Donnerstag, 1. Dezember 2016


Die dritte Classe wird von den speculativen Köpfen eingenommen, die einen beträchtlichen Theil des menschlichen Geschlechts ausmachen, von jenem Grammatiker an, welcher ausrechnete, wie oft ein jeder Buchstabe im Homer vorkommt, bis zu dem Fakir, der sich bemüht, über den tiefsinnigsten Betrachtungen des Nichts, als des Ursprungs aller Dinge, selbst zu Nichts zu werden. Diese Leute scheinen nur Zuschauer in dieser Welt zu seyn, sie gaffen sie an, als ob sie weiter keine Verbindungen mit ihr hätten; und zu allem Unglück verschwenden die meisten ihre Aufmerksamkeit nur auf das, was ein weiser Mann kaum eines flüchtigen Anblicks werth hält.
Diese Classe theilt sich, gleich den vorigen, in viele besondere Gattungen ein. Einige, denen die Erde zu klein vorkommt (denn sie ist ja nur ein Sonnenstaub gegen das ganze Himmelssystem), haben sich gänzlich dem Himmel gewidmet, ob sie gleich an demselben fast nichts als Unordnung und Abweichungen von ihren Regeln sehen, welche sie sich bestmöglich aufzulösen bestreben. Man könnte glauben, sie borgten von den Sphären Feuer zur Erweckung und Nährung der Andacht und der Richtung der Seele gegen das Ewige; sie gewöhnten sich an eine höhere und reinere Denkart, als die andern Sterblichen, und an ein lebhafteres Gefühl der hohen Bestimmung der menschlichen Natur. Aber das ist es nicht. Sie rechnen nur aus, in was für einer Art von Linien sich die Planeten um die Sonne herumdrehen, oder wie weit der Hundsstern von der Erde absteht. – Andere nicht so hoch fliegende Geister begnügen sich demüthig an der Contemplation der Sommervögel und aller Arten von Ungeziefer; sie wissen ihre Zahl und nennen sie mit Namen.

Andere kriechen unter dem Schutt alter Ruinen herum, sie verstehen sich auf Sprachen, die verloren gegangen sind, und erklären die geheimnißvollen Figuren auf dem Tisch der Isis. Andere zerquälen sich, den ganzen Umfang der Sittenlehre aus einem einzigen Grundsatz zu demonstriren; Andere beweisen die Unsterblichkeit der Seele aus der Vernunft; Einige erfinden neue Lehrgebäude, um Andern die Mühe zu machen, sie wieder umzuwerfen. Einige speculiren so lange, bis sie an Allem, was ist, zu zweifeln anfangen; Andere beweisen durch eine lange Reihe von Schlüssen, daß es Mittag ist, wenn uns die Sonne auf den Wirbel brennt. Viele verbrauchen ihr Leben mit der Bemühung, alle Meinungen, Erfindungen, Träume und Wahrheiten, Gutes und Böses aller  andern Scribenten zusammenzulesen, ohne darauf zu sinnen, was sie mit diesem Schatz anfangen wollen. – Der größte Theil dieser wunderlichen Leute ermüdet sich in Kleinigkeiten, und die Wenigen, die sich mit wichtigern Dingen beschäftigen, haben das Unglück, die Wahrheit für einen blosen Gegenstand der Betrachtung zu halten, für ein Ding, das, wie der Baum des Erkenntnisses, lieblich zum Anschauen ist. Sie gleichen den Hütern der schönen Sklavinnen eines Sultans, welche zwar die Erlaubniß zu sehen, aber nicht das Recht zu genießen haben, oder den bezauberten Drachen in den alten Romanen, die in unterirdischen Höhlen große Schätze bewachen, deren Werth oder Gebrauch ihnen unbekannt ist.

Die vierte Classe ist (wie ich befürchte) viel weniger zahlreich als die vorige; und nun werden wir gleich errathen, daß sie die beste ist. Sie ist in der That die wahre Zierde der Erde, und wenn noch etwas auf derselben ist, das englische Blicke herabholen kann, so ist es das Leben dieser liebenswürdigen Menschen, welchen die Natur eine glückliche Anlage zu einer harmonischen Gemüthsart, eine feine Empfindung des Schönen und edle Neigungen zum Guten verliehen hat. Ohne einige Fähigkeiten in einem außerordentlichen Grad zu haben, sind sie scharfsichtig genug, das Wahre von dem Schein zu unterscheiden und durch die Verblendungen der Einbildungskraft, der Leidenschaft und Gewohnheit hindurchzudringen. Die Tugend scheint ein vorzügliches Recht an ihre Herzen zu haben. Sie verachten die Niederträchtigkeit der Seele, die nur sich selbst liebt. Ihre Freude ist Gutes thun. Die Neigung zum Vergnügen mag wohl hauptsächlich ihre Jugend beleben, sie wird aber von einer gleich starken Liebe zur Ehre bewacht, und beide leiten sie nach und nach zu den reinern Quellen der Tugend. Sie können irren, sie  können durch eine unvorsichtige Neigung geblendet oder auf Seitenwege gelockt werden. Aber ihr Herz ist keiner Bosheit, keiner Tücke, keines Neides, keiner Niederträchtigkeit fähig; ihr offner Verstand, die Güte ihres Gemüths, ihre Redlichkeit gegen sich selbst lassen sie nie weit verirren, bringen sie bald wieder zurück und befördern sie immer weiter. Diese allein sind zur Freundschaft und wahren Zärtlichkeit recht aufgelegt. Für sie ist die Natur schön, für sie sind so viel feine und beglückende Freuden in den Verbindungen der Gesellschaft. Sie genießen der Welt mit Vernunft, aber sie sind nicht an sie gefesselt. – Wenn es wahr ist, daß lebende Beispiele und redende Gemälde der Tugend mehr nutzen als moralische oder metaphysische Dissertationen, so trägt gewiß diese kleine Anzahl von thätigen Weisen, beiderlei Geschlechts, mehr zum wahren Vortheil der Menschen bei, als die ganze unabsehbare Welt der speculativen Gelehrten.
Mich dünkt, ich habe nun allen Sterblichen, so verschieden als sie immer scheinen mögen, ihre Classen angewiesen, bis auf die sonderbaren und seltnen Geister, die man über die übrigen Menschen so erhaben gefunden hat, daß man sie mit dem Namen Genien zu unterscheiden pflegt, welcher sonst Wesen von höherer Ordnung andeutet. Ihre Anzahl ist so groß, als es Gott zur Erhaltung der moralischen Ordnung oder zur Züchtigung der Menschen nöthig findet. Denn es gibt gutthätige und böse Genien. Beide kommen darin überein, daß sie ungewöhnliche Fähigkeiten und, wenn ich so sagen darf, etwas Kolossalisches in der Gestalt ihres Geistes haben. Von Jugend auf unterscheidet sie eine brennende Begierde zum Wissen; ein Fleiß, den Hindernisse nur muthiger machen; eine Freiheit der Seele, die so ungelehrig ist, das Joch zu tragen, daß sie manchmal auch die nothwendigen Schranken überspringt; eine gewisse Begeisterung der Imagination, die ihnen tausend unbekannte Ideen aufdeckt, und etwas Heldenmäßiges im Herzen, das sie zu großen Thaten fähig macht. Durch die Entwicklung und Ausbildung dieser großen Fähigkeiten vermittelst der Wissenschaften, des Nachsinnens, der Kenntniß der Welt und der Erfahrung gelangen sie zuletzt zu dieser durchdringenden Schärfe des Geistes und männlichen Stärke des Gemüths, welche sie so sehr über die gemeinen Menschen hinwegsetzt.