Mittwoch, 12. Juli 2023

 

Goethe schlug Mignon tot mit seiner Leier und begrub sie tief, und verherrlichte ihr Andenken mit den schönsten Liedern. Die Tote versprach er sich zu lieben, behaglich, nach Bequemlichkeit, nach Zeit und Umständen, und so oft ihn die Optik, Karlsbad und seine gnädigste Herrschaft nicht in Anspruch nähmen.

Goethe fürchtete sich vor der Liebe, denn alles, was er nicht mit Händen greifen konnte, war ihm Gespenst. Er schlug sie tot auf seine gewohnte Weise. Die Liebe war ihm Chemie des Herzens, Sympathie nannte er Wahlverwandtschaft. Er stellte die Liebe in gut verstöpselten Gläsern in sein Laboratorium, und da war ihm wohl.

Goethe hat nur immer der Selbstsucht, der Lieblosigkeit geschmeichelt; darum lieben ihn die Lieblosen. Er hat die gebildeten Leute gelehrt, wie man gebildet sein könne, freisinnig und ohne Vorurteile und doch ein Selbstling; wie man alle Laster haben könne ohne ihre Roheit, alle Schwächen ohne ihre Lächerlichkeit; wie man den Geist rein erhalte von dem Schmutze des Herzens, mit Anstand sündige und den Stoff Jeder Nichtswürdigkeit durch eine schöne Kunstform veredle. Und weil er sie das gelehrt, verehren ihn die gebildeten Leute.