Unser
Meister ist derjenige, unter dessen Anleitung wir uns in einer Kunst
fortwährend üben und welcher uns, wie wir nach und nach zur Fertigkeit
gelangen, stufenweise die Grundsätze mitteilt, nach welchen handelnd wir das
ersehnte Ziel am sichersten erreichen. In solchem Sinne war ich Meister von
niemand. Wenn ich aber aussprechen soll, was ich den Deutschen überhaupt,
besonders den jungen Dichtern geworden bin, so darf ich mich wohl ihren
Befreier nennen; denn sie sind an mir gewahr geworden, daß, wie der Mensch von
innen heraus leben, der Künstler von innen heraus wirken müsse, indem er,
gebärde er sich, wie er will, immer nur sein Individuum zutage fördern wird.
Geht er dabei frisch und froh zu Werke, so manifestiert er gewiß den Wert
seines Lebens, die Hoheit oder Anmut, vielleicht auch die anmutige Hoheit, die
ihm von der Natur verliehen war. Ich kann übrigens recht gut bemerken, auf wen
ich in dieser Art gewirkt; es entspringt daraus gewissermaßen eine
Naturdichtung, und nur auf diese Art ist es möglich, Original zu sein.
Glücklicherweise steht unsere Poesie im Technischen so hoch, das Verdienst
eines würdigen Gehalts liegt so klar am Tag, daß wir wundersam erfreuliche
Erscheinungen auftreten sehen. Dieses kann immer noch besser werden, und
niemand weiß, wohin es führen mag; nur freilich muß jeder sich selbst
kennenlernen, sich selbst zu beurteilen wissen, weil hier kein fremder äußerer
Maßstab zu Hülfe zu nehmen ist.
Donnerstag, 20. September 2018
Worauf
aber alles ankommt, sei in kurzem gesagt. Der junge Dichter spreche nur aus, was
lebt und fortwirkt, unter welcherlei Gestalt es auch sein möge; er beseitige
streng allen Widergeist, alles Mißwollen, Mißreden und was nur verneinen kann:
denn dabei kommt nichts heraus. Ich kann es meinen jungen Freunden nicht ernst
genug empfehlen, daß sie sich selbst beobachten müssen, auf daß bei einer
gewissen Fazilität des rhythmischen Ausdrucks sie doch auch immer an Gehalt
mehr und mehr gewinnen. Poetischer Gehalt aber ist Gehalt des eigenen Lebens;
den kann uns niemand geben, vielleicht verdüstern, aber nicht verkümmern. Alles
was Eitelkeit, das heißt Selbstgefälliges ohne Fundament ist, wird schlimmer
als jemals behandelt werden. Sich frei zu erklären ist eine große Anmaßung;
denn man erklärt zugleich, daß man sich selbst beherrschen wolle, und wer
vermag das? Zu meinen Freunden, den jungen Dichtern, spreche ich hierüber
folgendermaßen: Ihr habt jetzt eigentlich keine Norm, und die müßt ihr euch
selbst geben; fragt euch nur bei jedem Gedicht, ob es ein Erlebtes enthalte und
ob dies Erlebte euch gefördert habe.
Ihr
seid nicht gefördert, wenn ihr eine Geliebte, die ihr durch Entfernung,
Untreue, Tod verloren habt, immerfort betrauert. Das ist gar nichts wert, und
wenn ihr noch soviel Geschick und Talent dabei aufopfert.
Man
halte sich ans fortschreitende Leben und prüfe sich bei Gelegenheiten; denn da
beweist sich's im Augenblick, ob wir lebendig sind, und bei späterer
Betrachtung, ob wir lebendig waren.
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