Mittwoch, 5. Dezember 2012

Das Selbst- und Geschichtsbewusstsein der „neuen Epoche der Weltgeschichte“, so die Lebenserfahrung des politischen Zeitgenossen Goethe, wurde widerspiegelt in Fausts Wette. Goethe erkannte in ihr die Signatur des anbrechenden Zeitalters der Revolution und ihres charakteristischen Prozessdenkens, das jede Gegenwart im Vertrauen auf das Versprechen einer leuchtenden, besseren Zukunft negierte. Fortan verwandelte Goethe seinen kritischen Blick auf das einmal in Fahrt gekommene europäische Revolutionsgeschehen ins dramatische Bild einer Tragödie, die vom Fluch auf die Geduld und das Verweilen angetrieben wird.  
Es ist im Grunde auch alles Torheit, ob einer etwas aus sich habe, oder ob er es von andern habe; ob einer durch sich wirke, oder ob er durch andere wirke; die Hauptsache ist, dass man ein grosses Wollen habe und Geschick und Beharrlichkeit besitze, es auszuführen; alles übrige ist gleichgültig.
„Aber Sie haben ganz recht, der eigentliche Glanzpunkt seiner Taten fällt in die Zeit seiner Jugend. – Und es wollte etwas heißen, daß einer aus dunkler Herkunft und in einer Zeit, die alle Kapazitäten in Bewegung setzte, sich so herausmachte, um in seinem siebenundzwanzigsten Jahre der Abgott einer Nation von dreißig Millionen zu sein! – Ja, ja, mein Guter, man muß jung sein, um große Dinge zu tun. Und Napoleon ist nicht der einzige!“

„Sein Bruder Lucian“, bemerkte ich, „war auch schon früh sehr hohen Dingen gewachsen. Wir sehen ihn als Präsidenten der Fünfhundert und darauf als Minister des Innern im kaum vollendeten fünfundzwanzigsten Jahre.“

„Was wollen Sie mit Lucian?“ fiel Goethe ein. – „Die Geschichte bietet uns der tüchtigsten Leute zu Hunderten, die sowohl im Kabinett als im Felde im noch jugendlichen Alter den bedeutendsten Dingen mit großem Ruhme vorstanden.“


„Wäre ich ein Fürst,“ fuhr er lebhaft fort, „so würde ich zu meinen ersten Stellen nie Leute nehmen, die bloß durch Geburt und Anciennität nach und nach heraufgekommen sind und nun in ihrem Alter im gewohnten Gleise langsam gemächlich fortgehen, wobei denn freilich nicht viel Gescheites zutage kommt. – Junge Männer wollte ich haben, aber es müßten Kapazitäten sein, mit Klarheit und Energie ausgerüstet, und dabei vom besten Wollen und edelsten Charakter. – Da wäre es eine Lust zu herrschen und sein Volk vorwärts zu bringen! – Aber wo ist ein Fürst, dem es so wohl würde und der so gut bedient wäre!“ –
„Große Hoffnung setze ich auf den jetzigen Kronprinzen von Preußen. – Nach allem, was ich von ihm kenne und höre, ist er ein sehr bedeutender Mensch; und das gehört dazu, um wieder tüchtige und talentvolle Leute zu erkennen und zu wählen. Denn man sage was man will, das Gleiche kann nur vom Gleichen erkannt werden, und nur ein Fürst, der selber große Fähigkeiten besitzt, wird wiederum große Fähigkeiten in seinen Untertanen und Dienern gehörig erkennen und schätzen. „Dem Talente offene Bahn!“ war der bekannte Spruch Napoleons, der freilich in der Wahl seiner Leute einen ganz besonderen Takt hatte, der jede bedeutende Kraft an die Stelle zu setzen wußte, wo sie in ihrer eigentlichen Sphäre erschien, und der daher auch in seinem Leben bei allen großen Unternehmungen bedient war, wie kaum ein anderer.“
Goethe gefiel mir diesen Abend ganz besonders. Das Edelste seiner Natur schien in ihm rege zu sein; dabei war der Klang seiner Stimme und das Feuer seiner Augen von solcher Kraft, als wäre er von einem frischen Auflodern seiner besten Jugend durchglüht. – Merkwürdig war es mir, daß er, der selbst in so hohen Jahren noch einem bedeutenden Posten vorstand, so ganz entschieden der Jugend das Wort redete und die ersten Stellen im Staat, wenn auch nicht von Jünglingen, doch von Männern in noch jugendlichem Alter besetzt haben wollte.