Durch
diese beiden Freunde ward ich denn auch gar bald mit Merck bekannt, dem ich
durch Herdern, von Straßburg aus, nicht ungünstig angekündigt war. Dieser eigne
Mann, der auf mein Leben den größten Einfluß gehabt, war von Geburt ein
Darmstädter. Von seiner früheren Bildung wüßte ich wenig zu sagen. Nach
vollendeten Studien führte er einen Jüngling nach der Schweiz, wo er eine
Zeitlang blieb, und beweibt zurückkam. Als ich ihn kennen lernte, war er
Kriegszahlmeister in Darmstadt. Mit Verstand und Geist geboren, hatte er sich
sehr schöne Kenntnisse, besonders der neueren Literaturen, erworben, und sich
in der Welt- und Menschengeschichte nach allen Zeiten und Gegenden umgesehn.
Treffend und scharf zu urteilen war ihm gegeben. Man schätzte ihn als einen
wackern entschlossenen Geschäftsmann und fertigen Rechner. Mit Leichtigkeit
trat er überall ein, als ein sehr angenehmer Gesellschafter für die, denen er
sich durch beißende Züge nicht furchtbar gemacht hatte.
Dienstag, 16. April 2019
Er
war lang und hager von Gestalt, eine hervordringende spitze Nase zeichnete sich
aus, hellblaue, vielleicht graue Augen gaben seinem Blick, der aufmerkend hin
und wider ging, etwas Tigerartiges. Lavaters »Physiognomik« hat uns sein Profil
aufbewahrt. In seinem Charakter lag ein wunderbares Mißverhältnis: von Natur
ein braver, edler, zuverlässiger Mann, hatte er sich gegen die Welt erbittert,
und ließ diesen grillenkranken Zug dergestalt in sich walten, daß er eine
unüberwindliche Neigung fühlte, vorsätzlich ein Schalk, ja ein Schelm zu sein.
Verständig, ruhig, gut in einem Augenblick, konnte es ihm in dem andern
einfallen, wie die Schnecke ihre Hörner hervorstreckt, irgend etwas zu tun, was
einen andern kränkte, verletzte, ja was ihm schädlich ward.
Doch
wie man gern mit etwas Gefährlichem umgeht, wenn man selber davor sicher zu
sein glaubt, so hatte ich eine desto größere Neigung, mit ihm zu leben und
seiner guten Eigenschaften zu genießen, da ein zuversichtliches Gefühl mich
ahnden ließ, daß er seine schlimme Seite nicht gegen mich kehren werde. Wie er
sich nun, durch diesen sittlich unruhigen Geist, durch dieses Bedürfnis, die
Menschen hämisch und tückisch zu behandeln, von einer Seite das gesellige Leben
verdarb, so widersprach eine andere Unruhe, die er auch recht sorgfältig in
sich nährte, seinem innern Behagen. Er fühlte nämlich einen gewissen
dilettantischen Produktionstrieb, dem er um so mehr nachhing, als er sich in
Prosa und Versen leicht und glücklich ausdrückte, und unter den schönen
Geistern jener Zeit eine Rolle zu spielen gar wohl wagen durfte.
Ich
besitze selbst noch poetische Episteln von ungemeiner Kühnheit, Derbheit und
Swiftischer Galle, die sich durch originelle Ansichten der Personen und Sachen
höchlich auszeichnen, aber zugleich mit so verletzender Kraft geschrieben sind,
daß ich sie nicht einmal gegenwärtig publizieren möchte, sondern sie entweder
vertilgen, oder als auffallende Dokumente des geheimen Zwiespalts in unserer
Literatur der Nachwelt aufbewahren muß. Daß er jedoch bei allen seinen Arbeiten
verneinend und zerstörend zu Werke ging, war ihm selbst unangenehm, und er sprach
es oft aus, er beneide mich um meine unschuldige Darstellungslust, welche aus
der Freude an dem Vorbild und dem Nachgebildeten entspringe.
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