaftlich rhetorisch ergreift man das Falsche, sobald man es für den Augenblick nutzen, damit, als einem Halbargumente, blenden, als mit einem Lückenbüßer das Zerstückelte scheinbar vereinigen kann. Dieses zu erfahren, war mir erst ein Ärgernis, dann betrübte ich mich darüber, und nun macht es mir Schadenfreude: Ich habe mir das Wort gegeben, ein solches Verfahren niemals wieder aufzudecken.
Goethe machte mir Vorwürfe, dass ich eine hiesige angesehene Familie nicht besucht. „Sie hätten,“ sagte er, „im Laufe des Winters dort manchen genussreichen Abend verleben, auch die Bekanntschaft manches bedeutenden Fremden dort machen können; das ist Ihnen nun, Gott weiss durch welche Grille, alles verloren gegangen.“
„Diese Ihre Naturtendenz,“ erwiderte Goethe, „ist freilich nicht geselliger Art; allein was wäre alle Bildung, wenn wir unsere natürlichen Richtungen nicht wollten zu überwinden suchen. Es ist eine grosse Torheit, zu verlangen, dass die Menschen zu uns harmonieren sollen. Ich habe es nie getan. Ich habe einen Menschen immer nur als ein für sich bestehendes Individuum angesehen, das ich zu erforschen und das ich in seiner Eigentümlichkeit kennen zu lernen trachtete, wovon ich aber durchaus keine weitere Sympathie verlange. Dadurch habe ich es nun dahin gebracht, mit jedem Menschen umgehen zu können, und dadurch allein entsteht die Kenntnis mannigfaltiger Charaktere sowie die nötige Gewandtheit im Leben. Denn gerade bei widerstrebenden Naturen muss man sich zusammennehmen, um mit ihnen durchzukommen, und dadurch werden alle die verschiedenen Seiten in uns angeregt und zur Entwickelung und Ausbildung gebracht, so dass man sich denn bald jedem Visavis gewachsen fühlt. So sollen Sie es auch machen. Sie haben dazu mehr Anlage als Sie selber glauben; und das hilft nun einmal nichts, Sie müssen in die grosse Welt hinein, Sie mögen sich stellen, wie Sie wollen.“
Goethe war eine Weile in Gedanken verloren, dann sprach er zu mir die Worte eines Alten:
Untergehend sogar ist’s immer dieselbige Sonne.
„Wenn einer fünfundsiebzig Jahre alt ist,“ fuhr er darauf mit grosser Heiterkeit fort, „kann es nicht fehlen, dass er mitunter an den Tod denke. Mich lässt dieser Gedanke in völliger Ruhe, denn ich habe die feste Ueberzeugung, dass unser Geist ein Wesen ist ganz unzerstörbarer Natur; es ist ein fortwirkendes von Ewigkeit zu Ewigkeit. Es ist der Sonne ähnlich, die bloss unsern irdischen Augen unterzugehen scheint, die aber eigentlich nie untergeht, sondern unaufhörlich fortleuchtet.“
Untergehend sogar ist’s immer dieselbige Sonne.
„Wenn einer fünfundsiebzig Jahre alt ist,“ fuhr er darauf mit grosser Heiterkeit fort, „kann es nicht fehlen, dass er mitunter an den Tod denke. Mich lässt dieser Gedanke in völliger Ruhe, denn ich habe die feste Ueberzeugung, dass unser Geist ein Wesen ist ganz unzerstörbarer Natur; es ist ein fortwirkendes von Ewigkeit zu Ewigkeit. Es ist der Sonne ähnlich, die bloss unsern irdischen Augen unterzugehen scheint, die aber eigentlich nie untergeht, sondern unaufhörlich fortleuchtet.“
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