Sonntag, 14. Juni 2009

Übrigens ist alles in solcher Konfusion und Bewegung, dass die ästhetische Stimmung, die erforderlich wäre, den Roman nach unseren Wünschen zu vollenden, nur als eine Wundergabe erwartet werden kann. Indessen ist auch daran nicht ganz zu verzweifeln. Leben Sie recht wohl.
In der Dämmerung war ich ein halbes Stündchen bei Goethe. Er sass auf einem hölzernen Lehnstuhl vor seinem Arbeitstische; ich fand ihn in einer wunderbar sanften Stimmung, wie einer, der von himmlischem Frieden ganz erfüllt ist, oder wie einer, der an ein süsses Glück denkt, das er genossen hat und das ihm wieder in aller Fülle vor der Seele schwebt. Stadelmann musste mir einen Stuhl in seine Nähe setzen.
Wir sprachen darauf dies und jenes über vorhabende Arbeiten. Es war die Rede von seiner ›Reise über Frankfurt und Stuttgart nach der Schweiz‹, die er in drei Heften liegen hat und die er mir zusenden will, damit ich die Einzelnheiten lese und Vorschläge tue, wie daraus ein Ganzes zu machen. »Sie werden sehen,« sagte er, »es ist alles nur so hingeschrieben, wie es der Augenblick gab; an einen Plan und eine künstlerische Rundung ist dabei gar nicht gedacht, es ist, als wenn man einen Eimer Wasser ausgiesst.«
Stadelmann brachte zwei Wachslichter, die er auf Goethes Arbeitstisch stellte. Goethe ersuchte mich, vor den Lichtern Platz zu nehmen, er wolle mir etwas zu lesen geben. Und was legte er mir vor? Sein neuestes, liebstes Gedicht, seine ›Elegie‹ von Marienbad.