Donnerstag, 26. Dezember 2013


Ich komme gar nicht von dir weg

Freitag, 20. Dezember 2013


Goethe schritt im Zimmer auf und ab. Ich hatte mich an den Tisch gesetzt, der zwar bereits abgeräumt war, aber auf dem sich noch einige Reste Wein befanden, nebst einigem Biskuit und Früchten.

Goethe schenkte mir ein und nötigte mich, von beiden etwas zu genießen. „Sie haben zwar verschmäht,“ sagte er, „diesen Mittag unser Gast zu sein, doch dürfte ein Glas von diesem Geschenk lieber Freunde Ihnen ganz wohl tun!“

Ich ließ mir so gute Dinge gefallen, während Goethe fortfuhr, im Zimmer auf und ab zu gehen und aufgeregten Geistes vor sich hinzubrummen und von Zeit zu Zeit unverständliche Worte herauszustoßen.

Mittwoch, 11. Dezember 2013


Ich bin immer dein und bey dir, leibeigner als sich dencken lässt.

 

Freitag, 6. Dezember 2013


Wie erschrak Wilhelm, wie betäubt fuhr er aus einem glücklichen Traum auf, als die Gräfin sich auf einmal mit einem Schrei von ihm losriß und mit der Hand nach ihrem Herzen fuhr. ... Verlassen Sie mich, rief sie, und indem sie die Hand von den Augen nahm und ihn mit einem unbeschreiblichen Blicke ansah, setzte sie mit der lieblichsten Stimme hinzu: Fliehen Sie mich, wenn Sie mich lieben. ...
Goethe sagte: „Die vornehmen Herren hätten die Hundsfötter ausserordentlich gern.“ Mir fiel jener Fürst ein, von dem er mir oft erzählt hatte, der seine Diener durch Nachsicht verdarb und dann ausrief: „Nun, der Hundsfott wär’ mir gelungen!“
In der Liebe ist man oftmals falsch, denn man konniviert gegen die Unvollkommenheiten des andern und erhebt sie zu Tugenden, dagegen man im Hass viel klarer sieht.

Donnerstag, 5. Dezember 2013

Ich bin heut musikalisch und esse mit der Schrötern, bin und bleibe doch aber ganz dein.
Wenn ein Teil der Jenaer Studenten ihm am 28. August 1823, ausgerechnet an seinem vierundsiebzigsten Geburtstag, als einem Vertreter des Indifferentismus auf dem Markt ein Pereat bringt, nimmt dies sowohl die liberale als auch die national-burschenschaftliche Kritik an Goethe vorweg, welche die kommenden Jahrzehnte beherrschen wird und ihn in den Schatten Schillers treten läßt. Börne schilt Goethe einen Stabilitätsnarren und rügt seine breite, kunstschmausende Behaglichkeit; nicht viel anders Heine, der an der stets auf Ruhe und Ordnung bedachten Kunstbehaglichkeit des großen Zeitablehnungsgenies Anstoß nimmt.
Sein episches Gedicht haben Sie gelesen; Sie werden gestehen, daß es der Gipfel seiner und unserer ganzen neueren Kunst ist. Ich hab' es entstehen sehen und mich fast eben so sehr über die Art der Entstehung als über das Werk verwundert. Während wir andern mühselig sammeln und prüfen müssen, um etwas leidliches langsam hervorzubringen, darf er nur leis an dem Baume schütteln, um sich die schönsten Früchte, reif und schwer, zufallen zu lassen. Es ist unglaublich, mit welcher Leichtigkeit er jetzt die Früchte eines wohlangewandten Lebens und einer anhaltenden Bildung an sich selber einärntet, wie bedeutend und sicher jetzt alle seine Schritte sind, wie ihn die Klarheit über sich selbst und über die Gegenstände vor jedem eiteln Streben und Herumtappen bewahrt. Doch Sie haben ihn jetzt selbst, und können sich von allem dem mit eignen Augen überzeugen. Sie werden mir aber auch darin beipflichten, daß er auf dem Gipfel, wo er jetzt steht, mehr darauf denken muß, die schöne Form die er sich gegeben hat, zur Darstellung zu bringen als nachneuem Stoffe auszugehen, kurz daß er jetzt ganz der poetischen Praktik leben muß. Wenn es einmal einer unter Tausenden, die darnach streben, dahin gebracht hat, ein schönes vollendetes Ganzes aus sich zu machen, der kann meines Erachtens nichts besseres thun, als dafür jede mögliche Art des Ausdrucks zu suchen; denn wie weit er auch noch kommt, er kann doch nichts Höheres geben.
Goethe selbst hatten Gegenstand und Ausführung dergestalt durchdrungen, daß er das Gedicht niemals ohne große Rührung vorlesen konnte. - "Hab' ich euch Tränen in's Auge gelockt, und Lust in die Seele singend geflößt, so kommt! drücket mich herzlich an's Herz!"

Samstag, 30. November 2013

Im Ganzen ist es der ungeheure Anblick von Bächen und Strömen, die sich, nach Naturnothwendigkeit, von vielen Höhen und aus vielen Thälern, gegen einander stürzen und endlich das Übersteigen eines großen Flusses und eine Überschwemmung veranlassen, in der zu Grunde geht wer sie vorgesehen hat, so gut als der sie nicht ahnete. Man sieht in dieser ungeheuern Empirie nichts als Natur und nichts von dem was wir Philosophen so gern Freiheit nennen möchten. Wir wollen erwarten ob uns Bonapartes Persönlichkeit noch ferner mit dieser herrlichen und herrschenden Erscheinung erfreuen wird.

Donnerstag, 21. November 2013

So angenehm-fesselnd indes auch seine Schilderungen waren, die höchste Glorie umleuchtete ihn erst in Augenblicken der Begeisterung, wenn ein lebhafteres Rot die Wangen überflog, deutlicher der Gedanke auf der erhabenen Stirn hervortrat, himmlischer noch die Strahlen seines Auges glänzten, und sein ganzes Antlitz sich zum Ausdruck einer göttlichen Anschauung verklärte.
Lieben und Hassen, Hoffen und Fürchten sind auch nur differente Zustände unseres trüben Inneren, durch welches der Geist entweder nach der Licht- oder Schattenseite hinblickt. Blicken wir durch die trübe organische Umgebung nach dem Lichte hin, so lieben und hoffen wir. Blicken wir nach dem Finsteren, so hassen und fürchten wir. Beide Seiten haben ihr Anziehendes und Reizendes. Für manche Menschen sogar die traurige mehr als die heitere.  
Die Welt ist wie ein Strom, der in seinem Bette fortläuft, bald hier bald da zufällig Sandbänke ansetzt und von diesen wieder zu einem andern Wege genötigt wird. Das geht alles so hübsch und bequem und nach und nach; dagegen die Wasserbaumeister eine grosse Not haben, wenn sie diesem Wesen entgegenarbeiten wollen.

Freitag, 15. November 2013


Leben Sie recht wohl und sagen mir gelegentlich etwas von den weimarischen Zuständen und in wie fern Ihnen einige Arbeit glückt.

Dienstag, 12. November 2013


Wir sind in und mit Lavatern glücklich, es ist uns allen eine Cur, um einen Menschen zu seyn, der in der Häuslichkeit der Liebe lebt und strebt, der an dem was er würckt Genuss im Würcken hat, und seine Freunde mit unglaublicher Aufmercksamkeit, trägt, nährt, leitet und erfreut. Wie gern mögt ich ein Vierteljahr neben ihm zubringen, freylich nicht müsig wie iezt. Etwas zu arbeiten haben, und Abends wieder zusammen lauffen. Die Wahrheit ist einem doch immer neu, und wenn man wieder einmal so einen ganz wahren Menschen sieht meynt man, man käme erst auf die Welt. Aber auch ists im moralischen wie mit einer Brunnen Cur alle Übel im Menschen tiefe und flache kommen in Bewegung, und das ganze Eingeweide arbeitet durch einander.
Erst hier geht mir recht klar auf in was für einem sittlichen Todt wir gewöhnlich zusammen leben, und woher das Eintrocknen und Einfrieren eines Herzens kommt das in sich nie dürr, und nie kalt ist. Gebe Gott dass unter mehr grosen Vortheilen auch dieser uns nach Hause begleite, dass wir unsre Seelen offen behalten, und wir die guten Seelen auch zu öffnen vermögen. Könnt ich euch mahlen wie leer die Welt ist, man würde sich an einander klammern und nicht vun einander lassen. Indess bin ich auch schon wieder bereit dass uns der Sirocko von Unzufriedenheit, Widerwille Undanck, Lässigkeit und Prätension entgegen dampfe. 
Deine Frage über die Schöne kan ich nicht beantworten. Ich habe mich gegen sie so betragen, als ich's gegen eine Fürstinn oder eine heilige thun würde. Und wenn es auch nur Wahn wäre, ich mögte mir solch ein Bild nicht durch die Gemeinschafft einer flüchtigen Begierde besudlen. Und Gott bewahre uns für einem ernstlichen Band, an dem sie mir die Seele aus den Gliedern winden würde.  

Das Tagewerck das mir aufgetragen ist, das mir täglich leichter und schweerer wird, erfordert wachend und träumend meine Gegenwart diese Pflicht wird mir täglich theurer, und darinn wünscht ich's den grössten Menschen gleich zu thun, und in nichts grösserm. Diese Begierde, die Pyramide meines Daseyns, deren Basis mir angegeben und gegründet ist, so hoch als möglich in die Lufft zu spizzen, überwiegt alles andre und lässt kaum Augenblickliches Vergessen zu. Ich darf mich nicht säumen, ich bin schon weit in Jahren vor, und vielleicht bricht mich das Schicksaal in der Mitte, und der Babilonische Thurn bleibt stumpf unvollendet. Wenigstens soll man sagen es war kühn entworfen und wenn ich lebe, sollen wills Gott die Kräffte bis hinauf reichen.

Auch thut der Talisman iener schönen Liebe womit die Stein mein Leben würzt sehr viel. Sie hat meine Mutter, Schwester und Geliebten nach und nach geerbt, und es hat sich ein Band geflochten wie die Bande der Natur sind.

 
Herder fährt fort sich und andern das Leben sauer zu machen. 
Was die geheimen Künste des Cagliostro betrift, bin ich sehr mistrauisch gegen alle Geschichten, besonders von M. her. Ich habe Spuren, um nicht zu sagen Nachrichten, von einer großen Masse Lügen, die im Finstern schleicht, von der du noch keine Ahndung zu haben scheinst. Glaube mir, unsere moralische und politische Welt ist mit unterirdischen Gängen, Kellern und Cloaken miniret, wie eine große Stadt zu seyn pflegt, an deren Zusammenhang, und ihrer Bewohnenden Verhältniße wohl niemand denkt und sinnt; nur wird es dem, der davon einige Kundschaft hat, viel begreiflicher, wenn da einmal der Erdboden einstürzt, dort einmal ein Rauch aus einer Schlucht aufsteigt, und hier wunderbare Stimmen gehört werden.

Sonntag, 3. November 2013


anhaltend in stiller innrer Arbeit, und schöne reine Blicke


Zu Hause aufgeräumt, meine Papiere durchgesehen und alle alten Schaalen verbrannt. Andre Zeiten andre Sorgen. Stiller Rückblick aufs Leben, auf die Verworrenheit, Betriebsamkeit Wissbegierde der Jugend, wie sie überall herumschweift um etwas befriedigendes zu finden. Wie ich besonders in Geheimnissen, dunklen Imaginativen Verhältnissen eine Wollust gefunden habe. Wie ich alles Wissenschafftliche nur halb angegriffen und bald wieder habe fahren lassen, wie eine Art von demütiger Selbstgefälligkeit durch alles geht was ich damals schrieb.
Wie kurzsinnig in Menschlichen und göttlichen Dingen ich mich umgedreht habe. Wie des Thuns, auch des Zweckmäsigen Denckens und Dichtens so wenig, wie in zeitverderbender Empfindung und Schatten Leidenschafft gar viel Tage verthan, wie wenig mir davon zu Nuz kommen und da die Hälfte nun des Lebens vorüber ist, wie nun kein Weeg zurückgelegt sondern vielmehr ich nur dastehe wie einer der sich aus dem Wasser rettet und den die Sonne anfängt wohlthätig abzutrocknen. Die Zeit dass ich im Treiben der Welt bin seit 75 Oktbr. getrau ich noch nicht zu übersehen.
Gott helfe weiter und gebe Lichter, dass wir uns nicht selbst so viel im Weege stehn. Lasse uns von Morgen zum Abend das gehörige thun und gebe uns klare Begriffe von den Folgen der Dinge. Dass man nicht sey wie Menschen die den ganzen Tag über Kopfweh klagen und gegen Kopfweh brauchen und alle Abend zu viel Wein zu sich nehmen. Möge die Idee des reinen die sich bis auf den Bissen erstreckt den ich in Mund nehme, immer lichter in mir werden.

Sonntag, 20. Oktober 2013


Ein Tag der Gunst ist wie ein Tag der Ernte: man muss geschäftig sein, sobald sie reift.
Das Alter trennt uns nach und nach von empfänglichen Menschen, selten kehrt ein Klang und Ton, den man aussendet, lebhaft und ergötzlich zurück.
»Warum bist du so hochmütig?
Hast sonst nicht so die Leute gescholten!«
Wäre sehr gerne demütig,
Wenn sie mich nur so lassen wollten.
Ja, er erblickte in solchen „wiederholten Spiegelungen“ sogar die Möglichkeit, „das Vergangene nicht allein lebendig zu erhalten, sondern sogar zu einem höheren Leben emporzusteigern“.

Samstag, 19. Oktober 2013

Niemand bedenkt leicht, daß uns Vernunft und ein tapferes Wollen gegeben sind, damit wir uns nicht allein vom Bösen, sondern auch vom Übermaaß des Guten zurückhalten.

Wenn das taedium vitae den Menschen ergreift, so ist er nur zu bedauern, nicht zu schelten. Daß alle Symptome dieser wunderlichen, so natürlichen als unnatürlichen Krankheit auch einmal mein Innerstes durchrast haben, daran läßt Werther wohl niemand zweifeln. Ich weiß recht gut, was es mich für Entschlüsse und Anstrengungen kostete, damals den Wellen des Todes zu entkommen, sowie ich mich aus manchen spätern Schiffbruch auch mühsam rettete und mühselig erholte. Und so sind nun alle die Schiffer- und Fischergeschichten. Man gewinnt nach dem nächtlichen Sturm das Ufer wieder, der Durchnetzte trocknet sich, und den andern Morgen, wenn die herrliche Sonne auf den glänzenden Wogen abermals hervortritt, hat das Meer schon wieder Appetit zu Feigen.

Donnerstag, 10. Oktober 2013

Und nun sizz ich dir gute Nacht zu sagen. Mir wars in all dem wie einer Ratte die Gift gefressen hat, sie läuft in alle Löcher, schlurpft alle Feuchtigkeit, verschlingt alles Essbaare das ihr in Weeg kommt und ihr innerstes glüht von unauslöschlich verderblichem Feuer. Heut vor acht Tagen war Lili hier. Und in dieser Stunde war ich in der  grausamst feyerlichst süsesten Lage meines ganzen Lebens mögt ich sagen.
O Gustgen warum kann ich nichts davon sagen! Warum! Wie ich durch die glühendsten Trähnen der Liebe, Mond und Welt schaute und mich alles seelenvoll umgab. Und in der Ferne die Waldhorn, und der Hochzeitgäste laute Freuden. Gustgen auch seit dem Wetter bin ich – nicht ruhig aber still – was bey mir still heisst und fürchte nur wieder ein Gewitter das sich immer in den harmlosesten Tagen zusammenzieht, und – Gute Nacht Engel. Einzigstes Einzigstes Mädgen – Und ich kenne ihrer Viele – 

Dienstag, 8. Oktober 2013

»Auf alles, was ich als Poet geleistet habe,« pflegte er wiederholt zu sagen, »bilde ich mir gar nichts ein. Es haben treffliche Dichter mit mir gelebt, es lebten noch trefflichere vor mir, und es werden ihrer nach mir sein. Daß ich aber in meinem Jahrhundert in der schwierigen Wissenschaft der Farbenlehre der einzige bin, der das Rechte weiß, darauf tue ich mir etwas zugute, und ich habe daher ein Bewußtsein der Superiorität über viele.« 
Man muß alt werden, um dieses alles zu übersehen, und Geld genug haben, seine Erfahrungen bezahlen zu können. Jedes Bonmot, das ich sage, kostet mir eine Börse voll Gold; eine halbe Million meines Privatvermögens ist durch meine Hände gegangen, um das zu lernen, was ich jetzt weiß, nicht allein das ganze Vermögen meines Vaters, sondern auch mein Gehalt und mein bedeutendes literarisches Einkommen seit mehr als funfzig Jahren. Außerdem habe ich anderthalb Millionen zu großen Zwecken von fürstlichen Personen ausgeben sehen, denen ich nahe verbunden war und an deren Schritten, Gelingen und Mißlingen ich teilnahm.
Es ist nicht genug, daß man Talent habe, es gehört mehr dazu, um gescheit zu werden; man muß auch in großen Verhältnissen leben und Gelegenheit haben, den spielenden Figuren der Zeit in die Karten zu sehen und selber zu Gewinn und Verlust mitzuspielen.
Zu wünschen wäre es, dass er an dem Platze, woran er sich befunden, auch gewisse politische Fähigkeiten oder Eigenschaften sich hätte aneignen können: aber diese sind, wie schon Bacon bemerkt hat, Gemütern von eigenem reichen Vorrat selten eigen, indem sie anfänglich solche zum Teil auch zu sehr verachten. So hat unser Weimar durch die ganz vorzüglichen Geister, die es besessen, im Politischen nicht um ein Haar gewonnen.

Dienstag, 1. Oktober 2013

Über den Zustand damaliger Kultur, und wie schwer es gehalten, aus der sogenannten Sturm- und Drangperiode sich zu einer höheren Bildung zu retten. 
Durch Liebschaften verdüstert.  

Samstag, 14. September 2013

Frage nicht, durch welche Pforte
Du in Gottes Stadt gekommen,
Sondern bleib am stillen Orte,
Wo du einmal Platz genommen.
Zierlich denken und süss Erinnern
Ist das Leben im tiefsten Innern.

Dienstag, 10. September 2013


Und so bleiben wir wegen der Zukunft unbekümmert! In unseres Vaters Reiche sind viele Provinzen und, da er uns hierzulande ein so fröhliches Ansiedeln bereitete, so wird drüben gewiss auch für beide gesorgt sein; vielleicht gelingt alsdann, was uns bis jetzo abging, uns angesichtlich kennen zu lernen und uns desto gründlicher zu lieben. Gedenken Sie mein in beruhigter Treue.

Vorstehendes war bald nach der Ankunft Ihres lieben Briefes geschrieben, allein ich wagte nicht, es wegzuschicken; denn mit einer ähnlichen Äußerung hatte ich schon Ihren edlen, wackeren Bruder wider Wissen und Willen verletzt. Nun aber, da ich von einer tödlichen Krankheit ins Leben wieder zurückkehre, soll das Blatt dennoch zu Ihnen, unmittelbar zu melden: dass der Allwaltende mir noch gönnt, das schöne Licht seiner Sonne zu schauen; möge der Tag Ihnen gleichfalls freundlich erscheinen und Sie meiner im Guten und Lieben gedenken, wie ich nicht aufhöre, mich jener Zeiten zu erinnern, wo das noch vereint wirkte, was nachher sich trennte.

Möge sich in den Armen des allliebenden Vaters alles wieder zusammen finden.                               Wahrhaft anhänglich

Mittwoch, 28. August 2013

Der Mensch bedarf wenig, Liebe und Sicherheit seines Verhältnißes zu den einmal erwählten und gegebnen kann er nicht entbehren. Leben Sie tausend mal wohl.
Wie süs ist es mit einem richtigen, verständigen, klugen Menschen umgehn, der weis wie es auf der Welt aussieht und was er will, und der um dieses Lebens anmutig zu geniesen keine superlunarische Aufschwünge nötig hat, sondern in dem reinen Kreise sittlicher und sinnlicher Reitze lebt. 

Donnerstag, 22. August 2013


O werthe Freundschaft, theure Sorglichkeit!
Abscheulich dacht' ich die Verschwörung mir,
Die unsichtbar und rastlos mich umspann,
Allein abscheulicher ist es geworden.

 
Und du, Sirene! die du mich so zart,
So himmlisch angelockt, ich sehe nun
Dich auf einmal! O Gott, warum so spät?

Mittwoch, 21. August 2013

Allein wir selbst betrügen uns so gern,
Und ehren die Verworfnen, die uns ehren.
Die Menschen kennen sich einander nicht;
Nur die Galerensclaven kennen sich,
Die eng' an Eine Bank geschmiedet keuchen;
Wo keiner was zu fordern hat und keiner
Was zu verlieren hat, die kennen sich!
Wo jeder sich für einen Schelmen gibt,
Und seines Gleichen auch für Schelmen nimmt.
Doch wir verkennen nur die andern höflich,
Damit sie wieder uns verkennen sollen.

Wie lang' verdeckte mir dein heilig Bild
Die Buhlerinn, die kleine Künste treibt.
Die Maske fällt, Armiden seh' ich nun
Entblößt von allen Reitzen – ja, du bist's!
Von dir hat ahndungsvoll mein Lied gesungen!

Und die verschmitzte kleine Mittlerinn!
Wie tief erniedrigt seh' ich sie vor mir!
Ich höre nun die leisen Tritte rauschen,
Ich kenne nun den Kreis, um den sie schlich.
Euch alle kenn' ich! Sey mir das genug!
Und wenn das Elend alles mir geraubt,
So preis' ich's doch; die Wahrheit lehrt es mich.

Montag, 12. August 2013

Ja man gönne mir, der ich durch die Abwechslungen der menschlichen Gesinnungen, durch die schnelle Bewegungen derselben in mir selbst und in andern manches gelitten habe und leide, die erhabene Ruhe, die jene einsame stumme Nähe der großen, leise sprechenden Natur gewährt, und wer davon eine Ahndung hat, folge mir.
Denn wie sich diese Sinnesart verbreitet, folgt sogleich die letzte Epoche, welche wir die prosaische nennen dürfen, da sie nicht etwa den Gehalt der frühern humanisieren, dem reinen Menschenverstand und Hausgebrauch aneignen möchte, sondern das Älteste in die Gestalt des gemeinen Tags zieht und auf diese Weise Urgefühle, Volks- und Priesterglauben, ja den Glauben des Verstandes, der hinter dem Seltsamen noch einen löblichen Zusammenhang vermutet, völlig zerstört.
Diese Epoche kann nicht lange dauern. Das Menschenbedürfnis, durch Weltschicksale aufgeregt, überspringt rückwärts die verständige Leitung, vermischt Priester-, Volks- und Urglauben, klammert sich bald da, bald dort an Überlieferungen, versenkt sich in Geheimnisse, setzt Märchen an die Stelle der Poesie und erhebt sie zu Glaubensartikeln. Anstatt verständig zu belehren und ruhig einzuwirken, streut man willkürlich Samen und Unkraut zugleich nach allen Seiten; kein Mittelpunkt, auf den hingeschaut werde, ist mehr gegeben, jeder Einzelne tritt als Lehrer und Führer hervor und gibt seine vollkommene Torheit für ein vollendetes Ganze.

Und so wird denn auch der Wert eines jeden Geheimnisses zerstört, der Volksglaube selbst entweiht; Eigenschaften, die sich vorher naturgemäß auseinanderenwickelten, arbeiten wie streitende Elemente gegeneinander, und so ist das Tohuwabohu wieder da, aber nicht das erste, befruchtete, gebärende, sondern ein absterbendes, in Verwesung übergehendes, aus dem der Geist Gottes kaum selbst eine ihm würdige Welt abermals erschaffen könnte.

Verweile nicht und sei dir selbst ein Traum.
Und wie du reisest, danke jedem Raum,
Bequeme dich dem Heißen wie dem Kalten;
Dir wird die Welt, du wirst ihr nie veralten.

Als Knabe nahm ich mirs zur Lehre,
Welt sei ein allerliebster Spaß,
Als wenn es Vater und Mutter wäre,
Dann - etwas anders fand ich das.

Dienstag, 30. Juli 2013

Wenn mir im Grunde der Seele nicht noch so vieles ahndete, manchmal nur aufschwebte, daß ich hoffen könnte wenn Schönheit und Größe sich mehr in dein Gefühl webt, wirst du Gutes und Schönes thun, reden und schreiben, ohne daß du's weißt, warum.  


Einem Klugen widerfährt keine geringe Torheit.
 
 
Die meisten Menschen aber haben dunkle Begriffe, und wissen zur Not was sie tun.

Donnerstag, 25. Juli 2013


Auf Ihr sehr werthes Schreiben, mein Theuerster, habe wahrhaftest zu erwidern: daß das frühzeitige Scheiden Ihres trefflichen Vaters für mich ein großer persönlicher Verlust sey. Ich denke mir gar zu gern die wackeren Männer, welche gleichzeitig bestrebt sind, Kenntnisse zu vermelden und Einsichten zu erweitern, in voller Thätigkeit.

Wenn zwischen entfernten Freunden sich erst ein Schweigen einschleicht, sodann ein Verstummen erfolgt und daraus ohne Grund und Noth sich eine Mißstimmung erzeugt, so müssen wir darin leider eine Art von Unbehülflichkeit entdecken, die in wohlwollenden guten Charakteren sich hervorthun kann und die wir, wie andere Fehler, zu überwinden und zu beseitigen mit Bewußtseyn trachten sollten. Ich habe in meinen bewegten und gedrängten Leben mich einer solchen Versäumniß öfters schuldig gemacht und will auch in dem gegenwärtigen Fall den Vorwurf nicht ganz von mir ablehnen. Soviel aber kann ich versichern, daß ich es für den zu früh Dahingegangenen weder als Freund an Neigung, noch als Forscher an Theilnahme und Bewunderung je habe fehlen lassen, ja daß ich oft irgend etwas Wichtiges zur Anfrage zu bringen gedachte, wodurch denn auf einmal alle bösen Geister des Mißtrauens wären verscheucht gewesen.

Doch hat das vorüberrauschende Leben unter andern Wunderlichkeit auch diese, daß wir, in Thätigkeit so bestrebsam, auf Genuß so begierig, gar selten die angebotenen Einzelnheiten des Augenblicks zu schätzen und festzuhalten wissen.

Uns so bleibt denn im höchsten Alter uns die Pflicht noch übrig, das Menschliche, das uns nie verläßt, wenigstens in seinen Eigenheiten anzuerkennen und uns durch Reflexion über die Mängel zu beruhigen, deren Zurechnung nicht ganz abzuwenden ist.

Mich Ihnen und Ihren theuren Angehörigen zu geneigtem Wohlwollen bestens empfehlend.

ergebenst

Weimar den 3. Januar 1832.

J. W. v. Goethe.

Montag, 15. Juli 2013

Ich statuiere keine Erinnerung in eurem Sinne. Was uns irgend Großes, Schönes, Bedeutendes begegnet, muss nicht erst von außen her wieder erinnert, gleichsam erjagt werden. Es muss sich vielmehr gleich von Anfang her in unser Inneres verweben, mit ihm eins werden, ein neues besseres Ich in uns erzeugen und so ewig bildend in uns fortleben und schaffen. Es gibt kein Vergangenes, das man zurücksehnen dürfte, es gibt nur ein ewig Neues, das sich aus den erweiterten Elementen des Vergangenen gestaltet, und die echte Sehnsucht muss stets produktiv sein, ein neues Bessres erschaffen. 

Dienstag, 9. Juli 2013


Aber soll ich Ihnen eine wunderliche Empfindung bekennen? Selbst gegen die Bildnisse habe ich eine Art von Abneigung; denn sie scheinen mir immer einen stillen Vorwurf zu machen; sie deuten auf etwas Entferntes, Abgeschiedenes und erinnern mich, wie schwer es sei, die Gegenwart recht zu ehren. Gedenkt man, wieviel Menschen man gesehen, gekannt, und gesteht sich, wie wenig wir ihnen, wie wenig sie uns gewesen, wie wird uns da zumute! Wir begegnen dem Geistreichen, ohne uns mit ihm zu unterhalten, dem Gelehrten, ohne von ihm zu lernen, dem Gereisten, ohne uns zu unterrichten, dem Liebevollen, ohne ihm etwas Angenehmes zu erzeigen.
Und leider ereignet sich dies nicht bloß mit den Vorübergehenden. Gesellschaften und Familien betragen sich so gegen ihre liebsten Glieder, Städte gegen ihre würdigsten Bürger, Völker gegen ihre trefflichsten Fürsten, Nationen gegen ihre vorzüglichsten Menschen.
Niemand hat das Recht, einem geistreichen Manne vorzuschreiben, womit er sich beschäftigen soll.


Ade! – Warum sag ich dir nicht alles – Beste – Geduld Geduld hab mit mir!

Sonntag, 30. Juni 2013

Knabe saß ich, Fischerknabe,
Auf dem schwarzen Fels am Meer
Und, bereitend falsche Gabe,
Sang ich, lauschend ringsumher.
Angel schwebte lockend nieder;
Gleich ein Fischlein streift und schnappt,
Schadenfrohe Schelmenlieder –
Und das Fischlein war ertappt.


Ach! am Ufer, durch die Fluren,
Ins Geklüfte tief zum Hain,
Folgt ich einer Sohle Spuren,
Und die Hirtin war allein.
Blicke sinken, Worte stocken! –
Wie ein Taschenmesser schnappt,
Faßte sie mich in die Locken,
Und das Bübchen war ertappt.

Weiß doch Gott, mit welchem Hirten
Sie aufs neue sich ergeht!
Muß ich in das Meer mich gürten,
Wie es sauset, wie es weht.
Wenn mich oft im Netze jammert
Das Gewimmel groß und klein,
Immer möcht ich noch umklammert
Noch von ihren Armen sein!

Samstag, 15. Juni 2013

Nichts ist auf der Erde ohne Beschwerlichkeit! Nur der innere Trieb, die Lust, die Liebe helfen uns Hindernisse überwinden, Wege bahnen und uns aus dem engen Kreise, worin sich andere kümmerlich abängstigen, emporheben. 

Donnerstag, 13. Juni 2013

Wie anders! Lieber Gott wie anders! als da ich vor zehen Jahren als ein kleiner, eingewickelter, seltsamer Knabe in eben das Posthaus trat – Wie viel hat nicht die Zeit durch den Kopf und das Herz müssen, und wieviel wohler, freyer, besser ist mir's nicht. – 

Mag der Grieche seinen Ton
Zu Gestalten drücken,
An der eignen Hände Sohn
Steigern sein Entzücken.


Aber uns ist wonnereich,
In den Euphrat greifen
Und im flüss'gen Element
Hin und wieder schweifen.
Löscht ich so der Seele Brand,
Lied, es wird erschallen:
Schöpft des Dichters reine Hand,
Wasser wird sich ballen.

Die Hauptsache ist, daß man lerne, sich selbst zu beherrschen. Wollte ich mich ungehindert gehen lassen, so läge es wohl in mir, mich selbst und meine Umgebung zugrunde zu richten.

 

Montag, 3. Juni 2013


Ich bin seit mehreren Wochen nicht ganz wohl. Ich schlafe schlecht und zwar in den unruhigsten Träumen vom Abend bis zum Morgen, wo ich mich in sehr verschiedenartigen Zuständen sehe, allerlei Gespräche mit bekannten und unbekannten Personen führe, mich herumstreite und zanke, und zwar alles so lebendig, daß ich mir jeder Einzelheit am andern Morgen noch deutlich bewußt bin. Dieses Traumleben aber zehrt von den Kräften meines Gehirns, so daß ich mich am Tage schlaff und abgespannt fühle, zu jeder geistigen Tätigkeit ohne Lust und Gedanken.

Ich hatte Goethe wiederholt meinen Zustand geklagt und er hatte mich wiederholt getrieben, mich doch meinem Arzt zu vertrauen. „Was Euch fehlt,“ sagte er, „ist gewiß nicht der Mühe wert; wahrscheinlich nichts als eine kleine Stockung, die durch einige Gläser Mineralwasser oder ein wenig Salz zu heben ist, aber laßt es nicht länger so fortschlendern, sondern tut dazu!“

Goethe mochte ganz recht haben, und ich sagte mir selber, daß er recht habe; allein jene Unentschlossenheit und Unlust wirkte auch in diesem Fall, und ich ließ wiederum unruhige Nächte und schlechte Tage verstreichen, ohne das mindeste zur Abstellung meines Übels zu tun.

Montag, 13. Mai 2013

Die Gelegenheit ist eine gleichgültige Göttin, sie begünstigt das Gute wie das Böse.
Ich mache Ihnen Striche denn ich sas eine Viertelstunde in Gedancken und mein Geist flog auf dem ganzen bewohnten Erdboden herum. Unseeliges Schicksal das mir keinen Mittelzustand erlauben will. Entweder auf einem Punckt, fassend, festklammernd, oder schweifend gegen alle vier Winde! – Seelig seyd ihr verklärte Spaziergänger, die mit zufriedener Anständiger Vollendeung ieden Abend den Staub von ihren Schuhen schlagen, und ihres Tagwercks Göttergleich sich freuen 
Liebe! Liebe! Bleiben Sie hold – Ich wollt ich könnt auf Ihrer Hand ruhen, in Ihrem Aug rasten. Groser Gott was ist das Herz des Menschen! – Gute Nacht. Ich dachte mir solls unterm Schreiben besser werden – Umsonst mein Kopf ist überspannt, Ade. 
Und wie den Glücklichen jeder Nebenumstand zu begünstigen, jedes Ungefähr mit emporzuheben scheint, so mögen sich auch gern die kleinsten Vorfälle zur Kränkung, zum Verderben des Unglücklichen vereinigen. 

Sonntag, 5. Mai 2013

Wenn Kindesblick begierig schaut,
Er findet des Vaters Haus gebaut;
Und wenn das Ohr sich erst vertraut,
Ihm tönt der Muttersprache Laut;
Gewahrt es dies und jenes nah,
Man fabelt ihm, was fern geschah,
Umsittigt ihn, wächst er heran;
Er findet eben alles getan.
Man rühmt ihm dies, man preist ihm das:
Er wäre gar gern auch etwas;
Wie er soll wirken, schaffen, lieben,
Das steht ja alles schon geschrieben
Und, was noch schlimmer ist, gedruckt;
Da steht der junge Mensch verduckt,
Und endlich wird ihm offenbar:
Er sei nur, was ein andrer war.

Ich hielt es für unmöglich, daß der hochgefeierte Dichter sich keine jüngere und schönere Geliebte ausgesucht haben sollte, doch schwand allmählich dieser Zweifel, als ich sie in ihrem Hause besuchte und dort mit lauter Andenken des damals in Rom weilenden Freundes umgeben sah. Sie führte mich zu seinem Bilde,  las mir seine Verse vor und bemühte sich, meine Phantasie durch die Schilderung seiner Liebenswürdigkeit zu bestechen. ... Indessen muß man die Geschicklichkeit bewundern, womit diese Frau ihr künstliches Spiel durchzuführen wußte, so daß sie noch in späterer Zeit für Goethes Geliebte galt.
Der Charakter dieser Frau gehörte unstreitig zu den edelsten, und ihr Verstand, der mir zwar nie bedeutend erscheinen wollte, führte sie glücklich an den mannigfachen Klippen des Hoflebens vorüber .  … Es läßt sich nicht leugnen, daß Frau v. Stein bei dem besten Herzen viel Schlauheit und Weltklugheit besitzen mußte; sonst wäre es ihr unmöglich gewesen, bis ans Ende ihrer sehr langen Laufbahn ohne die mindeste Unterbrechung eine Stellung zu behaupten, die sie der Herzogin Luise und Goethen so nahe brachte, daß nur der Tod dieses innige Verhältnis lösen konnte, auf welchem selbst jetzt noch, wo ich dies schreibe, ein undurchdringlicher Schleier ruht. Goethe allein vermöchte es, ihn zu lüften; aber schwerlich wird er sich dazu verstehen. Folglich wird auch die Nachwelt über eine Sache nicht klarer urteilen, die den Zeitgenossen des großen Mannes stets rätselhaft blieb. Dem sei nun, wie ihm wolle! Was auch jener Schleier verhüllen mag, Unwürdiges kann es nicht sein. 

Mittwoch, 1. Mai 2013

Gern wär ich Überliefrung los
Und ganz original;
Doch ist das Unternehmen groß
Und führt in manche Qual.
Als Autochthone rechnet ich
Es mir zur höchsten Ehre,
Wenn ich nicht gar zu wunderlich
Selbst Überliefrung wäre.

Dienstag, 23. April 2013

Wie sonderbar ist es, dass dem Menschen nicht allein so manches Unmögliche, sondern auch manches Mögliche versagt ist.
Man darf das nicht vor keuschen Ohren nennen,
Was keusche Herzen nicht entbehren können.
Und kurz und gut, ich gönn Ihm das Vergnügen,
Gelegentlich sich etwas vorzulügen;
Doch lange hält Er das nicht aus.

Sonntag, 21. April 2013

Es ist eine grässliche Empfindung, seine Liebe sterben zu sehen.

Dienstag, 9. April 2013

Ich verließ ihn nicht, folgte ihm in alle Kirchen, überall kniete er auf der letzten Bank unter den Bettlern und legte sein Haupt eine Weile in die Hände, wenn er wieder emporsah, war mir's allemal wie ein Donnerschlag in der Brust; da ich nach Hause kam, fand ich mich nicht mehr in die alte Lebensweise, es war, als ob Bett, Stuhl und Tisch nicht mehr an dem gewohnten Ort ständen, es war Nacht geworden, man brachte Licht herein, ich ging ans Fenster und sah hinaus auf die dunklen Straßen, und wie ich die in der Stube von dem Kaiser sprechen hörte, da zitterte ich wie Espenlaub, am Abend in meiner Kammer legte ich mich vor meinem Bett auf die Knie und hielt meinen Kopf in den Händen wie er, es war nicht anders, wie wenn ein großes Tor in meiner Brust geöffnet wär' … 
aber eine geheime Stimme sagte mir, daß ich an dem, was mir heute beschert geworden, mir solle genügen lassen, und ging nicht wieder mit; nein, ich suchte meine einsame Schlafkammer auf und setzte mich auf den Stuhl am Bett und weinte dem Kaiser schmerzlich süße Tränen der heißesten Liebe, am andern Tag reiste er ab, ich lag früh morgens um vier Uhr in meinem Bett, der Tag fing eben an zu grauen, es war am 17. April, da hörte ich fünf Posthörner blasen, das war er, ich sprang aus dem Bett, vor übergroßer Eile fiel ich in die Mitte der Stube und tat mir weh, ich achtete es nicht und sprang ans Fenster, in dem Augenblick fuhr der Kaiser vorbei, er sah schon nach meinem Fenster, noch eh' ich es aufgerissen hatte, er warf mir Kußhände zu und winkte mir mit dem Schnupftuch, bis er die Gasse hinaus war.

Von der Zeit an habe ich kein Posthorn blasen hören, ohne dieses Abschieds zu gedenken, und bis auf den heutigen Tag, wo ich den Lebensstrom seiner ganzen Länge nach durchschifft habe und eben im Begriff bin, zu landen, greift mich sein weitschallender Ton noch schmerzlich an, und wo so vieles, worauf die Menschen Wert legen, rund um mich versunken ist, ohne daß ich Kummer darum habe. Soll man da nicht wunderliche Glossen machen, wenn man erleben muß, daß eine Leidenschaft, die gleich im Entstehen eine Chimäre war, alles Wirkliche überdauert und sich in einem Herzen behauptet, dem längst solche Ansprüche als Narrheit verpönt sind? Ich hab' auch nie Lust gehabt, davon zu sprechen, es ist heute das erstemal.

Mittwoch, 3. April 2013


Von heutigen Tag, von heutiger Nacht
Verlange nichts
Als was die gestrigen gebracht.
Alle Menschen, groß und klein,
Spinnen sich ein Gewebe fein,
Wo sie mit ihrer Scheren Spitzen
Gar zierlich in der Mitte sitzen.
Wenn nun darein ein Besen fährt,
Sagen sie, es sei unerhört,
Man habe den größten Palast zerstört.
„Du hast etwas gelernt, seit ich dich nicht gesehen“, - sagte Goethe zu Bettina von Arnim, als sie ihn im Sommer 1826 in Weimar besuchte, - „Du hast gelernt, Menschen zu schonen, denn vorher hast Du das niemals gekonnt. Nun mach, dass, wenn ich Dich nach einiger Zeit wiederum sehe, Du abermals etwas gelernt hast, so kann am Ende noch etwas daraus werden.“

Mittwoch, 27. März 2013

Frauen sind unüberwindlich, erst verständig, daß man nicht widersprechen kann, liebevoll, daß man sich gern hingibt, gefühlvoll, daß man ihnen nicht wehtun mag, ahnungsvoll, daß man erschrickt.

Den 10ten, wieder in der Stadt auf meiner Bergere; aufm Knie schreib ich Ihnen. Liebe der Brief soll heute fort, und nur sag ich Ihnen noch dass mein Kopf ziemlich heiter mein Herz leidlich frey ist – Was sag ich –! o beste wie wollen wir Ausdrücke finden für das was wir fühlen! Beste wie können wir einander was von unserm Zustande melden, da der von Stund zu Stund wechselt.

Wie ich jung war, ich weiß nicht, es war alles ganz anders. Zwar wirft man den Alten vor, sie lobten töricht das Vergangene und verachteten das Gegenwärtige, weil sie kein Gefühl dafür haben. Aber wahr bleibt wahr. Wie ich jung war, man wußte von all den Verfeinerungen nichts, sowenig man von dem Staate was wußte, zu dem man jetzt die Kinder gewöhnt.

Mittwoch, 6. März 2013


Wer will, ist dem nicht alles möglich?

Die Welt ist eine Glocke, die einen Riss hat; sie klappert, aber sie klingt nicht.

Dienstag, 26. Februar 2013

Dreimal glücklich sind diejenigen zu preisen, die ihre Geburt sogleich über die untern Stufen der Menschheit hinaushebt; die durch jene Verhältnisse, in welchen sich manche gute Menschen die ganze Zeit ihres Lebens abängstigen, nicht durchzugehen, auch nicht einmal darin als Gäste zu verweilen brauchen. Allgemein und richtig muß ihr Blick auf dem höheren Standpunkte werden, leicht ein jeder Schritt ihres Lebens! Sie sind von Geburt an gleichsam in ein Schiff gesetzt, um bei der Überfahrt, die wir alle machen müssen, sich des günstigen Windes zu bedienen und den widrigen abzuwarten, anstatt daß andere nur für ihre Person schwimmend sich abarbeiten, vom günstigen Winde wenig Vorteil genießen und im Sturme mit bald erschöpften Kräften untergehen.
Welche Bequemlichkeit, welche Leichtigkeit gibt ein angebornes Vermögen! und wie sicher blühet ein Handel, der auf ein gutes Kapital gegründet ist, so daß nicht jeder mißlungene Versuch sogleich in Untätigkeit versetzt! Wer kann den Wert und Unwert irdischer Dinge besser kennen, als der sie zu genießen von Jugend auf im Falle war, und wer kann seinen Geist früher auf das Notwendige, das Nützliche, das Wahre leiten, als der sich von so vielen Irrtümern in einem Alter überzeugen muß, wo es ihm noch an Kräften nicht gebricht, ein neues Leben anzufangen!

Samstag, 2. Februar 2013


Da sich die liebe Excellenz abermals als ernsthafte Dame Ihrem demüthigen Freunde nähert und denselben wo nicht mit bedencklichen doch mit bedeutenden Worten anredet; so erfordert die Schuldigkeit daß derselbe sich ungesäumt mit gebührender Erwiederung einfinde, welches auch hiermit geziemend, und zwar vorerst eigenhändig geschieht.

Es ist nicht zu läugnen daß wir andern Poeten einigermaßen verwandt sind mit dem Cammerdiener des Königs Midas; nur unterschreiben wir uns von diesem Herrn Vetter darin gar merklich, daß, wenn derselbe die Mängel seines Prinzipals ohnmöglich verschweigen konnte, wir dagegen es sehr peinlich finden von den Vollkommenheiten unserer Herrinnen zu schweigen.

Sie haben daher, meine scharfsichtige Freundinn, mich irgend eines Vorhabens in gegründetem Verdacht, nur muß ich zu meiner Rettung und Rechtfertigung versichern, daß ich dergleichen Anmassungen niemals aus eigner, uns vom Urvater Helios verliehenem Macht und Gewalt würde gewagt haben. Vielmehr sollte ein gewißer stiller Wunsch im Laufe dieses Jahrs gegen die Freundinn verlauten und in Form einer gnädig weiter zu befördernden Bitte vor derselben erscheinen.
Da aber Ihr letztes vertrauliches Schreiben, ahndungsvoll schon eine abschlägige Antwort auf ein nicht angebrachtes Gesuch enthält, so ergebe ich mich um so mehr darein und verschließe, auf diesen himmlischen Fingerzeig, meine Gesinnungen und Vorhaben in einem stillen treuergebenen Herzen, wo sie auf jede Art zu wuchern nicht ermangeln werden. Bekennend und schweigend
immer derselbe
Goethe
Im Orient, wo ich mich jetzt gewöhnlich aufhalte wird es schon für das höchste Glück geachtet, wenn von irgend einem demüthigen Knecht, vor dem Angesichte der Herrin gesprochen wird und Sie es auch nur geschehen läßt. Zu wie vielen Kniebeugungen würde derjenige hingerissen werden, deßen Sie selbst erwähnte! Möchte ich doch allerhöchsten Ortes nur manchmal nahmenweise erscheinen dürfen! 

Freitag, 25. Januar 2013

Es ist sonderbar, daß man es dem Manne verargt, der eine Frau an die höchste Stelle setzen will, die sie einzunehmen fähig ist: und welche ist höher als das Regiment des Hauses? Wenn der Mann sich mit äußern Verhältnissen quält, wenn er die Besitztümer herbei schaffen und beschützen muß, wenn er sogar an der Staatsverwaltung Anteil nimmt, überall von Umständen abhängt, und nichts regiert, indem er zu regieren glaubt, immer nur politisch sein muß, wo er gern vernünftig wäre, versteckt, wo er offen, falsch, wo er redlich zu sein wünschte; wenn er um des Zieles willen, das er nie erreicht, das schönste Ziel, die Harmonie mit sich selbst, in jedem Augenblicke aufgeben muß: indessen herrscht eine vernünftige Hausfrau im Innern wirklich, und macht einer ganzen Familie jede Tätigkeit, jede Zufriedenheit möglich. Was ist das höchste Glück des Menschen, als daß wir das ausführen, was wir als recht und gut einsehen? daß wir wirklich Herren über die Mittel zu unsern Zwecken sind? Und wo sollen, wo können unsere nächste Zwecke liegen, als innerhalb des Hauses?

Donnerstag, 24. Januar 2013

Verfahre ruhig, still,
Brauchst dich nicht anzupassen;
Nur wer was gelten will,
Muss andere gelten lassen.
    

Mittwoch, 9. Januar 2013

»Sie haben recht«, versetzte er mit einiger Verlegenheit, »der Mensch ist dem Menschen das Interessanteste und sollte ihn vielleicht ganz allein interessieren. Alles andere, was uns umgibt, ist entweder nur Element, in dem wir leben, oder Werkzeug, dessen wir uns bedienen. Je mehr wir uns dabei aufhalten, je mehr wir darauf merken und teil daran nehmen, desto schwächer wird das Gefühl unsers eignen Wertes und das Gefühl der Gesellschaft. Die Menschen, die einen großen Wert auf Gärten, Gebäude, Kleider, Schmuck oder irgend ein Besitztum legen, sind weniger gesellig und gefällig; sie verlieren die Menschen aus den Augen, welche zu erfreuen und zu versammeln nur sehr wenigen glückt. Sehn wir es nicht auch auf dem Theater? Ein guter Schauspieler macht uns bald eine elende, unschickliche Dekoration vergessen, dahingegen das schönste Theater den Mangel an guten Schauspielern erst recht fühlbar macht.«
Schwer verweilt sich im Vollkommenen, und was nicht vorwärts gehen kann, schreitet zurück.
Mich von der Wiege bis zum Grabe, im Bilde und in der Wirklichkeit Ew. Hoheit zu Gnaden empfehlend.