Donnerstag, 5. Mai 2011

Ich habe dieser Tage einen Brief von Mozart gelesen, wo er einem Baron, der ihm Kompositionen zugesendet hatte, etwa folgendes schreibt: „Euch Dilettanten muss man schelten, denn es finden bei Euch gewöhnlich zwei Dinge statt: entweder Ihr habt keine eigenen Gedanken, und da nehmet Ihr fremde; oder wenn Ihr eigene Gedanken habt, so wisst Ihr nicht damit umzugehen.“ Ist das nicht himmlisch? Und gilt dieses grosse Wort, was Mozart von der Musik sagt, nicht von allen übrigen Künsten?“
„Unsern jungen Malern,“ fuhr Goethe fort, „fehlt es an Gemüt und Geist; ihre Erfindungen sagen nichts und wirken nichts! sie malen Schwerter, die nicht hauen, und Pfeile, die nicht treffen, und es dringt sich mir oft auf, als wäre aller Geist aus der Welt verschwunden.“
„Ich habe nun,“ fuhr Goethe fort, „der deutschen Malerei über fünfzig Jahre zugesehen, ja nicht bloß zugesehen, sondern auch von meiner Seite einzuwirken gesucht, und kann jetzt so viel sagen, daß, so wie alles jetzt steht, wenig zu erwarten ist. Es muß ein großes Talent kommen, welches sich alles Gute der Zeit sogleich aneignet und dadurch alles übertrifft. Die Mittel sind alle da, und die Wege gezeigt und gebahnt. Haben wir doch jetzt sogar auch die Phidiasse vor Augen, woran in unserer Jugend nicht zu denken war. Es fehlt jetzt, wie gesagt, weiter nichts als ein großes Talent, und dieses, hoffe ich, wird kommen; es liegt vielleicht schon in der Wiege und Sie können seinen Glanz noch erleben.“