Die
seltenste Entwickelungsstufe der Phantasmen bei vollkommenster Gesundheit des
Geistes und des Körpers ist die Fähigkeit, bei geschlossenen Augen das
willkührlich Vorgestellte wirklich zu sehen. Es sind nur wenige Fälle dieser
Art bekannt geworden; hierher gehören Cardanus, Goethe und noch einige andere
Fälle, die ich in der Schrift: »J. Müller, über die phantastischen Gesichtserscheinungen.
Coblenz 1826« mitgetheilt. …. Im Jahre
1828 hatte ich Gelegenheit, mich mit Goethe über diesen, uns beide gleich
interessirenden Gegenstand zu unterhalten. Da er wußte, daß bei mir, wenn ich
mich ruhig bei geschlossenen Augen hinlege, vor dem Einschlafen leicht Bilder
in den Augen erscheinen, ohne daß es zum Schlaf kommt, indem vielmehr die
Bilder sehr wohl beobachtet werden können, so war er sehr begierig zu erfahren,
wie sich diese Bilder bei mir gestalten. Ich erklärte, daß ich durchaus keinen
Einfluß des Willens aus Hervorrufung und Verwandlung derselben habe, und daß
bei mir niemals eine Spur von symmetrischer und vegetativer Entwickelung
vorkomme. Goethe hingegen konnte das Thema willkührlich angeben, und dann
erfolgte allerdings scheinbar unwillkührlich, aber gesetzmäßig und symmetrisch
das Umgestalten. Ein Unterschied zweier Naturen, wovon die eine die größte
Fülle der dichterischen Gestaltungskraft besaß, die andere aber auf die
Untersuchung des Wirklichen und des in der Natur Geschehenden gerichtet ist.