Donnerstag, 4. Mai 2017
Das
Gespräch fiel auf Selbstkenntniß. »Ich behaupte, der Mensch kann sich nie
selbst kennen lernen, sich nie rein als Object betrachten. Andre kennen mich
besser als ich mich selbst. Nur meine Bezüge zur Außenwelt kann ich kennen und
richtig würdigen lernen, darauf sollte man sich beschränken. Mit allem Streben
nach Selbstkenntniß, das die Priester, das die Moral uns predigen, kommen wir
nicht weiter im Leben, gelangen weder zu Resultaten noch zu wahrer innerer
Besserung. Doch will ich diese Ansicht nicht eben für ein Evangelium ausgeben.
Was sind travers? Falsche Stellungen zur Außenwelt. Wer hat sie nicht? Jede
Lebensstufe hat die ihr eignen.«
Was am sonderbarsten war, so
geriet er durch sein beständiges Nachdenken und Insichgekehrtsein sogar auf den
Egoismus, der ihn beinahe hätte verrückt machen können.
Weil nämlich seine Träume größtenteils sehr lebhaft waren und beinahe an die Wirklichkeit zu grenzen schienen, so fiel es ihm ein, daß er auch wohl am hellen Tage träume und die Leute um ihn her, nebst allem, was er sahe, Geschöpfe seiner Einbildungskraft sein könnten.
Dies war ihm ein erschrecklicher Gedanke, und er fürchtete sich vor sich selber, sooft er ihm einfiel, auch suchte er sich dann wirklich durch Zerstreuung von diesen Gedanken loszumachen.
Das Einzelne, Abgerissene und
Zerstückte in seinem Dasein war es immer, was ihm Verdruß und Ekel erweckte.
Und dies entstand so oft, als
unter dem Druck der Umstände seine Gedanken sich nicht über den gegenwärtigen
Moment erheben konnten. – Dann war alles so unbedeutend, so leer und trocken
und nicht der Mühe des Denkens wert. –
Dieser Zustand ließ ihn immer
die Ankunft der Nacht, einen tiefen Schlummer, ein gänzliches Vergessen seiner
selbst wünschen – ihm kroch die Zeit mit Schneckenschritten fort – und er
konnte sich nie erklären, warum er in diesem Augenblicke lebte.
Diesem
großen, erhabenen und tröstlichen Gefühle so wenig als nur möglich
nachzuhängen, lehrte mich ein edler Freund, der sich mir immer näher verband;
es war der Arzt, den ich in dem Hause meines Oheims hatte kennen lernen, und
der sich von der Verfassung meines Körpers und meines Geistes sehr gut
unterrichtet hatte; er zeigte mir, wie sehr diese Empfindungen, wenn wir sie
unabhängig von äußern Gegenständen in uns nähren, uns gewissermaßen aushöhlen
und den Grund unseres Daseins untergraben. »Tätig zu sein«, sagte er, »ist des
Menschen erste Bestimmung, und alle Zwischenzeiten, in denen er auszuruhen
genötigt ist, sollte er anwenden, eine deutliche Erkenntnis der äußerlichen Dinge
zu erlangen, die ihm in der Folge abermals seine Tätigkeit erleichtert.«
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