Sonntag, 18. Oktober 2009

Tieck ist ein Talent von hoher Bedeutung, und es kann seine ausserordentlichen Verdienste niemand besser erkennen als ich selber; allein wenn man ihn über ihn selbst erheben und mir gleichstellen will, so ist man im Irrtum. Ich kann dieses gerade heraussagen, denn was geht es mich an, ich habe mich nicht gemacht. Es wäre ebenso, wenn ich mich mit Shakespeare vergleichen wollte, der sich auch nicht gemacht hat, und der doch ein Wesen höherer Art ist, zu dem ich hinaufblicke und das ich zu verehren habe.
Mit diesen Worten reichte er mir einige radierte Blätter des berühmten Tiermalers Roos; lauter Schafe und diese Tiere in allen ihren Lagen und Zuständen. Das Einfältige der Physiognomien, das Hässliche, Struppige der Haare, alles mit der äussersten Wahrheit, als wäre es die Natur selber.

„Mir wird immer bange,“ sagte Goethe, „wenn ich diese Tiere ansehe. Das Beschränkte, Dumpfe, Träumende, Gähnende ihres Zustandes zieht mich in das Mitgefühl desselben hinein; man fürchtet, zum Tier zu werden, und möchte fast glauben, der Künstler sei selber eins gewesen. Auf jeden Fall bleibt es im hohen Grade erstaunenswürdig, wie er sich in die Seelen dieser Geschöpfe hat hineindenken und hineinempfinden können, um den innern Charakter in der äussern Hülle mit solcher Wahrheit durchblicken zu lassen. Man sieht aber, was ein grosses Talent machen kann, wenn es bei Gegenständen bleibt, die seiner Natur analog sind.“
In der Welt kommt es nicht darauf an, dass man die Menschen kenne, sondern dass man in jedem Augenblick klüger sei als der vor uns steht, und niemand ist in diesem Falle als der sein Handwerk, seine Kunst aus dem Grunde versteht. Der Vorteil alles Handelns und Wandelns ruht hierauf.
„Es gibt vortreffliche Menschen,“ sagte Goethe, „die nichts aus dem Stegreife, nichts obenhin zu tun vermögen, sondern deren Natur es verlangt, ihre jedesmaligen Gegenstände mit Ruhe tief zu durchdringen. Solche Talente machen uns oft ungeduldig, indem man selten von ihnen erlangt, was man augenblicklich wünscht; allein auf diesem Wege wird das Höchste geleistet.“