Montag, 22. Dezember 2014

Ich sage Ihnen dieses voraus, und Sie werden es kommen sehen; es liegt in der Natur der Dinge und ist nicht anders möglich. 

Samstag, 20. Dezember 2014

»Mir ist ein neuer Ausdruck eingefallen,« sagte Goethe, »der das Verhältnis nicht übel bezeichnet. Das Klassische nenne ich das Gesunde, und das Romantische das Kranke. Und da sind die Nibelungen klassisch wie der Homer, denn beide sind gesund und tüchtig. Das meiste Neuere ist nicht romantisch, weil es neu, sondern weil es schwach, kränklich und krank ist, und das Alte ist nicht klassisch, weil es alt, sondern weil es stark, frisch, froh und gesund ist. Wenn wir nach solchen Qualitäten Klassisches und Romantisches unterscheiden, so werden wir bald im reinen sein.« 
Kennst du das herrliche Gift der unbefriedigten Liebe?
Es versengt und erquickt, zehret am Mark und erneuts.

Das Gespräch lenkte sich auf Bérangers Gefangenschaft. »Es geschieht ihm ganz recht«, sagte Goethe. »Seine letzten Gedichte sind wirklich ohne Zucht und Ordnung, und er hat gegen König, Staat und friedlichen Bürgersinn seine Strafe vollkommen verwirkt. Seine früheren Gedichte dagegen sind heiter und harmlos und ganz geeignet, einen Zirkel froher glücklicher Menschen zu machen, welches denn wohl das Beste ist, was man von Liedern sagen kann.«
»Ich bin gewiß,« versetzte ich, »daß seine Umgebung nachteilig auf ihn gewirkt hat und daß er, um seinen revolutionären Freunden zu gefallen, manches gesagt hat, was er sonst nicht gesagt haben würde. Euer Exzellenz sollten Ihr Schema ausführen und das Kapitel von den Influenzen schreiben; der Gegenstand ist wichtiger und reicher, je mehr man darüber nachdenkt.«

»Er ist nur zu reich,« sagte Goethe, »denn am Ende ist alles Influenz, insofern wir es nicht selber sind.«

»Man hat nur darauf zu sehen,« sagte ich, »ob eine Influenz hinderlich oder förderlich, ob sie unserer Natur angemessen und begünstigend oder ob sie ihr zuwider ist.«
»Das ist es freilich,« sagte Goethe, »worauf es ankommt; aber das ist auch eben das Schwere, daß unsere bessere Natur sich kräftig durchhalte und den Dämonen nicht mehr Gewalt einräume als billig.« 
Sie entzückt mich, und täuschet vielleicht. O Dichter und Sänger,
Mimen! lerntet ihr doch meiner Geliebten was ab!

Montag, 8. Dezember 2014

Im Jahre 1831 machte er sich den Spaß, eine Zeitung von 1826 gebunden zu lesen. Bei solcher Wiederholung wird "für den Menschen, der sich in den Kreis seiner Tätikgkeit zurückzieht," erst recht klar, "daß man durch diese Tagesblätter zum Narren gehalten wurde, und daß weder für uns, noch für die Unsrigen, besonders im Sinn einer höheren Bildung, daher auch nicht das Mindeste abzuleiten war."   
Die französischen Memoiren so wie Le Globe und Le Temps habe ich auf einige Zeit beseitigt. Es fällt einem doch einmal auf daß alles einen gar nichts angeht, daß man von dem Vergangenen ohngefähr soviel weiß als ein anderer auch, und daß man durch die Kenntniß dessen, was der Tag bringt, nicht klüger und nicht besser wird.
"Es ist ganz eins, in welchem Kreise ein edler Mensch wirke, wenn er nur diesen Kreis genau kennen zu lernen und völlig auszufüllen weiß. Wofür aber der Mensch nicht wirken kann, dafür sollte er auch nicht ängstlich sorgen, nicht über Bedürfnis und Empfänglichkeit des Kreises hinaus, in den ihn Gott und die Natur gestellt, anmaßlich wirken wollen. Alles Voreilige schadet, die Mittelstufen zu überspringen, ist nicht heilsam, und doch ist jetzo alles voreilig, und fast jedermann sprungweise zu verfahren geneigt. Tue nur jeder an seiner Stelle das Rechte, ohne sich um den Wirrwarr zu bekümmern, der fern oder nah die Stunden auf die unseligste Weise verdirbt, so werden Gleichgesinnte sich bald ihm anschließen, und Vertrauen und wachsende Einsicht von selbst immer größere Kreise bilden."

Dienstag, 25. November 2014

Es fällt einem doch mitunter auf, daß man durch die Kenntnis Dessen, was der Tag bringt, nicht klüger und nicht besser wird. Dieses ist von größter Wichtigkeit. Denn genau besehen ist es von Privatleuten doch nur eine Philisterei, wenn wir Demjenigen zuviel Anteil schenken, worin wir nichts wirken können …  Also wollen wir uns, solange es Tag ist, nicht mit Allotrien beschäftigen.  

Mittwoch, 12. November 2014

So steige ich durch alle Stände aufwärts, sehe den Bauersmann der Erde das Notdürftige abfordern, das doch auch ein behaglich Auskommen wäre, wenn er nur für sich schwitzte. Du weißt aber, wenn die Blattläuse auf den Rosenzweigen sitzen und sich hübsch dick und grün gesogen haben, dann kommen die Ameisen und saugen ihnen den filtrierten Saft aus den Leibern. Und so geht's weiter, und wir haben es so weit gebracht, daß oben immer in einem Tage mehr verzehrt wird, als unten in einem beigebracht werden kann. 
Immer strebe zum Ganzen, und kannst du selber kein Ganzes
Werden, als dienendes Glied schliess an ein Ganzes dich an.
 

»Sehen Sie sich einmal um,« fuhr Goethe fort, »hinter Ihnen auf dem Pult liegt ein Blatt, welches ich zu betrachten bitte.«
»Dieses blaue Briefkuvert?« sagte ich.

»Ja«, sagte Goethe. »Nun, was sagen Sie zu der Handschrift? Ist das nicht ein Mensch, dem es groß und frei zu Sinne war, als er die Adresse schrieb? Wem möchten Sie die Hand zutrauen?«

Ich betrachtete das Blatt mit Neigung. Die Züge der Handschrift waren sehr frei und grandios. »Merck könnte so geschrieben haben«, sagte ich.
»Nein,« sagte Goethe, »der war nicht edel und positiv genug. Es ist von Zelter. Papier und Feder hat ihn bei diesem Kuvert begünstigt, so daß die Schrift ganz seinen großen Charakter ausdrückt. Ich will das Blatt in meine Sammlung von Handschriften legen.« 

Wir sprachen darauf über Gegenstände der Weltgeschichte, und Goethe äußerte folgendes über Regenten.
»Um popular zu sein,« sagte er, »braucht ein großer Regent weiter keine Mittel als seine Größe. Hat er so gestrebt und gewirkt, daß sein Staat im Innern glücklich und nach außen geachtet ist, so mag er mit allen seinen Orden im Staatswagen, oder er mag im Bärenfelle und die Zigarre im Munde auf einer schlechten Troschke fahren, es ist alles gleich, er hat einmal die Liebe seines Volkes und genießt immer dieselbige Achtung. Fehlt aber einem Fürsten die persönliche Größe und weiß er nicht durch gute Taten bei den Seinen sich in Liebe zu setzen, so muß er auf andere Vereinigungsmittel denken, und da gibt es kein besseres und wirksameres als die Religion und den Mitgenuß und die Mitübung derselbigen Gebräuche. Sonntäglich in der Kirche erscheinen, auf die Gemeinde herabsehen und von ihr ein Stündchen sich anblicken lassen, ist das trefflichste Mittel zur Popularität, das man jedem jungen Regenten anraten möchte, und das, bei aller Größe, selbst Napoleon nicht verschmähet hat.« 

Auch sagte er mir, daß ein großer versteinerter Klotz angekommen, den er mir zeigen wolle.
»Solche versteinerte Stämme«, sagte er, »finden sich unter dem einundfunfzigsten Grade ganz herum bis nach Amerika, wie ein Erdgürtel. Man muß immer mehr erstaunen. Von der früheren Organisation der Erde hat man gar keinen Begriff, und ich kann es Herrn von Buch nicht verdenken, wenn er die Menschen endoktriniert, um seine Hypothesen zu verbreiten. Er weiß nichts, aber niemand weiß mehr, und da ist es denn am Ende einerlei, was gelehrt wird, wenn es nur einigermaßen einen Anschein von Vernunft hat.«   

Samstag, 1. November 2014

»Ihr Jüngern« – pflegte er zu sagen – »stellt Euch wohl leicht wieder her, wenn irgend eine tragische Explosion Euch momentan verwundet, wir alten Herren aber haben alle Ursache uns vor Eindrücken zu hüten, die übermächtig auf uns einwirken und eine folgerechte Thätigkeit nur nutzlos unterbrechen.« 

Daß das Leben des Menschen nur ein Traum sey, ist manchem schon so vorgekommen, und auch mit mir zieht dieses Gefühl immer herum. Wenn ich die Einschränkung so ansehe, in welche die thätigen und forschenden Kräfte des Menschen eingesperrt sind, wenn ich sehe, wie alle Würksamkeit dahinaus läuft, sich die Befriedigung von Bedürfnissen zu verschaffen, die wieder keinen Zwek haben, als unsere arme Existenz zu verlängern, und dann, daß alle Beruhigung über gewisse Punkte des Nachforschens nur eine träumende Resignation ist, da man sich die Wände, zwischen denen man gefangen sizt, mit bunten Gestalten und lichten Aussichten bemahlt. Das alles, Wilhelm, macht mich stumm. Ich kehre in mich selbst zurük, und finde eine Welt! Wieder mehr in Ahndung und dunkler Begier, als in Darstellung und lebendiger Kraft. Und da schwimmt alles vor meinen Sinnen, und ich lächle dann so träumend weiter in die Welt.

Daß die Kinder nicht wissen, warum sie wollen, darinn sind alle hochgelahrte Schul- und Hofmeister einig. Daß aber auch Erwachsene, gleich Kindern, auf diesem Erdboden herumtaumeln, gleichwie jene nicht wissen, woher sie kommen und wohin sie gehen, eben so wenig nach wahren Zwekken handeln, eben so durch Biskuit und Kuchen und Birkenreiser regiert werden, das will niemand gern glauben, und mich dünkt, man kann's mit Händen greifen.

Samstag, 25. Oktober 2014

Was meynst du Behrisch sollte es nicht bloser Stolz seyn, daß sie mich liebt. Es vergnügt sie einen stolzen Menschen wie ich bin an ihrem Fusschemel angekettet zu sehen. Sie hat weiter nicht auf ihn acht so lang er ruhig liegt, will er sich aber loßreisen, dann fällt er ihr erst wieder ein, ihre Liebe erwacht wieder mit der Aufmercksamkeit. 
Ich habe eine Viertelstunde auf meinem Stuhle geschlafen. Ich binn würcklich sehr matt. Aber das Blatt muß diesen Abend noch voll werden. Ich habe noch viel zu sagen.

Sonntag, 19. Oktober 2014

Auf alle Fälle sind wir genötigt unser Jahrhundert zu vergessen, wenn wir nach unserer Überzeugung arbeiten wollten.
Ich habe mir daher Akten gemacht, worin ich alle Arten von öffentlichen Papieren die mir jetzt begegnen: Zeitungen, Wochenblätter, Predigtauszüge, Verordnungen, Komödienzettel, Preiskurrente einheften lasse und sodann auch sowohl das was ich sehe und bemerke als auch mein augenblickliches Urteil einschalte. Ich spreche nachher von diesen Dingen in Gesellschaft und bringe meine Meinung vor, da ich denn bald sehe, in wiefern ich gut unterrichtet bin, und in wiefern mein Urteil mit dem Urteil wohlunterrichteter Menschen übereintrifft. Sodann nehme ich die neue Erfahrung und Belehrung auch wieder zu den Akten, und so gibt es Materialien, die mir künftig als Geschichte des Äußern und Innern interessant genug bleiben müssen. Wenn ich bei meinen Vorkenntnissen und meiner Geistesgeübtheit Lust behalte dieses Handwerk eine Weile fortzusetzen, so kann ich eine große Masse zusammenbringen.

Und dann, am vorletzten Tag des Aufenthaltes, geschah dies:
Er küßte ihre Hand und wollte aufstehn; aber wie im Traum das Seltsame aus dem Seltsamsten sich entwickelnd uns überrascht, so hielt er, ohne zu wissen, wie es geschah, die Gräfin in seinen Armen, ihre Lippen ruhten auf den seinigen, und ihre wechselseitigen lebhaften Küsse gewährten ihnen eine Seligkeit, die wir nur aus dem ersten aufbrausenden Schaum des frisch eingeschenkten Bechers der Liebe schlürfen. 
Ihr Haupt ruhte auf seiner Schulter, und der zerdrückten Locken und Bänder ward nicht gedacht. Sie hatte ihren Arm um ihn geschlungen; er umfaßte sie mit Lebhaftigkeit und drückte sie wiederholend an seine Brust. O daß ein solcher Augenblick nicht Ewigkeiten währen kann ...

Mittwoch, 8. Oktober 2014


Je vollkommener das Empfindungsvermögen für eine gewisse Gattung des Schönen ist, um desto mehr ist es in Gefahr, sich zu täuschen, sich selbst für Bildungskraft zu nehmen und auf diese Weise durch tausend mißlingende Versuche den Frieden mit sich selbst zu stören.

Das Schöne kann nicht erkannt, es muß empfunden oder hervorgebracht werden.
Die Geheimnisse der Lebenspfade darf und kann man nicht offenbaren; es gibt Steine des Anstosses, über die ein jeder Wanderer stolpern muss. Der Poet aber deutet auf die Stelle hin. 
Ich schweige zu vielem still; denn ich mag die Menschen nicht irre machen und bin wohl zufrieden, wenn sie sich freuen da, wo ich mich ärgere.

Samstag, 27. September 2014

Man ist nur eigentlich lebendig, wenn man sich des Wohlwollens anderer er­freut.
Nichts ist widerwärtiger als die Majorität; denn sie besteht aus wenigen kräftigen Vorgängern, aus Schelmen, die sich akkomodieren, aus Schwa­chen, die sich assimilieren, und der Masse, die nachrollt, ohne nur im min­desten zu wissen, was sie will.

Samstag, 20. September 2014


Gerade die tiefe Bedeutung, die er in jeder politischen Erscheinung wahrnahm, der hohe Ernst, mit welchem er von Regierenden und Regierten ein verständiges, wohlwollendes Auffassen und Üben ihrer Rechte und Pflichten forderte, von jedem frechen, verwirrten, haltungslosen Treiben sich abwandte, gerade diese edelste politische Sinnesweise war es, die ihm ein nichtiges Radotiren oder leidenschaftliches Partheistreben so widerwärtig, so verhaßt machte. Davon Notiz nehmen zu müssen, konnte ihn zuweilen wahrhaft unglücklich machen, und das Wichtige, Große, Folgenreiche frivol und leichtsinnig behandelt zu sehen, fast zur Verzweiflung bringen .
In diesem Sinne hielt er fest an Ordnung und Gesetzmässigkeit, als an den Grundsäulen bürgerlicher Wohlfahrt, und nur alles dasjenige, was den stetigen Fortschritt sittlicher und intellektueller Ausbildung, geregelter Benutzung der Naturkräfte aufzuhalten und zu verkümmern, die edelsten Güter des Daseins dem wilden Spiele ungezügelter Leidenschaften, der Herrschaft roher Massen preiszugeben drohte, war ihm das wahrhaft Tyrannische, Freiheitsvernichtende, durchaus Unerträgliche. 

Dienstag, 16. September 2014

Dann sprach er von Fräulein Caspers in Wien, die ihn durch Struve habe grüßen lassen, und daß sie eines jener lieblichen, aber neutralen adiaphoren weiblichen Wesen sei, die, mit geringer Sinnlichkeit ausgestattet, um so sicherer durch die Welt gehen, weil sie eben nicht mehr anreizen, als daß man gerne bei ihnen verweilt.
Über die Ursachen seiner Spannung mit Herdern, den er drei Jahre lang in der letzten Zeit nicht sah, theilte er Vertraulichstes mit, unter feierlichstem Handschlag.

Donnerstag, 11. September 2014


Da faßte mich bei einen Gedanken, aus dem der seinige zurückstrahlte, plötzlich sein Flammenauge, und ich sahe Fausts Schöpfer. Ich sehe ihn seitdem täglich und versäume keine Gelegenheit, ihn zu sehen. Anfangs quälten mich seine Blicke, die ich immer auf mir und an mir empfand, wenn ich ihn nicht ansah, und die dann die des forschenden Beobachters waren; und des Beobachters ohne Hoffnung und Glauben an reinen Menschenwert, der nur neue Gestalten zu seinen lebensvollen Gemälden sucht und in die Welt sieht wie in einen Guckkasten.
Gestern und heute ist er sehr liebenswürdig und traulich gewesen, und ich habe zuweilen den Werther und Egmont hervorleuchten sehen; ob ich den Tasso und die Iphigenia erblicken werde?

Mein Sohn hat gesagt: was einen drückt, das muß man verarbeiten, und wenn er ein Leid gehabt hat, da hat er ein Gedicht daraus gemacht.

Mittwoch, 10. September 2014

Ich fühls, Goethe und ich werden niemals Freunde; auch seine Art, mit unsern Geschlecht umzugehen, gefaellt mir nicht; er ist eigentlich, was man coquet nennt: es ist nicht Achtung genug in seinem Umgang, zerreissen Sie meinen Brief.   
Mir gehts mit Goethen wunderbar; nach acht Tagen, wie er mich so heftig verlassen hat, kommt er mit einem Übermaß voll Liebe wieder. Ich hab zu mancherlei Betrachtungen durch Goethen Anlass bekommen; je mehr ein Mensch fassen kann, deucht mir, je dunkler, anstössiger wird ihm das Ganze, je eher fehlt man den ruhigen Weg; gewiss hatten die gefallenen Engel mehr Verstand, wie die übrigen.
„Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie sehr mich die Wahrheit, das schöne Leben, die einfache Fülle dieses Werkes bewegte. Ruhig und tief, klar und doch unbegreiflich wie die Natur, so wirkt es und steht es da, und alles, auch das kleinste Nebenwerk, zeigt die schöne Gleichheit des Gemütes, aus welchem alles geflossen ist.“

Dienstag, 2. September 2014


Bei Klopstocken bin ich von nachmittags fünf bis nachts zehn Uhr gewesen.

Freitag, 29. August 2014


Gleichzeitig wurde der Weimarer Herzog Karl August auf Luise aufmerksam und machte ihr, obwohl beide verheiratet waren, unverhohlen den Hof. Er besuchte zusammen mit Goethe mehrfach Schloss Neunheilingen. Obwohl Luise ihm, wie vermutet wird, auch gewogen war, hielt sie dennoch zu ihrer nicht sehr glücklichen Ehe. Auch Goethe bewunderte die Frau sehr, wie u.a. in einem Brief an Frau von Stein zum Ausdruck kommt. Die Verhältnisse und Erlebnisse auf Neunheilingen hat Goethe auch in seinen Wilhelm-Meister-Romanen einfließen lassen.

Und Drittens lernte sie, zeitgleich mit Karl August, den Freund und Minister Goethe kennen, zu dessen persönlicher „Selbstfindung“ sie nicht wenig beigetragen haben soll. Beide verehrten einander sehr.
Dieses kleine Wesen hat mich erleuchtet. Diese hat Welt oder vielmehr sie hat die Welt, sie weis die Welt zu  behandlen: sie ist wie Quecksilber das sich in einem Augenblicke tausendfach theilt und wieder in eine Kugel zusammenläuft. Sicher ihres Werths, ihres Rangs handelt sie zugleich mit einer Delikatesse und Aisance die man sehn muß um sie zu dencken. Sie scheint iedem das seinige zu geben wenn sie auch nichts giebt, sie spendet nicht, wie ich andre gesehn habe, nach Standsgebühr und Würden iedem das eingesiegelte zugedachte Packetgen aus, sie lebt nur unter den Menschen hin, und daraus entsteht eben die schöne Melodie die sie spielt daß sie nicht ieden Ton sondern nur die auserwählten berührt.

Sie tracktirts mit einer Leichtigkeit und einer anscheinenden Sorglosigkeit daß man sie für ein Kind halten sollte das nur auf dem Klaviere, ohne auf die Noten zu sehen, herumruschelt, und doch weis sie immer was und wem sie spielt. Was in ieder Kunst das Genie ist, hat sie in der Kunst des Lebens. Tausend andre kommen mir vor wie Leute die das durch Fleis ersezzen wollen was ihnen die Natur versagt hat, noch andre wie Liebhaber die ihr Conzertgen auswendig gelernt haben und es ängstlich produziren, noch andre – nun es wird uns Stoff zur Unterredung genug geben. Sie kennt den größten Teil vom vornehmen, reichen, schönen, verständigen Europa, theils durch sich theils durch andre, das Leben, Treiben, Verhältniß so vieler Menschen ist ihr gegenwärtig im höchsten Sinne des Worts, es kleidet sie alles was sie sich von iedem zueignet und was sie iedem giebt thut ihm wohl.

Die bildende Kraft, durch ihre Individualität bestimmt, wählt einen Gegenstand, auf den sie den Abglanz des höchsten Schönen, das sich in ihr immer spiegelt, überträgt.

Der lebendige Begriff von der bildenden Nachahmung des Schönen kann nur im Gefühl der tätigen Kraft, die das Werk hervorbringt, im ersten Augenblick der Entstehung stattfinden.

Freitag, 22. August 2014


Selbst die Zeitungen, die er las, wurden aktenmäßig geheftet.
Wichtiger als dieses Sammeln und Einordnen ist die Ordnung und Beherrschung der Arbeitsstoffe durch fleißiges Bedenken. In Goethes Tagebüchern lesen wir neben andern Tätigkeiten oft: "Das Vorliegende durchdacht" oder "das Jüngstvergangene überdacht" oder "Überlegung des Gegenwärtigen" oder nach einem wichtigeren Ereignis: "Betrachtungen darüber." So handelte er nach seiner Lebenregel: "Tun und Denken, Denken und Tun" und ging nicht unter in den Massen, die auf ihn eindrangen.
Ich habe freylich gut meine Zugbrücken aufziehen, auch schiebe ich meine Fortificationen immer weiter hinaus; du hingegen mußt immer im Felde liegen und dich, nach deiner Weise, in der einmal gegebenen Richtung, durchschlagen, das kleidet dich so gut daß man nicht wünschen kann es möge anders seyn.
Dem Gegenstande, der ihn beschäftigte, gehörte er jedesmal ganz an, identificirte sich mit ihm nach allen Seiten und wußte, während er irgend eine wichtige Aufgabe sich gesetzt, alles seinem Ideengang Fremdartige standhaft abzulehnen. »In den hundert Dingen, die mich interessiren,« – äußerte er – »constituirt sich immer eins in der Mitte als Hauptplanet und das übrige Quodlibet meines Lebens treibt sich indessen in vielseitiger Mondgestalt umher, bis es einem und dem andern auch gelingt, gleichfalls in die Mitte zu rücken.

Mittwoch, 20. August 2014


Doch lobt ihr vieles, was zu tadeln wäre.
Ich kenn' ihn lang , er ist so leicht zu kennen,
Und ist zu stolz sich zu verbergen. Bald
Versinkt er in sich selbst, als wäre ganz
Die Welt in seinem Busen, er sich ganz
In seiner Welt genug, und alles rings
Umher verschwindet ihm. Er läßt es gehn,
Läßt's fallen, stößt's hinweg und ruht in sich –

Auf einmal, wie ein unbemerkter Funke
Die Mine zündet, sey es Freude, Leid,
Zorn oder Grille, heftig bricht er aus:
Dann will er Alles fassen, Alles halten,
Dann soll geschehn, was er sich denken mag',
In einem Augenblicke soll entstehn,
Was Jahre lang bereitet werden sollte,
In einem Augenblick gehoben seyn,
Was Mühe kaum in Jahren lösen könnte.
Er fordert das Unmögliche von sich,
Damit er es von andern fordern dürfe.
Die letzten Enden aller Dinge will
Sein Geist zusammen fassen; das gelingt
Kaum Einem unter Millionen Menschen,
Und er ist nicht der Mann: er fällt zuletzt,
Um nichts gebessert, in sich selbst zurück.

Dienstag, 12. August 2014


Der Horizont der tätigen Kraft muß bei dem bildenden Genie so weit wie die Natur selber sein.
Seine Organisation muß der Natur unendlich viele Berührungspunkte darbieten.

Wenn wir das Edle in Handlung und Gesinnung mit dem Unedlen messen, so nennen wir das Edle groß, das Unedle klein. Messen wir wieder das Edle, Große und Schöne nach der Höhe, in der es über uns, unsrer Fassungskraft kaum noch erreichbar, ist, so geht der Begriff des Schönen in den Begriff des Erhabenen über.

Montag, 28. Juli 2014



Gar viele Dinge sind in dieser Welt,

Die man dem andern gönnt und gerne theilt;
Jedoch es ist ein Schatz, den man allein
Dem Hochverdienten gerne gönnen mag,
Ein andrer, den man mit dem Höchstverdienten
Mit gutem Willen niemals theilen wird –
Und fragst du mich nach diesen beyden Schätzen;
Der Lorber ist es und die Gunst der Frauen.
 

Donnerstag, 24. Juli 2014


Wenn wir nun durch alle Stufen hinaufsteigen, so finden wir das Schöne auf dem Gipfel aller Dinge, das wie eine Gottheit beglückt und elend macht, nützt und schadet, ohne daß wir sie deswegen zu Rechenschaft ziehen können noch dürfen.

Wir schließen hier den Auszug aus dieser kleinen interessanten Schrift und überlassen unsern Lesern, sowohl die weitere Ausführung und Verbindung dieser ausgezogenen Sätze als auch besonders den schönen und rührenden Schluß in ihr selbst aufzusuchen.

Man erkennt in diesen wenigen Bogen den Tief- und Scharfsinn des Verfassers, den er schon in so manchen Schriften gezeigt; wir finden ihn jenen Grundsätzen getreu, zu welchen er sich schon ehemals bekannt. Nur schadet die Gedrängtheit der Methode und des Stils dem wohldurchdachten und bei mehrerer Beleuchtung auch wohlgeordneten Inhalt.

Er schrieb diese Blätter in Rom, in der Nähe so manches Schönen, das Natur und Kunst hervorbrachte; er schrieb gleichsam aus der Seele und in die Seele des Künstlers, und er scheint bei seinen Lesern auch diese Nähe, diese Bekanntschaft mit dem Gegenstande seiner Betrachtung vorauszusetzen; notwendig muß daher sein Vortrag dunkel scheinen und manchen unbefriediget lassen.
Diese Betrachtung bewegt uns, den Verfasser hiermit aufzufordern, durch eine weitere Ausführung der hier vorgetragenen Sätze sie mehrern Lesern anschaulich und sowohl auf die Werke der Dichtkunst als der bildenden Künste allgemein anwendbar zu machen. 

Sonntag, 13. Juli 2014

Die Schrift von Moritz entwickelte mit Entschiedenheit und Stringenz das Programm der Autonomie der Kunst. Die Pointe des Gedankens liegt dabei in der Anwendung des Spinozismus auf die Kunst. Das Ganze ist Gott, hatte Spinoza erklärt. ... Nach dem Vorbild des spinozistischen Begriffs vom Weltganzen bildet Moritz nun den Begriff der Kunst als einer in sich geschlossenen Ganzheit im Kleinen ... Dem Künstler kann ein Werk nur gelingen, wenn der Schwerpunkt ganz in dem zu schaffenden Werk liegt, ohne äussere Rücksichtnahme.  ...
Die Gedanken zur Autonomie der Kunst gewannen nach der Rückkehr aus Italien eine grosse Bedeutung für Goethe. ... Vor der Reise nach Italien galt die Lebenskunst der Doppelexistenz als Künstler und Amtsmensch. Goethe hatte erkannt, wie wichtig es ist, die Sphären getrennt zu halten, indem man zwar aus dem Leben poetische Funken schlägt, aber umgekehrt der Poesie nicht erlaubt, das Leben zu beherrschen. ... 

Das Neue ist: Der Autonomiegedanke begründet vom Inneren der Kunst her, weshalb die Kunst und mit ihr das Künstlertum als eigene Sphäre, als eigene in sich geschlossene Welt, als nutzloses Ganzes für sich bestehen soll und darf. ... Bisher war es ein kränkender Vorwurf gewesen, dass die Kunst doch eigentlich ein nutzloses Geschäft sei. Die Autonomiegedanken lassen diese Kränkung verschwinden. Kunst ist ein in sich selbst sinnhaft geschlossnener Kreis, der eben darum keinem anderen Zweck dient.  ... Wo Kränkung war, soll Stolz werden: Die Kunst ist keinem dienstbar! Knebel konstatiert verwundert: Die Kunst hat ihn ganz eingenommen; er sieht solche als Ziel aller menschlichen Erhöhung.

Donnerstag, 10. Juli 2014


Goethe saß schon am gedeckten Tisch, als ich hereintrat; er empfing mich sehr heiter. „Ich habe einen Brief erhalten,“ sagte er, „woher?“  – – Von Rom! Aber von wem? – Vom König von Bayern!

„Ich teile Ihre Freude,“ sagte ich. „Aber ist es nicht eigen, ich habe mich seit einer Stunde auf einem Spaziergange sehr lebhaft mit dem Könige von Bayern in Gedanken beschäftigt, und nun erfahre ich diese angenehme Nachricht. –“ „Es kündigt sich oft etwas in unserm Innern an,“ sagte Goethe. „Dort liegt der Brief, nehmen Sie, setzen Sie sich zu mir her und lesen Sie!“

Ich nahm den Brief, Goethe nahm die Zeitung, und so las ich denn ganz ungestört die königlichen Worte. Der Brief war datiert: Rom, den 26. März 1829, und mit einer stattlichen Hand sehr deutlich geschrieben. Der König meldete Goethe, daß er sich in Rom ein Besitztum gekauft, und zwar die Villa di Malta mit anliegenden Gärten, in der Nähe der Villa Ludovisi, am nordwestlichen Ende der Stadt, auf einem Hügel gelegen, so daß er das ganze Rom überschauen könne und gegen Nordost einen freien Anblick von Sankt Peter habe. „Es ist eine Aussicht,“ schreibt er, „welche zu genießen man weit reisen würde, und die ich nun bequem zu jeder Stunde des Tages aus den Fenstern meines Eigentums habe.“ Er fährt fort, sich glücklich zu preisen, nun in Rom auf eine so schöne Weise ansässig zu sein. „Ich hatte Rom in zwölf Jahren nicht gesehen,“ schreibt er, „ich sehnte mich danach, wie man sich nach einer Geliebten sehnt; von nun an aber werde ich mit der beruhigten Empfindung zurückkehren, wie man zu einer geliebten Freundin geht.“
Von den erhabenen Kunstschätzen und Gebäuden spricht er sodann mit der Begeisterung eines Kenners, dem das wahrhaft Schöne und dessen Förderung am Herzen liegt, und der jede Abweichung vom guten Geschmack lebhaft empfindet. Überall war der Brief durchweg so schön und menschlich empfunden und ausgedrückt, wie man es von so hohen Personen nicht erwartet. Ich äußerte meine Freude darüber gegen Goethe. „Da sehen Sie einen Monarchen“, sagte er, „der neben der königlichen Majestät seine angeborene schöne Menschennatur gerettet hat. Es ist eine seltene Erscheinung und deshalb um so erfreulicher.“

Ich sah wieder in den Brief und fand noch einige treffliche Stellen. „Hier in Rom,“ schreibt der König, „erhole ich mich von den Sorgen des Thrones; die Kunst, die Natur, sind meine täglichen Genüsse, Künstler meine Tischgenossen.“ Er schreibt auch, wie er oft an dem Hause vorbeigehe, wo Goethe gewohnt, und wie er dabei seiner gedenke. Auch aus den römischen Elegien sind einige Stellen angeführt, woraus man sieht, daß der König sie gut im Gedächtnis hat und sie in Rom, an Ort und Stelle, von Zeit zu Zeit wieder lesen mag. „Ja“, sagte Goethe, „die Elegien liebt er besonders; er hat mich hier viel damit geplagt, ich sollte ihm sagen, was an dem Faktum sei, weil es in den Gedichten so anmutig erscheint, als wäre wirklich was Rechtes daran gewesen. Man bedenkt aber selten, daß der Poet meistens aus geringen Anlässen was Gutes zu machen weiß.“

Montag, 30. Juni 2014


Adieu tausendmal meine Einzige.

Sonntag, 22. Juni 2014

Von der Höhe seines Standpunktes erschien ihm die Geschichte nur als ein ewig wiederholter, ja notwendiger Kampf der Torheiten und Leidenschaften mit den edleren Interessen der Zivilisation; er kannte zu gut die Gefahren oder mindestens zweideutigen Erfolge unberufener Einmischung, er wollte das reine Element seines Denkens und Schaffens nicht durch die wirren Erscheinungen des Tages trüben lassen und noch weniger sich zum Wortführer irgend einer Partei aufwerfen, wenngleich Gall das Organ des Volksredners in höchster Ausbildung  an ihm entdeckt haben will.
Von Rom her, aus der Mitte reichsten und grossartigsten Lebens, datiert sich die ernste Maxime der Entsagung, die er sein ganzes späteres Leben hindurch geübt hat, und in der er die einzige sichere Bürgschaft inneren Friedens und Gleichgewichtes fand.
Ich lasse die Gegenstände ruhig auf mich einwirken, beobachte dann diese Wirkung und bemühe mich, sie treu und unverfälscht wiederzugeben. Dies ist das ganze Geheimnis, was man Genialität zu nennen beliebt.

Freitag, 20. Juni 2014


Aus der höchsten Mischung des Schönen mit dem Edlen entsteht der Begriff des Majestätischen.

Manchmal überfällt mich eine Angst du seyst kranck

Montag, 9. Juni 2014


Wie offt hab ich die Worte Welt, grose Welt, Welt haben u. s. w. hören müssen und habe mir nie was dabey dencken können, die meisten Menschen die sich diese Eigenschafften anmasten, verfinsterten mir den Begriff, sie schienen mir wie schlechte Musickanten auf ihren Fiedeln Symphonien abgeschiedner Meister zu kreuzigen, ich konnte eine Ahndung davon aus diesem und ienem einzelnen Liede haben, vergebens sucht ich mir das zu dencken was mir nicht mit vollem Orchester war produzirt worden.
Man lernt nie aus, entdeckt immer wieder Neues, Unerwartetes, Aufregendes, da gibt es doch gemäss Carl August die beste aller Gräfinnen,  die Gräfin Johanna Luise von Werthern-Beichlingen.  

Freitag, 6. Juni 2014

Schon lange würde ich Ew. Durchl. Rechenschafft von meiner Reise, von meinem Aufenthalte in Rom gegeben haben, wenn ich hätte hoffen können etwas zu schreiben das Ihrer Aufmercksamkeit werth wäre. Der Reisende kann selten aus sich selbst herausgehen, was er von Schicksalen zu melden hat ist wenig bedeutend und meistens schreibt er mit selbstgefälligem Entzücken: daß er nun auch jene langgewünschten Gegenden betrete, jene herrlichen Gegenstände mit Augen sehe und nach seiner Art davon und dabey genieße.
Ich habe nun den ersten flüchtigen Lauf durch Rom beynahe geendigt, ich kenne die Stadt und ihre Lage, die Ruinen, Villen, Palläste, Gallerien und Musea. Wie leicht ist es bey einer solchen Fülle von Gegenständen etwas zu dencken, zu empfinden, zu phantasiren. Aber wenn es nun darauf ankommt die Sachen um ihrer selbst willen zu sehen, den Künsten aufs Marck zu dringen, das Gebildete und Hervorgebrachte nicht nach dem Effeckt den es auf uns macht, sondern nach seinem innern Werthe zu beurtheilen; dann fühlt man erst wie schwer die Aufgabe ist und wünscht mehr Zeit und ernsthaftere Betrachtung diesen schätzbaren Denckmalen menschlichen Geistes und menschlicher Bemühungen wiedmen zu können.

Donnerstag, 29. Mai 2014

Um nichts zu versäumen habe ich gleich einen Teil des ersten Genußes aufgeopfert und habe die Ruinen in Gesellschaft von Baukünstlern, die übrigen Kunstwercke mit andern Künstlern gesehen und dabey bemercken können: daß ein Leben voll Thätigkeit und Übung kaum hinreicht unsre Kenntniß auf den höchsten Punckt der Reinheit zu bringen. Und doch wäre nur diese Sicherheit und Gewißheit die Dinge für das zu nehmen was sie sind, selbst die besten Sachen einander subordiniren zu können, jedes im Verhältniße zum andern zu betrachten der größte Genuß nach dem wir im Kunst wie im Natur und Lebenssinne streben sollten. Indessen sehe ich fleißig ohne mich aufzuspannen und freue mich wenn mir von Zeit zu Zeit ein neues Licht erscheint.
Hier kann ich eine Betrachtung nicht verschweigen die ich gemacht habe: daß es nämlich bequemer und leichter sey die Natur als die Kunst zu beobachten und zu schätzen. Das geringste Produckt der Natur hat den Kreis seiner Vollkommenheit in sich und ich darf nur Augen haben um zu sehen, so kann ich die Verhältniße entdecken, ich bin sicher daß innerhalb eines kleinen Cirkels eine ganze wahre Existenz beschloßen ist. Ein Kunstwerck hingegen hat seine Vollkommenheit ausser sich, das »Beste« in der Idee des Künstlers, die er selten oder nie erreicht, die folgenden in gewissen angenommen Gesetzen, welche zwar aus der Natur der Kunst und des Handwercks hergeleitet, aber doch nicht so leicht zu verstehen und zu entziffern sind als die Gesetze der lebendigen Natur. Es ist viel Tradition bey den Kunstwercken, die Naturwercke sind immer wie ein erstausgesprochnes Wort Gottes. Kommen denn nun gar noch handwercksmäsige Copisten hinzu; so entsteht eine neue Verwirrung und wer nicht sehr geübt ist, weiß sich nicht zu finden.
Verzeihen Ew. Durchl. daß ich statt anschaulicher Erzählung und Beschreibung ein trocknes Resultat hersetze, das ich vielleicht nicht einmal so bestimmt und deutlich als ich sollte ausgedruckt habe. Wenigstens sehen Ew. Durchl. daran den guten Willen das Beste zu geben was ich vermag.

Freitag, 23. Mai 2014


Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete?
 
Eine Weile bey Klettenberg, allein und mit Goethe. Ein herrlicher Abend. Von Gebet-Erhörungen. Friede im Krieg. „Wenn ihr stille werdet so wird Euch geholfen, sagte Goethe, in einem recht brüderlichen Ton.

Eines schickt sich nicht für alle,
Jeder sehe, wie er's treibe,
Jeder sehe, wo er bleibe,
Und wer steht, daß er nicht falle.
Während Goethe so mit einer Kraft und einem Reichtum des Ausdruckes sprach, wie ich in ganzer Wahrheit wiederzugeben nicht imstande bin, glänzten seine Augen von einem außerordentlichen Feuer. Man sah darin den Ausdruck des Triumphes, während ein ironisches Lächeln um seine Lippen spielte. Die Züge seines schönen Gesichtes waren imposanter als je.

Mittwoch, 14. Mai 2014

Bei Goethe zu Tisch in heiteren Gesprächen. Eine junge Schönheit der weimarischen Gesellschaft kam zur Erwähnung, wobei einer der Anwesenden bemerkte, daß er fast auf dem Punkt stehe sie zu lieben, obgleich ihr Verstand nicht eben glänzend zu nennen.
»Pah!« sagte Goethe lachend, »als ob die Liebe etwas mit dem Verstande zu tun hätte! Wir lieben an einem jungen Frauenzimmer ganz andere Dinge als den Verstand. Wir lieben an ihr das Schöne, das Jugendliche, das Neckische, das Zutrauliche, den Charakter, ihre Fehler, ihre Kapricen, und Gott weiß was alles Unaussprechliche sonst; aber wir lieben nicht ihren Verstand. Ihren Verstand achten wir, wenn er glänzend ist, und ein Mädchen kann dadurch in unsern Augen unendlich an Wert gewinnen. Auch mag der Verstand gut sein, uns zu fesseln, wenn wir bereits lieben. Allein der Verstand ist nicht dasjenige, was fähig wäre, uns zu entzünden und eine Leidenschaft zu erwecken.«

Samstag, 3. Mai 2014

Jenes ungestörte, unschuldige, nachtwandlerische Schaffen, wodurch allein etwas Großes gedeihen kann, ist gar nicht mehr möglich. Unsere jetzigen Talente liegen alle auf dem Präsentierteller der Öffentlichkeit. Die täglich an funfzig verschiedenen Orten erscheinenden kritischen Blätter und der dadurch im Publikum bewirkte Klatsch lassen nichts Gesundes aufkommen. Wer sich heutzutage nicht ganz davon zurückhält und sich nicht mit Gewalt isoliert, ist verloren. Es kommt zwar durch das schlechte, größtenteils negative ästhetisierende und kritisierende Zeitungswesen eine Art Halbkultur in die Massen, allein dem hervorbringenden Talent ist es ein böser Nebel, ein fallendes Gift, das den Baum seiner Schöpfungskraft zerstört, vom grünen Schmuck der Blätter bis in das tiefste Mark und die verborgenste Faser.
Und dann, wie zahm und schwach ist seit den lumpigen paar hundert Jahren nicht das Leben selber geworden! Wo kommt uns noch eine originelle Natur unverhüllt entgegen! Und wo hat einer die Kraft, wahr zu sein und sich zu zeigen, wie er ist! Das wirkt aber zurück auf den Poeten, der alles in sich selber finden soll, während von außen ihn alles in Stich läßt.
Das Gespräch wendete sich auf den ›Werther‹. »Das ist auch so ein Geschöpf,« sagte Goethe, »das ich gleich dem Pelikan mit dem Blut meines eigenen Herzens gefüttert habe. Es ist darin so viel Innerliches aus meiner eigenen Brust, so viel von Empfindungen und Gedanken, um damit wohl einen Roman von zehn solcher Bändchen auszustatten. Übrigens habe ich das Buch, wie ich schon öfter gesagt, seit seinem Erscheinen nur ein einziges Mal wieder gelesen und mich gehütet, es abermals zu tun. Es sind lauter Brandraketen! Es wird mir unheimlich dabei, und ich fürchte, den pathologischen Zustand wieder durchzuempfinden, aus dem es hervorging.«   

Mittwoch, 30. April 2014

Dieser Goethe, von dem und von dem allein ich vom Aufgang bis zum Niedergang der Sonne, und von ihrem Niedergang bis wieder zu ihrem Aufgang mit Ihnen sprechen und stammeln und singen und dithyrambisieren möchte, dessen Genius zwischen Klopstocken und mir stand, und über die Alpen und Schneegebirge gleichsam einen Sonnenschleyer herwarf, er selbst immer mir gegenüber, und neben und über mir, dieser Goethe hat sich gleichsam über alle meine Ideale emporgeschwungen, die ich jemals von unmittelbarem Gefühl und Anschaun eines grossen Genius gefasst hatte. Noch nie hätt' ich das Gefühl der Jünger von Emmaus im Evangelio so gut exegesieren und mitempfinden können, von dem sie sagten: »Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete?« Machen wir ihn immer zu unserm Herrn Christus, und lassen Sie mich den letzten seiner Jünger seyn! Er hat so viel und so vortrefflich mit mir gesprochen; Worte des ewigen Lebens, die, so lang ich atme, meine Glaubensartikel seyn sollen.

Er urtheilt schief, und es scheint fast, dass er es weiss, dass sein Verstand ohne langes Nachdenken nicht zuverlässig ist, denn er gibt Leuten, von denen er mutmasst, dass sich ihre Einsichten über die gemeinen erheben, lieber recht, als dass er sich die Verlegenheit über den Hals zöge, eine Materie mit ihnen durchsprechen, wobei er seine Schwäche sehen liesse.

Sonntag, 20. April 2014


Aber oh! wieviel mehr könnte, würde der herrliche Geist tun, wenn er nicht in dies unser Chaos gesunken wäre, aus welchem er doch - mit allem seinem Willen, aller seiner Kraft - doch keine leidliche Welt schaffen wird!
Und doch - doch, doch, wollen wir sehen! Wenn's auch nur nicht ganz so schlimm wird, als es sonst geworden wäre, wenn auch nur etwas Gutes geschieht, das sonst nicht geschehen wäre - so war's ja der Mühe wert!

Sonntag, 13. April 2014

Du würdest ihn vergöttern! Er ist der furchtbarste und liebenswürdigste Mensch. 

Mittwoch, 9. April 2014


Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden. Goethe, Lavater, Herder, warum sollten sie nicht auch meine Freunde sein? Seit ich dies Kleeblatt kenne, sind sie meine Heiligen.

Ich lebe nun neun Wochen mit Goethen und lebe, seit unserer Seelenvereinigung so unvermerkt und ohne allen effort nach und nach zustande gekommen, ganz in ihm. Es ist in allen Betrachtungen und von allen Seiten das größte, beste, herrlichste menschliche Wesen, das Gott geschaffen hat. Heute war eine Stunde, wo ich in erst in seiner ganzen Herrlichkeit — der ganzen schönen gefühlvollen reinen Menschheit sah. Außer mir kniet' ich neben ihn, drückte meine Seele an seine Brust und betete Gott an.

Freund, ich bin allein; alles schläft, und mich hält's wach, daß es kaum ist, wie ich noch mit Dir zusammen war. Vielleicht, Göthe, war dies das höchste Ereignis meines Lebens; vielleicht war es der reichste, der seligste Augenblick; schönere Tage sollen mir nicht kommen, ich würde sie abweisen.
Oft fuhren Goethe und Lerse den Rhein hinauf. Da geriet Goethe oft in hohe Verzückung, sprach Worte der Prophezeiung und machte Lerse Besorgnisse, er werde überschnappen.
Schön wie ein Engel warst Du, bist Du und bleibst Du, so waren auch in Deiner frühesten Jugend aller Augen auf Dich gerichtet. Einmal stand jemand am Fenster bei Deiner Mutter, da Du eben über die Straße herkamst mit mehreren andern Knaben; sie bemerkten, daß Du sehr gravitätisch einherschrittest und hielten Dir vor, daß Du Dich mit Deinem Gradehalten sehr sonderbar von den andern Knaben auszeichnetest. – Mit diesem mache ich den Anfang, sagtest Du, und später werd' ich mich mit noch allerlei auszeichnen; und das ist auch wahr geworden, sagte die Mutter.

Über Goethen habe ich wohl zehn mal mich halb zu schanden geärgert, der ordentl. Kindisch über das alberne critische wesen ist, u. einen solchen geschmack daran findet dass er den seinigen darüber sehr verdorben hat: er besieht dabey das Ding, u. das ganze academische Wesen mit einem solchen leichtsinn dass er alles das gute was er bey seinen häufigen anwesenheiten zu Jena stiften könnte, unterläßet, er könnte leichter wie jemand wißen was jene schäckers lehren, uns davon avertiren, u. ihnen selbst zuweilen einreden u. sie durch vermahnungen in der ordnung halten. […] So aber findet er die sudeligen charmant […]. Mit Göthen kann ich gar nicht mehr über diese Sache reden, denn er verliert sich gleich dabey in eine so wort- u. Sophismen reiche discussion dass mir alle Gedult ausgeht,

Montag, 7. April 2014

Was Goethe und ich einander sein sollten, sein mussten, war, sobald wir vom Himmel runter neben einander hingefallen waren, im Nu entschieden.

Freitag, 28. März 2014


Ganz stille habe ich mich nach Hause begeben, um zu lesen, zu kramen und an dich zu dencken. Ich binn recht zu einem Privatmenschen erschaffen und begreiffe nicht wie mich das Schicksal in eine Staatsverwaltung und eine fürstliche Familie hat einflicken mögen. Dir lebe ich meine Lotte, dir sind alle meine Stunden zugezählt, und du bleibst mir das fühle ich.

Samstag, 22. März 2014

In Wahrheit hätten Carl August, Goethe und die anderen Mitglieder der politischen Führungsriege Weimars keineswegs nach exemplarischer Verwirklichung politischer Liberalität und aufgeklärter Humanitätsgedanken in ihrem kleinen Land gestrebt, sondern autoritäre Polizeistaatspraktiken verfolgt, die sich von denen anderer absolutistischer Potentaten nur dadurch unterschieden hätten, daß sie von einer geschickten Öffentlichkeitsarbeit verhüllt worden seien.
Heut hat mich zum erstenmal ein feiler Schatz bey hellem Tage in einem Gäßgen beim Rialto angeredet.

Ich bleibe zu Hause und suche dich gegen Abend, denn ich bedarf deiner Liebe die du mir so schön gönnen willst.

Leb wohl beste, deine Gestalt und deine Liebe glänzt immer um mich, und wie in eine glückliche Heimat trag ich alles in Gedancken zu dir.

Donnerstag, 20. März 2014


Das, was er soeben über Napoleon gesagt, lag mir im Sinn, und ich suchte das Gespräch auf jenen Gegenstand zurückzuführen.
„Doch scheint es mir“, begann ich, „daß Napoleon sich besonders in dem Zustand jener fortwährenden Erleuchtung befunden, als er noch jung und in aufsteigender Kraft war, wo wir denn auch einen göttlichen Schutz und ein beständiges Glück ihm zur Seite sehen. – In späteren Jahren dagegen scheint ihn jene Erleuchtung verlassen zu haben, so wie sein Glück und sein guter Stern.

„Was wollt Ihr!“ erwiderte Goethe. „Ich habe auch meine Liebeslieder und meinen Werther nicht zum zweitenmal gemacht. Jene göttliche Erleuchtung, wodurch das Außerordentliche entsteht, werden wir immer mit der Jugend und der Produktivität im Bunde finden, wie denn Napoleon einer der produktivsten Menschen war, die je gelebt haben.“

„Ja, ja, mein Guter, man braucht nicht bloß Gedichte und Schauspiele zu machen, um produktiv zu sein, es gibt auch eine Produktivität der Taten, und die in manchen Fällen noch um ein Bedeutendes höher steht. – Selbst der Arzt muß produktiv sein, wenn er wahrhaft heilen will; ist er es nicht, so wird ihm nur hin und wieder wie durch Zufall etwas gelingen, im ganzen aber wird er nur Pfuscherei machen.“
„Sie scheinen“, versetzte ich, „in diesem Fall Produktivität zu nennen, was man sonst Genie nannte.“

Mittwoch, 26. Februar 2014

„Beides sind auch sehr naheliegende Dinge,“ erwiderte Goethe. „Denn was ist Genie anders als jene produktive Kraft, wodurch Taten entstehen, die vor Gott und der Natur sich zeigen können und die eben deswegen Folge haben und von Dauer sind. Alle Werke Mozarts sind dieser Art; es liegt in ihnen eine zeugende Kraft, die von Geschlecht zu Geschlecht fortwirkt und sobald nicht erschöpft und verzehrt sein dürfte. Von anderen großen Komponisten und Künstlern gilt dasselbe. Wie haben nicht Phidias und Raphael auf nachfolgende Jahrhunderte gewirkt, und wie nicht Dürer und Holbein! – Derjenige, der zuerst die Formen und Verhältnisse der altdeutschen Baukunst erfand, so daß im Laufe der Zeit ein Straßburger Münster und ein Kölner Dom möglich wurde, war auch ein Genie, denn seine Gedanken haben fortwährend produktive Kraft behalten und wirken bis auf die heutige Stunde, –


Luther war ein Genie sehr bedeutender Art; er wirkt nun schon manchen guten Tag, und die Zahl der Tage, wo er in fernen Jahrhunderten aufhören wird, produktiv zu sein, ist nicht abzusehen. – Lessing wollte den hohen Titel eines Genies ablehnen; allein seine dauernden Wirkungen zeugen wider ihn selber. Dagegen haben wir in der Literatur andere, und zwar bedeutende Namen, die, als sie lebten, für große Genies gehalten wurden, deren Wirken aber mit ihrem Leben endete, und die also weniger waren als sie und andere dachten. Denn, wie gesagt, es gibt kein Genie, ohne produktiv fortwirkende Kraft; und ferner, es kommt dabei gar nicht auf das Geschäft, die Kunst und das Métier an, das einer treibt: es ist alles dasselbige. Ob einer sich in der Wissenschaft genial erweist, wie Oken und Humboldt, oder im Krieg und der Staatsverwaltung, wie Friedrich, Peter der Große und Napoleon, oder ob einer ein Lied macht wie Béranger, es ist alles gleich und kommt bloß darauf an, ob der Gedanke, das Aperçu, die Tat lebendig sei und fortzuleben vermöge."

„Und dann muß ich noch sagen: nicht die Masse der Erzeugnisse und Taten, die von jemanden ausgehen, deuten auf einen produktiven Menschen. Wir haben in der Literatur Poeten, die für sehr produktiv gehalten werden, weil von ihnen ein Band Gedichte nach dem andern erschienen ist. Nach meinem Begriff aber sind diese Leute durchaus unproduktiv zu nennen, denn was sie machten, ist ohne Leben und Dauer. Goldsmith dagegen hat so wenige Gedichte gemacht, daß ihre Zahl nicht der Rede wert; allein dennoch muß ich ihn als Poeten für durchaus produktiv erklären, und zwar eben deswegen, weil das wenige, was er machte, ein inwohnendes Leben hat, das sich zu erhalten weiß.“

Montag, 24. Februar 2014

Ich bin über des Soulavie mémoires historiques et politiques du règne de Louis XVI gerathen, ein Werk das einen nicht los läßt und das durch seine Vielseitigkeit einnimmt, wenn gleich der Verfasser mitunter verdächtig erscheint. Im Ganzen ist es der ungeheure Anblick von Bächen und Strömen, die sich, nach Naturnothwendigkeit, von vielen Höhen und aus vielen Thälern, gegen einander stürzen und endlich das Übersteigen eines großen Flusses und eine Überschwemmung veranlassen, in der zu Grunde geht wer sie vorgesehen hat, so gut als der sie nicht ahnete. Man sieht in dieser ungeheuern Empirie nichts als Natur und nichts von dem was wir Philosophen so gern Freiheit nennen möchten. Wir wollen erwarten ob uns Bonapartes Persönlichkeit noch ferner mit dieser herrlichen und herrschenden Erscheinung erfreuen wird.

Leben Sie recht wohl und sagen mir gelegentlich etwas von den weimarischen Zuständen und in wie fern Ihnen einige Arbeit glückt.

Heute früh habe ich das Capitel im Wilhelm geendigt wovon ich dir den Anfang dicktirte. Es machte mir eine gute Stunde. Eigentlich bin ich zum Schriftsteller gebohren. Es gewährt mir eine reinere Freude als iemals wenn ich etwas nach meinen Gedancken gut geschrieben habe. Lebe wohl. Erhalte mir die Seele meines Lebens, Treibens und Schreibens.   d. 10. Aug. 82.
Nur im innersten meiner Plane und Vorsäze, und unternehmungen bleib ich mir geheimnißvoll selbst getreu und knüpfe so wieder mein gesellschafftliches, politisches, moralisches und poetisches Leben in einen verborgenen Knoten zusammen. Sapienti sat.  d. 21. Nov. 82.

Mittwoch, 12. Februar 2014


Ich bin gar nichts ohne dich.

An***
Ja, ich liebte dich einst, dich, wie ich keine noch liebte;
Aber wir fanden uns nicht, finden uns ewig nicht mehr.
Unser physisches sowohl als geselliges Leben, Sitten, Gewohnheiten, Weltklugheit, Philosophie, Religion, ja so manches zufällige Ereignis, alles ruft uns zu: dass wir entsagen sollen. So manches, was uns innerlich einst angehört, sollen wir nicht nach aussen hervorbilden; was wir von aussen zu Ergänzung unseres Wesens bedürfen, wird uns entzogen, dagegen aber so vieles aufgedrungen, das uns so fremd als lästig ist. Man beraubt uns des mühsam Erworbenen, des freundlich Gestatteten, und ehe wir hierüber recht ins klare sind, finden wir uns genötigt, unsere Persönlichkeit erst stückweis und dann völlig aufzugeben. Dabei ist es aber hergebracht, dass man denjenigen nicht achtet, der sich deshalb ungebärdig stellt; vielmehr soll man, je bitterer der Kelch ist, eine desto süssere Miene machen, damit ja der gelassene Zuschauer nicht durch irgendeine Grimasse beleidigt werden.

Freitag, 24. Januar 2014


Daß ich dir's mit einem Worte sage: mich selbst, ganz wie ich da bin, auszubilden, das war dunkel von Jugend auf mein Wunsch und meine Absicht. Noch hege ich ebendiese Gesinnungen, nur daß mir die Mittel, die mir es möglich machen werden, etwas deutlicher sind.
Wäre ich ein Edelmann, so wäre unser Streit bald abgetan; da ich aber nur ein Bürger bin, so muß ich einen eigenen Weg nehmen, und ich wünsche, daß du mich verstehen mögest. Ich weiß nicht, wie es in fremden Ländern ist, aber in Deutschland ist nur dem Edelmann eine gewisse allgemeine, wenn ich sagen darf personelle Ausbildung möglich. Ein Bürger kann sich Verdienst erwerben und zur höchsten Not seinen Geist ausbilden; seine Persönlichkeit geht aber verloren, er mag sich stellen, wie er will. Indem es dem Edelmann, der mit den Vornehmsten umgeht, zur Pflicht wird, sich selbst einen vornehmen Anstand zu geben, indem dieser Anstand, da ihm weder Tür noch Tor verschlossen ist, zu einem freien Anstand wird, da er mit seiner Figur, mit seiner Person, es sei bei Hofe oder bei der Armee, bezahlen muß: so hat er Ursache, etwas auf sie zu halten und zu zeigen, daß er etwas auf sie hält.

Dienstag, 21. Januar 2014


Adieu Lotte. Ich scheide nicht von dir

Samstag, 11. Januar 2014

Eine gewisse feierliche Grazie bei gewöhnlichen Dingen, eine Art von leichtsinniger Zierlichkeit bei ernsthaften und wichtigen kleidet ihn wohl, weil er sehen läßt, daß er überall im Gleichgewicht steht. Er ist eine öffentliche Person, und je ausgebildeter seine Bewegungen, je sonorer seine Stimme, je gehaltner und gemessener sein ganzes Wesen ist, desto vollkommner ist er. Wenn er gegen Hohe und Niedre, gegen Freunde und Verwandte immer ebenderselbe bleibt, so ist nichts an ihm auszusetzen, man darf ihn nicht anders wünschen. Er sei kalt, aber verständig; verstellt, aber klug. Wenn er sich äußerlich in jedem Momente seines Lebens zu beherrschen weiß, so hat niemand eine weitere Forderung an ihn zu machen, und alles übrige, was er an und um sich hat, Fähigkeit, Talent, Reichtum, alles scheinen nur Zugaben zu sein.

Nun denke dir irgendeinen Bürger, der an jene Vorzüge nur einigen Anspruch zu machen gedächte; durchaus muß es ihm mißlingen, und er müßte desto unglücklicher werden, je mehr sein Naturell ihm zu jener Art zu sein Fähigkeit und Trieb gegeben hätte.
Wenn der Edelmann im gemeinen Leben gar keine Grenzen kennt, wenn man aus ihm Könige oder königähnliche Figuren erschaffen kann, so darf er überall mit einem stillen Bewußtsein vor seinesgleichen treten; er darf überall vorwärtsdringen, anstatt daß dem Bürger nichts besser ansteht als das reine, stille Gefühl der Grenzlinie, die ihm gezogen ist. Er darf nicht fragen: ›Was bist du?‹ sondern nur: ›Was hast du? welche Einsicht, welche Kenntnis, welche Fähigkeit, wieviel Vermögen?‹ Wenn der Edelmann durch die Darstellung seiner Person alles gibt, so gibt der Bürger durch seine Persönlichkeit nichts und soll nichts geben. Jener darf und soll scheinen; dieser soll nur sein, und was er scheinen will, ist lächerlich oder abgeschmackt. Jener soll tun und wirken, dieser soll leisten und schaffen; er soll einzelne Fähigkeiten ausbilden, um brauchbar zu werden, und es wird schon vorausgesetzt, daß in seinem Wesen keine Harmonie sei noch sein dürfe, weil er, um sich auf eine Weise brauchbar zu machen, alles übrige vernachlässigen muß.

An diesem Unterschiede ist nicht etwa die Anmaßung der Edelleute und die Nachgiebigkeit der Bürger, sondern die Verfassung der Gesellschaft selbst schuld; ob sich daran einmal etwas ändern wird und was sich ändern wird, bekümmert mich wenig; genug, ich habe, wie die Sachen jetzt stehen, an mich selbst zu denken und wie ich mich selbst und das, was mir ein unerläßliches Bedürfnis ist, rette und erreiche.

Dienstag, 7. Januar 2014

Ich habe nun einmal gerade zu jener harmonischen Ausbildung meiner Natur, die mir meine Geburt versagt, eine unwiderstehliche Neigung. Ich habe, seit ich dich verlassen, durch Leibesübung viel gewonnen; ich habe viel von meiner gewöhnlichen Verlegenheit abgelegt und stelle mich so ziemlich dar. Ebenso habe ich meine Sprache und Stimme ausgebildet, und ich darf ohne Eitelkeit sagen, daß ich in Gesellschaften nicht mißfalle. Nun leugne ich dir nicht, daß mein Trieb täglich unüberwindlicher wird, eine öffentliche Person zu sein und in einem weitern Kreise zu gefallen und zu wirken. Dazu kömmt meine Neigung zur Dichtkunst und zu allem, was mit ihr in Verbindung steht, und das Bedürfnis, meinen Geist und Geschmack auszubilden, damit ich nach und nach auch bei dem Genuß, den ich nicht entbehren kann, nur das Gute wirklich für gut, und das Schöne für schön halte.