Mittwoch, 24. Dezember 2008

Eines Morgens, an welchem sich zufälligerweise außer mir nur noch einige Freundinnen bei der Göchhausen zum Dejeuner eingefunden hatten, ... stellte sich auch Goethe ein und äußerte seine Zufriedenheit darüber, daß er heute Hahn im Korbe sei. Hierauf erklärte er, dies käme ihm recht gelegen, weil er schon längst den Wunsch gehegt, ein vernünftiges Wort mit uns im Vertrauen zu sprechen, – und doch brachte er nur die extravagantesten Dinge vor, die uns desto mehr überraschten, als die meisten von uns ihn noch nie in einer solchen Stimmung gesehen und wir uns nunmehr erklären konnten, wie anziehend und liebenswürdig er in früherer Zeit gewesen sein müsse, bevor er die ihm jetzt eigene pedantische Steifheit angenommen hatte. In seiner lebhaften Unterhaltung kam er – wie man im gemeinen Leben sagt – vom Hundertsten ins Tausendste und endlich auch auf das, was er das Elend der jetzigen gesellschaftlichen Zustände nannte. Mit den grellsten Farben schilderte er die Geistesleerheit und Gemüthslosigkeit, die sich gegenwärtig überall, besonders aber im geselligen Verkehr bemerklich mache, und hob dagegen das ehemalige gesellige Leben in kräftigen Zügen hervor. Während er hierüber wie der Professor auf dem Katheder docirte, erhitzte er sich mehr und mehr, bis er endlich seinen ganzen Zorn über den Teufel der Hoffart ergoß, der die Genügsamkeit und den Frohsinn aus der Welt verbannt, dagegen aber die unerträglichste Langeweile eingeschmuggelt habe. Man müsse, meinte er, mit vereinten Kräften gegen diesen bösen Dämon zu Felde ziehen, sonst würde derselbe noch weit mehr Unheil stiften, und gleich auf der Stelle wolle er uns den Vorschlag machen: wir sollten zur Erheiterung des nah bevorstehenden traurigen Winters einen Verein bilden, wie es deren in der guten alten Zeit so viele gegeben habe. Wenn nur ein paar gescheidte Leute den Anfang machten, dann würden die übrigen schon nachfolgen; – und sich plötzlich zu mir wendend, setzte er hinzu, indem er mir seine Hand reichte: die Wahrheit seiner Behauptung würde sich sogleich bestätigen, wenn ich ihn zum Partner annehmen und den andern mit gutem Beispiel vorangehen wollte. Obgleich mich dieser Antrag überraschte, so hielt ich denselben doch nur für das Aufblitzen einer schnell vorübergehenden Laune und würde es für die lächerlichste Prüderie gehalten haben, nicht in den Scherz einzugehen. Ich legte also unbedenklich meine Hand in die seinige und belachte den Eifer, womit er die andern anwesenden Damen aufforderte: jede von ihnen möge gleichfalls einen poursuivant d'amour erwählen: denn unser Verein müsse nach der wohlbekannten Minnesängersitte eine cour d'amour bilden und auch so genannt werden, indem der Name die poetische Tendenz desselben und die Zwangslosigkeit bezeichne, die unter den Mitgliedern herrschen solle. Ob übrigens Amor seine Rechte bei den letzteren geltend machen könne und dürfe, möge der Macht des kleinen schelmischen Gottes überlassen bleiben.
Goethes Aufforderung hätte eigentlich unsre Wirthin wegen ihres Alters und ihrer Mißgestalt beleidigen können, wäre die sogenannte »gute Dame« nicht schon längst an unzarte Behandlung gewöhnt gewesen. ... Daher kam es denn im gegenwärtigen Falle, daß sie sogleich in seinen Vorschlag einging und mit der ihr eigenen komischen Manier erklärte: sie sei bereit dem Aufruf Folge zu leisten, da sie mit Gewißheit darauf rechnen könne, einen treuen Seladon zu finden; die anderen schönen Damen möchten nur ihr Heil versuchen, ob ihnen ebenso dienstwillige Narren zu Gebote stehen würden, als ihr.
Goethe nahm diese humoristische Erklärung mit dem lebhaftesten Beifall auf und begab sich sogleich an den Schreibtisch unserer gefälligen Wirthin, wo er in der größten Geschwindigkeit die folgenden Statuten der cour d'amour improvisirte.
Erstlich sollte die zu errichtende Gesellschaft aus lauter wohlassortirten Paaren bestehen, die Versammlung derselben wöchentlich einmal, Abends nach dem Theater im Goethischen Hause stattfinden und dort ein Souper eingenommen werden, zu welchem die Damen das Essen, die Herren den Wein liefern würden.
Zweitens werde jedem Mitgliede die Erlaubniß ertheilt, einen Gast mitzubringen, jedoch nur unter der unerläßlichen Bedingung, daß dieser allen Theilen gleich angenehm und willkommen sei.
Drittens dürfe während des Beisammenseins kein Gegenstand zur Sprache kommen, der sich auf politische oder andere Streitfragen beziehen könnte, damit die Harmonie des Vereins keine Störung erleide.
Viertens und letztens sollten die gegenseitig erwählten Paare nur so lange zur Ausdauer in dem geschlossenen Bündniß verpflichtet sein, bis die Frühlingslüste den Eintritt der milderen Jahreszeit verkündigten, wo dann jedem Theile freistehen müsse, die bisher getragenen Rosenfesseln beizubehalten oder gegen neue zu vertauschen.

Dienstag, 23. Dezember 2008

In gewisser Hinsicht war es Falk, wie jedem anderen, der unsern Zusammenkünften niemals beigewohnt, zu verzeihen, wenn er sich eine falsche Vorstellung von den dort obwaltenden Zuständen machte, da selbst die Mehrzahl der Mitglieder unsers Vereins in der Erwartung der Annehmlichkeiten, die uns zutheil werden sollten, sich getäuscht sahen, indem wir statt der verheißenen poetischen Freiheit und Zwangslosigkeit mit Gêne und Steifheit umgeben waren, welche Goethes pedantisches Wesen herbeiführte. Alles mußte nach seiner Vorschrift mit feierlicher Förmlichkeit gethan werden; ohne seine Erlaubnis dursten wir weder essen oder trinken, noch aufstehen oder uns niedersetzen, geschweige denn eine Conversation führen, die ihm nicht behagte.
So kam es denn dahin, dass die Langeweile, über die er sich kurz zuvor so bitter beklagt hatte, mit unerträglicher Schwere auf uns lastete, ohne dass er selbst es im mindesten merkte.

Donnerstag, 18. Dezember 2008

Was ich Gutes haben mag, ist durch einige wenige vortreffliche Menschen in mir gepflanzt worden, ein günstiges Schicksal führte mir dieselben in den entscheidenden Perioden meines Lebens entgegen, meine Bekanntschaften sind auch die Geschichte meines Lebens.
Dieses und einige Aeusserungen in Ihrem Briefe führen mich natürlich auf meine Bekanntschaft mit Goethen, die ich auch jetzt, nach einem Zeitraum von sechs Jahren, für das wohltätigste Ereignis meines Lebens halte. Ich brauche Ihnen über den Geist dieses Mannes nichts zu sagen. … Nach meiner innigsten Ueberzeugung kommt kein anderer Dichter ihm an Tiefe der Empfindung und an Zartheit derselben, an Natur und Wahrheit und zugleich an hohem Kunstverstand auch nur von weitem bei. …

… Ich darf wohl sagen, dass ich in den sechs Jahren, die ich mit ihm zusammen lebte, auch nicht einen Augenblick an seinem Charakter irre geworden bin. Er hat eine hohe Wahrheit und Biederkeit in seiner Natur, und den höchsten Ernst für das Rechte und Gute; darum haben sich Schwätzer und Heuchler und Sophisten in seiner Nähe immer übel befunden. …
„Heroenzeit in Jena“
Eigentlich ist das, was nicht gefällt, das Rechte. Die neuere Kunst verdirbt, weil sie gefallen will.

Samstag, 13. Dezember 2008

Vorüber, ihr Schäfchen, vorüber,
Dem Schäfer ist gar zu weh!

Mittwoch, 10. Dezember 2008

„Sonnenklarer Bericht an das grössere Publikum“

Sonntag, 23. November 2008

Sein episches Gedicht haben Sie gelesen; Sie werden gestehen, dass es der Gipfel seiner und unsrer ganzen neueren Kunst ist. Ich hab es entstehen sehen und mich fast ebenso sehr über die Art der Entstehung als über das Werk verwundert. Während wir andern mühselig sammeln und prüfen müssen, um etwas Leidliches langsam hervorzubringen, darf er nur leis an dem Baume schütteln, um sich die schönsten Früchte, reif und schwer, zufallen zu lassen. Es ist unglaublich, mit welcher Leichtigkeit er jetzt die Früchte eines wohlangewandten Lebens und einer anhaltenden Bildung an sich selber einerntet, wie bedeutend und sicher jetzt alle seine Schritte sind, wie ihn die Klarheit über sich selbst und über die Gegenstände vor jedem eiteln Streben und Herumtappen bewahrt.

Donnerstag, 13. November 2008

Denn Goethe verschliesst sein Innerstes, bleibt kalt bei einem kalten, scharfen Verstande zur Beobachtung, obgleich im Kern eine gewaltige Flamme lodert; aber er sieht die Dinge mehr, wie sie in der Wirklichkeit sind ...
O könnte er nur etwas Gemüt seinen Schöpfungen geben, und sähe man nicht überall eine Art von Buhlerei oder, wie er es selbst so gern nennt, das betuliche Wesen darinnen! Was hätte er seiner Nation werden können! Trauern muss man um diesen seltnen Genius! Nie weiss man, wie man in seinen Stücken daran ist, ob er das Rechte oder das Falsche meint, ob er diesem oder jenem das Wort redet. O Sophokles, welch einen sichern Massstab hast du!
Goethe ist von seiner Excursion nach Jena, wo er etwas zu arbeiten hoffte, längst zurück, hat aber nur etwas Weniges am Faust gearbeitet, welches aber vortrefflich ist. Im Ganzen bringt er jetzt zu wenig hervor, so reich er noch immer an Erfindung und Ausführung ist. Sein Gemüth ist nicht ruhig genug, weil ihm seine elenden häuslichen Verhältnisse, die er zu schwach ist zu ändern, viel Verdruß erregen.

Montag, 10. November 2008

Goethe ist in Jena und schafft etwas. -Ach, dieser hätte uns der Natur wiedergeben können auf einem edlen und dem rechten Wege, wenn er gewollt hätte. Seine Vergötterung war ihm aber lieber als die Wahrheit.

Mittwoch, 5. November 2008

Goethe sowohl als Schiller können sehr leicht in Verlegenheit vis-à-vis certaines personnes geraten, der ganze Unterschied ist nur, dass Goethe dann höflich, Schiller aber grob wird.
Doch manchmal brach Goethes kräftige Natur durch, und einmal, als eben die Maria Stuart bei Schiller besprochen war, rief Goethe beim Nachhausegehen: mich soll nur wundern, was das Publikum sagen wird, wenn die beiden Huren zusammenkommen und sich ihre Aventüren vorwerfen!
Er dauert mich; denn er sieht nicht glücklich aus. Er hat auch einen besondern Zufall schon seit dem vorigen September; es ist ihm eine Empfindung, als wenn er immer in Spinneweben mit seinem Gesicht hineinführe.
… wer erscheint plötzlich vom Gebirg herab? kein andrer als die alte göttliche Exzellenz, Goethe selbst. Er sieht die grosse Gesellschaft, und weicht etwas aus, wir machen ein geschicktes Manöver, die Hälfte der Gesellschaft zieht sich zurück, und Schlegels gehen ihn mit mir grade entgegen.

Montag, 3. November 2008

Goethens Umgang allein tut einem nicht wohl; er ist kalt und trocken für Menschen, die ihm gleichgültig sind, und um ihm mehr als das zu sein, dazu gehöret viel.
Sie liess den gerade vorbeigehenden Goethe einladen, diesem war dies unheimlich, er setzte sich hin, sprach nichts und machte ein entsetzlich verdrüsslich Gesicht. »Haben Sie Nachricht, Frau von Stein, von dem Herrn Kriegsrath aus Breslau?« war alles, was er unaufgefordert an Discours hervorgehen liess.

Freitag, 31. Oktober 2008

Goethe macht eine Idylle in einem durchaus eignen und rührenden Ton. Sie würden wie ich bei der simplen Erzählung weinen.
Die Idee dazu hat er zwar mehrere Jahre schon mit sich herumgetragen, aber die Ausführung, die gleichsam unter meinen Augen geschah, ist mit einer mir unbegreiflichen Leichtigtkeit und Schnelligkeit vor sich gegangen, so dass er neun Tage hintereinander jeden Tag über anderthalb hundert Hexameter niederschrieb.

Samstag, 4. Oktober 2008

Nachmittags kam Goethe, um mit mir zu Sarah und Marianna zu gehen; bis ich fertig war, liess er Lotte lesen. Er hat so viel Kindlichkeit und Einfalt in seinem Wesen wie alle erhabenen Geister.
Goethe sah recht ennuyiert aus, der Herzogin wurde es ganz weh dabei; da ich aber gar keinen Respekt vor den schönen Geistern mehr habe, so sprach ich die Kreuz und die Quer, und es ging die Stunde ziemlich frisch vorüber.
Goethe ist ein Vulkan, aussen überschneit, innen vol geschmolzner Materie. Charlotte von Kalb sagte, er bewundert nichts mehr, nicht einmal sich – jedes Wort sei Eis, zumal gegen Fremde, die er selten vorlasse. 
Es ist etwas Unstetes und Misstrauisches in seinem ganzen Wesen, wobei sich niemand in seiner Gegenwart wohl befinden kann.
Wir sitzen von Abend um fünf Uhr bis nachts zwölf, auch ein Uhr beisammen und schwatzen.
Goethe sah ich noch nicht; er ist aber wieder hier. Meyer sagte mir, er habe schon längst mich besuchen, mich zu sich einladen wollen; aber sein Missstand mit der ganzen Sozietät hier macht, dass er auch für mich verloren ist. Das könnte, das sollte anders sein.

Donnerstag, 2. Oktober 2008

Er hat sehr viel mimisches Talent und kann aussehen wie der lebendige Miltonische Teufel, doch ist’s schade um ein so edles Gebilde, es verzerrt zu sehen! Mittags mit meiner kleinen „Heidelbeere“ Levin geschwatzt, es ist ein herziges, sinnvolles Wesen, die so rein und unbefangen aus dem Schatz ihres guten Herzens mitteilt. Fräulein von Bradele, Hofdame aus Dresden. Eine Bacchantin aus der niederländischen Schule. Goethe studiert sie ....
... Freundschaft werde durch Verhältnisse genährt, und wenn diese sich änderten oder aufhörten, stürbe sie Hungers. Ich ward zur Salzsäule!
… „die Gegenwart ist die einzige Göttin, die ich anbete“, sagte er …
... denn seine Gleichgültigkeit ohne Heiterkeit und dass er schon so ganz mit den Menschen abgerechnet hat, ist mir schrecklich.
Das Glück hat ihn verzogen und die Weiber. Er hat geschwelgt, ohne zu geniessen, genommen ohne zu geben, ob je in seinem Herzen der reine Ton der Liebe wieder erklingen wird? Er hat viel geredet und immer als ob’s halb im Scherz wäre, aber im bittern Scherz herrliche Sachen gesagt über Kunst, Epigramme, Elegisches, Improvisieren, Liebe als Mittel zum Zweck, über Hoffnung, die in ihm erstorben ist, von seiner äussersten Empfänglichkeit durch Phantasie bei Gelegenheit der Kupfer zu Wielands Werken.
Wenn sie vor dem Druck in die Hände mehrerer Freunde gegeben worden, so würde man vielleicht den Autor vermocht haben, einige zu rüstige Gedanken, die er wörtlich ausgedrückt hat, bloss erraten zu lassen; andere in geschmeidigeren Wendungen mitzuteilen, noch andere ganz zu unterdrücken.

Donnerstag, 25. September 2008

In einem alle Freitage sich versammelnden Abendzirkel für den Winter zwischen 1794 und 1795 wurde beschlossen, jedesmal einen Gesang der Ilias nach Voss vorzulesen und sich dann die dabei von selbst kommenden Bemerkungen mitzuteilen. Goethe ist Vorleser.

Dienstag, 16. September 2008

Ich bringe die meiste Zeit des Tages mit Goethen zu, sodaß ich bei meinem langen Schlafen kaum für die nöthigsten Briefe noch Zeit übrig habe. Vor einigen Tagen waren wir von halb 12, wo ich angezogen war, bis nachts um 11 Uhr ununterbrochen beisammen. Er las mir seine Elegien, die zwar schlüpfrig und nicht sehr decent sind, aber zu den besten Sachen gehören, die er gemacht hat.

Samstag, 13. September 2008

Der Mund ist sehr schön, klein, und ausserordentlicher Biegungen fähig; nur entstellen ihn, wenn er lächelt, seine gelben, äusserst krummen Zähne.

Mittwoch, 10. September 2008

Beim erneuerten Studium Homers empfinde ich erst ganz, welches unnennbare Unheil der jüdische Prass uns zugefügt hat. Hätten wir die Sodomitereien und ägyptisch-babylonischen Grillen nie kennen lernen, und wäre Homer unsere Bibel geblieben, welch eine ganz andere Gestalt würde die Menschheit dadurch gewonnen haben!
Diese Vulpius ist übrigens eine kleine unansehnliche Person, die mit dem so wohl gewachsenen, männlich schönen Goethe (man sehe das äußerst wohlgeratene Porträt von Lips) nicht wenig kontrastiert.

Mittwoch, 3. September 2008

Goethe erzählte mir, dass Schiller mit unsäglicher Anstrengung arbeite. ... Die übergrosse Anstrengung, mit der Schiller arbeitete, glaubte er auch in seinen flüchtigsten hingeworfenen Stücken zu entdecken. Selbst in den Briefen über den Don Carlos im Teutschen Merkur sähe man die Schweisstropfen hängen, die sie dem Verfasser gekostet. Wie Goethe glaubte, sei der Kampf, den Schwärmerei, Vernunft und Einbildungskraft, die in der Seele dieses Dichters gekämpft, mit unverkennbaren Zügen in seinem Gesicht eingegraben, und daraus entstehe in demselben die sonderbare Mischung von Schwermut, Freundlichkeit, Ernst und Zerstreuung. Kurz, auf ihn passe ganz, was er einst in seinen Werken zur Charakterisierung eines Dritten sagt: „In seine Phantasienwelt verschlossen, war er ein Fremdling in der wirklichen. Sein Körper mitten aus der Zerrüttung hervor verrät einen hohen männlichen Geist, gleich den Ruinen eines ehrwürdigen alten Tempelgebäudes. Ihr ahnt aus dem Schauer der Ehrfurcht, der eure Seele ergreift, dass einst eine Gottheit hier wohnte; aber erkennen könnt ihr es jetzt nur aus Trümmern und Ueberbleibseln, die der Zahn der alles zerstörenden Zeit verschonte.“
Noch sprach Goethe viel von Italien … Die Luft ist lauer, reiner; der Himmel blauer und unbewölkter; die Gesichter offen, freundlich und lachender … Alles scheint zum lieblichen Genusse einzuladen, und Natur und Kunst bieten sich wechselseitig die Hand. Nirgends oder selten finden Sie in Italien solche zurückstossende kolossale Gestalten wie in unseren Gegenden; nirgends so verkrüppelte und zusammengeschrumpfte Figuren. In unseren Gesichtern verlaufen die Züge regellos durch- und ineinander, oft ohne irgendeinen Charakter anzudeuten, oder es hält wenigstens schwer, das Original herauszufinden; man kann sagen, in einem deutschen Gesichte ist die Hand Gottes unleserlicher als auf einem italienischen. Bei uns ist alles verkritzelter, und selten selbst in der Form etwas Vollendetes. Kopf und Hals scheinen bei jenen Menschen gleichsam unmerklich ineinander gefugt; bei uns sind sie grösstenteils eingeschoben oder gar aufgestülpt. Die sanft geblähte Brust schwellt allmählich in ihren Umrissen; nicht solche kugel- und muskelhafte Massen von Fleisch, die das Auge mehr beleidigen als einladen.
Sein Mädchen ist eine ziemlich berüchtigte Mamsell Vulpius.

Dienstag, 2. September 2008

Er hat die junge Vulpius zu seinem Clärchen, und lässt sie oft zu sich kommen etc. Sie verdenkt ihm dies sehr.
Dieser Mensch, dieser Goethe ist mir einmal im Wege, und er erinnert mich so oft, dass das Schicksal mich hart behandelt hat. Wie leicht ward sein Genie von seinem Schicksal getragen, und wie muss ich bis auf diese Minute noch kämpfen!
Er kommt sich daher oft so einsam vor, weil er sich zu gross fühlt, und ich glaube, dies kann ihm trübe Augenblicke machen, deren er viele hat.
Nur nichts als Profession getrieben! Das ist mir zuwider. Ich will alles, was ich kann, spielend treiben, was mir eben kommt und solange die Lust daran währt. So hab ich in meiner Jugend gespielt, unbewusst; so will ich's bewusst fortsetzen durch mein übriges Leben.
Was für eine Abgeschmacktheit, Goethen das Aufgeben seiner Liebesverhältnisse für Entsagungen anzurechnen. Der hat ihn nicht recht gekannt. Entsagen wäre ihm gewesen: sie heiraten.

Freitag, 29. August 2008

„Liegt denn“, sagte ich, „diese geniale Produktivität bloß im Geiste eines bedeutenden Menschen, oder liegt sie auch im Körper?“

„Wenigstens“, erwiderte Goethe, „hat der Körper darauf den größten Einfluß. – Es gab zwar eine Zeit, wo man in Deutschland sich ein Genie als klein, schwach, wohl gar bucklig dachte; allein ich lobe mir ein Genie, das den gehörigen Körper hat.“

„Wenn man von Napoleon gesagt, er sei ein Mensch aus Granit, so gilt dieses besonders auch von seinem Körper. Was hat sich der nicht alles zugemutet und zumuten können! – Von dem brennenden Sand der syrischen Wüste bis zu den Schneefeldern von Moskau, welche Unsumme von Märschen, Schlachten und nächtlichen Biwaks liegen da nicht in der Mitte! – Und welche Strapazen und körperliche Entbehrungen hat er dabei nicht aushalten müssen! Wenig Schlaf, wenig Nahrung und dabei immer in der höchsten geistigen Tätigkeit! – Bei der fürchterlichen Anstrengung und Aufregung des achtzehnten Brumaire ward es Mitternacht, und er hatte den ganzen Tau noch nichts genossen und ohne nun an seine körperliche Stärkung zu denken, fühlte er sich Kraft genug, um noch tief in der Nacht die bekannte Proklamation an das französische Volk zu entwerfen. – Wenn man erwägt, was der alles durchgemacht und ausgestanden, so sollte man denken, es wäre in seinem vierzigsten Jahre kein heiles Stück mehr an ihm gewesen; allein er stand in jenem Alter noch auf den Füßen eines vollkommenen Helden.“
Ich konnte nicht umhin, einige hochstehende deutsche Männer zu erwähnen, denen im hohen Alter die nötige Energie und jugendliche Beweglichkeit zum Betrieb der bedeutendsten und mannigfaltigsten Geschäfte doch keineswegs zu fehlen scheine.

„Solche Männer und ihresgleichen“, erwiderte Goethe, „sind geniale Naturen, mit denen es eine eigene Bewandtnis hat; sie erleben eine wiederholte Pubertät, während andere Leute nur einmal jung sind.“
„Jede Entelechie nämlich ist ein Stück Ewigkeit, und die paar Jahre, die sie mit dem irdischen Körper verbunden ist, machen sie nicht alt. – Ist diese Entelechie geringer Art, so wird sie während ihrer körperlichen Verdüsterung wenig Herrschaft ausüben, vielmehr wird der Körper vorherrschen, und wie er altert, wird sie ihn nicht halten und hindern. Ist aber die Entelechie mächtiger Art, wie es bei allen genialen Naturen der Fall ist, so wird sie, bei ihrer belebenden Durchdringung des Körpers, nicht allein auf dessen Organisation kräftigend und veredelnd einwirken, sondern sie wird auch, bei ihrer geistigen Übermacht, ihr Vorrecht einer ewigen Jugend fortwährend geltend zu machen suchen. Daher kommt es denn, daß wir bei vorzüglich begabten Menschen auch während ihres Alters immer noch frische Epochen besonderer Produktivität wahrnehmen; es scheint bei ihnen immer einmal wieder eine temporäre Verjüngung einzutreten, und das ist es, was ich eine wiederholte Pubertät nennen möchte.“

„Aber jung ist jung, und wie mächtig auch eine Entelechie sich erweise, sie wird doch über das Körperliche nie ganz Herr werden, und es ist ein gewaltiger Unterschied, ob sie an ihm einen Alliierten oder einen Gegner findet.“
„Ich hatte in meinem Leben eine Zeit, wo ich täglich einen gedruckten Bogen von mir fordern konnte, und es gelang mir mit Leichtigkeit. Meine Geschwister habe ich in drei Tagen geschrieben, meinen Clavigo, wie Sie wissen, in acht. – Jetzt soll ich dergleichen wohl bleiben lassen; und doch kann ich über Mangel an Produktivität selbst in meinem hohen Alter mich keineswegs beklagen. Was mir aber in meinen jungen Jahren täglich und unter allen Umständen gelang, gelingt mir jetzt nur periodenweise und unter gewissen günstigen Bedingungen. – Als mich vor zehn, zwölf Jahren, in der glücklichen Zeit nach dem Befreiungskriege, die Gedichte des Divan in ihrer Gewalt hatten, war ich produktiv genug, um oft an einem Tage zwei bis drei zu machen; und auf freiem Felde, im Wagen oder im Gasthof, es war mir alles gleich. Jetzt, am zweiten Teil meines Faust, kann ich nur in den frühen Stunden des Tags arbeiten, wo ich mich vom Schlaf erquickt und gestärkt fühle und die Fratzen des täglichen Lebens mich noch nicht verwirrt haben. Und doch, was ist es, das ich ausführe! Im allerglücklichsten Fall eine geschriebene Seite; in der Regel aber nur so viel, als man auf den Raum einer Handbreit schreiben könnte, und oft, bei unproduktiver Stimmung, noch weniger.“
„Sodann aber gibt es jene Produktivität anderer Art, die schon eher irdischen Einflüssen unterworfen ist, und die der Mensch schon mehr in seiner Gewalt hat, obgleich er auch hier immer noch sich vor etwas Göttlichem zu beugen Ursache findet. In diese Region zähle ich alles zur Ausführung eines Planes gehörige, alle Mittelglieder einer Gedankenkette, deren Endpunkte bereits leuchtend dastehen; ich zähle dahin alles dasjenige, was den sichtbaren Leib und Körper eines Kunstwerkes ausmacht.“
„So kam Shakespearen der erste Gedanke zu seinem Hamlet, wo sich ihm der Geist des Ganzen als unerwarteter Eindruck vor die Seele stellte, und er die einzelnen Situationen, Charaktere und Ausgang des Ganzen in erhöhter Stimmung übersah, als ein reines Geschenk von oben, worauf er keinen unmittelbaren Einfluß gehabt hatte, obgleich die Möglichkeit, ein solches Aperçu zu haben, immer einen Geist wie den seinigen voraussetzte. – Die spätere Ausführung der einzelnen Szenen aber und die Wechselreden der Personen hatte er vollkommen in seiner Gewalt, so daß er sie täglich und stündlich machen und daran wochenlang fortarbeiten konnte, wie es ihm nur beliebte. – Und zwar sehen wir an allem, was er ausführte, immer die gleiche Kraft der Produktion, und wir kommen in allen seinen Stücken nirgends auf eine Stelle, von der man sagen könnte, sie sei nicht in der rechten Stimmung und nicht mit dem vollkommensten Vermögen geschrieben. Indem wir ihn lesen, erhalten wir von ihm den Eindruck eines geistig wie körperlich durchaus und stets gesunden, kräftigen Menschen.“
„Gesetzt aber, eines dramatischen Dichters körperliche Konstitution wäre nicht so fest und vortrefflich, und er wäre vielmehr häufigen Kränklichkeiten und Schwächlichkeiten unterworfen, so würde die zur täglichen Ausführung seiner Szenen nötige Produktivität sicher sehr häufig stocken und oft wohl tagelang gänzlich mangeln. Wollte er nun, etwa durch geistige Getränke die mangelnde Produktivität herbeinötigen und die unzulängliche dadurch steigern, so würde das allenfalls auch wohl angehen, allein man würde es allen Szenen, die er auf solche Weise gewissermaßen forciert hätte, zu ihrem großen Nachteil anmerken.“

„Mein Rat ist daher, nichts zu forcieren und alle unproduktiven Tage und Stunden lieber zu vertändeln und zu verschlafen, als in solchen Tagen etwas machen zu wollen, woran man später keine Freude hat.“

„Sie sprechen,“ erwiderte ich, „etwas aus, was ich selber sehr oft erfahren und empfunden und was man sicher als durchaus wahr und richtig zu verehren hat. – Aber doch will mir scheinen, als ob wohl jemand durch natürliche Mittel seine produktive Stimmung steigern könnte, ohne sie grade zu forcieren. – Ich war in meinem Leben sehr oft in dem Fall, bei gewissen komplizierten Zuständen zu keinem rechten Entschluß kommen zu können. Trank ich aber in solchen Fällen einige Gläser Wein, so war es mir sogleich klar, was zu tun sei, und ich war auf der Stelle entschieden. – Das Fassen eines Entschlusses ist aber doch auch eine Art Produktivität, und wenn nun einige Gläser Wein diese Tugend bewirkten, so dürfte ein solches Mittel doch nicht ganz zu verwerfen sein.“
„Ihrer Bemerkung“, erwiderte Goethe, „will ich nicht widersprechen; was ich aber vorhin sagte, hat auch seine Richtigkeit, woraus wir denn sehen, daß die Wahrheit wohl einem Diamant zu vergleichen wäre, dessen Strahlen nicht nach einer Seite gehen, sondern nach vielen. – Da Sie übrigens meinen Divan so gut kennen, so wissen Sie, daß ich selber gesagt habe:

Wenn man getrunken hat
Weiß man das Rechte,

und daß ich Ihnen also vollkommen beistimme. – Es liegen im Wein allerdings produktivmachende Kräfte sehr bedeutender Art; aber es kommt dabei alles auf Zustände und Zeit und Stunde an, und was dem einen nützt, schadet dem andern. Es liegen ferner produktivmachende Kräfte in der Ruhe und im Schlaf; sie liegen aber auch in der Bewegung. Es liegen solche Kräfte im Wasser und ganz besonders in der Atmosphäre. – Die frische Luft des freien Feldes ist der eigentliche Ort, wo wir hingehören; es ist als ob der Geist Gottes dort den Menschen unmittelbar anwehte und eine göttliche Kraft ihren Einfluß ausübte. – Lord Byron, der täglich mehrere Stunden im Freien lebte, bald zu Pferde am Strand des Meeres reitend, bald im Boote segelnd oder rudernd, dann sich im Meere badend und seine Körperkraft im Schwimmen übend, war einer der produktivsten Menschen, die je gelebt haben.“
„Wissen Sie aber, wie ich es mir denke? – Der Mensch muß wieder ruiniert werden! – Jeder außerordentliche Mensch hat eine gewisse Sendung, die er zu vollführen berufen ist. Hat er sie vollbracht, so ist er auf Erden in dieser Gestalt nicht weiter vonnöten, und die Vorsehung verwendet ihn wieder zu etwas anderem. Da aber hienieden alles auf natürlichem Wege geschieht, so stellen ihm die Dämonen ein Bein nach dem andern, bis er zuletzt unterliegt. So ging es Napoleon und vielen anderen. Mozart starb in seinem sechsunddreißigsten Jahre. Raffael in fast gleichem Alter. – Byron nur um weniges älter. Alle aber hatten ihre Mission auf das vollkommenste erfüllt, und es war wohl Zeit, daß sie gingen, damit auch anderen Leuten in dieser auf eine lange Dauer berechneten Welt noch etwas zu tun übrig bliebe.“

Samstag, 16. August 2008

„Nun aber denken Sie sich eine Stadt wie Paris, wo die vorzüglichsten Köpfe eines großen Reiches auf einem einzigen Fleck beisammen sind und in täglichem Verkehr, Kampf und Wetteifer sich gegenseitig belehren und steigern; wo das Beste aus allen Reichen der Natur und Kunst des ganzen Erdbodens der täglichen Anschauung offen steht; diese Weltstadt denken Sie sich, wo jeder Gang über eine Brücke oder einen Platz an eine große Vergangenheit erinnert, und wo an jeder Straßenecke ein Stück Geschichte sich entwickelt hat. Und zu diesem allen denken Sie sich nicht das Paris einer dumpfen, geistlosen Zeit, sondern das Paris des neunzehnten Jahrhunderts, in welchem seit drei Menschenaltern durch Männer wie Molière, Voltaire, Diderot und ihresgleichen eine solche Fülle von Geist in Kurs gesetzt ist, wie sie sich auf der ganzen Erde auf einem einzigen Fleck nicht zum zweiten Male findet, und Sie werden begreifen, daß ein guter Kopf wie Ampère, in solcher Fülle aufgewachsen, in seinem vierundzwanzigsten Jahre wohl etwas sein kann.“
„Sie sagten doch vorhin“, fuhr Goethe fort, „Sie könnten sich sehr wohl denken, daß einer in seinem zwanzigsten Jahre so gute Stücke schreiben könne wie Merimée. Ich habe gar nichts dawider, und bin auch im ganzen recht wohl Ihrer Meinung, daß eine jugendlich-tüchtige Produktion leichter sei, als ein jugendlich-tüchtiges Urteil. Allein in Deutschland soll einer es wohl bleiben lassen, so jung wie Merimée etwas so Reifes hervorzubringen, als er in den Stücken seiner Clara Gazul getan. Es ist wahr, Schiller war recht jung, als er seine Räuber, seine Kabale und Liebe und seinen Fiesko schrieb. Allein, wenn wir aufrichtig sein wollen, so sind doch alle diese Stücke mehr Äußerungen eines außergewöhnlichen Talents, als daß sie von großer Bildungsreife des Autors zeugten. Daran ist aber nicht Schiller schuld, sondern der Kulturzustand seiner Nation und die große Schwierigkeit, die wir alle erfahren, uns auf einsamen Wegen durchzuhelfen.“

Freitag, 15. August 2008

Hiebei ist soviel zu bemerken: daß der eigentliche Dichter die Herrlichkeit der Welt in sich aufzunehmen berufen ist und deshalb immer eher zu loben als zu tadeln geneigt sein wird. Daraus folgt, daß er den würdigsten Gegenstand aufzufinden sucht und, wenn er alles durchgegangen, endlich sein Talent am liebsten zu Preis und Verherrlichung Gottes anwendet.

Donnerstag, 14. August 2008

Vorzüglich weiss er einem anschaulich zu machen, dass diese Nation mehr als alle andre europäische in gegenwärtigen Genüssen lebt, weil die Milde und Fruchtbarkeit des Himmelsstrichs die Bedürfnisse einfacher macht und ihre Erwerbung erleichtert.
Übrigens lässt sich hierbei bemerken, dass in allen wichtigen politischen Fällen immer diejenigen Zuschauer am besten dran sind, welche Partei nehmen: Was ihnen wahrhaft günstig ist, ergreifen sie mit Freuden, das Ungünstige ignorieren sie, lehnen’s ab oder legen’s ob oder legen’s wohl gar zu ihrem Vorteil aus. Der Dichter aber, der seiner Natur nach unparteiisch sein und bleiben muss, sucht sich von den Zuständen beider kämpfenden Teile zu durchdringen, wo er denn, wenn Vermittlung unmöglich wird, sich entschließen muss, tragisch zu endigen. Und mit welchem Zyklus von Tragödien sahen wir uns von der tosenden Weltbewegung bedroht!

Montag, 4. August 2008

Wir haben indes neulich ausgemacht, dass er, alten Münzen nach, einmal in Rom dictator perpetuus und imperator unter dem Namen Julius Caesar gewesen, zur Strafe aber nach beinahe achtzehnhundert Jahren zum Geheimerat in Weimar avanciert und promoviert sei. - Lasset uns also Fleiss anwenden, dass wir nicht noch ärger promoviert werden.

Dienstag, 22. Juli 2008

Riemer kam späterhin zu uns. Ich erzählte, Schmidt sei von Madame Milder höchst eingenommen, sie übersteige alles, was seine Phantasie sich von einer vollkommenen Sängerin gedacht.
»Ganz natürlich«, sagte Goethe; »denn die Phantasie kann sich nie eine Vortrefflichkeit so vollkommen denken, als sie im Individuum wirklich erscheint. Nur vager, neblicht, unbestimmter, grenzenloser denkt sie sich die Phantasie. Aber niemals in der characteristischen Vollständigkeit der Wirklichkeit. Es erregt mir daher immer Schmerz, wenn man ein wirkliches Kunst- oder Naturgebilde mit der Vorstellung vergleicht, die man sich davon gemacht hatte, und dadurch sich den reinen Genuß des erstern verkümmert. Vermag doch unsere Einbildungskraft nicht einmal das Bild eines wirklich gesehenen, schönen Gegenstandes getreu wiederzugeben; immer wird die Vorstellung etwas Neblichtes, Verschwimmendes enthalten.«
Auf meine Klage, daß diese Beschränkung unsrer Natur uns so viel Herrliches entziehe, erwiderte er: »Ei, das ist ja ein Glück, was würden wir anfangen, wenn alle die unzähligen Empfindungen, die uns z.B. ein Hummel'sches Spiel giebt, uns fortwährend blieben? dann würden ja auch die vergangenen Schmerzen immerfort uns peinigen. Seien wir froh, daß für das Gute, Angenehme doch immer noch ziemlich viele Reproductionskraft in uns wohnt.«

Montag, 21. Juli 2008

Das Gespräch fiel auf Selbstkenntniß. »Ich behaupte, der Mensch kann sich nie selbst kennen lernen, sich nie rein als Object betrachten. Andre kennen mich besser als ich mich selbst. Nur meine Bezüge zur Außenwelt kann ich kennen und richtig würdigen lernen, darauf sollte man sich beschränken. Mit allem Streben nach Selbstkenntniß, das die Priester, das die Moral uns predigen, kommen wir nicht weiter im Leben, gelangen weder zu Resultaten noch zu wahrer innerer Besserung. Doch will ich diese Ansicht nicht eben für ein Evangelium ausgeben. Was sind travers? Falsche Stellungen zur Außenwelt. Wer hat sie nicht? Jede Lebensstufe hat die ihr eignen.«

Freitag, 18. Juli 2008

Mir ist in allen Geschäften und Lebensverwickelungen das Absolute meines Charakters sehr zu statten gekommen; ich konnte Vierteljahre lang schweigen und dulden, wie ein Hund, aber meinen Zweck immer festhalten; trat ich dann mit der Ausführung hervor, so drängte ich unbedingt mit aller Kraft zum Ziele, mochte fallen rechts oder links, was da wollte. Aber wie bin ich oft verlästert worden; bei meinen edelsten Handlungen am meisten. Doch das Geschrei der Leute kümmerte mich nichts. Die Kinder und ihr Benehmen gegen mich waren oft mein Barometer hinsichtlich der Gesinnungen der Eltern.
Einer der interessantesten, behaglichsten und gemüthlichsten Abende unter vielen! Goethe war durchaus heiter, gemäßigt, mittheilend, lehrreich, keine Pique, keine Ironie, nichts Leidenschaftliches oder Abstoßendes.

Donnerstag, 17. Juli 2008

... les amours de ce dernier avec sa vieille haridelle vont toujours grand train ...

Mittwoch, 16. Juli 2008

Der Herzog hat die tödlichste Langeweile, auch beim Goethe, und gähnt den ganzen Tag.

Dienstag, 15. Juli 2008

Ich will keine fremden Gedanken, ich habe an meinen eigenen genug, kann mit diesen nicht fertig werden.

Montag, 14. Juli 2008

Was ein anderer denkt, wie kann mich das kümmern? Ich kann doch nicht wie er denken, weil ich Ich und nicht Er bin. Wie können sich nur die Leute einbilden, dass mich ihr Denken interessieren könnte.

Dienstag, 8. Juli 2008

Riemer sagte: »Ach wie glücklich sind Sie, daß Sie immer so real im Leben stehen konnten; ich komme mit aller Anstrengung nie hinein in's Leben, geschweige durch.«
Da sehen Sie einmal, was das für Zeug ist! Zum Rasendwerden, schön und toll zugleich. Freilich, das will alles umfassen und verliert sich darüber immer ins Elementarische, doch noch mit unendlichen Schönheiten im einzelnen. Da sehen Sie nur, was für Teufelszeug, und hier wieder, was da der Kerl für Anmut und Herrlichkeit hervorgebracht, aber der arme Teufel hat’s auch nicht ausgehalten, er ist schon hin. Es ist nicht anders möglich, wer so auf der Kippe steht, muß sterben oder verrückt werden, da ist keine Gnade.
Übrigens imponiert mir ein Sarg nicht, das könnt ihr euch wohl denken.
Wolltest Herrliches gewinnen,
Aber es gelang dir nicht.
Wem gelingt es? – Trübe Frage,
Der das Schicksal sich vermummt,
Wenn am unglückseligsten Tage

Blutend alles Volk verstummt.
Ei, bin ich denn darum achtzig Jahre alt geworden, dass ich immer dasselbe denken soll? Ich strebe vielmehr täglich etwas anderes, Neues zu denken, um nicht langweilig zu werden. Man muss sich immer verändern, erneuen, verjüngen um nicht zu verstocken.

Sonntag, 6. Juli 2008

Wer nicht von dreitausend Jahren
Sich weiß Rechenschaft zu geben,
Bleib im Dunkeln unerfahren,
Mag von Tag zu Tage leben.
Auch beim nächtlichen Erwachen trat derselbe Fall ein, und ich hatte oft Lust, wie einer meiner Vorgänger, mir ein ledernes Wams machen zu lassen, und mich zu gewöhnen, im Finstern, durchs Gefühl das, was unvermutet hervorbrach, zu fixieren. Ich war so gewohnt, mir ein Liedchen vorzusagen, ohne es wieder zusammenfinden zu können, dass ich einige Mal an den Pult rannte und mir nicht die Zeit nahm, einen quer liegenden Bogen zurecht zu rücken, sondern das Gedicht von Anfang bis zu Ende, ohne mich von der Stelle zu rühren, in der Diagonale herunter schrieb. In eben diesem Sinn griff ich weit lieber zu dem Bleistift, welcher williger die Züge hergab; denn es war mir einige Mal begegnet, dass das Schnarren und Spritzen der Feder mich aus meinem nachtwandlerischen Dichten aufweckte, mich zerstreute und ein kleines Produkt in der Geburt erstickte. Für solche Poesien hatte ich eine besondere Ehrfurcht, weil ich mich doch ungefähr gegen dieselben verhielt, wie die Henne gegen die Küchlein, die sie ausgebrütet um sich her piepsen sieht.
Merlin der Alte, im leuchtenden Grabe,
Wo ich als Jüngling gesprochen ihn habe,
Hat mich mit ähnlicher Antwort belehrt:
Töricht, auf Beßrung der Toren zu harren!
Kinder der Klugheit, o habet die Narren
Eben zum Narren auch, wie sich's gehört!
Im Ganzen war er heut' sehr lebhaft, aufgeregt, geistreich, aber mehr ironisch und bizarr als gemüthlich, mehr negativ als positiv, mehr humoristisch als heiter. Nicht leicht habe ich seine Proteus-Natur sich in alle Formen zu verwandeln, mit Allem zu spielen, die entgegengesetztesten Ansichten aufzufassen und gelten zu lassen, anmuthiger hervortreten sehen.

Freitag, 4. Juli 2008

Er ist also jetzt Wirklicher Geheimer Rat, Kammerpräsident, Präsident des Kriegscollegii, Aufseher des Bauwesens bis zum Wegbau hinunter, dabei auch Directeur des Plaisirs, Hofpoet, Verfasser von schönen Festivitäten, Hofopern, Balletts, Redoutenaufzügen, Inskriptionen, Kunstwerken etc., Direktor der Zeichenakademie, in der er den Winter über Vorlesungen über die Osteologie gehalten, selbst überall der erste Akteur, Tänzer, kurz das fac totum des Weimarschen und, so Gott will, bald der maior domus sämtlicher Ernestinischer Häuser, bei denen er zur Anbetung umherzieht.
„Mieding“ ist fertig, und die Corona bekommt darin einen ganz unverwelklichen Kranz. Schade, dass der Minnesold in neueren Zeiten so teuer ist; wäre er es weniger, sie könnte Goethen nicht anders als mit ihrer Person danken. O! wie wollten wir nicht noch in unseren alten Tagen Verse machen lernen!
Seine Gesundheit ist nicht die beste. Ich wollte überhaupt, dass er aus dieser Galeere wäre.
Il est incroyable comment cet amour peut durer si longtemps, car elle enlaidit à vue d’oeil.
Man muss aber auch gestehen, dass er das wahre enfant gâté der Natur und aller Schicksals-, Glücks- und Zufallsgötter ist …

Mittwoch, 2. Juli 2008

Mit Lavatern mag sie nichts zu tun haben, denn ich merke, der kommt ihr vor, als wenn er Theriak verkaufte. Aber Goethe ist ihr Mann, so wie er der Mann aller gesunden Weiber ist.
Goethe hat einen Adlerblick, der nicht zu ertragen ist.
Im Weggehen sagte Goethe zu Mattei: „Ich danke Ihnen, und sagen Sie ihr, ich danke ihr für das Gute, das ich bei ihr genossen habe. Es ist eine treffliche Frau von Geist und Verstand. Nun sehe ich ein, warum Sie, Mattei, niemand in Lausanne kennen wollen. Jesus! Was könnte diese Frau aus einem machen!“
Nach und nach merkte ich, dass der Dichter sich noch mehr in sich selbst zurück zog; stille wurde, ernsthaft und kalt, wie in einem englischen Spleen dastunde; da dachte ich, vielleicht hat sich irgend ein grosser Gegenstand seiner Seele bemächtiget, und Apollo heisst ihn darüber dichten, und beurlaubte mich.
Mir geht's mit Goethen wunderbar. Nach acht Tagen, wie er mich so heftig verlassen hat, kommt er mit einem Übermaß von Liebe wieder. Ich hab zu mancherlei Betrachtungen durch Goethen Anlaß bekommen; je mehr ein Mensch fassen kann, deucht es mir, je dunkler, anstöß'ger wird ihn das Ganze, je eher fehlt man den ruhigen Weg. Gewiss hatten die gefallnen Engel mehr Verstand wie die übrigen …
Aber o! wie viel mehr könnte, würde der herrliche Geist tun, wenn er nicht in dies unser Chaos gesunken wäre, aus welchem er doch - mit allem seinem Willen, aller seiner Kraft - doch keine leidliche Welt schaffen wird.

Montag, 23. Juni 2008

Interessant ist alles, was uns interessiert.
Von 6 1/2 bis gegen 9 Uhr – etwas zu lang – war ich bei Goethe, der sich in der Hinterstube aufhielt. Mein Bemühen für die Frau Szymanowska einen Empfehlungsbrief an Humboldt zu erhalten, war vergeblich. Endlich, meinte er, müsse man schreiben: „Da Sie zu den Naturforschern gehören, die Alles durch Vulcane erzeugt halten, so sende ich Ihnen einen weiblichen Vulcan, der Alles vollends versengt und verbrennt, was noch übrig ist.“

Freitag, 20. Juni 2008

Öffentlich und gegen den Herzog lobt er sie sehr: „Artig, reinlich, nett, sauber, lieblich, anmutig“ und wie alle seine „Artigkeitswörter“ heissen. Unter vier Augen hat er mir aber seine Theorie über diese Art Bilder auseinandergesetzt.

Donnerstag, 19. Juni 2008

Es ist mir sehr klar geworden, dass Goethe noch sehr mit den Marienbader Bildern beschäftigt ist, allein mehr, wie ich ihn kenne, mit der Stimmung, die dadurch in ihm aufgegangen ist. und mit der Poesie, mit der er sie umsponnen hat, als mit dem Gegenstand selbst. Was man also vom Heiraten und selbst von Verliebtheit sagt, ist teils ganz falsch, teils auf die rechte Weise zu verstehen. Nur glaube ich doch, dass die Einförmigkeit, vielleicht sogar die geringe Erfreulichkeit des Familienkreises ihm, nach der lebendigeren Regung in Böhmen, nicht wohltut ....

Samstag, 14. Juni 2008

Als unter mancherlei ausgebrachten Toasten auch einer der Erinnerung geweiht wurde, brach er mit Heftigkeit in die Worte aus:»Ich statuire keine Erinnerung in Eurem Sinne, das ist nur eine unbeholfene Art sich auszudrücken. Das uns irgend Großes, Schönes, Bedeutendes begegnet, muß nicht erst von Außen her wieder er–innert, gleichsam er-jagt werden, es muß sich vielmehr gleich vom Anfang her in unser Inneres verweben, mit ihm eins werden, ein neueres besseres Ich in uns erzeugen und so ewig bildend in uns fortleben und schaffen. Es giebt kein Vergangenes, das man zurücksehnen dürfte, es giebt nur ein ewig Neues, das sich aus den erweiterten Elementen des Vergangenen gestaltet und die ächte Sehnsucht muß stets productiv sein, ein neues Besseres erschaffen.« »Und,« setzte er mit großer Rührung hinzu, – »haben wir dies nicht alle in diesen Tagen an uns selbst erfahren? Fühlen wir uns nicht alle insgesammt durch diese liebenswürdige, edle Erscheinung, die uns jetzt wieder verlassen will, im Innersten erfrischt, verbessert, erweitert? Nein, sie kann uns nicht entschwinden, sie ist in unser innerstes Selbst übergegangen, sie lebt in uns mit uns fort und fange sie es auch an, wie sie wolle, mir zu entfliehen, ich halte sie immerdar fest in mir.«
Goethe war zwar herzlich und mittheilend, jedoch innerlich gedrückt, sichtbar leidend. Seine ganze Haltung gab mir den Begriff eines unbefriedigten großartigen Strebens, einer gewissen inneren Desperation.
Von 7 1/2 – 9 Uhr Abends war ich ganz allein bei Goethe. Wir sprachen über Reinhard, Zach, die Herzogin Mutter von Gotha, Herzog Ernst, Frau v. Buchwald, Gotter, Prinz August und von v. Grimm.
Vertraulichste Mitteilung seiner Verhältnisse zu Levetzows. „Es ist eben ein Hang, der mir noch viel zu schaffen machen wird, aber ich werde darüber hinauskommen.“ Iffland könnte ein charmantes Stück daraus fertigen, ein alter Onkel, der seine junge Nichte allzuheftig liebt.
Von 5 bis 11 Uhr bei Goethe. ....
Nachher ergoss er sich noch in Lob des Badelebens, weil man dort ganz aus sich heraustrete, ganz frei ausser sich lebe, was zu Hause niemals vorkomme.

Donnerstag, 12. Juni 2008

Guten Morgen allerliebste ...

Mittwoch, 11. Juni 2008

Ohne allen Anlaß meinerseits rief er kurz, nachdem ich eingetreten war, aus: »Es ist doch recht absurd, daß Julie diesen Winter nicht hier ist! Sie weiß gar nicht, wie viel sie mir entzieht und wie viel ich dadurch entbehre, so wenig, als sie weiß, wie ich sie liebe und wie oft ich mich im Geiste mit ihr beschäftige. Ihnen kann ich das wohl sagen, obgleich wir in diesem Punkt Rivals sind; denn ich traue Ihnen zu, daß Sie gleich sehr betrübt über ihre Abwesenheit sind.« Als ich hierauf ihm die Gründe entwickelte, die Ihre (der Gräfin Julie Egloffstein) jetzige Abwesenheit motivirten, erwiederte er: »Sie hat ganz Recht, das begreife ich wohl und habe mir längst im Stillen alles das, was Sie mir jetzt sagen, selbst combinirt und enträthselt, aber nur noch viel lebhafter und passionirter, als Sie es aussprechen, ja, während der Krankheit der Großherzogin habe ich beständig mit wegen Julien gezittert, und noch jetzt werde ich wüthend, wenn ich mir die Möglichkeit denke, daß eine für Julia's Zukunft so höchst passende und wichtige Perspektive (Hofdame zu werden) verloren gehen könnte. Glaubt mir nur, daß der alte Merlin in seiner Dachshöhle sich manche stille Stunde mit solchen Abwesenden beschäftigt, die für ihn eine actio in distans haben (d.h. eine unmittelbare Wirkung in die Ferne). Andere erfreuen mich bloß durch ihre Gegenwart, durch ihre sichtliche Erscheinung, sind aber rein nichts für mich, wenn ich sie nicht vor mir sehe. Mit jenen aber kann ich mich unsichtbar unterhalten und darunter gehört Julie. Ich weiß zu gut daß sie mir durch keine andere jemals ersetzt werden kann, und eben darum bin ich so betrübt, daß sie mir gerade diesen Winter fehlt.« Und dabei war er so gemüthlich, so vertraulich, als ich ihn lange nicht gefunden in diesen Tagen.
Er erzählte mir viel von Marienbad, besonders von der Gräfin Szymanowska, die so wunderschön Klavier spielt, und sagte von ihr, sie sei so schön und so liebenswürdig, daß man trotz ihrer zauberischen Töne froh sei, wenn sie aufhöre, um sie nur sprechen zu hören, und wieder umgekehrt wünsche, sie möge nur wieder spielen, weil ihr Sprechen so sehr aufrege, daß man nur Ruhe bei ihrem Spiel wiederzufinden hoffen könne. Er sagte: ohne alle Einleitung sei er so schnell mit ihr bekannt geworden, wie man in einer milden reinen Luft sich alsobald heimisch fühle. Darauf holte er aus seinem Gartenzimmer ihre Handschrift, aus der er ihren Charakter demonstrirte und las mir dann im höchsten Pathos sein Gedicht an sie vor: drei wunderschöne Stanzen.
Sie sehen also, daß seine Leidenschaft für Ulrike Levezow wenigstens nicht exclusiv ist und daß ich Recht habe zu behaupten, nicht dieses einzelne Individuum, sondern das gesteigerte Bedürfniß seiner Seele überhaupt nach Mittheilung und Mitgefühl habe seinen jetzigen Gemüthszustand herbeigeführt.Die rohe und lieblose Sinnesweise seines Sohnes und Ulrikens (v. Pogwisch) schroffe Einseitigkeit und gehaltlose Naivetät sind freilich nicht gemacht, eine solche Krisis sanft und schonend vorüberzuführen, und die arme Ottilie ist seit seiner Ankunft beständig krank und für ihn so gut wie unsichtbar. Daher macht ihn der grelle Contrast gegen sein heiteres Badeleben mitunter höchst verstimmt und niedergebeugt, wo ihm denn jede äußere Anforderung peinlich wird. In solcher Stimmung trafen ihn gestern leider Tante (Freifrau v. Egloffstein) und Auguste (Gräfin Egloffstein), und wurden sehr bewegt dadurch. Aber das ist nur momentan; mir ist es noch immer gelungen, ihn gesprächig zu machen. Nur vom Sohne her droht alles Übel, da der verrückte Patron gegen den Vater den Piquirten spielt und sogar Ottilien mit sich nach Berlin nehmen will, wodurch alsdann erst alles verloren gehen könnte.

Dienstag, 10. Juni 2008

... Adieu liebes Gold, behalten Sie mich lieb, schreiben Sie mir manchmal etwas ...Und wenn ich heimlich mit mir nicht zufrieden bin so sind Sie wie die ehrne Schlange zu der ich mich aus meinen Sünd und Fehlen aufrichte und gesund werde.

Samstag, 7. Juni 2008

Wir wollen uns lieb und werth behalten, meine beste. Denn des lumpigen ist zu viel auf der Welt, und wenig zuverlässig, obgleich dem Gescheuten alles zuverlässig seyn sollte, wenn er nur einmal Stein für Stein und Stroh für Stroh nimmt. Es ist aber nichts schweerer als die Sachen zu nehmen für das was sie sind.
Er erzählte mir viel vom Marienbad, besonders von der Gräfin Szymanowska, die so wunderschön Klavier spielt, und sagte von ihr: Sie sei schön und liebenswürdig, dass man trotz ihrer zauberischen Töne froh sei, wenn sie aufhöre, um sie nur sprechen zu können, und wieder umgewandt wünsche, sie möge nur wieder spielen, weil ihr Sprechen so sehr aufrege, dass man nur Ruhe bei ihrem Spiel wieder zu finden hoffen könne.
Die Freundinnen teilen sich in zwei Klassen, solche, die actio in distans haben, und solche, die nur durch Gegenwart etwas sind. „Mit jenen unterhalte ich mich oft lange im Geiste, diese sind mir rein nichts, wenn ich sie nicht vor mir sehe.“
Wunderlich genug!
Glaubt mir nur, dass der alte Merlin in seiner Dachshöhle sich manche stille Stunde mit solchen Abwesenden beschäftigt, die für ihn eine actio in distans haben.

Donnerstag, 5. Juni 2008

Als ich ihn zu täglichen Spazierfahrten antrieb, sagte er: „Mit wem soll ich fahren, ohne Langeweile zu empfinden? Die Staël hat einst ganz richtig zu mir gesagt: Il vous faut de la séduction.“ Und als ich Ottilien und Ulriken anführte, erwiderte er: „Wen man täglich von früh bis Abend sieht, der kann uns nicht mehr verführen. Ja, ich bin wohl und heiter heimgekehrt, drei Monate lang habe ich mich glücklich gefühlt, von einem Interesse zum anderen, von einem Magnet zum anderen gezogen, fast wie ein Ball hin und her geschaukelt, aber nun - ruht der Ball wieder in der Ecke, und ich muss mich den Winter durch in meine Dachshöhle vergraben und zusehn, wie ich mich durchflicke!“
Überhaupt geschähen hier so viele Albernheiten, dass er sich bloss durch persönliche Würde im Auslande vor beleidigenden Nachfragen schützen könne, dass er sich aber schäme, aus Weimar zu sein, und gerne wegzöge, wenn er nur wisse, wohin?
„Sie wissen“, sagte er, „wie ich alles Extemporisieren hasse, vollends eine Verlobung oder Heurat aus dem Stegreife war mir von jeher ein wahrer Greuel. Eine Liebe kann wohl im Nu entstehen, und jede echte Neigung muss irgend einmal gleich dem Blitze plötzlich aufgeflammt sein; aber wer wird sich denn gleich heuraten, wenn man liebt? Liebe ist etwas Ideelles, Heuraten etwas Reelles, und nie verwechselt man ungestraft das Ideelle mit dem Reellen. Solch ein wichtiger Lebensschritt will allseitig überlegt sein und längere Zeit hindurch, ob auch alle individuellen Beziehungen, wenigstens die meisten, zusammenpassen? Übrigens ist Rehbeins Heuratsgeschichte so wunderbar, dass offenbar die Dämonen sich eingemischt haben, und da hütete ich mich, dagegen zu sprechen, ob ich gleich innerlich wütend war.“
„Im Prinzip, das Bestehende zu erhalten, Revolutionärem vorzubeugen, stimme ich ganz mit ihnen überein, nur nicht in den Mitteln dazu. Sie nämlich rufen die Dummheit und die Finsternis zu Hilfe, ich den Verstand und das Licht.“
Ich schone Goethen immer gern, da so jetzt alles über seinen Charakter herfällt. Ich sehe ihn als eine Naturerscheinung an, die keinen Charakter hat.
Ja, mein Bester!
Altvater Goethe soll sich noch mit aller Gewalt mit einer ihn fein um den Bart herumstreichelnden Marienbaderin verheiraten. Credat Iudaeus! Da wär er ja noch im Anfang seiner Wanderjahre!
Alle Welt trägt sich mit Goethens Liebesgeschichte, und seine Familie fürchtete sogar eine Heirat. So toll ich diese fände, so freut mich doch die Jugendkraft des Herzens an ihm, sich noch verlieben zu können. Wie es bei ihm immer war, der Wert des Gegenstandes liegt bloss in seiner Vorstellung, denn eigentlich soll gar nichts Vorzügliches daran sein. Die Familie sind Spieler und sehr spekulativ, doch denke ich, zur Heirat soll er sich nicht fangen lassen.

Freitag, 16. Mai 2008

Als Hofrat Meyer Abschied genommen hatte, sagte Goethe: Den Tod dieses Mannes wünsche ich nicht zu überleben. Er ist ein gediegener tüchtiger, nicht zu ersetzender Mann. Ich bin an ihn gewöhnt, und er bleibt öfters bei mir bis nachts ein Uhr.
Goethe erzählte: Ein Nadelmacher hatte zum Hausschild: „Das gequälte Herz“, das gequälte Herz war mit Nadeln durchstochen.
Breit und ganz abgeschmackt beschäftigt sich Goethe jetzt mit allem kleinlichen Urteil über ihn und lässt das Leerste gelten, wenn ein Hauch seines Lobes darin weht. Für einen grossen Eindruck seines Wesens war Schiller empfänglich, aber wie wies er alles Alberne von sich!
Der Sohn wird so dick, dass man erschrickt.
Sein Lieblingswort, das bei vielen Gelegenheiten vorkam, war in dieser Zeit: „Wunderlich genug!“
Goethes mass- und kritiklose Überschätzung von Talent, Bedeutung, Leistung und Urteil des biederen, aber unoriginellen, begrenzten, völlig einseitigen und rigoros unduldsamen „Experten“ ... dokumentieren die Grenzen und Unsicherheiten in Goethes Kunstkennerschaft, für die Meyer nicht Ursache, sondern Symptom ist.
H. Meyer, bei dem ich dieser drei Tage ein paar sehr angenehme Stunden zugebracht habe, ist sein vertrauter Freund. Jeden Tag kommen sie zusammen; haben sie sich nichts zu erzählen, so nimmt jeder sein Buch, und zuweilen reden sie dann vielleicht keine zwei Worte miteinander, sich sehen müssen sie aber notwendigerweise.
So ist denn alles nichts.

Sonntag, 11. Mai 2008

… wer das Leben recht zu gebrauchen weiss, der kann wirklich äusserst viel ausrichten.

Freitag, 9. Mai 2008

Wie geistreich sprach er über die drei Hauptursachen der Französischen Revolution, welche Weber aufstellt, und gesellte ihnen eine vierte hinzu, Marie Antoinettens gänzliche Vernachlässigung aller Etikette. „Wenn man einmal mehrere Millionen aufwendet, um einen Hof, um gewisse Formen, als Schranken gegen die Menge, zu haben, so ist es töricht und lächerlich, wenn man solche selbst wieder über den Haufen wirft.“

Mittwoch, 7. Mai 2008

“Nur klugtätige Menschen, die ihre Kräfte kennen und sie mit Mass und Gescheitigkeit benutzen, werden es im Weltwesen weit bringen.“

Mittwoch, 30. April 2008

Wir sprachen viel von Goethe und seinem Prinzip: sich über unangenehme Dinge und über die Notwendigkeit dadurch zu erheben, dass man sich ihnen freiwillig ergebe und zur Einsicht in ihre Notwendigkeit sich aufzuschwingen strebe.
Ein unzulängliches Wahre wirkt eine Zeitlang fort, statt völliger Aufklärung aber tritt auf einmal ein blendendes Falsche herein; das genügt der Welt, und so sind Jahrhunderte betört.

Montag, 28. April 2008

Freitag, 25. April 2008

Zu seinem Diener Stadelmann sprach er einmal leise: »Du glaubst nicht, wie elend ich bin, wie sehr krank!« Den Ärzten gab er öfters auf, sich ernstlich über seinen Zustand zu bedenken, indem er einigen Unglauben an ihrer Kunst merken ließ. »Treibt nur Eure Künste! Das ist alles recht gut, aber Ihr werdet mich doch wol nicht retten.« Mehrmalen verlangte er ein warmes Bad, das man jedoch für zu gewagt hielt. Einmal, als die Ärzte sich leise miteinander beredet hatten, sagte er: »Da gehen die Jesuiten hin! Berathen können sie sich wol, aber nicht rathen und retten.« Er jammerte, daß jeder ihm willkührlich verfluchtes Zeug zu schlucken gebe, und daß man die guten Kinder Ottilie und Ulrike mißbrauche, es ihm beizubringen.
Er fühle sich gerade in der Disposition, fromm zu werden, und denke es sich gar schön, ein vorgehaltenes Altartuch mit dem Lämmlein und einer Kreuzesfahne gläubig anzublicken.
Unvergessliche, herrliche Worte, aus tiefster Menschenkenntnis hervorgegangen.
»Hätte ich das Unglück in der Opposition sein zu müssen, ich würde lieber Aufruhr und Revolution machen, als mich im finstern Kreise ewigen Tadels des Bestehenden herumtreiben. Ich habe nie im Leben mich gegen den übermächtigen Strom der Menge oder der herrschenden Princips in feindliche, nutzlose Opposition stellen mögen; lieber habe ich mich in mein eigenes Schneckenhaus zurückgezogen und da nach Belieben gehauset. Zu was das ewige Opponiren und übellaunige Kritisiren und Regiren führt, sehen wir an Knebeln: es hat ihn zum unzufriedensten, unglücklichsten Menschen gemacht; sein Inneres, gleich einem Krebs, ganz unterfressen; nicht zwei Tage kann man mit ihm in Frieden leben, weil er alles angreift, was einem lieb ist.«

Wir kamen aus die Landtagswahlen und auf die Glieder des Regierungscollegiums zu sprechen, die ich ihm nach ihrer Individualität schildern mußte. Riemer's gegenwärtige Verstimmung gab Anlaß sich über ihn auszusprechen. »Er hat mehr Talent und Wissen,« bemerkte Goethe, »als er nach dem Maße seiner Charakterstärke ertragen kann.«

Ich suchte Goethen vorsichtig dahin zu bringen, daß er zu Riemer's Ermuthigung durch freundliche Attention beitragen möge, was denn auch seine gute Wirkung hatte. Nun kam er auf eine förmliche Theorie der Unzufriedenheit. »Was wir in uns nähren, das wächst; das ist ein ewiges Naturgesetz.Es gibt ein Organ des Mißwollens, der Unzufriedenheit in uns, wie es eines der Opposition, der Zweifelsucht gibt. Je mehr wir ihm Nahrung zuführen, es üben, je mächtiger wird es, bis es sich zuletzt aus einem Organ in ein krankhaftes Geschwür umwandelt und verderblich um sich frißt. Dann setzt sich Reue, Vorwurf und andere Absurdität daran, wir werden ungerecht gegen andere und gegen uns selbst. Die Freude am fremden und eignen Gelingen und Vollbringen geht verloren; aus Verzweiflung suchen wir zuletzt den Grund alles Übels außer uns, statt es in unsrer Verkehrtheit zu finden. Man nehme doch jeden Menschen, jedes Ereigniß in seinem eigentlichen Sinne, gehe aus sich heraus, um desto freier wieder bei sich einzukehren.«
„Denn“, sagte er, „in der Jugend glaubt man noch an die Möglichkeit einer Ausgleichung und Vereinbarung; in ältern Jahren aber sieht man diesen grossen Irrtum ein und hält das Ungleichartige und Unzusagende geradezu von sich ab.“
Toutes ces dames donnaient à Goethe le nom de Vater, elles l’ont en profonde vénération et l’entourent de leurs soins et de leurs caresses comme une idole.
... und seine ganze Haltung war die eines gut gekleideten, ehrwürdigen, altmodischen Inspektors.
In der letzten halben Stunde ward der Meister immer in sich gekehrter, abbrechender, - er schien körperlich zu leiden, der besorgte Sohn mahnte mit Recht an den Rückzug, und so schied ich um 8 ½ Uhr ganz besorgt und betrübt.

Mittwoch, 23. April 2008

Sonntag, 20. April 2008

Tod des Herzogs von Gotha. Verwirrender ängstigender Nachhall von den gestrigen Gesprächen mit Goethe.
Koch war ganz entzückt über die freundliche Aufnahme von seiten Goethes, den er sich mit steifer Haltung und einem ernsten, auf das Gewürm herabblickenden Gesicht gedacht hatte.
... da ich jedoch Goethes Isolierungs-System in solchen Fällen kenne und wie billig achte ...
Herders Frau sei an allem schuld gewesen, mit ihrem unbiegsamen Spatzenkopf …
Immer wieder quälten ihn Endzeitvisionen. „Wir armen Künstler dieser letzten Zeiten“, heisst es 1797 an Schiller. 1808 gedachte Goethe, wie der alte Diokletian in Spalato „als letzter Heide zu leben und zu sterben“. 1826 glaubte er, in einer „rückschreitenden“ Zeit zu leben; 1831 fürchtete er eine neue Barbarei. … Er sah die „Zeit kommen, wo Gott keine Freude mehr an den Menschen hat und er abermals alles zusammenschlagen muss zu einer verjüngten Schöpfung“.
Wenn man sieht, wie die Welt überhaupt, und besonders die junge, nicht allein ihren Lüsten und Leidenschaften hingegeben ist, sondern wie zugleich das Höhere und Bessere an ihnen durch die ernsten Torheiten der Zeit verschoben und verfratzt wird, so daß ihnen alles, was zur Seligkeit führen sollte, zur Verdammnis wird, unsäglichen äußern Drang nicht gerechnet, so wundert man sich nicht über Untaten, durch welche der Mensch gegen sich selbst und andere wütet. Ich getraute mir, einen neuen "Werther" zu schreiben, über den dem Volke die Haare noch mehr zu Berge stehn sollten als über den ersten. Laß mich noch eine Bemerkung hinzufügen. Die meisten jungen Leute, die ein Verdienst in sich fühlen, fordern mehr von sich als billig. Dazu werden sie aber durch die gigantische Umgebung gedrängt und genötigt. Ich kenne deren ein halb Dutzend, die gewiß auch zugrunde gehn und denen nicht zu helfen wäre, selbst wenn man sie über ihren wahren Vorteil aufklären könnte.
Wer nicht von dreitausend Jahren
Sich weiß Rechenschaft zu geben,
Bleib im Dunkeln unerfahren,
Mag von Tag zu Tage leben.
Niemand bedenkt leicht, daß uns Vernunft und ein tapferes Wollen gegeben sind, damit wir uns nicht allein vom Bösen, sondern auch vom Übermaß des Guten zurückhalten.

Dienstag, 15. April 2008

„Um das Unmögliche möglich zu machen, muss sich der Mensch nur mit rastlosem Streben daranmachen. Sah ich doch voriges Jahr in Dornburg einen Indianer sich einen ellenlangen Degen in den Schlund hineinstecken, wozu mehrjähriges tägliches Fortprobieren ihn geführt hatte.“
Da ich einmal diese lobenswerten Eigenheiten Goethes berühre, so füge ich noch hinzu: dass er Eleganz, Nettigkeit und gefälliges Aussehen auch bei dem kleinsten Geschäft anzubringen sich bemüht, und, weil seine Umgebung trotz dem besten Willen ihm mit ihrem Beistande nicht Genüge leistet, vieles mit eigenen Händen macht, um es nach seiner Art getan zu sehen. So muss ich bei Briefen, sie mögen an Vornehme oder Geringe sein, stets mich bemühen, an allen Seiten einen breiten gefälligen Raum zu lassen, und ich ernte jedesmal ein Lob ein, wenn es mir glückt, den Brief so einzuteilen, dass alle Seiten gleich voll sind.
Wie er nun gewohnt ist, immer für sich einzelne Worte zu sprechen, oder zu brummen, so höre ich meist bei solchen Gelegenheiten sein: „Nur still! - Nur ruhig!“
Als wir auf einige in Untersuchung begriffene Beamte von ganz untergeordneter Bedeutung zu reden kamen, äußerte Goethe: »Überall überspannte Ansprüche auf Lebensgenuß, überall die dunkle Meinung, es sei alles zu wagen, es werde alles durchgehen. Es fehlt an einer im stillen fortgesetzten Aufsicht von oben her, einer geheimen Ehren-Polizei; selbst Schumanns Bankrutt – nehmt mir das unter vier Augen nicht übel – hätte ohne grosse Inadvertenz der Vorgesetzten sich nicht ereignen können.«
Von Schubarth's Bruder sagte Goethe: er sei ein auf Landwirthschaft gerichteter, gar liebenswürdiger, heiterer, verständiger Mensch, viel realer, sinnlicher, fester als der Schriftsteller. Er hätte ihn gern hierher empfohlen, wenn er anders noch den geringsten Glauben an das Gelingen solcher Unternehmungen hätte. Man müsse aber niemanden mehr hierher empfehlen, unser Zustand sei allzusehr untergraben.

Montag, 14. April 2008

Sonntag, 13. April 2008

Er meinte, dem Goethe fehle jetzt sehr sein ehemaliger behaglicher Abendkreis, wo ihm die jungen Sängerinnen, was er so gewünscht, vorgesungen und sich alles von ihm gefallen lassen hätten, der Kreis von Bekannten seiner Schwiegertochter sei ihm etwas zu vornehm geschoren und zu weise, er könne sich nicht so nach seiner Bequemlichkeit auslassen. Es scheint mir etwas Wahres an der Sache, und das erklärt auch, wie die Frau Geheimrätin weiland bei allen ihren Fehlern doch eine angenehme Umgebung schaffen konnte, die er nachher lange vermisste.
Herr von Knebel war ein alter Mann mit intelligenten Zügen, aber dabei etwas grämlicher Miene, mit ergrauten Haaren und einem kleinen schwarzen Käppchen auf dem Kopfe. Frau von Knebel fiel mir gleich auf durch ihr sonderbares Kostüm. Sie war eine Frau vielleicht in der Mitte der Vierziger und mochte wohl einmal ein pikantes Gesicht gehabt haben; jetzt aber war sie mager und vergilbt und hatte etwas Unstetes und Flüchtiges in ihrem Wesen und in dem Ausdruck ihrer Züge.
... Als ich die Bemerkung machte, wie sehr sie doch vom Schicksal begünstigt sei, dass es ihr geworden wäre, ihr ganzes Leben im nahen Verkehr mit den ausgezeichnetsten Männern ihrer Zeit durchleben zu können, wie fördernd dies für das eigene Ich sein müsste, wie vieles durch einen solchen Umgang geweckt und ausgebildet werden könnte, was durch das blosse Lesen ihrer Schriften doch so nie zu erreichen sei, erhielt ich eine Antwort, die ich gewiss nicht erwartet hatte. „Ja, meine Liebe“, erwiderte sie, „ich will ihnen sagen, das kommt alles darauf an, wie der Mensch nun gerade ist; mir zum Beispiel hat dies alles gar nichts geholfen, der Wieland pflegte immer zu sagen: Das weiss auch Gott, die Knebel hat ihr ganzes Leben mit den ersten Geistern ihrer Zeit durchlebt, und hat es noch nicht so weit gebracht, dass sie mir und mich voneinander unterscheiden kann.“ Die Sache hatte ihre vollkommene Richtigkeit, ich hatte auch schon die Bemerkung gemacht, dass die Dame in dieser Beziehung nicht sicher sei ...
Goethe war gut und liebenswürdig, zweimal sah ich ihn, stets bei ihm, mir ging die Seele auf, als ich ihm in die Arme flog!
Kriegsgeschichten dagegen lese und höre ich mit grosser Begierde.
Goethe äusserte dazu: „So kann einem also eine Sache zugleich widerwärtig und angenehm sein. Widerwärtig, wenn man sie selbst unternehmen soll, angenehm, wenn man sie an anderen wahrnimmt. Wer diese Doppelgabe am ausgebreitetsten besitzt, ist der Glücklichste in dieser Welt. Er kann niemals ohne Interesse sein, folglich niemals Langeweile empfinden."
„Ja“, sagte er lächelnd, „die Natur reagiert nicht bloss gegen die leibliche Krankheit, sondern auch gegen die geistigen Schwächen; sie sendet in der steigenden Gefahr stärkern Mut. Die Kriegshelden mögen besonders davon zu erzählen wissen. Wie war Zelter?“ fragte er.
In dem neuen Heft von „Kunst und Altertum“, das zu Michaelis erscheint, werden Sie mehrere Gedichte von ihm finden, unter anderem eine wunderherrliche Ballade („Herein, o du Guter!“), die ich in Berlin bei Zelter sah, der sie bereits komponiert hat.
Hokuspokus Goethens mit dem trüben Glas, worauf eine Schlange. „Das ist ein Urphänomen, das muss man nicht weiter erklären wollen.“ „Gott selbst weiss nicht mehr davon als ich.“
Die Schuld von Schillers allzu frühem Tode gab er der Art und Weise, wie er arbeitete. „Ich“, sagte er, „behauptete immer, der Dichter dürfe nicht eher ans Werk gehen, als bis er einen unwiderstehlichen Drang zum Dichten fühle. Und diesen Grundsatz befolge ich auch, ihm verdanke ich mein heiteres Alter.“ „Sie sehen hier“, fuhr er fort, „sechs verschiedene angefangene Arbeiten; ich gehe an keine, wenn sie mich nicht eben anzieht, und verweile bei keiner länger, als ich mich dazu aufgelegt fühle. Schiller dagegen wollte das nicht gelten lassen. Er behauptete, der Mensch müsse können, was er wolle, und nach dieser Manier verfuhr er auch.“

Samstag, 12. April 2008

Er wartet stets die Neigung ab, lauscht auf Eingebung - Schiller, die Freiheit des Willens verteidigend, nahm sich die Arbeiten vor, gab sie sich auf und zwang sich zur Begeisterung. Das aber hat ihn auch allzu früh aufgerieben. Schiller wäre nach Goethes Behauptung noch unendlich höher gestiegen, hätte er länger gelebt. Ja, seine Fortschritte seien so ausserordentlich gewesen, dass er ihn nach vier Tagen oft nicht mehr erkannt habe. - Goethe geriet in Begeisterung, wie er von seinem Freunde sprach, - unsäglich viel hätte er an ihm verloren. Nun beschrieb er mir, wie Schiller es machte, wenn er etwas Grosses vor-hatte, zum Beispiel den „Wilhelm Tell“. Sobald er den Entschluss zu diesem Stücke gefasst hatte, klebte er sich eine möglichst spezielle Karte von der Schweiz an die Wand, setzte sich davor und las, was über die Schweiz und die Geschichte ihrer Befreiung vorhanden war. Dabei besprach er vielfältig seinen Gegenstand, und wenn er sich nun so ganz davon durchdrungen hatte, schrieb er mit unglaublicher Leichtigkeit so lange fort, bis ihm die Augen zufielen. Nun schlief er angezogen und sitzend, bis er wieder erwachte, wo er dann sogleich die Arbeit fortsetzte. Ob es Tag oder Nacht, das war ihm gleichviel.
Seine Geisteskräfte scheinen nicht abnehmen zu wollen; doch scheint es mir, dass sich über sein Inneres ein Flor ziehe, der ihm das Leben eben nicht, wie man sagt, in rosenfarbenen Licht erscheinen lässt.Dies ist nun in meinem und seinem Alter nicht eben zu verwundern, am wenigsten bei dem, der das Le-ben immer von einer strengen und aufmerksamen Seite in seiner Wirklichkeit und Konsequenz genommen hat.
Goethe sagte, als von den Streitigkeiten Vossens und Stolbergs die Rede war, Voss contra Stolberg komme ihm vor wie in Dantes Hölle, wie der im Sumpf Eingefrorene die Köpfe seiner Miteingefrorenen benagt.
Am 9. August 1819 verlebten wir den Abend bei Goethe. Dieser hohe Freund hatte Julien Kreide zum Zeichnen geschenkt. Diese Gabe brachte das Gespräch auf die Zeichnung des Posthalters von Langensalza. Bei der Erzählung, wie wir in seine Schwächen eingegangen und dadurch seiner bis zur Verrücktheit gesteigerten Eitelkeit noch geschmeichelt hätten, bemerkte Goethe auf eine sein persiflirende Weise, daß darin die eigentliche Lebensklugheit bestehe und er ihr solches Benehmen gegen jedermann anrathe. Auf Juliens Frage, warum man nur gegen Carricaturen sich diese augenblickliche Verläugnung seiner Ansichten gestatte, erwiederte er mit sichtbarer Freude über ihre Bemerkung, daß diese Gattung von Menschen, indem sie aus ihrer Natur heraustrete, auch alle Verpflichtungen, so wir gegen uns und andere üben, auflösen, und man daher diese Personen als halbe Wahnwitzige dulde, statt sie zu widerlegen in ihre Ideen eingehe. Julie citirte eine Person aus ihrer Bekanntschaft, wo man täglich diese Regel übe. Jedes glaubte, sie errathen zu haben, als der alte Herr mit Feinheit einfiel, daß man nur im Staatskalender suchen dürfe, um so einen Gegenstand zu finden. »Erhaltet Eure Aufrichtigkeit und Wahrheitsliebe so viel wie möglich«, fuhr er fort, »aber verfallt nicht in den Fehler der jetzigen Zeit, nämlich: durch allzugroße Aufrichtigkeit grob zu werden.« Hierauf erzählte er uns eine niedliche Anekdote von einer alten würdigen Castellanin zu Nürnberg, welche in einer Gesellschaft von jungen Leuten, die sich mit ungeziemender Heftigkeit und Unart über die Schmeichler und Heuchler äußerten, plötzlich hinter ihrem Kaffeetisch mit zusammengeschlagenen Händen in vollem Unmuth ausrief: Ach, wie lieb' ich die Schmeichler und Heuchler!
Über Goethe schreibst Du sehr schön und richtig. Liebe hat ihm immer gefehlt, er hat sie schwerlich empfunden, und die rechte ist ihm nicht geworden. Allein der wahre Grund dazu ist doch wohl das früh in ihm waltende, schaffende Genie und die Phantasie gewesen. Wo sich die Natur einen solchen eigenen und inneren Weg bahnt, da wird es wohl unmöglich, sich einem anderen Wesen in der Wirklichkeit un-eigennützig hinzugeben, und ohne das ist keine Liebe denkbar. Man muss sich immer erst verlieren, um sich schöner und reicher wieder zu empfangen. Aber eine Leere lässt es dann freilich im Leben zurück, und ich glaube nicht, dass ausser den Stunden und Zeiten des glücklichen Hervorbringens Goethe eigentlich glücklich oder reich in sich beschäftigt ist.
Anfangs schien Goethe taciturn und marode.
Exzellenz haben die Gnade gehabt, geneigtest zuzuhören

Donnerstag, 10. April 2008

Sonntag, 6. April 2008

Man müsse stets die Gunst verteilen, sonst winde man selbst das Ruder aus der Hand. So, führte er an, habe er zweiundzwanzig Jahre lang dem Theater vorgestanden, ohne sich eine Schwäche gegen eine Actrice zu verstatten, deren mehrere, besonders Euphrosyne und die Wolff, es ihm doch sehr nahe gelegt. Wer aber die Lust des Herrschens einmal empfunden, dürfe nicht leichtsinnig den Stützpunkt durch Favoritschaften aufgeben.
Alles kommt auf ein Aperçu an. Es ist das Höchste, wozu es der Mensch bringt, und weiter bringt er es nicht.
Abends mit Julie bei Goethe, herrliche Stunden.
Es ist nun einmal ein seltsamer Mensch, aber wahrlich kein interessanter. Naturgeschichte und Technologie sind jetzt seine Lieblings-Unterhaltung; jedes andere Gespräch nimmt er nur gezwungen an.
Doch nur allzurasch entschlüpften so köstliche Stunden. „Lasst mich, Kinder“, sprach er plötzlich, „einsam zu meinen Steinen dort unten eilen, denn nach solchem Gespräch geziemt dem alten Merlin, sich mit den Urelementen wieder zu befreunden.“
Wir sahen ihm lange und frohbewegt nach, als er, in seinen lichtgrauen Mantel gehüllt, feierlich ins Tal hinabstieg, bald bei diesem, bald bei jenem Mineral oder Pflanze verweilend.
Goethe öffnete uns seine Zimmer, als ich bei Ottilie den Abend zubrachte. Er war höchst liebenswürdig in seinem Flausrock und schaukelte mich hin und her auf den Wogen seines Gesprächs.
Seht, lieben Kinder, was wäre ich denn, wenn ich nicht immer mit klugen Leuten umgegangen wäre und von ihnen gelernt hätte? Nicht aus Büchern, sondern durch lebendigen Ideentausch, durch heitre Geselligkeit müsst ihr lernen!
Ja, ja, das ist ja ganz hübsch, beinahe machte es ein Bild.

Samstag, 5. April 2008

Freitag, 4. April 2008

Liebe Frau, leide dass ich dich so lieb habe. Wenn ich iemand lieber haben kann, will ich dir’s sagen. Will dich ungeplagt lassen. Adieu Gold. Du begreiffst nicht wie ich dich lieb hab.
Ich bitte nur um ein Wort, Besänftigerinn.
Jetzt macht alles Verse; doch Goethe meint, es sei niemals weniger Poesie in der Welt gewesen, als eben jetzt.
Schwer würde ich einige besondere Sprüche aus dem lebenreichen Ganzen aussondern! die festesten, kräftigsten Äusserungen, die feinsten, erfreulichsten Wendungen, voll Gestalt im Hervorkommen, zerflossen mir unter den Händen, wenn ich sie dem Gedächtnisse zum Behalten und Überliefern einprägen wollte.
Das Volk, meinten beide, sei nur zum Schlagen, nicht zum Raten zu gebrauchen; die höhere Einsicht der mit Allerhöchstem Zutrauen beehrten Staatsdiener müsse alles leiten, der Ruf nach Freiheit sei das Grundböse, das immer Kampf gegen Recht und Ordnung wolle. Goethe stand ganz auf dem einseitigen Standpunkte des ruhig Besitzenden, der im behaglichen Genuss des Erworbenen, der bestehenden Ruhe und Ordnung um keinen Preis gestört sein mag, Schultz schaute von der Höhe des Beamten herab, die nur Gehorsam gegen höhere Befehle kennt.
Die Schröter ist ein Engel – wenn mir doch Gott so ein Weib bescheeren wollte dass ich euch könnt in Frieden lassen – Doch sie sieht dir nicht ähnlich genug. Ade.
Kein Genuss ist vorübergehend; denn der Eindruck, den er zurücklässt, ist bleibend.

Mittwoch, 2. April 2008

Dienstag, 1. April 2008

„Das Teufelspack, es fragt nach keiner Regel.“
Wir wollen indes für dieses Mal abbrechen.
Und doch Engel manchmal wenn die Noth in meinem Herzen die grösst ist, ruf ich dir zu: Getrost! Getrost! Ausgeduldet und es wird werden. .... – Leide nicht vor uns! – Duld uns! – Gieb uns eine Thräne, einen Händedruck, einen Augenblick auf deinen Knieen. Wische mit deiner lieben Hand diese Stirn ab.
„Gespenster die mir furchtbaar sind, und die nur du zerstreuen kannst“

Donnerstag, 27. März 2008

Jetzt macht alles Verse; doch Goethe meint, es sei niemals weniger Poesie in der Welt gewesen, als eben jetzt.
Das Volk, meinten beide, sei nur zum Schlagen, nicht zum Raten zu gebrauchen; die höhere Einsicht der mit Allerhöchstem Zutrauen beehrten Staatsdiener müsse alles leiten, der Ruf nach Freiheit sei das Grundböse, das immer Kampf gegen Recht und Ordnung wolle. Goethe stand ganz auf dem einseitigen Standpunkte des ruhig Besitzenden, der im behaglichen Genuss des Erworbenen, der bestehenden Ruhe und Ordnung um keinen Preis gestört sein mag, Schultz schaute von der Höhe des Beamten herab, die nur Gehorsam gegen höhere Befehle kennt.
Goethe gesteht, dass er Frau von Stein ein Mieder entwendet habe, um daran nach Lust und Laune zu schnuppern.

Mittwoch, 26. März 2008

Dienstag, 25. März 2008

Die ungeheuerlichste Kultur, die ein Mensch sich geben kann, ist die Überzeugung, dass die andern nicht nach einem fragen.
Meine Zeit wich von mir ab.
Für das grösste Unheil unserer Zeit, die nichts reif werden lässt, muss ich halten, dass man im nächsten Augenblick den vorhergehenden vergisst, den Tag im Tage vertut, und so immer aus der Hand in den Mund lebt, ohne irgend etwas vor sich zu bringen. Haben wir doch schon Blätter für sämtliche Tageszeiten, ein guter Kopf könnte doch wohl noch eins und das andere interpolieren. Dadurch wird alles, was ein jeder tut, treibt, dichtet, ja was er vorhat, ins Öffentliche geschleppt. Niemand darf sich freuen oder leiden, als zum Zeitvertreib der übrigen; und so springt’s von Haus zu Haus, von Stadt zu Stadt, von Reich zu Reich und zuletzt von Weltteil zu Weltteil, alles veloziferisch.
Glaube, dass du mich liebst.
Nur fort! Es ist ein grosser Jammer!
Du sollst in deines Liebchens Kammer,
Nicht etwa in den Tod!

Montag, 24. März 2008

Es wäre ein herrliches Schauspiel zu sehen, wie die Welt sich in dieser Seele spiegelt. Sie sieht die Welt, wie sie ist, und doch durchs Medium der Liebe. So ist auch Sanftheit der allgemeinere Ausdruck.
Von dem Katzenreutihof reiseten wir wieder nach Zürich. Auf dem Heimweg weinte ich Freudentränen über mein namenloses Glück, von solchen Edeln geliebt zu werden; ich bat den Gott meiner Jugend, der mir oft schon aus dem tiefsten Elend ausgeholfen, um die Gnade, würdig zu werden der Liebe, mit der ich geliebt wurde.
Dies bleibt mir immer eine der ausserordentlichsten Erscheinungen meines Lebens.
Goethe ist, nach Heinses Ausdruck, Genie vom Scheitel bis zur Fusssohle; ein Besessener, füge ich hinzu, dem fast in keinem Falle gestattet ist, willkürlich zu handeln. Man braucht nur eine Stunde bei ihm zu sein, um es in höchstem Grade lächerlich zu finden, von ihm zu begehren, dass er anders denken und handeln soll, als er wirklich denkt und handelt. Hiermit will ich nicht andeuten, dass keine Veränderung zum Schöneren und Besseren in ihm möglich sei ….
Goethe sagte von Herder, er existirte in einem unaufhörlichen Blasenwerfen. – Auch zerplatzt ihm alles, und alles ekelt ihn im voraus an.

Sonntag, 23. März 2008

Allerlei Spässe.
So wie am Ende ein grosses Individuum den Wissenschaften Face machen muss, so ist es am Ende auch nur das Individuum, welches originäre, primäre Vorstellungen hat, das eigentlich Schätzbare und das was zählt. Die andern erhalten ihre Vorstellungen nur als Reflex, als Widerschein. Sie kleiden sich in gewisse Vorstellungen, wissenschaftliche oder sittliche, wie in Modetrachten.
„Es geht im Kleinen wie im Großen. Folge! Das Einzige, wodurch alles gemacht wird und ohne das nichts gemacht werden kann, warum läßt sie sich so selten halten? Warum so wenig durch sich selbst und Andere hervorbringen?“
Bemerkung Goethes: Menschen, die ihr Gleiches lieben und aufsuchen, und wieder solche, die ihr Gegentheil lieben und diesem nachgehen.
Goethe äußerte: »Daß die Männer zum Dienen, die Weiber zu Müttern gezogen werden müßten. Das jetzige Unglück der Welt rühre doch meist davon her, daß sich alles zu Herren gebildet habe. Dies sei vom Mittelstand ausgegangen (vom Kaufmann, der reich, vom Bürger, der sich gebildet). Der Adel sei von jeher dienstpflichtig gewesen. Und der erste Staatsdiener, wie Joseph II. schon gesagt, sei der Fürst.«
»Gewiß nur der am empfindlichsten gewesen ist, kann der kälteste und härteste werden; denn er muß sich mit einem harten Panzer umgeben, um sich vor den unsanften Berührungen zu sichern; und oft wird ihm selbst dieser Panzer zur Last.«
Beim Abschied überreichte er jeder von uns mit verbindlichen Worten einen Strauss; ich bekam Reseda und eine Valeriana, die er „Herzenstrost“ oder „Herzensstärkung“ nannte. Als Sylvia meinte: die brauche sie nicht, entgegnete er: dass man Stärkung immer brauche.
„Könnte man mit die 35 Jahre wiedergeben, könnte man mir die Liebe zu dieser artigen Person (Corona Schröter) und die Freundschaft (den Herzog), kurz das Zärtliche wiedergeben, dann könnte vielleicht von einem neuen Orest (dem Herzog), von einem neuen Pylades (Goethe), von einer neuen Iphigenie die Rede sein - aber in Ermangelung alles dessen reduziert sich diese Forderung nur auf eine nichtige unverständliche Zumuterei.“
In die Zeit, in welcher ich die Stelle eines Sekretärs bei Goethe versah, fällt die Herausgabe seiner Werke letzter Hand, und derselbe diktierte mir dafür Neues und Umgearbeitetes, unter anderem auch „Wilhelm Meisters Wanderjahre“, wobei ich Gelegenheit hatte, die Kraft, Sicherheit und Klarheit seines Geistes in so hohen Jahren zu bewundern. Er tat dies so sicher, fliessend, wie es mancher nur aus einem gedruckten Buche zu tun imstande sein würde.
Wäre das ruhig und ohne äussere Störung und Unterbrechung geschehen, so würde ich kaum aufmerksam geworden sein. Dazwischen aber kam der Barbier, der Friseur (Goethe liess sich alle zwei Tage das Haar brennen, täglich frisieren), der Bibliotheksdiener, öfter der frühere Sekretär Goethes, der kürzlich verstorbene Bibliothekar Rat Kräuter, der Kanzlist, welche alle die Erlaubnis hatten, unangemeldet einzutreten. Der Kammerdiener meldete einen Fremden an, mit wlechem sich Goethe, falls der Annahme, längere oder kürzere Zeit unterhielt; dazwischen trat auch wohl jemand aus der Familie ein. Der Barbier und Friseur erzählten, was in der Stadt etwa passiert sei, der Bibliotheksdiener berichtete von der Bibliothek usw.
Wie beim Anklopfen das kräftige Herein! ertönte, beendigte ich den letzten Satz und wartete, bis der Anwesende sich wieder entfernte. Da wiederholte ich so viel, als mir für den Zusammenhang nötig schien, und das Diktieren ging bis zur nächsten Störung fort, als wäre nichts vorgefallen. Das war mir doch zu arg, und ich sah mich überall im Zimmer um, ob nicht irgendwo ein Buch, ein Konzept oder Brouillon läge, in das Goethe im Vorübergehen schaute (während des Diktierens wandelte derselbe nämlich ununterbrochen um den Tisch und den Schreibenden herum), aber niemals habe ich das Geringste entdecken können.
Als ich meine Verwunderung darüber gegen Hofrat Meyer, Goethes langjährigen Freund, äusserte, mit welchem ich täglich verkehrte, nahm er das als etwas ihm ganz Bekanntes auf und erzählte mir einen anderen Fall: Auf einer langsamen Fahrt von Jena nach Weimar habe ihm Goethe den ganzen Roman „Die Wahlverwandtschaften“ erzählend vorgetragen, und zwar in einer Weise fliessend, als habe er ein gedrucktes Exemplar vor sich; und doch sei damals noch kein Wort davon niedergeschrieben gewesen.
Während des Diktierens kam es auch nicht selten vor, dass Goethe plötzlich stehen blieb, wie man etwa tut, wenn man eine Gruppe Menschen oder einen andern Gegenstand unvermutet vor sich sieht, welche die augenblickliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Diese schien er sofort künstlerisch zu gestalten und zu gruppieren. Mit ausgebreiteten Händen und unter Beugung des Körpers nach der einen oder andern Seite brachte er den Gegenstand ins Gleichgewicht und in kunstgerechte Stellung. War ihm das gelungen, so rief er gewöhnlich: „So recht! ganz recht!“Anfangs wurde es mir fast unheimlich bei dieser Unterhaltung mit der unsichtbaren Gesellschaft, seinen eigenen Kunstgebilden.