In die andre Classe setze ich die große Menge der Leute von
bessern Glücksumständen, welche Vergnügen und Zeitvertreib zum Zweck ihres
Lebens machen. Diese werden beinahe den größten Theil jener beiden Welten
ausmachen, die man die große und die schöne Welt zu nennen pflegt. Diese Leute
scheinen unsre Erde für einen großen Maskeradeplatz anzusehen, wo es Jedem
erlaubt ist, zu seyn, was er will, wenn nur die große Absicht erreicht wird,
die Zeit zu tödten. Sie machen sich bekannter mit dieser Welt, als die erste
Classe. Sie rennen nach Vergnügen; alle ihre übrigen Leidenschaften sind nur
Aufwärterinnen des Hangs zum Vergnügen. Der Witz, dieser gefährliche Affe der
Vernunft, ist ihr Abgott. Dieser lehrt sie die giftige, aber süße Kunst, sich
selbst zu betrügen. Er setzt die Zukunft und jede ernste Wahrheit in Entfernung
und Schatten und blähet kleine kindische Freuden zu Riesengröße auf. Er erhitzt
die Phantasie und zeigt ihr lauter bezauberte Gegenden. Er erfindet andere
Gesetze, als die ewigen Tafeln des göttlichen Willens; oder er verändert,
erweitert sie und läßt sie nach. Der Mensch wird zu einem feinen wollustathmenden Vieh gemacht, dessen
Freuden nur mannigfaltiger, weitläufiger und künstlicher sind als der übrigen
Thiere. Ihre Seele scheint in ihrem Blute zu sprudeln; solange dieses wallet,
so sind sie. Sie befinden sich so wohl in dieser Welt, daß sie keine Zeit
haben, an eine bessere zu denken; und wenn es geschehen würde, so müßten es
Mahommeds Paradiese seyn.
Samstag, 3. Dezember 2016
Diese Classe ist allerdings von der ersten unterschieden. Eine
feinere Anlage, zartere Empfindungen, mehr Lebhaftigkeit des Geistes,
Geschmack, Witz und Artigkeit machen diesen Unterschied. Das, was sie mit
einander gemein haben, will ich jetzt nicht untersuchen. Diese Leute sind es,
denen wir den angenehmen Mißbrauch der schönen Künste, der den Gebrauch fast
ganz verdrängt hat, die Erfindung unzählig vieler Instrumente der Wollust,
Zierrathen und Artigkeiten, Moden und Spiele – zu danken haben. Sie haben ganz
gewiß einen Theil der Erde verschönert, aber immer auf Unkosten eines andern.
Die Menschen von der ersten Classe sind die Sklaven der Vergnügungen ihrer
Brüder von der zweiten. Sie müssen sich ermüden, diesen die Nothdurft und die
Bequemlichkeiten des Lebens zu verschaffen, und werden gezwungen erfindsam zu
seyn, um sie immer mit neuen Spielwerken zu versehen. So halten sie einander
wechselsweise in Thätigkeit.
Wie schön und gut würden die Menschen werden, wenn man sie bereden
könnte, die Gegenstände ihrer Neigung mit bessern zu verwechseln und die Freude
aus reinern Quellen zu schöpfen. Die Wahrheit kann etwas hierzu thun, wenn sie
sich gefallen läßt, sich mit Witz zu schminken. Doch wirkt selten etwas
kräftiger auf solche weichliche Gemüther, als der Ueberdruß, das Alter, und was
man Unglücksfälle zu nennen pflegt. Die
gewöhnlichen Wirkungen davon sind bei ihnen entweder Misanthropie, eine Art von
Fieber, welches seine guten Stunden leidet, in denen sie sich ihrer ehemaligen
Freuden wenigstens erinnern – oder ein gewisser fanatischer Schwung der
Einbildungskraft und des Herzens, der eine Neigung hervorbringt, sich vom Leibe
zu entkörpern, der seine Dienste versagt; eine große Verachtung dieser Welt, die
uns verläßt, und eine schwärmende Sehnsucht nach der unsichtbaren, die jetzt am
bequemsten ist, weil man, sie zu genießen, nur eine erhitzte Einbildung nöthig
hat. Es ist bekannt, daß man vornehmlich dem schönern Theil des menschlichen
Geschlechts Schuld gibt, daß viele desselben auf den Einfall kommen, reine
Geister zu werden, nachdem sie sich genöthiget sehen, sich des Titels irdischer
Engel zu begeben.
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