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»Das Schlimme ist,«
fuhr Goethe fort, »daß man im Leben so viel durch falsche Tendenzen ist
gehindert worden, und daß man nie eine solche Tendenz erkannt, als bis man sich
bereits davon freigemacht.«
»Woran aber,« sagte ich, »soll man sehen und wissen, daß eine Tendenz eine
falsche sei?«
»Die falsche Tendenz,« antwortete Goethe, »ist nicht productiv, und wenn sie es
ist, so ist das Hervorgebrachte von keinem Werth. Dieses an andern gewahr zu
werden, ist nicht so gar schwer, aber an sich selber, ist ein eigenes Ding und
will eine große Freiheit des Geistes. Und selbst das Erkennen hilft nicht
immer; man zaudert und zweifelt und kann sich nicht entschließen, so wie es
schwer hält, sich von einem geliebten Mädchen loszumachen, von deren Untreue
man längst wiederholte Beweise hat. Ich sage dieses, indem ich bedenke, wie
viele Jahre es gebrauchte, bis ich einsah, daß meine Tendenz zur bildenden
Kunst eine falsche sei, und wie viele andere, nachdem ich es erkannt, mich
davon loszumachen.«
Goethe las mir seine
Antwort an den König von Bayern. Er hatte sich dargestellt wie einen, der
persönlich die Stufen der Villa hinaufgeht und sich in des Königs unmittelbarer
Nähe mündlich äußert. »Es mag schwer sein,« sagte ich, »das richtige Verhältniß
zu treffen, wie man sich in solchen Fällen zu halten habe.«
»Wer wie ich,« antwortete Goethe, »sein ganzes Leben hindurch mit hohen
Personen zu verkehren gehabt, für den ist es nicht schwer. Das einzige dabei
ist, daß man sich nicht durchaus menschlich gehen lasse, vielmehr sich stets innerhalb
einer gewissen Convenienz halte.«