Die Liebe zum Ruhm hat eigentlich nur bei großen Seelen Statt und
wächst nur bei ihnen so groß, daß ihr alle übrige Neigungen Platz machen
müssen. Was man bei Leuten, die eigentlich in die Classe des Pöbels gehören,
Ruhmsucht und Ehrgeiz heißt, ist nur ein verkleideter Eigennutz; sie wünschen
angesehen und groß zu seyn, um niedrigen Begierden desto besser nachhängen zu
können. – Weil die Leidenschaften einmal die Winde sind, die uns in Bewegung
setzen, so seh' ich diesen edeln Ehrgeiz großer Geister für nöthig an, um sie
zu ihrer Bestimmung zu befördern und die Hindernisse zu überwinden. Wir sehen
aber aus der Geschichte, wie schädliche Stürme er hervorbringt, wenn ihn die
Vernunft nicht mäßigt und ihm die wahre Richtung gibt. Genien haben sich noch
nie mit Kleinigkeiten beschäftiget. Ihre Bemühungen interessiren immer den Menschen,
und das erstreckt sich bis auf ihre Spiele. Es gibt Leute, die in Kleinigkeiten
groß sind; sie gehören aber in die dritte Classe.
Freitag, 18. November 2016
Wir haben nun die Menschen, wie sie wirklich sind, in ihren
verschiedenen Classen übersehen; und die Gradation verdient bemerkt zu werden,
die sich in denselben zeigt. Wir fanden unreife, ungebildete Menschen, und
dieser waren die meisten; Menschen, die nur die sinnlichen Vollkommenheiten
ausbilden; solche, welche nur Intelligenzen seyn wollen; eine kleine Zahl von
solchen, deren moralische Güte sie liebenswerth macht; und endlich ganz
ausgewickelte, und (soweit es diese Welt
verstattet) vollständige Menschen, welche daher große und majestätische
Geschöpfe seyn müssen. Wenn wir das Beste aus allen diesen Classen zusammennehmen,
so bekommen wir den Menschen, den ich anfangs geschildert habe. Und so habe ich
einen Theil meiner Absicht erreicht.
Das menschliche Geschlecht hat
also unstreitig eine sehr schöne Seite. Aber was wollen wir uns schmeicheln?
Sie wird von der häßlichen fast ganz verdunkelt. Ich erröthe, ich erschrecke,
wenn ich die unzähligen Ausbrüche des Unsinns, die schwarzen Thaten, die
Schande, womit so viele Menschen ihr Geschlecht gebrandmarkt haben, überdenke;
wenn ich die Zahl und die Größe der Uebel bedenke, die uns drücken. Regellose,
thierische Leidenschaften, die am gefährlichsten werden, wenn sie der Witz in
seinen Schutz nimmt; niederträchtige Selbstheit, die alles in ihren Strudel
hineinzieht, was sie erreichen kann; Vergessenheit der heiligsten, unwidersprechlichsten
Pflichten, die wir gegen unsern Schöpfer und Oberherrn, gegen die Welt und die
menschliche Gesellschaft haben; schändliche Heuchelei, womit man den
Allwissenden selbst zu betrügen glaubt; Aberglauben, der der Ruhe und Ordnung
des menschlichen Geschlechts allein mehr geschadet hat, als alle übrige Laster;
Tyrannen und willkürliche Gewalt – mit einem Wort, ein so tiefer Grad der
Unordnung, daß ich mir, unmittelbar unter demselben, nichts Anderes als ein
moralisches Chaos denken kann.
Der größte Haufen sind Sklaven,
willenlose, gebundene, mißhandelte Sklaven; Sklaven der willkürlichen Gewalt,
der Schwärmerei, der Gewohnheit und, was das Aergste ist, ihrer eigenen
Unvernunft und ihrer Leidenschaften. Ohne diese innerliche Sklaverei hätten
jene Ungeheuer keine Gewalt über sie. Und
was thun diese großen königlichen Geister, diese Genien, von denen man
so viel erwarten sollte? Die meisten mißbrauchen ihre Obermacht, jene elenden
und verführten Sklaven noch tiefer ins Verderben hineinzuführen, und glauben es
am besten gemacht zu haben, wenn sie die Unglücklichen bereden können,
freiwillig an die Schlachtbank zu gehen oder wenigstens angenehm zu träumen,
wenn sie wachend unglücklich sind. – Und diese scharfsichtigen denkenden Köpfe,
welche die Geschicklichkeit hätten, die Größe unsers Elends, seine Quellen und
die dienlichsten Gegenmittel auszuspähen? – Sie zählen den Sand des Meers,
messen das Unermeßliche, wühlen im Eingeweide der Natur herum, als ob alle
wichtige Geschäfte schon gethan wären, und bringen ihr Leben mit
Spitzfindigkeiten zu, deren größter Werth ist, daß sie dadurch abgehalten
werden, etwas Schlimmeres zu thun. – Wie kränkend sind diese nur allzu
gegründeten Betrachtungen für ein Herz, das ein Gefühl für das Wohl oder Elend
seiner Mitgeschöpfe hat!
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