Samstag, 20. Dezember 2014
»Mir ist ein neuer
Ausdruck eingefallen,« sagte Goethe, »der das Verhältnis nicht übel bezeichnet.
Das Klassische nenne ich das Gesunde, und das Romantische das Kranke. Und da
sind die Nibelungen klassisch wie der Homer, denn beide sind gesund und
tüchtig. Das meiste Neuere ist nicht romantisch, weil es neu, sondern weil es
schwach, kränklich und krank ist, und das Alte ist nicht klassisch, weil es
alt, sondern weil es stark, frisch, froh und gesund ist. Wenn wir nach solchen
Qualitäten Klassisches und Romantisches unterscheiden, so werden wir bald im
reinen sein.«
Das
Gespräch lenkte sich auf Bérangers Gefangenschaft. »Es geschieht ihm ganz
recht«, sagte Goethe. »Seine letzten Gedichte sind wirklich ohne Zucht und
Ordnung, und er hat gegen König, Staat und friedlichen Bürgersinn seine Strafe
vollkommen verwirkt. Seine früheren Gedichte dagegen sind heiter und harmlos
und ganz geeignet, einen Zirkel froher glücklicher Menschen zu machen, welches
denn wohl das Beste ist, was man von Liedern sagen kann.«
»Ich
bin gewiß,« versetzte ich, »daß seine Umgebung nachteilig auf ihn gewirkt hat
und daß er, um seinen revolutionären Freunden zu gefallen, manches gesagt hat,
was er sonst nicht gesagt haben würde. Euer Exzellenz sollten Ihr Schema
ausführen und das Kapitel von den Influenzen schreiben; der Gegenstand ist
wichtiger und reicher, je mehr man darüber nachdenkt.«»Er ist nur zu reich,« sagte Goethe, »denn am Ende ist alles Influenz, insofern wir es nicht selber sind.«
»Man hat nur darauf zu sehen,« sagte ich, »ob eine Influenz hinderlich oder förderlich, ob sie unserer Natur angemessen und begünstigend oder ob sie ihr zuwider ist.«
»Das ist es freilich,« sagte Goethe, »worauf es ankommt; aber das ist auch eben das Schwere, daß unsere bessere Natur sich kräftig durchhalte und den Dämonen nicht mehr Gewalt einräume als billig.«
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