Donnerstag, 5. Juni 2008

Als ich ihn zu täglichen Spazierfahrten antrieb, sagte er: „Mit wem soll ich fahren, ohne Langeweile zu empfinden? Die Staël hat einst ganz richtig zu mir gesagt: Il vous faut de la séduction.“ Und als ich Ottilien und Ulriken anführte, erwiderte er: „Wen man täglich von früh bis Abend sieht, der kann uns nicht mehr verführen. Ja, ich bin wohl und heiter heimgekehrt, drei Monate lang habe ich mich glücklich gefühlt, von einem Interesse zum anderen, von einem Magnet zum anderen gezogen, fast wie ein Ball hin und her geschaukelt, aber nun - ruht der Ball wieder in der Ecke, und ich muss mich den Winter durch in meine Dachshöhle vergraben und zusehn, wie ich mich durchflicke!“
Überhaupt geschähen hier so viele Albernheiten, dass er sich bloss durch persönliche Würde im Auslande vor beleidigenden Nachfragen schützen könne, dass er sich aber schäme, aus Weimar zu sein, und gerne wegzöge, wenn er nur wisse, wohin?
„Sie wissen“, sagte er, „wie ich alles Extemporisieren hasse, vollends eine Verlobung oder Heurat aus dem Stegreife war mir von jeher ein wahrer Greuel. Eine Liebe kann wohl im Nu entstehen, und jede echte Neigung muss irgend einmal gleich dem Blitze plötzlich aufgeflammt sein; aber wer wird sich denn gleich heuraten, wenn man liebt? Liebe ist etwas Ideelles, Heuraten etwas Reelles, und nie verwechselt man ungestraft das Ideelle mit dem Reellen. Solch ein wichtiger Lebensschritt will allseitig überlegt sein und längere Zeit hindurch, ob auch alle individuellen Beziehungen, wenigstens die meisten, zusammenpassen? Übrigens ist Rehbeins Heuratsgeschichte so wunderbar, dass offenbar die Dämonen sich eingemischt haben, und da hütete ich mich, dagegen zu sprechen, ob ich gleich innerlich wütend war.“
„Im Prinzip, das Bestehende zu erhalten, Revolutionärem vorzubeugen, stimme ich ganz mit ihnen überein, nur nicht in den Mitteln dazu. Sie nämlich rufen die Dummheit und die Finsternis zu Hilfe, ich den Verstand und das Licht.“
Ich schone Goethen immer gern, da so jetzt alles über seinen Charakter herfällt. Ich sehe ihn als eine Naturerscheinung an, die keinen Charakter hat.
Ja, mein Bester!
Altvater Goethe soll sich noch mit aller Gewalt mit einer ihn fein um den Bart herumstreichelnden Marienbaderin verheiraten. Credat Iudaeus! Da wär er ja noch im Anfang seiner Wanderjahre!
Alle Welt trägt sich mit Goethens Liebesgeschichte, und seine Familie fürchtete sogar eine Heirat. So toll ich diese fände, so freut mich doch die Jugendkraft des Herzens an ihm, sich noch verlieben zu können. Wie es bei ihm immer war, der Wert des Gegenstandes liegt bloss in seiner Vorstellung, denn eigentlich soll gar nichts Vorzügliches daran sein. Die Familie sind Spieler und sehr spekulativ, doch denke ich, zur Heirat soll er sich nicht fangen lassen.