Wie sehr irrst du, lieber Freund, wenn du glaubst,
daß ein Werk, dessen erste Vorstellung die ganze Seele füllen muß, in
unterbrochenen, zusammengegeizten Stunden könne hervorgebracht werden. Nein,
der Dichter muß ganz sich, ganz in seinen geliebten Gegenständen leben. Er, der
vom Himmel innerlich auf das köstlichste begabt ist, der einen sich immer
selbst vermehrenden Schatz im Busen bewahrt, er muß auch von außen ungestört
mit seinen Schätzen in der stillen Glückseligkeit leben, die ein Reicher
vergebens mit aufgehäuften Gütern um sich hervorzubringen sucht. Sieh die
Menschen an, wie sie nach Glück und Vergnügen rennen! Ihre Wünsche, ihre Mühe,
ihr Geld jagen rastlos, und wonach? Nach dem, was der Dichter von der Natur
erhalten hat, nach dem Genuß der Welt, nach dem Mitgefühl seiner selbst in
andern, nach einem harmonischen Zusammensein mit vielen oft unvereinbaren
Dingen.
Dienstag, 8. März 2016
Was beunruhiget die Menschen, als daß sie ihre
Begriffe nicht mit den Sachen verbinden können, daß der Genuß sich ihnen unter
den Händen wegstiehlt, daß das Gewünschte zu spät kommt und daß alles Erreichte
und Erlangte auf ihr Herz nicht die Wirkung tut, welche die Begierde uns in der
Ferne ahnen läßt. Gleichsam wie einen Gott hat das Schicksal den Dichter über
dieses alles hinübergesetzt. Er sieht das Gewirre der Leidenschaften, Familien
und Reiche sich zwecklos bewegen, er sieht die unauflöslichen Rätsel der
Mißverständnisse, denen oft nur ein einsilbiges Wort zur Entwicklung fehlt,
unsäglich verderbliche Verwirrungen verursachen. Er fühlt das Traurige und das
Freudige jedes Menschenschicksals mit. Wenn der Weltmensch in einer abzehrenden
Melancholie über großen Verlust seine Tage hinschleicht oder in ausgelassener
Freude seinem Schicksale entgegengeht, so schreitet die empfängliche,
leichtbewegliche Seele des Dichters wie die wandelnde Sonne von Nacht zu Tag
fort, und mit leisen Übergängen stimmt seine Harfe zu Freude und Leid.
Eingeboren auf dem Grund seines Herzens wächst die schöne Blume der Weisheit
hervor, und wenn die andern wachend träumen und von ungeheuren Vorstellungen
aus allen ihren Sinnen geängstiget werden, so lebt er den Traum des Lebens als
ein Wachender, und das Seltenste, was geschieht, ist ihm zugleich Vergangenheit
und Zukunft. Und so ist der Dichter zugleich Lehrer, Wahrsager, Freund der
Götter und der Menschen. Wie! willst du, daß er zu einem kümmerlichen Gewerbe
heruntersteige? Er, der wie ein Vogel gebaut ist, um die Welt zu überschweben,
auf hohen Gipfeln zu nisten und seine Nahrung von Knospen und Früchten, einen
Zweig mit dem andern leicht verwechselnd, zu nehmen, er sollte zugleich wie der
Stier am Pfluge ziehen, wie der Hund sich auf eine Fährte gewöhnen oder
vielleicht gar, an die Kette geschlossen, einen Meierhof durch sein Bellen
sichern?
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