Samstag, 3. Mai 2014
Jenes
ungestörte, unschuldige, nachtwandlerische Schaffen, wodurch allein etwas
Großes gedeihen kann, ist gar nicht mehr möglich. Unsere jetzigen Talente
liegen alle auf dem Präsentierteller der Öffentlichkeit. Die täglich an funfzig
verschiedenen Orten erscheinenden kritischen Blätter und der dadurch im
Publikum bewirkte Klatsch lassen nichts Gesundes aufkommen. Wer sich heutzutage
nicht ganz davon zurückhält und sich nicht mit Gewalt isoliert, ist verloren.
Es kommt zwar durch das schlechte, größtenteils negative ästhetisierende und
kritisierende Zeitungswesen eine Art Halbkultur in die Massen, allein dem
hervorbringenden Talent ist es ein böser Nebel, ein fallendes Gift, das den
Baum seiner Schöpfungskraft zerstört, vom grünen Schmuck der Blätter bis in das
tiefste Mark und die verborgenste Faser.
Und dann,
wie zahm und schwach ist seit den lumpigen paar hundert Jahren nicht das Leben
selber geworden! Wo kommt uns noch eine originelle Natur unverhüllt entgegen!
Und wo hat einer die Kraft, wahr zu sein und sich zu zeigen, wie er ist! Das
wirkt aber zurück auf den Poeten, der alles in sich selber finden soll, während
von außen ihn alles in Stich läßt.
Das
Gespräch wendete sich auf den ›Werther‹. »Das ist auch so ein Geschöpf,« sagte
Goethe, »das ich gleich dem Pelikan mit dem Blut meines eigenen Herzens
gefüttert habe. Es ist darin so viel Innerliches aus meiner eigenen Brust, so
viel von Empfindungen und Gedanken, um damit wohl einen Roman von zehn solcher
Bändchen auszustatten. Übrigens habe ich das Buch, wie ich schon öfter gesagt,
seit seinem Erscheinen nur ein einziges Mal wieder gelesen und mich gehütet, es
abermals zu tun. Es sind lauter Brandraketen! Es wird mir unheimlich dabei, und
ich fürchte, den pathologischen Zustand wieder durchzuempfinden, aus dem es
hervorging.«
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