Freitag, 25. April 2008

Zu seinem Diener Stadelmann sprach er einmal leise: »Du glaubst nicht, wie elend ich bin, wie sehr krank!« Den Ärzten gab er öfters auf, sich ernstlich über seinen Zustand zu bedenken, indem er einigen Unglauben an ihrer Kunst merken ließ. »Treibt nur Eure Künste! Das ist alles recht gut, aber Ihr werdet mich doch wol nicht retten.« Mehrmalen verlangte er ein warmes Bad, das man jedoch für zu gewagt hielt. Einmal, als die Ärzte sich leise miteinander beredet hatten, sagte er: »Da gehen die Jesuiten hin! Berathen können sie sich wol, aber nicht rathen und retten.« Er jammerte, daß jeder ihm willkührlich verfluchtes Zeug zu schlucken gebe, und daß man die guten Kinder Ottilie und Ulrike mißbrauche, es ihm beizubringen.
Er fühle sich gerade in der Disposition, fromm zu werden, und denke es sich gar schön, ein vorgehaltenes Altartuch mit dem Lämmlein und einer Kreuzesfahne gläubig anzublicken.
Unvergessliche, herrliche Worte, aus tiefster Menschenkenntnis hervorgegangen.
»Hätte ich das Unglück in der Opposition sein zu müssen, ich würde lieber Aufruhr und Revolution machen, als mich im finstern Kreise ewigen Tadels des Bestehenden herumtreiben. Ich habe nie im Leben mich gegen den übermächtigen Strom der Menge oder der herrschenden Princips in feindliche, nutzlose Opposition stellen mögen; lieber habe ich mich in mein eigenes Schneckenhaus zurückgezogen und da nach Belieben gehauset. Zu was das ewige Opponiren und übellaunige Kritisiren und Regiren führt, sehen wir an Knebeln: es hat ihn zum unzufriedensten, unglücklichsten Menschen gemacht; sein Inneres, gleich einem Krebs, ganz unterfressen; nicht zwei Tage kann man mit ihm in Frieden leben, weil er alles angreift, was einem lieb ist.«

Wir kamen aus die Landtagswahlen und auf die Glieder des Regierungscollegiums zu sprechen, die ich ihm nach ihrer Individualität schildern mußte. Riemer's gegenwärtige Verstimmung gab Anlaß sich über ihn auszusprechen. »Er hat mehr Talent und Wissen,« bemerkte Goethe, »als er nach dem Maße seiner Charakterstärke ertragen kann.«

Ich suchte Goethen vorsichtig dahin zu bringen, daß er zu Riemer's Ermuthigung durch freundliche Attention beitragen möge, was denn auch seine gute Wirkung hatte. Nun kam er auf eine förmliche Theorie der Unzufriedenheit. »Was wir in uns nähren, das wächst; das ist ein ewiges Naturgesetz.Es gibt ein Organ des Mißwollens, der Unzufriedenheit in uns, wie es eines der Opposition, der Zweifelsucht gibt. Je mehr wir ihm Nahrung zuführen, es üben, je mächtiger wird es, bis es sich zuletzt aus einem Organ in ein krankhaftes Geschwür umwandelt und verderblich um sich frißt. Dann setzt sich Reue, Vorwurf und andere Absurdität daran, wir werden ungerecht gegen andere und gegen uns selbst. Die Freude am fremden und eignen Gelingen und Vollbringen geht verloren; aus Verzweiflung suchen wir zuletzt den Grund alles Übels außer uns, statt es in unsrer Verkehrtheit zu finden. Man nehme doch jeden Menschen, jedes Ereigniß in seinem eigentlichen Sinne, gehe aus sich heraus, um desto freier wieder bei sich einzukehren.«
„Denn“, sagte er, „in der Jugend glaubt man noch an die Möglichkeit einer Ausgleichung und Vereinbarung; in ältern Jahren aber sieht man diesen grossen Irrtum ein und hält das Ungleichartige und Unzusagende geradezu von sich ab.“
Toutes ces dames donnaient à Goethe le nom de Vater, elles l’ont en profonde vénération et l’entourent de leurs soins et de leurs caresses comme une idole.
... und seine ganze Haltung war die eines gut gekleideten, ehrwürdigen, altmodischen Inspektors.
In der letzten halben Stunde ward der Meister immer in sich gekehrter, abbrechender, - er schien körperlich zu leiden, der besorgte Sohn mahnte mit Recht an den Rückzug, und so schied ich um 8 ½ Uhr ganz besorgt und betrübt.