Ich
fragte weiter: ob er wohl glaube, daß die Übergänge aus diesen Zuständen für
die Monaden selbst mit Bewußtsein verbunden wären? Worauf Goethe erwiderte:
»Daß es einen allgemeinen historischen Überblick, sowie daß es höhere Naturen,
als wir selbst, unter den Monaden geben könne, will ich nicht in Abrede sein.
Die Intention einer Weltmonade kann und wird manches aus dem dunkeln Schooße
ihrer Erinnerung hervorbringen, das wie Weissagung aussieht und doch im Grunde
nur dunkle Erinnerung eines abgelaufenen Zustandes, folglich Gedächtniß ist;
völlig wie das menschliche Genie die Gesetztafeln über die Entstehung des
Weltalls entdeckte, nicht durch trockne Anstrengung, sondern durch einen ins
Dunkel fallenden Blitz der Erinnerung, weil es bei deren Abfassung selbst
zugegen war. Es würde vermessen sein, solchen Aufblitzen im Gedächtniß höherer
Geister ein Ziel zu setzen, oder den Grad, in welchem sich diese Erleuchtung
halten müßte, zu bestimmen. So im Allgemeinen und historisch gefaßt, finde ich
in der Fortdauer von Persönlichkeit einer Weltmonas durchaus nichts
Undenkbares. – Was uns selbst zunächst betrifft, so scheint es fast, als ob die
von uns früher durchgangenen Zustände dieses Planeten im Ganzen zu unbedeutend
und zu mittelmäßig seien, als daß vieles daraus in den Augen der Natur einer
zweiten Erinnerung werth gewesen wäre. Selbst unser jetziger Zustand möchte
einer großen Auswahl bedürfen, und unsere Hauptmonas wird ihn wohl ebenfalls
künftig einmal summarisch, d.h. in einigen großen historischen Hauptpunkten
zusammenfassen.«
Donnerstag, 21. Januar 2021
»Wollen
wir uns einmal auf Vermuthungen einlassen,« setzte Goethe hierauf seine
Betrachtungen weiter fort, »so sehe ich wirklich nicht ab, was die Monade,
welcher wir Wieland's Erscheinung auf unserm Planeten verdanken, abhalten
sollte, in ihrem neuen Zustande die höchsten Verbindungen dieses Weltalls
einzugehen. Durch ihren Fleiß, durch ihren Eifer, durch ihren Geist, womit sie
so viele weltgeschichtliche Zustände in sich aufnahm, ist sie zu allem
berechtigt. Ich würde mich so wenig wundern, daß ich es sogar meinen Ansichten
völlig gemäß finden müßte, wenn ich einst diesem Wieland als einer Weltmonade,
als einem Stern erster Größe, nach Jahrtausenden wieder begegnete und sähe und
Zeuge davon wäre, wie er mit seinem lieblichen Lichte alles, was ihm irgend
nahe käme, erquickte und aufheiterte. Wahrlich, das nebelartige Wesen irgend
eines Kometen in Licht und Klarheit zu verfassen, das wäre wohl für die Monas
unsers Wieland's eine erfreuliche Aufgabe zu nennen, wie denn überhaupt, sobald
man die Ewigkeit dieses Weltzustandes denkt, sich für Monaden durchaus keine
andre Bestimmung annehmen läßt, als daß sie ewig auch ihrerseits an den Freuden
der Götter als selig mitschaffende Kräfte Theil nehmen. Das Werden der
Schöpfung ist ihnen anvertraut. Gerufen oder ungerufen, sie kommen von selbst
auf allen Wegen, von allen Bergen, aus allen Meeren, von allen Sternen; wer mag
sie aufhalten? Ich bin gewiß, wie Sie mich hier sehen, schon tausendmal
dagewesen und hoffe wohl noch tausendmal wiederzukommen.« – »Um Verzeihung,«
fiel ich ihm hier ins Wort: »ich weiß nicht, ob ich eine Wiederkunft ohne
Bewußtsein eine Wiederkunft nennen möchte! Denn wieder kommt nur derjenige,
welcher weiß, daß er zuvor dagewesen ist. Auch Ihnen sind bei Betrachtungen der
Natur glänzende Erinnerungen und Lichtpunkte aus Weltzuständen aufgegangen, bei
welchen Ihre Monas vielleicht selbstthätig zugegen war; aber alles dieses steht
doch nur auf einem Vielleicht; ich wollte doch lieber, daß wir über so wichtige
Dinge eine größere Gewißheit zu erlangen imstande wären, als die wir uns durch
Ahnungen und jene Blitze des Genius verschaffen, welche zuweilen den dunkeln
Abgrund der Schöpfung erleuchten. Sollten wir unserm Ziele nicht näher gelangen,
wenn wir eine liebende Hauptmonas im Mittelpunkte der Schöpfung voraussetzten,
die sich aller untergeordneten Monaden dieses ganzen Weltalls auf dieselbe Art
und Weise bediente, wie sich unsre Seele der ihr zum Dienste untergebenen
geringern Monaden bedient?«
–
»Ich habe gegen diese Vorstellung, als Glauben betrachtet, nichts,« gab Goethe
hierauf zur Antwort, »nur pflege ich auf Ideen, denen seine sinnliche
Wahrnehmung zu Grunde liegt, keinen ausschließenden Werth zu legen. Ja, wenn
wir unser Gehirn und den Zusammenhang desselben mit dem Uranus und die
tausendfältigen einander durchkreuzenden Fäden kennten, worauf der Gedanke hin
und her läuft! So aber werden wir der Gedankenblitze immer dann erst inne, wann
sie einschlagen. Wir kennen nur Ganglien, Gehirnknoten; vom Wesen des Gehirns
selbst wissen wir soviel als gar nichts. Was wollen wir denn also von Gott
wissen? Man hat es Diderot sehr verdacht, daß er irgendwo gesagt: wenn Gott
noch nicht ist, so wird er vielleicht noch. Gar wohl lassen sich aber nach meinen
Ansichten von der Natur und ihren Gesetzen Planeten denken, aus welchen die
höhern Monaden bereits ihren Abzug genommen, oder wo ihnen das Wort noch gar
nicht vergönnt ist. Es gehört eine Constellation dazu, die nicht alle Tage zu
haben ist, daß das Wasser weicht und daß die Erde trocken wird. So gut wie es
Menschenplaneten giebt, kann es auch Fischplaneten und Vogelplaneten geben. Ich
habe in einer unserer früheren Unterhaltungen den Menschen das erste Gespräch
genannt, das die Natur mit Gott hält. Ich zweifle gar nicht, daß dies Gespräch
auf andern Planeten viel höher, tiefer und verständiger gehalten werden kann.
Uns gehen vor der Hand tausend Kenntnisse dazu ab. Das Erste gleich, was uns
mangelt, ist die Selbstkenntniß; nach dieser kommen alle übrigen. Streng
genommen kann ich von Gott doch weiter nichts wissen, als wozu mich der
ziemlich beschränkte Gesichtskreis von sinnlichen Wahrnehmungen auf diesem
Planeten berechtigt, und das ist in allen Stücken wenig genug. Damit ist aber
keineswegs gesagt, daß durch diese Beschränkung unserer Naturbetrachtungen auch
dem Glauben Schranken gesetzt wären. Im Gegentheil kann, bei der
Unmittelbarkeit göttlicher Gefühle in uns, der Fall gar leicht eintreten, daß
das Wissen als Stückwerk besonders auf einem Planeten erscheinen muß, der, aus
seinem ganzen Zusammenhange mit der Sonne herausgerissen, alle und jede
Betrachtung unvollkommen läßt, die eben darum erst durch den Glauben ihre
vollständige Ergänzung erhält. Schon bei Gelegenheit der Farbenlehre habe ich bemerkt,
daß es Urphänomene giebt, die wir in ihrer göttlichen Einfalt durch unnütze
Versuche nicht stören und beeinträchtigen, sondern der Vernunft und dem Glauben
übergeben sollen. Versuchen wir von beiden Seiten muthig vorzudringen, nur
halten wir zugleich die Grenzen streng auseinander! Beweisen wir nicht, was
durchaus nicht zu beweisen ist! Wir werden sonst nur früh oder spät in unserm
sogenannten Wissenswerk unsere eigne Mangelhaftigkeit bei der Nachwelt zur
Schau tragen. Wo das Wissen genügt, bedürfen wir freilich des Glaubens nicht,
wo aber das Wissen seine Kraft nicht bewährt oder ungenügend erscheint, sollen
wir auch dem Glauben seine Rechte nicht streitig machen. Sobald man nur von dem
Grundsatz ausgeht, daß Wissen und Glauben nicht dazu da sind, um einander
aufzuheben, sondern um einander zu ergänzen, so wird schon überall das Rechte
ausgemittelt werden.«
Es
war spät geworden, als ich heute Goethe verließ. Er küßte mir die Stirn beim
Abschiede, was sonst nie seine Gewohnheit ist. Ich wollte im Dunkeln die Treppe
heruntergehen; aber er litt es nicht, sondern hielt mich fest beim Arme, bis er
jemand geklingelt, der mir leuchten mußte. Noch in der Thür warnte er mich, daß
ich auf meiner Hut sein und mich vor der rauhen Nachtluft in Acht nehmen
sollte. Weichmüthiger, als bei Wieland's Tode, habe ich Goethe nie zuvor
gesehen und sah ihn auch nachher nie wieder so.