Sonntag, 5. Mai 2013
Der Charakter dieser
Frau gehörte unstreitig zu den edelsten, und ihr Verstand, der mir zwar nie
bedeutend erscheinen wollte, führte sie glücklich an den mannigfachen Klippen
des Hoflebens vorüber . … Es läßt sich
nicht leugnen, daß Frau v. Stein bei dem besten Herzen viel Schlauheit und
Weltklugheit besitzen mußte; sonst wäre es ihr unmöglich gewesen, bis ans Ende
ihrer sehr langen Laufbahn ohne die mindeste Unterbrechung eine Stellung zu behaupten,
die sie der Herzogin Luise und Goethen so nahe brachte, daß nur der Tod dieses
innige Verhältnis lösen konnte, auf welchem selbst jetzt noch, wo ich dies
schreibe, ein undurchdringlicher Schleier ruht. Goethe allein vermöchte es, ihn
zu lüften; aber schwerlich wird er sich dazu verstehen. Folglich wird auch die
Nachwelt über eine Sache nicht klarer urteilen, die den Zeitgenossen des großen
Mannes stets rätselhaft blieb. Dem sei nun, wie ihm wolle! Was auch jener Schleier
verhüllen mag, Unwürdiges kann es nicht sein.
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