Montag, 22. Dezember 2014
Samstag, 20. Dezember 2014
»Mir ist ein neuer
Ausdruck eingefallen,« sagte Goethe, »der das Verhältnis nicht übel bezeichnet.
Das Klassische nenne ich das Gesunde, und das Romantische das Kranke. Und da
sind die Nibelungen klassisch wie der Homer, denn beide sind gesund und
tüchtig. Das meiste Neuere ist nicht romantisch, weil es neu, sondern weil es
schwach, kränklich und krank ist, und das Alte ist nicht klassisch, weil es
alt, sondern weil es stark, frisch, froh und gesund ist. Wenn wir nach solchen
Qualitäten Klassisches und Romantisches unterscheiden, so werden wir bald im
reinen sein.«
Das
Gespräch lenkte sich auf Bérangers Gefangenschaft. »Es geschieht ihm ganz
recht«, sagte Goethe. »Seine letzten Gedichte sind wirklich ohne Zucht und
Ordnung, und er hat gegen König, Staat und friedlichen Bürgersinn seine Strafe
vollkommen verwirkt. Seine früheren Gedichte dagegen sind heiter und harmlos
und ganz geeignet, einen Zirkel froher glücklicher Menschen zu machen, welches
denn wohl das Beste ist, was man von Liedern sagen kann.«
»Ich
bin gewiß,« versetzte ich, »daß seine Umgebung nachteilig auf ihn gewirkt hat
und daß er, um seinen revolutionären Freunden zu gefallen, manches gesagt hat,
was er sonst nicht gesagt haben würde. Euer Exzellenz sollten Ihr Schema
ausführen und das Kapitel von den Influenzen schreiben; der Gegenstand ist
wichtiger und reicher, je mehr man darüber nachdenkt.«»Er ist nur zu reich,« sagte Goethe, »denn am Ende ist alles Influenz, insofern wir es nicht selber sind.«
»Man hat nur darauf zu sehen,« sagte ich, »ob eine Influenz hinderlich oder förderlich, ob sie unserer Natur angemessen und begünstigend oder ob sie ihr zuwider ist.«
»Das ist es freilich,« sagte Goethe, »worauf es ankommt; aber das ist auch eben das Schwere, daß unsere bessere Natur sich kräftig durchhalte und den Dämonen nicht mehr Gewalt einräume als billig.«
Montag, 8. Dezember 2014
Im Jahre 1831 machte er sich den Spaß, eine
Zeitung von 1826 gebunden zu lesen. Bei solcher Wiederholung wird "für den
Menschen, der sich in den Kreis seiner Tätikgkeit zurückzieht," erst recht
klar, "daß man durch diese Tagesblätter zum Narren gehalten wurde, und daß
weder für uns, noch für die Unsrigen, besonders im Sinn einer höheren Bildung,
daher auch nicht das Mindeste abzuleiten war."
Die französischen Memoiren so wie Le Globe und
Le Temps habe ich auf einige Zeit beseitigt. Es fällt einem doch einmal auf daß
alles einen gar nichts angeht, daß man von dem Vergangenen ohngefähr soviel
weiß als ein anderer auch, und daß man durch die Kenntniß dessen, was der Tag
bringt, nicht klüger und nicht besser wird.
"Es ist ganz eins, in welchem Kreise ein
edler Mensch wirke, wenn er nur diesen Kreis genau kennen zu lernen und völlig
auszufüllen weiß. Wofür aber der Mensch nicht wirken kann, dafür sollte er auch
nicht ängstlich sorgen, nicht über Bedürfnis und Empfänglichkeit des Kreises
hinaus, in den ihn Gott und die Natur gestellt, anmaßlich wirken wollen. Alles
Voreilige schadet, die Mittelstufen zu überspringen, ist nicht heilsam, und
doch ist jetzo alles voreilig, und fast jedermann sprungweise zu verfahren
geneigt. Tue nur jeder an seiner Stelle das Rechte, ohne sich um den Wirrwarr
zu bekümmern, der fern oder nah die Stunden auf die unseligste Weise verdirbt,
so werden Gleichgesinnte sich bald ihm anschließen, und Vertrauen und wachsende
Einsicht von selbst immer größere Kreise bilden."
Dienstag, 25. November 2014
Es fällt einem doch mitunter auf, daß man durch
die Kenntnis Dessen, was der Tag bringt, nicht klüger und nicht besser wird.
Dieses ist von größter Wichtigkeit. Denn genau besehen ist es von Privatleuten
doch nur eine Philisterei, wenn wir Demjenigen zuviel Anteil schenken, worin
wir nichts wirken können … Also wollen
wir uns, solange es Tag ist, nicht mit Allotrien beschäftigen.
Mittwoch, 12. November 2014
So steige ich durch alle Stände aufwärts, sehe
den Bauersmann der Erde das Notdürftige abfordern, das doch auch ein behaglich
Auskommen wäre, wenn er nur für sich schwitzte. Du weißt aber, wenn die
Blattläuse auf den Rosenzweigen sitzen und sich hübsch dick und grün gesogen
haben, dann kommen die Ameisen und saugen ihnen den filtrierten Saft aus den
Leibern. Und so geht's weiter, und wir haben es so weit gebracht, daß oben
immer in einem Tage mehr verzehrt wird, als unten in einem beigebracht werden
kann.
»Sehen
Sie sich einmal um,« fuhr Goethe fort, »hinter Ihnen auf dem Pult liegt ein
Blatt, welches ich zu betrachten bitte.«
»Dieses
blaue Briefkuvert?« sagte ich.»Ja«, sagte Goethe. »Nun, was sagen Sie zu der Handschrift? Ist das nicht ein Mensch, dem es groß und frei zu Sinne war, als er die Adresse schrieb? Wem möchten Sie die Hand zutrauen?«
Ich betrachtete das Blatt mit Neigung. Die Züge der Handschrift waren sehr frei und grandios. »Merck könnte so geschrieben haben«, sagte ich.
»Nein,« sagte Goethe, »der war nicht edel und positiv genug. Es ist von Zelter. Papier und Feder hat ihn bei diesem Kuvert begünstigt, so daß die Schrift ganz seinen großen Charakter ausdrückt. Ich will das Blatt in meine Sammlung von Handschriften legen.«
Wir
sprachen darauf über Gegenstände der Weltgeschichte, und Goethe äußerte
folgendes über Regenten.
»Um popular zu sein,« sagte er, »braucht ein
großer Regent weiter keine Mittel als seine Größe. Hat er so gestrebt und
gewirkt, daß sein Staat im Innern glücklich und nach außen geachtet ist, so mag
er mit allen seinen Orden im Staatswagen, oder er mag im Bärenfelle und die
Zigarre im Munde auf einer schlechten Troschke fahren, es ist alles gleich, er
hat einmal die Liebe seines Volkes und genießt immer dieselbige Achtung. Fehlt
aber einem Fürsten die persönliche Größe und weiß er nicht durch gute Taten bei
den Seinen sich in Liebe zu setzen, so muß er auf andere Vereinigungsmittel
denken, und da gibt es kein besseres und wirksameres als die Religion und den
Mitgenuß und die Mitübung derselbigen Gebräuche. Sonntäglich in der Kirche
erscheinen, auf die Gemeinde herabsehen und von ihr ein Stündchen sich
anblicken lassen, ist das trefflichste Mittel zur Popularität, das man jedem
jungen Regenten anraten möchte, und das, bei aller Größe, selbst Napoleon nicht
verschmähet hat.«
Auch sagte er mir, daß ein großer versteinerter Klotz angekommen, den er mir zeigen wolle.
»Solche versteinerte Stämme«, sagte er, »finden sich unter dem einundfunfzigsten Grade ganz herum bis nach Amerika, wie ein Erdgürtel. Man muß immer mehr erstaunen. Von der früheren Organisation der Erde hat man gar keinen Begriff, und ich kann es Herrn von Buch nicht verdenken, wenn er die Menschen endoktriniert, um seine Hypothesen zu verbreiten. Er weiß nichts, aber niemand weiß mehr, und da ist es denn am Ende einerlei, was gelehrt wird, wenn es nur einigermaßen einen Anschein von Vernunft hat.«
Samstag, 1. November 2014
Daß
das Leben des Menschen nur ein Traum sey, ist manchem schon so vorgekommen, und
auch mit mir zieht dieses Gefühl immer herum. Wenn ich die Einschränkung so
ansehe, in welche die thätigen und forschenden Kräfte des Menschen eingesperrt
sind, wenn ich sehe, wie alle Würksamkeit dahinaus läuft, sich die Befriedigung
von Bedürfnissen zu verschaffen, die wieder keinen Zwek haben, als unsere arme
Existenz zu verlängern, und dann, daß alle Beruhigung über gewisse Punkte des
Nachforschens nur eine träumende Resignation ist, da man sich die Wände,
zwischen denen man gefangen sizt, mit bunten Gestalten und lichten Aussichten
bemahlt. Das alles, Wilhelm, macht mich stumm. Ich kehre in mich selbst zurük,
und finde eine Welt! Wieder mehr in Ahndung und dunkler Begier, als in
Darstellung und lebendiger Kraft. Und da schwimmt alles vor meinen Sinnen, und
ich lächle dann so träumend weiter in die Welt.
Daß
die Kinder nicht wissen, warum sie wollen, darinn sind alle hochgelahrte Schul-
und Hofmeister einig. Daß aber auch Erwachsene, gleich Kindern, auf diesem
Erdboden herumtaumeln, gleichwie jene nicht wissen, woher sie kommen und wohin
sie gehen, eben so wenig nach wahren Zwekken handeln, eben so durch Biskuit und
Kuchen und Birkenreiser regiert werden, das will niemand gern glauben, und mich
dünkt, man kann's mit Händen greifen.
Samstag, 25. Oktober 2014
Was meynst du Behrisch sollte es nicht bloser
Stolz seyn, daß sie mich liebt. Es vergnügt sie einen stolzen Menschen wie ich
bin an ihrem Fusschemel angekettet zu sehen. Sie hat weiter nicht auf ihn acht
so lang er ruhig liegt, will er sich aber loßreisen, dann fällt er ihr erst
wieder ein, ihre Liebe erwacht wieder mit der Aufmercksamkeit.
Sonntag, 19. Oktober 2014
Ich habe mir daher Akten gemacht, worin ich alle
Arten von öffentlichen Papieren die mir jetzt begegnen: Zeitungen,
Wochenblätter, Predigtauszüge, Verordnungen, Komödienzettel, Preiskurrente
einheften lasse und sodann auch sowohl das was ich sehe und bemerke als auch
mein augenblickliches Urteil einschalte. Ich spreche nachher von diesen Dingen
in Gesellschaft und bringe meine Meinung vor, da ich denn bald sehe, in wiefern
ich gut unterrichtet bin, und in wiefern mein Urteil mit dem Urteil
wohlunterrichteter Menschen übereintrifft. Sodann nehme ich die neue Erfahrung
und Belehrung auch wieder zu den Akten, und so gibt es Materialien, die mir
künftig als Geschichte des Äußern und Innern interessant genug bleiben müssen.
Wenn ich bei meinen Vorkenntnissen und meiner Geistesgeübtheit Lust behalte
dieses Handwerk eine Weile fortzusetzen, so kann ich eine große Masse zusammenbringen.
Er küßte ihre Hand und wollte aufstehn; aber wie
im Traum das Seltsame aus dem Seltsamsten sich entwickelnd uns überrascht, so
hielt er, ohne zu wissen, wie es geschah, die Gräfin in seinen Armen, ihre
Lippen ruhten auf den seinigen, und ihre wechselseitigen lebhaften Küsse
gewährten ihnen eine Seligkeit, die wir nur aus dem ersten aufbrausenden Schaum
des frisch eingeschenkten Bechers der Liebe schlürfen.
Mittwoch, 8. Oktober 2014
Samstag, 27. September 2014
Samstag, 20. September 2014
Gerade
die tiefe Bedeutung, die er in jeder politischen Erscheinung wahrnahm, der hohe
Ernst, mit welchem er von Regierenden und Regierten ein verständiges,
wohlwollendes Auffassen und Üben ihrer Rechte und Pflichten forderte, von jedem
frechen, verwirrten, haltungslosen Treiben sich abwandte, gerade diese edelste
politische Sinnesweise war es, die ihm ein nichtiges Radotiren oder
leidenschaftliches Partheistreben so widerwärtig, so verhaßt machte. Davon
Notiz nehmen zu müssen, konnte ihn zuweilen wahrhaft unglücklich machen, und
das Wichtige, Große, Folgenreiche frivol und leichtsinnig behandelt zu sehen,
fast zur Verzweiflung bringen .
In diesem Sinne hielt er fest an Ordnung und
Gesetzmässigkeit, als an den Grundsäulen bürgerlicher Wohlfahrt, und nur alles
dasjenige, was den stetigen Fortschritt sittlicher und intellektueller
Ausbildung, geregelter Benutzung der Naturkräfte aufzuhalten und zu verkümmern,
die edelsten Güter des Daseins dem wilden Spiele ungezügelter Leidenschaften,
der Herrschaft roher Massen preiszugeben drohte, war ihm das wahrhaft
Tyrannische, Freiheitsvernichtende, durchaus Unerträgliche.
Dienstag, 16. September 2014
Dann sprach er von Fräulein Caspers in Wien, die ihn durch Struve habe grüßen lassen, und daß sie eines jener lieblichen, aber neutralen adiaphoren weiblichen Wesen sei, die, mit geringer Sinnlichkeit ausgestattet, um so sicherer durch die Welt gehen, weil sie eben nicht mehr anreizen, als daß man gerne bei ihnen verweilt.
Donnerstag, 11. September 2014
Da
faßte mich bei einen Gedanken, aus dem der seinige zurückstrahlte, plötzlich
sein Flammenauge, und ich sahe Fausts Schöpfer. Ich sehe ihn seitdem täglich
und versäume keine Gelegenheit, ihn zu sehen. Anfangs quälten mich seine
Blicke, die ich immer auf mir und an mir empfand, wenn ich ihn nicht ansah, und
die dann die des forschenden Beobachters waren; und des
Beobachters ohne Hoffnung und Glauben an reinen Menschenwert, der nur neue
Gestalten zu seinen lebensvollen Gemälden sucht und in die Welt sieht wie in
einen Guckkasten.
Mittwoch, 10. September 2014
Mir gehts mit Goethen wunderbar; nach acht
Tagen, wie er mich so heftig verlassen hat, kommt er mit einem Übermaß voll
Liebe wieder. Ich hab zu mancherlei Betrachtungen durch Goethen Anlass
bekommen; je mehr ein Mensch fassen kann, deucht mir, je dunkler, anstössiger
wird ihm das Ganze, je eher fehlt man den ruhigen Weg; gewiss hatten die
gefallenen Engel mehr Verstand, wie die übrigen.
„Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie sehr mich
die Wahrheit, das schöne Leben, die einfache Fülle dieses Werkes bewegte. Ruhig
und tief, klar und doch unbegreiflich wie die Natur, so wirkt es und steht es
da, und alles, auch das kleinste Nebenwerk, zeigt die schöne Gleichheit des
Gemütes, aus welchem alles geflossen ist.“
Dienstag, 2. September 2014
Freitag, 29. August 2014
Gleichzeitig
wurde der Weimarer Herzog Karl August auf Luise aufmerksam und machte ihr,
obwohl beide verheiratet waren, unverhohlen den Hof. Er besuchte zusammen mit
Goethe mehrfach Schloss Neunheilingen. Obwohl Luise ihm, wie vermutet wird,
auch gewogen war, hielt sie dennoch zu ihrer nicht sehr glücklichen Ehe. Auch
Goethe bewunderte die Frau sehr, wie u.a. in einem Brief an Frau von Stein zum
Ausdruck kommt. Die Verhältnisse und Erlebnisse auf Neunheilingen hat Goethe
auch in seinen Wilhelm-Meister-Romanen einfließen lassen.
Dieses kleine Wesen hat mich erleuchtet. Diese
hat Welt oder vielmehr sie hat die Welt, sie weis die Welt zu behandlen: sie ist wie
Quecksilber das sich in einem Augenblicke tausendfach theilt und wieder in eine
Kugel zusammenläuft.
Sicher ihres Werths, ihres Rangs handelt sie zugleich mit einer Delikatesse und
Aisance die man sehn muß um sie zu dencken. Sie scheint iedem das seinige zu
geben wenn sie auch nichts giebt, sie spendet nicht, wie ich andre gesehn habe,
nach Standsgebühr und Würden iedem das eingesiegelte zugedachte Packetgen aus,
sie lebt nur unter den Menschen hin, und daraus entsteht eben die schöne
Melodie die sie spielt daß sie nicht ieden Ton sondern nur die auserwählten
berührt.
Sie
tracktirts mit einer Leichtigkeit und einer anscheinenden Sorglosigkeit daß man
sie für ein Kind halten sollte das nur auf dem Klaviere, ohne auf die Noten zu
sehen, herumruschelt, und doch weis sie immer was und wem sie spielt. Was in
ieder Kunst das Genie ist, hat sie in der Kunst des Lebens. Tausend andre
kommen mir vor wie Leute die das durch Fleis ersezzen wollen was ihnen die
Natur versagt hat, noch andre wie Liebhaber die ihr Conzertgen auswendig
gelernt haben und es ängstlich produziren, noch andre – nun es wird uns Stoff
zur Unterredung genug geben. Sie kennt den größten Teil vom vornehmen, reichen,
schönen, verständigen Europa, theils durch sich theils durch andre, das Leben,
Treiben, Verhältniß so vieler Menschen ist ihr gegenwärtig im höchsten Sinne
des Worts, es kleidet sie alles was sie sich von iedem zueignet und was sie
iedem giebt thut ihm wohl.
Freitag, 22. August 2014
Wichtiger als dieses Sammeln und Einordnen ist
die Ordnung und Beherrschung der Arbeitsstoffe durch fleißiges Bedenken. In
Goethes Tagebüchern lesen wir neben andern Tätigkeiten oft: "Das
Vorliegende durchdacht" oder "das Jüngstvergangene überdacht"
oder "Überlegung des Gegenwärtigen" oder nach einem wichtigeren
Ereignis: "Betrachtungen darüber." So handelte er nach seiner
Lebenregel: "Tun und Denken, Denken und Tun" und ging nicht unter in
den Massen, die auf ihn eindrangen.
Dem Gegenstande, der ihn beschäftigte, gehörte
er jedesmal ganz an, identificirte sich mit ihm nach allen Seiten und wußte,
während er irgend eine wichtige Aufgabe sich gesetzt, alles seinem Ideengang
Fremdartige standhaft abzulehnen. »In den hundert Dingen, die mich
interessiren,« – äußerte er – »constituirt sich immer eins in der Mitte als
Hauptplanet und das übrige Quodlibet meines Lebens treibt sich indessen in
vielseitiger Mondgestalt umher, bis es einem und dem andern auch gelingt,
gleichfalls in die Mitte zu rücken.
Mittwoch, 20. August 2014
Doch lobt
ihr vieles, was zu tadeln wäre.
Ich kenn' ihn lang , er ist so leicht zu kennen,
Und ist zu stolz sich zu verbergen. Bald
Versinkt er in sich selbst, als wäre ganz
Die Welt in seinem Busen, er sich ganz
In seiner Welt genug, und alles rings
Umher verschwindet ihm. Er läßt es gehn,
Läßt's fallen, stößt's hinweg und ruht in sich –
Ich kenn' ihn lang , er ist so leicht zu kennen,
Und ist zu stolz sich zu verbergen. Bald
Versinkt er in sich selbst, als wäre ganz
Die Welt in seinem Busen, er sich ganz
In seiner Welt genug, und alles rings
Umher verschwindet ihm. Er läßt es gehn,
Läßt's fallen, stößt's hinweg und ruht in sich –
Auf
einmal, wie ein unbemerkter Funke
Die Mine zündet, sey es Freude, Leid,
Zorn oder Grille, heftig bricht er aus:
Dann will er Alles fassen, Alles halten,
Dann soll geschehn, was er sich denken mag',
In einem Augenblicke soll entstehn,
Was Jahre lang bereitet werden sollte,
In einem Augenblick gehoben seyn,
Was Mühe kaum in Jahren lösen könnte.
Er fordert das Unmögliche von sich,
Damit er es von andern fordern dürfe.
Die letzten Enden aller Dinge will
Sein Geist zusammen fassen; das gelingt
Kaum Einem unter Millionen Menschen,
Und er ist nicht der Mann: er fällt zuletzt,
Um nichts gebessert, in sich selbst zurück.
Die Mine zündet, sey es Freude, Leid,
Zorn oder Grille, heftig bricht er aus:
Dann will er Alles fassen, Alles halten,
Dann soll geschehn, was er sich denken mag',
In einem Augenblicke soll entstehn,
Was Jahre lang bereitet werden sollte,
In einem Augenblick gehoben seyn,
Was Mühe kaum in Jahren lösen könnte.
Er fordert das Unmögliche von sich,
Damit er es von andern fordern dürfe.
Die letzten Enden aller Dinge will
Sein Geist zusammen fassen; das gelingt
Kaum Einem unter Millionen Menschen,
Und er ist nicht der Mann: er fällt zuletzt,
Um nichts gebessert, in sich selbst zurück.
Dienstag, 12. August 2014
Wenn wir
das Edle in Handlung und Gesinnung mit dem Unedlen messen, so nennen wir das
Edle groß, das Unedle klein. Messen wir wieder das Edle, Große und Schöne nach
der Höhe, in der es über uns, unsrer Fassungskraft kaum noch erreichbar, ist,
so geht der Begriff des Schönen in den Begriff des Erhabenen über.
Montag, 28. Juli 2014
Donnerstag, 24. Juli 2014
Man
erkennt in diesen wenigen Bogen den Tief- und Scharfsinn des Verfassers, den er
schon in so manchen Schriften gezeigt; wir finden ihn jenen Grundsätzen getreu,
zu welchen er sich schon ehemals bekannt. Nur schadet die Gedrängtheit der
Methode und des Stils dem wohldurchdachten und bei mehrerer Beleuchtung auch
wohlgeordneten Inhalt.
Er
schrieb diese Blätter in Rom, in der Nähe so manches Schönen, das Natur und
Kunst hervorbrachte; er schrieb gleichsam aus der Seele und in die Seele des
Künstlers, und er scheint bei seinen Lesern auch diese Nähe, diese
Bekanntschaft mit dem Gegenstande seiner Betrachtung vorauszusetzen; notwendig
muß daher sein Vortrag dunkel scheinen und manchen unbefriediget lassen.
Sonntag, 13. Juli 2014
Die Schrift von Moritz entwickelte mit
Entschiedenheit und Stringenz das Programm der Autonomie der Kunst. Die Pointe
des Gedankens liegt dabei in der Anwendung des Spinozismus auf die Kunst. Das
Ganze ist Gott, hatte Spinoza erklärt. ... Nach dem Vorbild des spinozistischen
Begriffs vom Weltganzen bildet Moritz nun den Begriff der Kunst als einer in
sich geschlossenen Ganzheit im Kleinen ... Dem Künstler kann ein Werk nur
gelingen, wenn der Schwerpunkt ganz in dem zu schaffenden Werk liegt, ohne
äussere Rücksichtnahme. ...
Die Gedanken zur Autonomie der Kunst gewannen
nach der Rückkehr aus Italien eine grosse Bedeutung für Goethe. ... Vor der
Reise nach Italien galt die Lebenskunst der Doppelexistenz als Künstler und
Amtsmensch. Goethe hatte erkannt, wie wichtig es ist, die Sphären getrennt zu
halten, indem man zwar aus dem Leben poetische Funken schlägt, aber umgekehrt der
Poesie nicht erlaubt, das Leben zu beherrschen. ...
Das Neue ist: Der Autonomiegedanke begründet vom Inneren der Kunst her, weshalb die Kunst und mit ihr das Künstlertum als eigene Sphäre, als eigene in sich geschlossene Welt, als nutzloses Ganzes für sich bestehen soll und darf. ... Bisher war es ein kränkender Vorwurf gewesen, dass die Kunst doch eigentlich ein nutzloses Geschäft sei. Die Autonomiegedanken lassen diese Kränkung verschwinden. Kunst ist ein in sich selbst sinnhaft geschlossnener Kreis, der eben darum keinem anderen Zweck dient. ... Wo Kränkung war, soll Stolz werden: Die Kunst ist keinem dienstbar! Knebel konstatiert verwundert: Die Kunst hat ihn ganz eingenommen; er sieht solche als Ziel aller menschlichen Erhöhung.
Donnerstag, 10. Juli 2014
Goethe
saß schon am gedeckten Tisch, als ich hereintrat; er empfing mich sehr heiter.
„Ich habe einen Brief erhalten,“ sagte er, „woher?“ – – Von Rom! Aber von wem?
– Vom König von Bayern!
„Ich
teile Ihre Freude,“ sagte ich. „Aber ist es nicht eigen, ich habe mich seit
einer Stunde auf einem Spaziergange sehr lebhaft mit dem Könige von Bayern in
Gedanken beschäftigt, und nun erfahre ich diese angenehme Nachricht. –“ „Es
kündigt sich oft etwas in unserm Innern an,“ sagte Goethe. „Dort liegt der
Brief, nehmen Sie, setzen Sie sich zu mir her und lesen Sie!“
Ich nahm
den Brief, Goethe nahm die Zeitung, und so las ich denn ganz ungestört die
königlichen Worte. Der Brief war datiert: Rom, den 26. März 1829, und mit einer
stattlichen Hand sehr deutlich geschrieben. Der König meldete Goethe, daß er
sich in Rom ein Besitztum gekauft, und zwar die Villa di Malta mit anliegenden
Gärten, in der Nähe der Villa Ludovisi, am nordwestlichen Ende der Stadt, auf
einem Hügel gelegen, so daß er das ganze Rom überschauen könne und gegen
Nordost einen freien Anblick von Sankt Peter habe. „Es ist eine Aussicht,“
schreibt er, „welche zu genießen man weit reisen würde, und die ich nun bequem
zu jeder Stunde des Tages aus den Fenstern meines Eigentums habe.“ Er fährt
fort, sich glücklich zu preisen, nun in Rom auf eine so schöne Weise ansässig
zu sein. „Ich hatte Rom in zwölf Jahren nicht gesehen,“ schreibt er, „ich
sehnte mich danach, wie man sich nach einer Geliebten sehnt; von nun an aber
werde ich mit der beruhigten Empfindung zurückkehren, wie man zu einer
geliebten Freundin geht.“
Von den erhabenen Kunstschätzen und Gebäuden
spricht er sodann mit der Begeisterung eines Kenners, dem das wahrhaft Schöne
und dessen Förderung am Herzen liegt, und der jede Abweichung vom guten Geschmack
lebhaft empfindet. Überall war der Brief durchweg so schön und menschlich
empfunden und ausgedrückt, wie man es von so hohen Personen nicht erwartet. Ich
äußerte meine Freude darüber gegen Goethe. „Da sehen Sie einen Monarchen“,
sagte er, „der neben der königlichen Majestät seine angeborene schöne
Menschennatur gerettet hat. Es ist eine seltene Erscheinung und deshalb um so
erfreulicher.“
Ich sah
wieder in den Brief und fand noch einige treffliche Stellen. „Hier in Rom,“
schreibt der König, „erhole ich mich von den Sorgen des Thrones; die Kunst, die
Natur, sind meine täglichen Genüsse, Künstler meine Tischgenossen.“ Er schreibt
auch, wie er oft an dem Hause vorbeigehe, wo Goethe gewohnt, und wie er dabei
seiner gedenke. Auch aus den römischen Elegien sind einige Stellen angeführt,
woraus man sieht, daß der König sie gut im Gedächtnis hat und sie in Rom, an
Ort und Stelle, von Zeit zu Zeit wieder lesen mag. „Ja“, sagte Goethe, „die
Elegien liebt er besonders; er hat mich hier viel damit geplagt, ich sollte ihm
sagen, was an dem Faktum sei, weil es in den Gedichten so anmutig erscheint,
als wäre wirklich was Rechtes daran gewesen. Man bedenkt aber selten, daß der
Poet meistens aus geringen Anlässen was Gutes zu machen weiß.“
Montag, 30. Juni 2014
Sonntag, 22. Juni 2014
Von der Höhe seines Standpunktes erschien ihm
die Geschichte nur als ein ewig wiederholter, ja notwendiger Kampf der
Torheiten und Leidenschaften mit den edleren Interessen der Zivilisation; er
kannte zu gut die Gefahren oder mindestens zweideutigen Erfolge unberufener
Einmischung, er wollte das reine Element seines Denkens und Schaffens nicht
durch die wirren Erscheinungen des Tages trüben lassen und noch weniger sich
zum Wortführer irgend einer Partei aufwerfen, wenngleich Gall das Organ des
Volksredners in höchster Ausbildung an
ihm entdeckt haben will.
Freitag, 20. Juni 2014
Montag, 9. Juni 2014
Wie offt
hab ich die Worte Welt, grose Welt, Welt haben u. s. w. hören müssen und habe
mir nie was dabey dencken können, die meisten Menschen die sich diese
Eigenschafften anmasten, verfinsterten mir den Begriff, sie schienen mir wie
schlechte Musickanten auf ihren Fiedeln Symphonien abgeschiedner Meister zu
kreuzigen, ich konnte eine Ahndung davon aus diesem und ienem einzelnen Liede
haben, vergebens sucht ich mir das zu dencken was mir nicht mit vollem
Orchester war produzirt worden.
Freitag, 6. Juni 2014
Schon lange würde ich Ew. Durchl. Rechenschafft
von meiner Reise, von meinem Aufenthalte in Rom gegeben haben, wenn ich hätte
hoffen können etwas zu schreiben das Ihrer Aufmercksamkeit werth wäre. Der Reisende
kann selten aus sich selbst herausgehen, was er von Schicksalen zu melden hat
ist wenig bedeutend und meistens schreibt er mit selbstgefälligem Entzücken:
daß er nun auch jene langgewünschten Gegenden betrete, jene herrlichen
Gegenstände mit Augen sehe und nach seiner Art davon und dabey genieße.
Ich habe nun den ersten flüchtigen Lauf durch
Rom beynahe geendigt, ich kenne die Stadt und ihre Lage, die Ruinen, Villen,
Palläste, Gallerien und Musea. Wie leicht ist es bey einer solchen Fülle von
Gegenständen etwas zu dencken, zu empfinden, zu phantasiren. Aber wenn es nun
darauf ankommt die Sachen um ihrer selbst willen zu sehen, den Künsten aufs
Marck zu dringen, das Gebildete und Hervorgebrachte nicht nach dem Effeckt den
es auf uns macht, sondern nach seinem innern Werthe zu beurtheilen; dann fühlt
man erst wie schwer die Aufgabe ist und wünscht mehr Zeit und ernsthaftere
Betrachtung diesen schätzbaren Denckmalen menschlichen Geistes und menschlicher
Bemühungen wiedmen zu können.
Donnerstag, 29. Mai 2014
Um nichts zu versäumen habe ich gleich einen
Teil des ersten Genußes aufgeopfert und habe die Ruinen in Gesellschaft von
Baukünstlern, die übrigen Kunstwercke mit andern Künstlern gesehen und dabey
bemercken können: daß ein Leben voll Thätigkeit und Übung kaum hinreicht unsre
Kenntniß auf den höchsten Punckt der Reinheit zu bringen. Und doch wäre nur
diese Sicherheit und Gewißheit die Dinge für das zu nehmen was sie sind, selbst
die besten Sachen einander subordiniren zu können, jedes im Verhältniße zum
andern zu betrachten der größte Genuß nach dem wir im Kunst wie im Natur und
Lebenssinne streben sollten. Indessen sehe ich fleißig ohne mich aufzuspannen
und freue mich wenn mir von Zeit zu Zeit ein neues Licht erscheint.
Hier kann ich eine Betrachtung nicht
verschweigen die ich gemacht habe: daß es nämlich bequemer und leichter sey die
Natur als die Kunst zu beobachten und zu schätzen. Das geringste Produckt der
Natur hat den Kreis seiner Vollkommenheit in sich und ich darf nur Augen haben
um zu sehen, so kann ich die Verhältniße entdecken, ich bin sicher daß
innerhalb eines kleinen Cirkels eine ganze wahre Existenz beschloßen ist. Ein
Kunstwerck hingegen hat seine Vollkommenheit ausser sich, das »Beste« in der
Idee des Künstlers, die er selten oder nie erreicht, die folgenden in gewissen
angenommen Gesetzen, welche zwar aus der Natur der Kunst und des Handwercks hergeleitet,
aber doch nicht so leicht zu verstehen und zu entziffern sind als die Gesetze
der lebendigen Natur. Es ist viel Tradition bey den Kunstwercken, die
Naturwercke sind immer wie ein erstausgesprochnes Wort Gottes. Kommen denn nun
gar noch handwercksmäsige Copisten hinzu; so entsteht eine neue Verwirrung und
wer nicht sehr geübt ist, weiß sich nicht zu finden.
Freitag, 23. Mai 2014
Während
Goethe so mit einer Kraft und einem Reichtum des Ausdruckes sprach, wie ich in
ganzer Wahrheit wiederzugeben nicht imstande bin, glänzten seine Augen von
einem außerordentlichen Feuer. Man sah darin den Ausdruck des Triumphes,
während ein ironisches Lächeln um seine Lippen spielte. Die Züge seines schönen
Gesichtes waren imposanter als je.
Mittwoch, 14. Mai 2014
»Pah!«
sagte Goethe lachend, »als ob die Liebe etwas mit dem Verstande zu tun hätte!
Wir lieben an einem jungen Frauenzimmer ganz andere Dinge als den Verstand. Wir
lieben an ihr das Schöne, das Jugendliche, das Neckische, das Zutrauliche, den
Charakter, ihre Fehler, ihre Kapricen, und Gott weiß was alles Unaussprechliche
sonst; aber wir lieben nicht ihren Verstand. Ihren Verstand achten wir, wenn er
glänzend ist, und ein Mädchen kann dadurch in unsern Augen unendlich an Wert
gewinnen. Auch mag der Verstand gut sein, uns zu fesseln, wenn wir bereits
lieben. Allein der Verstand ist nicht dasjenige, was fähig wäre, uns zu entzünden
und eine Leidenschaft zu erwecken.«
Samstag, 3. Mai 2014
Jenes
ungestörte, unschuldige, nachtwandlerische Schaffen, wodurch allein etwas
Großes gedeihen kann, ist gar nicht mehr möglich. Unsere jetzigen Talente
liegen alle auf dem Präsentierteller der Öffentlichkeit. Die täglich an funfzig
verschiedenen Orten erscheinenden kritischen Blätter und der dadurch im
Publikum bewirkte Klatsch lassen nichts Gesundes aufkommen. Wer sich heutzutage
nicht ganz davon zurückhält und sich nicht mit Gewalt isoliert, ist verloren.
Es kommt zwar durch das schlechte, größtenteils negative ästhetisierende und
kritisierende Zeitungswesen eine Art Halbkultur in die Massen, allein dem
hervorbringenden Talent ist es ein böser Nebel, ein fallendes Gift, das den
Baum seiner Schöpfungskraft zerstört, vom grünen Schmuck der Blätter bis in das
tiefste Mark und die verborgenste Faser.
Und dann,
wie zahm und schwach ist seit den lumpigen paar hundert Jahren nicht das Leben
selber geworden! Wo kommt uns noch eine originelle Natur unverhüllt entgegen!
Und wo hat einer die Kraft, wahr zu sein und sich zu zeigen, wie er ist! Das
wirkt aber zurück auf den Poeten, der alles in sich selber finden soll, während
von außen ihn alles in Stich läßt.
Das
Gespräch wendete sich auf den ›Werther‹. »Das ist auch so ein Geschöpf,« sagte
Goethe, »das ich gleich dem Pelikan mit dem Blut meines eigenen Herzens
gefüttert habe. Es ist darin so viel Innerliches aus meiner eigenen Brust, so
viel von Empfindungen und Gedanken, um damit wohl einen Roman von zehn solcher
Bändchen auszustatten. Übrigens habe ich das Buch, wie ich schon öfter gesagt,
seit seinem Erscheinen nur ein einziges Mal wieder gelesen und mich gehütet, es
abermals zu tun. Es sind lauter Brandraketen! Es wird mir unheimlich dabei, und
ich fürchte, den pathologischen Zustand wieder durchzuempfinden, aus dem es
hervorging.«
Mittwoch, 30. April 2014
Dieser Goethe, von dem und von dem allein ich
vom Aufgang bis zum Niedergang der Sonne, und von ihrem Niedergang bis wieder
zu ihrem Aufgang mit Ihnen sprechen und stammeln und singen und dithyrambisieren
möchte, dessen Genius zwischen Klopstocken und mir stand, und über die Alpen
und Schneegebirge gleichsam einen Sonnenschleyer herwarf, er selbst immer mir
gegenüber, und neben und über mir, dieser Goethe hat sich gleichsam über alle
meine Ideale emporgeschwungen, die ich jemals von unmittelbarem Gefühl und
Anschaun eines grossen Genius gefasst hatte. Noch nie hätt' ich das Gefühl der
Jünger von Emmaus im Evangelio so gut exegesieren und mitempfinden können, von
dem sie sagten: »Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete?«
Machen wir ihn immer zu unserm Herrn Christus, und lassen Sie mich den letzten
seiner Jünger seyn! Er hat so viel und so vortrefflich mit mir gesprochen;
Worte des ewigen Lebens, die, so lang ich atme, meine Glaubensartikel seyn
sollen.
Er urtheilt schief, und es scheint fast, dass er es weiss, dass sein Verstand ohne langes Nachdenken nicht zuverlässig ist, denn er gibt Leuten, von denen er mutmasst, dass sich ihre Einsichten über die gemeinen erheben, lieber recht, als dass er sich die Verlegenheit über den Hals zöge, eine Materie mit ihnen durchsprechen, wobei er seine Schwäche sehen liesse.
Sonntag, 20. April 2014
Sonntag, 13. April 2014
Mittwoch, 9. April 2014
Ich lebe nun neun Wochen mit
Goethen und lebe, seit unserer Seelenvereinigung so unvermerkt und ohne allen
effort nach und nach zustande gekommen, ganz in ihm. Es ist in allen
Betrachtungen und von allen Seiten das größte, beste, herrlichste menschliche
Wesen, das Gott geschaffen hat. Heute war eine Stunde, wo ich in erst in seiner
ganzen Herrlichkeit — der ganzen schönen gefühlvollen reinen Menschheit sah.
Außer mir kniet' ich neben ihn, drückte meine Seele an seine Brust und betete
Gott an.
Schön wie ein Engel warst Du, bist Du und bleibst Du, so waren auch in
Deiner frühesten Jugend aller Augen auf Dich gerichtet. Einmal stand jemand am
Fenster bei Deiner Mutter, da Du eben über die Straße herkamst mit mehreren
andern Knaben; sie bemerkten, daß Du sehr gravitätisch einherschrittest und
hielten Dir vor, daß Du Dich mit Deinem Gradehalten sehr sonderbar von den
andern Knaben auszeichnetest. – Mit diesem mache ich den Anfang, sagtest Du, und
später werd' ich mich mit noch allerlei auszeichnen; und das ist auch wahr
geworden, sagte die Mutter.
Über Goethen habe ich wohl zehn mal mich halb
zu schanden geärgert, der ordentl. Kindisch über das alberne critische wesen
ist, u. einen solchen geschmack daran findet dass er den seinigen darüber sehr
verdorben hat: er besieht dabey das Ding, u. das ganze academische Wesen mit
einem solchen leichtsinn dass er alles das gute was er bey seinen häufigen
anwesenheiten zu Jena stiften könnte, unterläßet, er könnte leichter wie jemand
wißen was jene schäckers lehren, uns davon avertiren, u. ihnen selbst zuweilen
einreden u. sie durch vermahnungen in der ordnung halten. […] So aber findet er
die sudeligen charmant […]. Mit Göthen kann ich gar nicht mehr über diese Sache
reden, denn er verliert sich gleich dabey in eine so wort- u. Sophismen reiche
discussion dass mir alle Gedult ausgeht,
Montag, 7. April 2014
Freitag, 28. März 2014
Ganz stille habe ich mich nach Hause begeben,
um zu lesen, zu kramen und an dich zu dencken. Ich binn recht zu einem
Privatmenschen erschaffen und begreiffe nicht wie mich das Schicksal in eine
Staatsverwaltung und eine fürstliche Familie hat einflicken mögen. Dir lebe ich
meine Lotte, dir sind alle meine Stunden zugezählt, und du bleibst mir das
fühle ich.
Samstag, 22. März 2014
In Wahrheit hätten Carl August, Goethe und die anderen Mitglieder der
politischen Führungsriege Weimars keineswegs nach exemplarischer Verwirklichung
politischer Liberalität und aufgeklärter Humanitätsgedanken in ihrem kleinen
Land gestrebt, sondern autoritäre Polizeistaatspraktiken verfolgt, die sich von
denen anderer absolutistischer Potentaten nur dadurch unterschieden hätten, daß
sie von einer geschickten Öffentlichkeitsarbeit verhüllt worden seien.
Donnerstag, 20. März 2014
Das, was er soeben über Napoleon gesagt, lag mir im Sinn,
und ich suchte das Gespräch auf jenen Gegenstand zurückzuführen.
„Doch scheint es mir“, begann ich, „daß Napoleon sich
besonders in dem Zustand jener fortwährenden Erleuchtung befunden, als er noch
jung und in aufsteigender Kraft war, wo wir denn auch einen göttlichen Schutz
und ein beständiges Glück ihm zur Seite sehen. – In späteren Jahren dagegen
scheint ihn jene Erleuchtung verlassen zu haben, so wie sein Glück und sein
guter Stern.
„Was wollt Ihr!“ erwiderte Goethe. „Ich habe auch meine
Liebeslieder und meinen Werther nicht zum zweitenmal gemacht. Jene göttliche
Erleuchtung, wodurch das Außerordentliche entsteht, werden wir immer mit der
Jugend und der Produktivität im Bunde finden, wie denn Napoleon einer der
produktivsten Menschen war, die je gelebt haben.“
„Ja, ja, mein Guter, man braucht nicht bloß Gedichte und
Schauspiele zu machen, um produktiv zu sein, es gibt auch eine Produktivität
der Taten, und die in manchen Fällen noch um ein Bedeutendes höher steht. –
Selbst der Arzt muß produktiv sein, wenn er wahrhaft heilen will; ist er es
nicht, so wird ihm nur hin und wieder wie durch Zufall etwas gelingen, im
ganzen aber wird er nur Pfuscherei machen.“
„Sie scheinen“, versetzte ich, „in diesem Fall Produktivität
zu nennen, was man sonst Genie nannte.“
Mittwoch, 26. Februar 2014
„Beides sind auch sehr naheliegende Dinge,“
erwiderte Goethe. „Denn was ist Genie anders als jene produktive Kraft, wodurch
Taten entstehen, die vor Gott und der Natur sich zeigen können und die eben
deswegen Folge haben und von Dauer sind. Alle Werke Mozarts sind dieser Art; es
liegt in ihnen eine zeugende Kraft, die von Geschlecht zu Geschlecht fortwirkt
und sobald nicht erschöpft und verzehrt sein dürfte. Von anderen großen
Komponisten und Künstlern gilt dasselbe. Wie haben nicht Phidias und Raphael
auf nachfolgende Jahrhunderte gewirkt, und wie nicht Dürer und Holbein! –
Derjenige, der zuerst die Formen und Verhältnisse der altdeutschen Baukunst
erfand, so daß im Laufe der Zeit ein Straßburger Münster und ein Kölner Dom
möglich wurde, war auch ein Genie, denn seine Gedanken haben fortwährend
produktive Kraft behalten und wirken bis auf die heutige Stunde, –
Luther war ein Genie sehr bedeutender Art; er wirkt nun schon manchen guten Tag, und die Zahl der Tage, wo er in fernen Jahrhunderten aufhören wird, produktiv zu sein, ist nicht abzusehen. – Lessing wollte den hohen Titel eines Genies ablehnen; allein seine dauernden Wirkungen zeugen wider ihn selber. Dagegen haben wir in der Literatur andere, und zwar bedeutende Namen, die, als sie lebten, für große Genies gehalten wurden, deren Wirken aber mit ihrem Leben endete, und die also weniger waren als sie und andere dachten. Denn, wie gesagt, es gibt kein Genie, ohne produktiv fortwirkende Kraft; und ferner, es kommt dabei gar nicht auf das Geschäft, die Kunst und das Métier an, das einer treibt: es ist alles dasselbige. Ob einer sich in der Wissenschaft genial erweist, wie Oken und Humboldt, oder im Krieg und der Staatsverwaltung, wie Friedrich, Peter der Große und Napoleon, oder ob einer ein Lied macht wie Béranger, es ist alles gleich und kommt bloß darauf an, ob der Gedanke, das Aperçu, die Tat lebendig sei und fortzuleben vermöge."
„Und dann muß ich noch sagen: nicht die Masse der
Erzeugnisse und Taten, die von jemanden ausgehen, deuten auf einen produktiven
Menschen. Wir haben in der Literatur Poeten, die für sehr produktiv gehalten
werden, weil von ihnen ein Band Gedichte nach dem andern erschienen ist. Nach
meinem Begriff aber sind diese Leute durchaus unproduktiv zu nennen, denn was
sie machten, ist ohne Leben und Dauer. Goldsmith dagegen hat so wenige Gedichte
gemacht, daß ihre Zahl nicht der Rede wert; allein dennoch muß ich ihn als
Poeten für durchaus produktiv erklären, und zwar eben deswegen, weil das
wenige, was er machte, ein inwohnendes Leben hat, das sich zu erhalten weiß.“
Montag, 24. Februar 2014
Ich bin über des Soulavie mémoires historiques et politiques du règne de
Louis XVI gerathen, ein Werk das einen nicht los läßt und das durch seine
Vielseitigkeit einnimmt, wenn gleich der Verfasser mitunter verdächtig
erscheint. Im Ganzen ist es der ungeheure Anblick von Bächen und Strömen, die
sich, nach Naturnothwendigkeit, von vielen Höhen und aus vielen Thälern, gegen
einander stürzen und endlich das Übersteigen eines großen Flusses und eine
Überschwemmung veranlassen, in der zu Grunde geht wer sie vorgesehen hat, so
gut als der sie nicht ahnete. Man sieht in dieser ungeheuern Empirie nichts als
Natur und nichts von dem was wir Philosophen so gern Freiheit nennen möchten.
Wir wollen erwarten ob uns Bonapartes Persönlichkeit noch ferner mit dieser
herrlichen und herrschenden Erscheinung erfreuen wird.
Heute früh habe ich das Capitel im Wilhelm
geendigt wovon ich dir den Anfang dicktirte. Es machte mir eine gute Stunde.
Eigentlich bin ich zum Schriftsteller gebohren. Es gewährt mir eine reinere
Freude als iemals wenn ich etwas nach meinen Gedancken gut geschrieben habe.
Lebe wohl. Erhalte mir die Seele meines Lebens, Treibens und Schreibens. d. 10. Aug. 82.
Mittwoch, 12. Februar 2014
Unser physisches sowohl als geselliges Leben,
Sitten, Gewohnheiten, Weltklugheit, Philosophie, Religion, ja so manches
zufällige Ereignis, alles ruft uns zu: dass wir entsagen sollen. So manches,
was uns innerlich einst angehört, sollen wir nicht nach aussen hervorbilden;
was wir von aussen zu Ergänzung unseres Wesens bedürfen, wird uns entzogen,
dagegen aber so vieles aufgedrungen, das uns so fremd als lästig ist. Man
beraubt uns des mühsam Erworbenen, des freundlich Gestatteten, und ehe wir
hierüber recht ins klare sind, finden wir uns genötigt, unsere Persönlichkeit
erst stückweis und dann völlig aufzugeben. Dabei ist es aber hergebracht, dass
man denjenigen nicht achtet, der sich deshalb ungebärdig stellt; vielmehr soll
man, je bitterer der Kelch ist, eine desto süssere Miene machen, damit ja der
gelassene Zuschauer nicht durch irgendeine Grimasse beleidigt werden.
Freitag, 24. Januar 2014
Wäre ich ein Edelmann, so wäre unser Streit bald abgetan; da ich aber
nur ein Bürger bin, so muß ich einen eigenen Weg nehmen, und ich wünsche, daß
du mich verstehen mögest. Ich weiß nicht, wie es in fremden Ländern ist, aber
in Deutschland ist nur dem Edelmann eine gewisse allgemeine, wenn ich sagen
darf personelle Ausbildung möglich. Ein Bürger kann sich Verdienst erwerben und
zur höchsten Not seinen Geist ausbilden; seine Persönlichkeit geht aber
verloren, er mag sich stellen, wie er will. Indem es dem Edelmann, der mit den
Vornehmsten umgeht, zur Pflicht wird, sich selbst einen vornehmen Anstand zu
geben, indem dieser Anstand, da ihm weder Tür noch Tor verschlossen ist, zu
einem freien Anstand wird, da er mit seiner Figur, mit seiner Person, es sei
bei Hofe oder bei der Armee, bezahlen muß: so hat er Ursache, etwas auf sie zu
halten und zu zeigen, daß er etwas auf sie hält.
Dienstag, 21. Januar 2014
Samstag, 11. Januar 2014
Eine gewisse feierliche Grazie bei gewöhnlichen Dingen, eine Art von
leichtsinniger Zierlichkeit bei ernsthaften und wichtigen kleidet ihn wohl,
weil er sehen läßt, daß er überall im Gleichgewicht steht. Er ist eine
öffentliche Person, und je ausgebildeter seine Bewegungen, je sonorer seine
Stimme, je gehaltner und gemessener sein ganzes Wesen ist, desto vollkommner
ist er. Wenn er gegen Hohe und Niedre, gegen Freunde und Verwandte immer
ebenderselbe bleibt, so ist nichts an ihm auszusetzen, man darf ihn nicht
anders wünschen. Er sei kalt, aber verständig; verstellt, aber klug. Wenn er
sich äußerlich in jedem Momente seines Lebens zu beherrschen weiß, so hat
niemand eine weitere Forderung an ihn zu machen, und alles übrige, was er an
und um sich hat, Fähigkeit, Talent, Reichtum, alles scheinen nur Zugaben zu
sein.
Wenn der Edelmann im gemeinen Leben gar keine Grenzen kennt, wenn man
aus ihm Könige oder königähnliche Figuren erschaffen kann, so darf er überall
mit einem stillen Bewußtsein vor seinesgleichen treten; er darf überall
vorwärtsdringen, anstatt daß dem Bürger nichts besser ansteht als das reine,
stille Gefühl der Grenzlinie, die ihm gezogen ist. Er darf nicht fragen: ›Was
bist du?‹ sondern nur: ›Was hast du? welche Einsicht, welche Kenntnis, welche
Fähigkeit, wieviel Vermögen?‹ Wenn der Edelmann durch die Darstellung seiner
Person alles gibt, so gibt der Bürger durch seine Persönlichkeit nichts und
soll nichts geben. Jener darf und soll scheinen; dieser soll nur sein, und was
er scheinen will, ist lächerlich oder abgeschmackt. Jener soll tun und wirken,
dieser soll leisten und schaffen; er soll einzelne Fähigkeiten ausbilden, um
brauchbar zu werden, und es wird schon vorausgesetzt, daß in seinem Wesen keine
Harmonie sei noch sein dürfe, weil er, um sich auf eine Weise brauchbar zu
machen, alles übrige vernachlässigen muß.
An diesem Unterschiede ist nicht etwa die
Anmaßung der Edelleute und die Nachgiebigkeit der Bürger, sondern die
Verfassung der Gesellschaft selbst schuld; ob sich daran einmal etwas ändern
wird und was sich ändern wird, bekümmert mich wenig; genug, ich habe, wie die
Sachen jetzt stehen, an mich selbst zu denken und wie ich mich selbst und das,
was mir ein unerläßliches Bedürfnis ist, rette und erreiche.
Dienstag, 7. Januar 2014
Ich habe nun einmal gerade zu jener harmonischen Ausbildung meiner
Natur, die mir meine Geburt versagt, eine unwiderstehliche Neigung. Ich habe,
seit ich dich verlassen, durch Leibesübung viel gewonnen; ich habe viel von
meiner gewöhnlichen Verlegenheit abgelegt und stelle mich so ziemlich dar.
Ebenso habe ich meine Sprache und Stimme ausgebildet, und ich darf ohne
Eitelkeit sagen, daß ich in Gesellschaften nicht mißfalle. Nun leugne ich dir
nicht, daß mein Trieb täglich unüberwindlicher wird, eine öffentliche Person zu
sein und in einem weitern Kreise zu gefallen und zu wirken. Dazu kömmt meine
Neigung zur Dichtkunst und zu allem, was mit ihr in Verbindung steht, und das
Bedürfnis, meinen Geist und Geschmack auszubilden, damit ich nach und nach auch
bei dem Genuß, den ich nicht entbehren kann, nur das Gute wirklich für gut, und
das Schöne für schön halte.
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