Dienstag, 20. Oktober 2020

Goethe machte mir Schwierigkeiten wegen des beabsichtigten Abdrucks seines Dankbriefes nach Jena »Ich weiß, was ich kann und nicht kann und will nur das, was ich kann.«


Es ist sonderbar, daß eben, da ich Ihren Brief erhalte, ich still-traurig über denselben Gegenstand nachdachte, davon Sie mir schreiben. Aber leider ist da auf der einen Seite, wo unser Freund die Hoffnung aufgegeben, nichts zu ändern, weil nichts zu hoffen ist und moralisch unrichtiger Takt und Töne in unserm System herrschen. Aber als ein weiser Mann wird er sich’s wohl mit der Zeit zurechtlegen.

Überdies geht unser Freund seinen ihm gehörigen Weg. Sie andere Philosophen wissen ja, daß gewisse notwendige Gesetze in der moralischen Natur so gut als in der physischen mit denen Dingen verknüpft sind. So kann ein Verständiger, Edler, Großmütiger, Wohltätiger, Uneigennütziger keinen vergnüglichen Teil mit dieser Welt haben; oder wenn er ihn genießen will, so muß er seinen Himmel verlassen. Diese Menschen bleiben nun einmal die, welche man wie den einigen Gott im Geist und in der Wahrheit verehrt. Keine irdischen Altäre werden ihnen nicht gebaut.

Nur ist es notwendig, daß, wenn einmal diese himmlischen Seelen durch Ämter mit den Menschenkindern gebunden sind, sie sich dieses recht deutlich machen und immer in ihrem Herzen wiederholen: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“

Auf diesem Weg müssen wir unserm Freund beistehen.   

Er ist also jetzt Wirklicher Geheimer Rat, Kammerpräsident, Präsident des Kriegscollegii, Aufseher des Bauwesens bis zum Wegbau hinunter, Direktor des Bergwerks, dabei auch Directeur des plaisirs, Hofpoet, Verfasser von schönen Festivitäten, Hofopern, Balletts, Redoutenaufzügen, Inskriptionen, Kunstwerken usw., Direktor der Zeichenakademie, in der er den Winter über Vorlesungen über die Osteologie gehalten; selbst überall der erste Akteur, Tänzer, kurz, das Faktotum des Weimarschen und, so Gott will, bald der Major domus sämtlicher Ernestinischer Häuser, bei denen er zur Anbetung umherzieht. 

Bei alledem geht’s in Geschäften, wie es gehen will und mag. Meine Gegenwart ist hier beinah unnütz und wird mir von Tag zu Tag lästiger. Was anderswohin weiß, sehnt sich weg.   (Herder an Hamann)


Um mich herum fühle ich eine sonderbare Wüste, da ich doch in dem Eigentlichen, worüber ich reden möchte, niemand hier habe, mit dem ich sprechen kann, als meine Frau. Die hiesigen schönen Geister sind so sehr weit von mir und leben in ihrer Welt, in denen es ihnen sehr wohl ist ...

Kunst, Kunst ist jetzt die Losung, der alles zu Füßen liegt: süßer mystischer Opiumtraum unverstandner Ideen und Gefühle!

11. Mai: «Hier ist Nichts, Nichts, Nichts als armes Treiben und Martern des Geistes: despotische Anarchie und anarchischer Despotismus.»        (Herder an Hamann)