Ich
rette mich in eine Epoche, von der mir die entschiedensten Dokumente übrig
sind, Tagebücher, Briefe, kleine Aufsätze, unendliche Skizzen, von mir und
andern, und zu diesem allen die Gegenwart und Teilnahme meines vortrefflichen
Reise- und Lebensgefährten des Hofrat Meyers.
Sonntag, 26. Dezember 2021
Montag, 20. Dezember 2021
Donnerstag, 16. Dezember 2021
Mittler,
der sein rasches Naturell, seinen unerbittlichen Verstand um so weniger
verleugnen konnte, als er sich durch diesen schmerzlichen Ausbruch der
Leidenschaft Eduards weit von dem Ziel seiner Reise verschlagen sah, äußerte
aufrichtig und derb seine Mißbilligung. Eduard – hieß es – solle sich ermannen,
solle bedenken, was er seiner Manneswürde schuldig sei, solle nicht vergessen,
daß dem Menschen zur höchsten Ehre gereiche, im Unglück sich zu fassen, den
Schmerz mit Gleichmut und Anstand zu ertragen, um höchlich geschätzt, verehrt
und als Muster aufgestellt zu werden.
Dienstag, 14. Dezember 2021
Aufgeregt,
durchdrungen von den peinlichsten Gefühlen, wie Eduard war, mußten ihm diese
Worte hohl und nichtig vorkommen. Der Glückliche, der Behagliche hat gut reden,
fuhr Eduard auf; aber schämen würde er sich, wenn er einsähe, wie unerträglich
er dem Leidenden wird. Eine unendliche Geduld soll es geben, einen unendlichen
Schmerz will der starre Behagliche nicht anerkennen. Es gibt Fälle, ja, es gibt
deren! wo jeder Trost niederträchtig und Verzweiflung Pflicht ist.
Verlasse
mich jeder, der trocknen Herzens, trockner Augen ist! Ich verwünsche die
Glücklichen, denen der Unglückliche nur zum Spektakel dienen soll. Er soll sich
in der grausamsten Lage körperlicher und geistiger Bedrängnis noch edel
gebärden, um ihren Beifall zu erhalten, und, damit sie ihm beim Verscheiden
noch applaudieren, wie ein Gladiator mit Anstand vor ihren Augen umkommen.
Sonntag, 28. November 2021
Montag, 22. November 2021
Montag, 15. November 2021
Jena
den 17. August 1797.
Die Vorstellung, welche Sie mir von Frankfurt und großen Städten überhaupt geben, ist nicht tröstlich, weder für den Poeten, noch für den Philosophen, aber ihre Wahrheit leuchtet ein, und da es einmal ein festgesetzter Punkt ist, daß man nur für sich selber philosophirt und dichtet, so ist auch nichts dagegen zu sagen; im Gegentheil, es bestärkt einen auf dem eingeschlagenen guten Weg, und schneidet jede Versuchung ab, die Poesie zu etwas äußerm zu gebrauchen.
So
viel ist auch mir bei meinen wenigen Erfahrungen klar geworden, daß man den
Leuten, im ganzen genommen, durch die Poesie nicht wohl, hingegen recht übel
machen kann, und mir däucht, wo das eine nicht zu erreichen ist, da muß man das
andere einschlagen. Man muß sie incommodiren, ihnen ihre Behaglichkeit
verderben, sie in Unruhe und in Erstaunen setzen. Eins von beiden, entweder als
ein Genius oder als ein Gespenst muß die Poesie ihnen gegenüber stehen. Dadurch
allein lernen sie an die Existenz einer Poesie glauben und bekommen Respect vor
den Poeten. Ich habe auch diesen Respect nirgends größer gefunden als bei
dieser Menschenklasse, obgleich auch nirgends so unfruchtbar und ohne Neigung.
Etwas ist in allen, was für den Poeten spricht, und Sie mögen ein noch so
ungläubiger Realist sein, so müssen Sie mir doch zugeben, daß dieses X der Same
des Idealismus ist, und daß dieser allein noch verhindert, daß das wirkliche
Leben mit seiner gemeinen Empirie nicht alle Empfänglichkeit für das poetische
zerstört. Freilich ist es wahr, daß die eigentliche schöne und ästhetische
Stimmung dadurch noch lange nicht befördert wird, daß sie vielmehr gar oft
dadurch verhindert wird, so wie die Freiheit durch die moralischen Tendenzen;
aber es ist schon viel gewonnen, daß ein Ausgang aus der Empirie geöffnet ist.
Freitag, 12. November 2021
Mit
meinem Protégé, Herrn Schmidt, habe ich freilich wenig Ehre aufgehoben, wie ich
sehe, aber ich will so lange das Beste hoffen, bis ich nicht mehr kann. Ich bin
einmal in dem verzweifelten Fall, daß mir daran liegen muß, ob andere Leute
etwas taugen, und ob etwas aus ihnen werden kann; daher werde ich diese
Hölderlin und Schmidt so spät als möglich aufgeben.
Herr Schmidt, so wie er jetzt ist, ist freilich nur die entgegengesetzte Carricatur von der Frankfurter empirischen Welt, und so wie diese nicht Zeit hat, in sich hineinzugehen, so kann dieser und seines gleichen gar nicht aus sich selbst herausgehen. Hier möchte ich sagen, sehen wir Empfindung genug, aber keinen Gegenstand dazu; dort den nackten leeren Gegenstand ohne Empfindung. Und so sind überall nur die Materialien zum Menschen da, wie der Poet ihn braucht, aber sie sind zerstreut und haben sich nicht ergriffen.
Ich
möchte wissen, ob diese Schmidt, diese Richter, diese Hölderlins absolut und
unter allen Umständen so subjectivisch, so überspannt, so einseitig geblieben
wären, ob es an etwas primitivem liegt, oder ob nur der Mangel einer
ästhetischen Nahrung und Einwirkung von außen und die Opposition der
empirischen Welt in der sie leben gegen ihren idealischen Hang diese
unglückliche Wirkung hervorgebracht hat. Ich bin sehr geneigt das letztere zu
glauben, und wenn gleich ein mächtiges und glückliches Naturell über alles siegt,
so däucht mir doch, daß manches brave Talent auf diese Art verloren geht.
Es
ist gewiß eine sehr wahre Bemerkung, die Sie machen, daß ein gewisser Ernst und
eine Innigkeit, aber keine Freiheit, Ruhe und Klarheit bei denen, die aus einem
gewissen Stande zu der Poesie etc. kommen , angetroffen wird. Ernst und
Innigkeit sind die natürliche und notwendige Folge, wenn eine Neigung und
Beschäftigung Widerspruch findet, wenn man isolirt und auf sich selbst reducirt
ist, und der Kaufmannssohn, der Gedichte macht, muß schon einer größern
Innigkeit fähig sein, wenn er überall nur auf so was verfallen soll. Aber eben
so natürlich ist es, daß er sich mehr zu der moralischen als ästhetischen Seite
wendet, weil er mit leidenschaftlicher Heftigkeit fühlt, weil er in sich
hineingetrieben wird, und weil ihn die Gegenstände eher zurückstoßen als
festhalten, er also nie zu einer klaren und ruhigen Ansicht davon gelangen
kann.
Dienstag, 9. November 2021
Umgekehrt
finde ich, als Beleg Ihrer Bemerkung, daß diejenigen welche aus einem liberalen
Stande zur Poesie kommen eine gewiße Freiheit, Klarheit und Leichtigkeit, aber
wenig Ernst und Innigkeit zeigen. Bei den ersten sticht das Charakteristische
fast bis zur Carricatur, und immer mit einer gewissen Einseitigkeit und Härte
hervor; bei diesen ist Charakterlosigkeit, Flachheit und fast Seichtigkeit zu
fürchten. Der Form nach, möchte ich sagen, sind diese dem ästhetischen näher,
jene hingegen dem Gehalte nach. – Bei einer Vergleichung unsrer Jenaischen und
Weimarischen Dichterinnen bin ich auf diese Bemerkung gerathen . Unsre Freundin
Mereau hat in der That eine gewisse Innigkeit und zuweilen selbst eine Würde
des Empfindens, und eine gewisse Tiefe kann ich ihr auch nicht absprechen. Sie
hat sich bloß in einer einsamen Existenz und in einem Widerspruch mit der Welt
gebildet. Hingegen Amelie Imhof ist zur Poesie nicht durch das Herz, sondern
nur durch die Phantasie gekommen, und wird auch ihr Lebenlang nur damit
spielen. Weil aber, nach meinem Begriff, das Aesthetische Ernst und Spiel
zugleich ist, wobei der Ernst im Gehalte und das Spiel in der Form gegründet
ist, so muß die Mereau das poetische immer der Form nach, die Imhof es immer
dem Gehalt nach verfehlen. Mit meiner Schwägerin hat es eine eigne Bewandtniß,
diese hat das Gute von beiden, aber eine zu große Willkür der Phantasie
entfernt sie von dem eigentlichen Punkt, worauf es ankommt.
Ich
sagte Ihnen doch einmal, daß ich Kosegarten in einem Briefe meine Meinung
gesagt habe, und auf seine Antwort begierig sei. Er hat mir nun geschrieben,
und sehr dankbar für meine Aufrichtigkeit. Aber wie wenig ihm zu helfen ist,
sehe ich daraus, daß er mir in demselben Briefe das Anzeigeblatt seiner
Gedichte beilegt, welches nur ein Verrückter geschrieben haben kann. Gewissen
Menschen ist nicht zu helfen, und dem da besonders hat Gott ein ehern Band um
die Stirne geschmiedet.
Endlich
erhalten Sie den Ibykus. Möchten Sie damit zufrieden sein. Ich gestehe, daß ich
bei näherer Besichtigung des Stoffes mehr Schwierigkeiten fand als ich anfangs
erwartete, indessen däucht mir, daß ich sie größtentheils überwunden habe. Die
zwei Hauptpunkte worauf es ankam schienen mir erstlich eine Continuität in die
Erzählung zu bringen, welche die rohe Fabel nicht hatte, und zweitens die
Stimmung für den Effect zu erzeugen. Die letzte Hand habe ich noch nicht daran
legen können, da ich erst gestern Abend fertig geworden, und es liegt mir
zuviel daran, daß Sie die Ballade bald lesen, um von Ihren Erinnerungen noch
Gebrauch machen zu können. Das angenehmste wäre mir, zu hören, daß ich in
wesentlichen Punkten Ihnen begegnete.
Schiller. - Mit meiner Gesundheit geht es seit acht Tagen wieder besser und im Hause steht es auch gut. Meine Frau grüßt Sie herzlich. Von Humboldts habe ich seit ihrer Abreise aus Dresden noch nichts vernommen. Aus dem Gotterischen Nachlaß erhalte ich seine Oper: die Geisterinsel, die nach Shakespeares Sturm bearbeitet ist; ich habe den ersten Act gelesen, der eben sehr kraftlos ist und eine dünne Speise. Indessen danke ich dem Himmel, daß ich einige Bogen in den Horen auszufüllen habe und zwar durch einen so classischen Schriftsteller, der das Genie- und Xenien-Wesen vor seinem Tode so bitter beklagt hat - Und so zwingen wir denn Gottern, der lebend nichts mit den Horen zu thun haben wollte, noch todt darin zu spuken.
Leben
Sie recht wohl, lassen Sie bald wieder von sich hören.
Dienstag, 26. Oktober 2021
Hölderlin
an Schiller. - Haben Sie Ihre Meinung von mir geändert? Haben Sie mich
aufgegeben? Verzeihen Sie mir diese Fragen. Eine Anhänglichkeit an Sie, gegen
welche ich oft vergebens angieng, wenn sie Leidenschaft war, eine
Anhänglichkeit, die noch immer mich nicht verlassen hat, nöthigt solche Fragen
mir ab. Ich würde mich darüber tadeln, wenn Sie nicht der einzige Mann wären,
an den ich meine Freiheit so verloren habe.
Sonntag, 24. Oktober 2021
Mittwoch, 20. Oktober 2021
Ehe
man mehreres von dem Verfasser gesehen hätte, daß man wüßte, ob er noch andere
Talente in andern Versarten hat, wüßte ich nicht, was ihm zu raten wäre. Ich
möchte sagen, in beiden Gedichten sind gute Ingredienzien zu einem Dichter, die
aber keinen Dichter machen. Vielleicht täte er am besten, wenn er einmal ein
ganz einfaches idyllisches Faktum wählte und es darstellte; so könnte man eher
sehen, wie es ihm mit der Menschenmalerei gelänge, worauf doch am Ende alles
ankommt. Ich sollte denken, der 'Äther' würde nicht übel im Almanach und 'Der
Wanderer' gelegentlich ganz gut in den Horen stehen.
Dienstag, 19. Oktober 2021
Donnerstag, 30. September 2021
Dienstag, 28. September 2021
Als
ich von der Behauptung des Journals des Débats sprach, daß eine Melodie aus dem
Freischütz Motive aus Rousseau's Musik enthalte, schalt er lebhaft alles
solches Nachgrübeln von Parallelstellen. Es sei ja alles, was gedichtet,
argumentirt, gesprochen werde, allerdings schon dagewesen, aber wie könne denn
eine Lectüre, eine Conversation, ein Zusammenleben bestehen, wenn man immer
opponiren wolle: Das habe ich ja schon im Aristoteles, Homer und dergl.
gelesen. Kurz, er war ziemlich negirend, ironisch, widersprechend.
Von
7-9 Uhr war ich heute bei Goethe allein, der ziemlich heiter und gesprächig,
doch nicht so festhaltend an den Gegenständen und mittheilend war, wie in ganz
guten Stunden. Er sprach vom Nekrolog der Fr.v. Krüdener. »So ein Leben ist wie
Hobelspäne; kaum ein Häufchen Asche ist daraus zu gewinnen zum Seifensieden.«
Doch rieth er mir ›Valerie‹ zu lesen.
Sonntag, 26. September 2021
Mittwoch, 8. September 2021
Es
freut mich, daß Sie meinem Freunde und Schutzbefohlenen nicht ganz ungünstig
sind. Das Tadelnswürdige an seiner Arbeit ist mir sehr lebhaft aufgefallen,
aber ich wußte nicht recht, ob das Gute auch Stich halten würde, das ich darinn
zu bemerken glaubte. Aufrichtig, ich fand in diesen Gedichten viel von meiner
eigenen sonstigen Gestalt, und es ist nicht das erstemal, daß mich der
Verfasser an mich mahnte. Er hat eine heftige Subjectivität, und verbindet
damit einen gewissen philosophischen Geist und Tiefsinn. Sein Zustand ist
gefährlich, da solchen Naturen so gar schwer beyzukommen ist. Indessen finde ich
in diesen neuern Stücken doch den Anfang einer gewissen Verbesserung, wenn ich
sie gegen seine vormaligen Arbeiten halte; denn kurz, es ist Hölderlin, den Sie
vor etlich Jahren bei mir gesehen haben. Ich würde ihn nicht aufgeben, wenn ich
nur eine Möglichkeit wüßte, ihn aus seiner eignen Gesellschaft zu bringen, und
einem wohlthätigen und fortdauernden Einfluß von außen zu öfnen.
Ich
will Ihnen nur auch gestehen daß mir etwas von Ihrer Art und Weise aus den
Gedichten entgegensprach, eine ähnliche Richtung ist wohl nicht zu verkennen,
allein sie haben weder die Fülle, noch die Stärke, noch die Tiefe Ihrer
Arbeiten. Indessen recommandirt diese Gedichte, wie ich schon gesagt habe, eine
gewisse Lieblichkeit, Innigkeit und Mäßigkeit und der Verfasser verdient wohl,
besonders da Sie frühere Verhältnisse zu ihm haben, daß Sie das mögliche thun
um ihn zu lenken und zu leiten.
Dienstag, 31. August 2021
Mittags
bei ihm zur Tafel fand ich mehrere französische Frauenzimmer, die ich mit
Aufmerksamkeit zu betrachten Ursache hatte; die eine (man sagte, es sei die
Geliebte des Herzogs von Orléans) eine stattliche Frau, stolzen Betragens und
schon von gewissen Jahren, mit rabenschwarzen Augen, Augenbraunen und Haar;
übrigens im Gespräch mit Schicklichkeit freundlich. Eine Tochter, die Mutter
jugendlich darstellend, sprach kein Wort. Desto munterer und reizender zeigte
sich die Fürstin Monaco, entschiedene Freundin des Prinzen von Condé, die
Zierde von Chantilly in guten Tagen. Anmutiger war nichts zu sehen als diese
schlanke Blondine; jung, heiter, possenhaft; kein Mann, auf den sie's anlegte,
hätte sich verwahren können. Ich beobachtete sie mit freiem Gemüt und wunderte
mich, Philinen, die ich hier nicht zu finden glaubte, so frisch und munter ihr
Wesen treibend mir abermals begegnen zu sehen.
Montag, 30. August 2021
Montag, 9. August 2021
Denn
dieses scheint die Hauptaufgabe der Biographie zu sein, den Menschen in seinen
Zeitverhältnissen darzustellen, und zu zeigen, inwiefern ihm das Ganze
widerstrebt, inwiefern es ihn begünstigt, wie er sich eine Welt- und
Menschenansicht daraus gebildet, und wie er sie, wenn er Künstler, Dichter,
Schriftsteller ist, wieder nach außen abgespiegelt. Hiezu wird aber ein kaum
Erreichbares gefordert, daß nämlich das Individuum sich und sein Jahrhundert
kenne, sich, inwiefern es unter allen Umständen dasselbe geblieben, das
Jahrhundert, als welches sowohl den Willigen als Unwilligen mit sich fortreißt,
bestimmt und bildet, dergestalt, daß man wohl sagen kann, ein jeder, nur zehn
Jahre früher oder später geboren, dürfte, was seine eigene Bildung und die
Wirkung nach außen betrifft, ein ganz anderer geworden sein.
Samstag, 7. August 2021
Zu
einem eigenen Wanderleben jedoch ist der Soldat berufen; selbst im Frieden wird
ihm bald dieser, bald jener Posten angewiesen; fürs Vaterland nah oder fern zu
streiten, muß er sich immer beweglich erhalten; und nicht nur fürs unmittelbare
Heil, sondern auch nach dem Sinne der Völker und Herrscher wendet er seinen
Schritt allen Weltteilen zu, und nur wenigen ist es vergönnt, sich hie oder da
anzusiedeln. Wie nun bei dem Soldaten die Tapferkeit als erste Eigenschaft
obenan steht, so wird sie doch stets mit der Treue verbunden gedacht, deshalb
wir denn gewisse wegen ihrer Zuverlässigkeit gerühmte Völker, aus der Heimat gerufen,
weltlichen und geistlichen Regenten als Leibwache dienen sehen.
Donnerstag, 29. Juli 2021
Schmeichelnd zieht sie ihn zur Schwelle,
Lebhaft
ihn ins Haus hinein:
"Schöner
Fremdling, lampenhelle
Soll
sogleich die Hütte sein.
Bist
du müd, ich will dich laben,
Lindern
deiner Füße Schmerz.
Was
du willst, das sollst du haben,
Ruhe,
Freuden oder Scherz."
Sie
lindert geschäftig geheuchelte Leiden.
Der
Göttliche lächelt; er siehet mit Freuden
Durch
tiefes Verderben ein menschliches Herz.
Montag, 19. Juli 2021
Dieser
Tage habe ich in großer adliger Gesellschaft einen höchst langweilig
Spaziergang machen müssen. Das ist ein notwendiges Übel, in das mich mein
Verhältnis mit Charlotten [von Kalb] gestürzt hat — und wieviel flache
Kreaturen kommen einem da vor! Die Beste unter allen war Frau von Stein, eine
wahrhaftig eigene, interessante Person, und von der ich begreife, daß Goethe
sich so ganz an sie attachiert hat. Schön kann sie nie gewesen sein, aber ihr
Gesicht hat einen sanften Ernst und eine ganz eigene Offenheit. Ein gesunder
Verstand, Gefühl und Wahrheit liegen in ihrem Wesen. Diese Frau besitzt
vielleicht über tausend Briefe von Goethe, und aus Italien hat er ihr noch jede
Woche geschrieben. Man sagt, daß ihr Umgang ganz rein und untadelhaft sein
soll.
Samstag, 3. Juli 2021
Dieser
Tage bin ich auch in Goethens Garten gewesen beim Major von Knebel, seinem
intimen Freund. Goethens Geist hat alle Menschen, die sich zu seinem Zirkel
zählen, gemodelt. Eine stolze philosophische Verachtung aller Spekulation und
Untersuchung, mit einem bis zur Affektation getriebenen Attachement an die
Natur und einer Resignation in seine fünf Sinne; kurz, eine gewisse kindliche Einfalt
der Vernunft bezeichnet ihn und seine ganze hiesige Sekte. Da sucht man lieber
Kräuter oder treibt Mineralogie, als daß man sich in leeren Demonstrationen
verfinge. Die Idee kann ganz gesund und gut sein, aber man kann auch viel
übertreiben ...
Sonntag, 27. Juni 2021
Ferner
wird ein junger Mann, wo nicht gerade an sich selbst, doch an andern bald
gewahr, daß moralische Epochen ebensogut wie die Jahreszeiten wechseln. Die
Gnade der Großen, die Gunst der Gewaltigen, die Förderung der Tätigen, die
Neigung der Menge, die Liebe der Einzelnen, alles wandelt auf und nieder, ohne
daß wir es festhalten können, so wenig als Sonne, Mond und Sterne; und doch
sind diese Dinge nicht bloße Naturereignisse: sie entgehen uns durch eigne oder
fremde Schuld, durch Zufall oder Geschick, aber sie wechseln, und wir sind
ihrer niemals sicher.
Samstag, 26. Juni 2021
Was
aber den fühlenden Jüngling am meisten ängstigt, ist die unaufhaltsame
Wiederkehr unserer Fehler: denn wie spät lernen wir einsehen, daß wir, indem
wir unsere Tugenden ausbilden, unsere Fehler zugleich mit anbauen. Jene ruhen
auf diesen wie auf ihrer Wurzel, und diese verzweigen sich insgeheim ebenso
stark und so mannigfaltig als jene im offenbaren Lichte. Weil wir nun unsere
Tugenden meist mit Willen und Bewußtsein ausüben, von unseren Fehlern aber
unbewußt überrascht werden, so machen uns jene selten einige Freude, diese
hingegen beständig Not und Qual. Hier liegt der schwerste Punkt der
Selbsterkenntnis, der sie beinah unmöglich macht. Denke man sich nun hiezu ein
siedend jugendliches Blut, eine durch einzelne Gegenstände leicht zu
paralysierende Einbildungskraft, hiezu die schwankenden Bewegungen des Tags,
und man wird ein ungeduldiges Streben, sich aus einer solchen Klemme zu
befreien nicht unnatürlich finden.
Solche
düstere Betrachtungen jedoch, welche denjenigen, der sich ihnen überläßt, ins
Unendliche führen, hätten sich in den Gemütern deutscher Jünglinge nicht so
entschieden entwickeln können, hätte sie nicht eine äußere Veranlassung zu
diesem traurigen Geschäft angeregt und gefördert. Es geschah dieses durch die
englische Literatur, besonders durch die poetische, deren große Vorzüge ein
ernster Trübsinn begleitet, welchen sie einem jeden mitteilt, der sich mit ihr
beschäftigt. Der geistreiche Brite sieht sich von Jugend auf von einer
bedeutenden Welt umgeben, die alle seine Kräfte anregt; er wird früher oder
später gewahr, daß er allen seinen Verstand zusammennehmen muß, um sich mit ihr
abzufinden. Wie viele ihrer Dichter haben nicht in der Jugend ein loses und
rauschendes Leben geführt, und sich früh berechtigt gefunden, die irdischen Dinge
der Eitelkeit anzuklagen! Wie viele derselben haben sich in den Weltgeschäften
versucht, und im Parlament, bei Hofe, im Ministerium, auf Gesandtschaftsposten
teils die ersten, teils untere Rollen gespielt, und sich bei inneren Unruhen,
Staats- und Regierungsveränderungen mitwirkend erwiesen und, wo nicht an sich
selbst, doch an ihren Freunden und Gönnern öfter traurige als erfreuliche
Erfahrungen gemacht! Wie viele sind verbannt, vertrieben, im Gefängnis
gehalten, an ihren Gütern beschädigt worden!
Aber
auch nur Zuschauer von so großen Ereignissen zu sein, fordert den Menschen zum
Ernst auf, und wohin kann der Ernst weiter führen, als zur Betrachtung der
Vergänglichkeit und des Unwerts aller irdischen Dinge. Ernsthaft ist auch der
Deutsche, und so war ihm die englische Poesie höchst gemäß, und, weil sie sich
aus einem höheren Zustande herschrieb, imposant. Man findet in ihr durchaus
einen großen, tüchtigen, weltgeübten Verstand, ein tiefes, zartes Gemüt, ein
vortreffliches Wollen, ein leidenschaftliches Wirken: die herrlichsten
Eigenschaften, die man von geistreichen gebildeten Menschen rühmen kann; aber
das alles zusammengenommen macht noch keinen Poeten. Die wahre Poesie kündet
sich dadurch an, daß sie, als ein weltliches Evangelium, durch innere Heiterkeit,
durch äußeres Behagen, uns von den irdischen Lasten zu befreien weiß, die auf
uns drücken. Wie ein Luftballon hebt sie uns mit dem Ballast, der uns anhängt,
in höhere Regionen, und läßt die verwirrten Irrgänge der Erde in
Vogelperspektive vor uns entwickelt daliegen. Die muntersten wie die ernstesten
Werke haben den gleichen Zweck, durch eine glückliche geistreiche Darstellung
so Lust als Schmerz zu mäßigen. Man betrachte nun in diesem Sinne die Mehrzahl
der englischen meist moralisch-didaktischen Gedichte, und sie werden im
Durchschnitt nur einen düstern Überdruß des Lebens zeigen. Nicht Youngs
»Nachtgedanken« allein, wo dieses Thema vorzüglich durchgeführt ist, sondern
auch die übrigen betrachtenden Gedichte schweifen, eh man sich's versieht, in dieses
traurige Gebiet, wo dem Verstande eine Aufgabe zugewiesen ist, die er zu lösen
nicht hinreicht, da ihn ja selbst die Religion, wie er sich solche allenfalls
erbauen kann, im Stiche läßt. Ganze Bände könnte man zusammendrucken, welche
als ein Kommentar zu jenem schrecklichen Texte gelten können:
Then old
Age and Experience, hand in hand,
Lead him to death, and make him understand,
After a search so painful and so long,
That all his life he has been in the wrong.
Donnerstag, 17. Juni 2021
Carl
Friedrich Zelter schrieb im April des Jahres 1812 an Johann Wolfgang von Goethe
folgende Zeilen: «Wäre ich in Frankfurt geboren, so wäre mit mir alles anders.
Hier in Berlin, wo nichts alt, nichts öffentlich, nichts allgemein ist, ist es
wahrhaftig kein Spass, über seinen eigenen Mist hinauszureichen, worin sich
alles so weich und warm behagt.» Und Goethe sagte einmal: «Wenn ich nicht
Goethe wäre, so möchte ich Zelter sein.»
Sonntag, 30. Mai 2021
Für die Rückkehr aus Italien wählte Goethe
im Sommer 1788 einen Weg, der ihn durch einen ihm noch unbekannten Teil der
Schweizer Alpen, nämlich durch Graubünden führen sollte. Vorbereitungen dafür
traf er schon bei der Annäherung ans Gebirge. In Mailand besuchte er Pater
Pini, dessen Memoria mineralogica
über den Gotthard er ja bereits seit 1783 besaß – und er kaufte sich einen
Geologenhammer, wie er es in einem von Abschiedsschmerz geprägten Brief an
Knebel angekündigt hatte:
Freitag, 21. Mai 2021
Mittwoch, 19. Mai 2021
Sonntag, 25. April 2021
Der
Hofmeister gab ihm im stillen recht, der Geistliche im stillen unrecht, und die
Kammermädchen, denen seine Gestalt reizend und seine Freigebigkeit respektabel
war, hörten ihn gerne reden, weil sie sich durch seine Gesinnungen berechtigt
glaubten, ihre zärtlichen Augen, die sie bisher vor ihm bescheiden
niedergeschlagen hatten, nunmehr in Ehren nach ihm aufzuheben.
Die
Bedürfnisse des Tages, die Hindernisse des Weges, die Unannehmlichkeiten der
Quartiere führten die Gesellschaft gewöhnlich auf ein gegenwärtiges Interesse
zurück, und die große Anzahl französischer und deutscher Ausgewanderten, die
sie überall antrafen und deren Betragen und Schicksale sehr verschieden waren,
gaben ihnen oft zu Betrachtungen Anlaß, wieviel Ursache man habe, in diesen
Zeiten alle Tugenden, besonders aber die Tugend der Unparteilichkeit und
Verträglichkeit zu üben.
Montag, 19. April 2021
Freitag, 16. April 2021
Von Goethe wurde mir gestern ein tour de force erzählt, das beinahe unglaublich ist. Er habe sich ein paarmal über die Stirne gefahren, die Hände gerieben, in der Stube auf und ab gegangen und so von 4 Uhr nachmittags bis abends um 10 Uhr eine ganze Tragödie von fünf Akten seinem Schreiber aus dem Kopf fertig diktiert.
Montag, 12. April 2021
Samstag, 10. April 2021
Samstag, 3. April 2021
»An
eine Vernichtung ist gar nicht zu denken; aber von irgendeiner mächtigen und
dabei gemeinen Monas unterwegs angehalten und ihr untergeordnet zu werden,
diese Gefahr hat allerdings etwas Bedenkliches, und die Furcht davor wüßte ich
auf dem Wege einer bloßen Naturbetrachtung meinesteils nicht ganz zu
beseitigen.«
Freitag, 2. April 2021
Eines Tages machte die Baronesse die Bemerkung, daß man nicht deutlicher sehen könne, wie ungebildet in jedem Sinne die Menschen seien, als in solchen Augenblicken allgemeiner Verwirrung und Not. »Die bürgerliche Verfassung«, sagte sie, »scheint wie ein Schiff zu sein, das eine große Anzahl Menschen, alte und junge, gesunde und kranke, über ein gefährliches Wasser auch selbst zu Zeiten des Sturms hinüberbringt; nur in dem Augenblicke, wenn das Schiff scheitert, sieht man, wer schwimmen kann, und selbst gute Schwimmer gehen unter solchen Umständen zugrunde.«
Umgeben
von diesen Besuchen, ward sie aufs angenehmste überrascht, als der Geheimerat
von S. mit seiner Familie bei ihr ankam, ein Mann, dem die Geschäfte von Jugend
auf zum Bedürfnis geworden waren, ein Mann, der das Zutrauen seines Fürsten
verdiente und besaß. Er hielt sich streng an Grundsätze und hatte über manche
Dinge seine eigene Denkweise. Er war genau im Reden und Handeln und forderte
das gleiche von andern. Ein konsequentes Betragen schien ihm die höchste
Tugend.
Freitag, 26. März 2021
Mahadöh, der Herr der Erde,
Kommt
herab zum sechsten Mal,
Daß
er unsersgleichen werde,
Mitzufühlen
Freud und Qual.
Er
bequemt sich, hier zu wohnen,
Läßt
sich alles selbst geschehn.
Soll
er strafen oder schonen,
Muß
er Menschen menschlich sehn.
Und
hat er die Stadt sich als Wandrer betrachtet,
Die
Großen belauert, auf Kleine geachtet,
Verläßt
er sie Abends, um weiter zu gehn.
Mittwoch, 24. März 2021
Freitag, 19. März 2021
Als er nun hinausgegangen,
Wo
die letzten Häuser sind,
Sieht
er, mit gemalten Wangen,
Ein
verlornes schönes Kind.
Grüß
dich, Jungfrau! - Dank der Ehre!
Wart,
ich komme gleich hinaus -
Und
wer bist du? - Bajadere,
Und
dies ist der Liebe Haus.
Sie
rührt sich, die Zimbeln zum Tanze zu schlagen,
Sie
weiß sich so lieblich im Kreise zu tragen,
Sie
neigt sich und biegt sich und reicht ihm den Strauß.
Montag, 15. März 2021
Freitag, 12. März 2021
Als sie dann zu sich gekommen und sich von
den frostigen Fliesen
aufgerichtet, das Haar schmutzig, vom
Staube entstellt,
hat sie sich selber beweint und beweint
die verwaiste Behausung,
ihres entrissenen Manns Namen gerufen im
Leid,
hat dann gejammert, als sähe sie
Scheiterhaufen errichtet,
müsse der Tochter, des Manns
Leichenverbrennungen sehn;
sterben wollte sie da, von nichts mehr
wissen im Tode;
nur der Gedanke an mich hielt sie im Leben
zurück.
Lebe sie für den Entfernten, da so das
Schicksal es fügte!
Lebe sie, daß sie ihm stets tröstliche Hilfe gewährt!
Dienstag, 2. März 2021
Von
der Hegel'schen Philosophie mag ich gar nichts wissen, wiewohl Hegel selbst mir
ziemlich zusagt. So viel Philosophie als ich bis zu meinem seligen Ende
brauche, habe ich noch allenfalls, eigentlich brauche ich gar keine. Cousin hat
mir nichts Widerstrebendes, aber er begreift nicht, daß es wohl eklektische
Philosophen, aber keine eklektische Philosophie geben kann. Die Sache ist so
gewaltig schwer, sonst hätten die guten Menschen sich nicht seit Jahrtausenden
so damit abgequält. Und sie werden es nie ganz treffen. Gott hat das nicht
gewollt, sonst müßte er sie anders machen. Jeder muß selbst zusehen, wie er
sich durchhilft.
Freitag, 26. Februar 2021
Sonntag, 21. Februar 2021
Samstag, 20. Februar 2021
Freitag, 5. Februar 2021
Heute habe ich zum erstenmal Madame von Stael bei mir gesehen; es bleibt immer dieselbe Empfindung; sie gerirt sich mit aller Artigkeit noch immer grob genug als Reisende zu den Hyperboreern, deren capitale alte Fichten und Eichen, deren Eisen und Bernstein sich noch so ganz wohl in Nutz und Putz verwenden ließen; indessen nöthigt sie einen doch die alten Teppiche als Gastgeschenk und die verrosteten Waffen zur Vertheidigung hervorzuholen.
Bei
der Bibliothekseinrichtung steht mir die Art der Jenenser, die sich nahezu mit
der Italiäner göttlichem Nichtsthun
vergleicht, auf eine verdrießliche Weise entgegen. Ich gebe die Bemerkung zum
besten, daß das Arbeiten nach vorgeschriebener Stunde, in einer Zeitenreihe
regelmäßig vorgenommen, solche Menschen hervorbringt und bildet, die auch nur
das Allernothdürftigste, stundenweis und stundenhaft möchte man sagen,
arbeiten. ich werde so lange als möglich hier bleiben, weil ich überzeugt bin,
daß, wie ich weggehe, das Ganze wieder mehr oder weniger stocken wird.
Dienstag, 2. Februar 2021
Donnerstag, 28. Januar 2021
Donnerstag, 21. Januar 2021
Ich
fragte weiter: ob er wohl glaube, daß die Übergänge aus diesen Zuständen für
die Monaden selbst mit Bewußtsein verbunden wären? Worauf Goethe erwiderte:
»Daß es einen allgemeinen historischen Überblick, sowie daß es höhere Naturen,
als wir selbst, unter den Monaden geben könne, will ich nicht in Abrede sein.
Die Intention einer Weltmonade kann und wird manches aus dem dunkeln Schooße
ihrer Erinnerung hervorbringen, das wie Weissagung aussieht und doch im Grunde
nur dunkle Erinnerung eines abgelaufenen Zustandes, folglich Gedächtniß ist;
völlig wie das menschliche Genie die Gesetztafeln über die Entstehung des
Weltalls entdeckte, nicht durch trockne Anstrengung, sondern durch einen ins
Dunkel fallenden Blitz der Erinnerung, weil es bei deren Abfassung selbst
zugegen war. Es würde vermessen sein, solchen Aufblitzen im Gedächtniß höherer
Geister ein Ziel zu setzen, oder den Grad, in welchem sich diese Erleuchtung
halten müßte, zu bestimmen. So im Allgemeinen und historisch gefaßt, finde ich
in der Fortdauer von Persönlichkeit einer Weltmonas durchaus nichts
Undenkbares. – Was uns selbst zunächst betrifft, so scheint es fast, als ob die
von uns früher durchgangenen Zustände dieses Planeten im Ganzen zu unbedeutend
und zu mittelmäßig seien, als daß vieles daraus in den Augen der Natur einer
zweiten Erinnerung werth gewesen wäre. Selbst unser jetziger Zustand möchte
einer großen Auswahl bedürfen, und unsere Hauptmonas wird ihn wohl ebenfalls
künftig einmal summarisch, d.h. in einigen großen historischen Hauptpunkten
zusammenfassen.«
»Wollen
wir uns einmal auf Vermuthungen einlassen,« setzte Goethe hierauf seine
Betrachtungen weiter fort, »so sehe ich wirklich nicht ab, was die Monade,
welcher wir Wieland's Erscheinung auf unserm Planeten verdanken, abhalten
sollte, in ihrem neuen Zustande die höchsten Verbindungen dieses Weltalls
einzugehen. Durch ihren Fleiß, durch ihren Eifer, durch ihren Geist, womit sie
so viele weltgeschichtliche Zustände in sich aufnahm, ist sie zu allem
berechtigt. Ich würde mich so wenig wundern, daß ich es sogar meinen Ansichten
völlig gemäß finden müßte, wenn ich einst diesem Wieland als einer Weltmonade,
als einem Stern erster Größe, nach Jahrtausenden wieder begegnete und sähe und
Zeuge davon wäre, wie er mit seinem lieblichen Lichte alles, was ihm irgend
nahe käme, erquickte und aufheiterte. Wahrlich, das nebelartige Wesen irgend
eines Kometen in Licht und Klarheit zu verfassen, das wäre wohl für die Monas
unsers Wieland's eine erfreuliche Aufgabe zu nennen, wie denn überhaupt, sobald
man die Ewigkeit dieses Weltzustandes denkt, sich für Monaden durchaus keine
andre Bestimmung annehmen läßt, als daß sie ewig auch ihrerseits an den Freuden
der Götter als selig mitschaffende Kräfte Theil nehmen. Das Werden der
Schöpfung ist ihnen anvertraut. Gerufen oder ungerufen, sie kommen von selbst
auf allen Wegen, von allen Bergen, aus allen Meeren, von allen Sternen; wer mag
sie aufhalten? Ich bin gewiß, wie Sie mich hier sehen, schon tausendmal
dagewesen und hoffe wohl noch tausendmal wiederzukommen.« – »Um Verzeihung,«
fiel ich ihm hier ins Wort: »ich weiß nicht, ob ich eine Wiederkunft ohne
Bewußtsein eine Wiederkunft nennen möchte! Denn wieder kommt nur derjenige,
welcher weiß, daß er zuvor dagewesen ist. Auch Ihnen sind bei Betrachtungen der
Natur glänzende Erinnerungen und Lichtpunkte aus Weltzuständen aufgegangen, bei
welchen Ihre Monas vielleicht selbstthätig zugegen war; aber alles dieses steht
doch nur auf einem Vielleicht; ich wollte doch lieber, daß wir über so wichtige
Dinge eine größere Gewißheit zu erlangen imstande wären, als die wir uns durch
Ahnungen und jene Blitze des Genius verschaffen, welche zuweilen den dunkeln
Abgrund der Schöpfung erleuchten. Sollten wir unserm Ziele nicht näher gelangen,
wenn wir eine liebende Hauptmonas im Mittelpunkte der Schöpfung voraussetzten,
die sich aller untergeordneten Monaden dieses ganzen Weltalls auf dieselbe Art
und Weise bediente, wie sich unsre Seele der ihr zum Dienste untergebenen
geringern Monaden bedient?«
–
»Ich habe gegen diese Vorstellung, als Glauben betrachtet, nichts,« gab Goethe
hierauf zur Antwort, »nur pflege ich auf Ideen, denen seine sinnliche
Wahrnehmung zu Grunde liegt, keinen ausschließenden Werth zu legen. Ja, wenn
wir unser Gehirn und den Zusammenhang desselben mit dem Uranus und die
tausendfältigen einander durchkreuzenden Fäden kennten, worauf der Gedanke hin
und her läuft! So aber werden wir der Gedankenblitze immer dann erst inne, wann
sie einschlagen. Wir kennen nur Ganglien, Gehirnknoten; vom Wesen des Gehirns
selbst wissen wir soviel als gar nichts. Was wollen wir denn also von Gott
wissen? Man hat es Diderot sehr verdacht, daß er irgendwo gesagt: wenn Gott
noch nicht ist, so wird er vielleicht noch. Gar wohl lassen sich aber nach meinen
Ansichten von der Natur und ihren Gesetzen Planeten denken, aus welchen die
höhern Monaden bereits ihren Abzug genommen, oder wo ihnen das Wort noch gar
nicht vergönnt ist. Es gehört eine Constellation dazu, die nicht alle Tage zu
haben ist, daß das Wasser weicht und daß die Erde trocken wird. So gut wie es
Menschenplaneten giebt, kann es auch Fischplaneten und Vogelplaneten geben. Ich
habe in einer unserer früheren Unterhaltungen den Menschen das erste Gespräch
genannt, das die Natur mit Gott hält. Ich zweifle gar nicht, daß dies Gespräch
auf andern Planeten viel höher, tiefer und verständiger gehalten werden kann.
Uns gehen vor der Hand tausend Kenntnisse dazu ab. Das Erste gleich, was uns
mangelt, ist die Selbstkenntniß; nach dieser kommen alle übrigen. Streng
genommen kann ich von Gott doch weiter nichts wissen, als wozu mich der
ziemlich beschränkte Gesichtskreis von sinnlichen Wahrnehmungen auf diesem
Planeten berechtigt, und das ist in allen Stücken wenig genug. Damit ist aber
keineswegs gesagt, daß durch diese Beschränkung unserer Naturbetrachtungen auch
dem Glauben Schranken gesetzt wären. Im Gegentheil kann, bei der
Unmittelbarkeit göttlicher Gefühle in uns, der Fall gar leicht eintreten, daß
das Wissen als Stückwerk besonders auf einem Planeten erscheinen muß, der, aus
seinem ganzen Zusammenhange mit der Sonne herausgerissen, alle und jede
Betrachtung unvollkommen läßt, die eben darum erst durch den Glauben ihre
vollständige Ergänzung erhält. Schon bei Gelegenheit der Farbenlehre habe ich bemerkt,
daß es Urphänomene giebt, die wir in ihrer göttlichen Einfalt durch unnütze
Versuche nicht stören und beeinträchtigen, sondern der Vernunft und dem Glauben
übergeben sollen. Versuchen wir von beiden Seiten muthig vorzudringen, nur
halten wir zugleich die Grenzen streng auseinander! Beweisen wir nicht, was
durchaus nicht zu beweisen ist! Wir werden sonst nur früh oder spät in unserm
sogenannten Wissenswerk unsere eigne Mangelhaftigkeit bei der Nachwelt zur
Schau tragen. Wo das Wissen genügt, bedürfen wir freilich des Glaubens nicht,
wo aber das Wissen seine Kraft nicht bewährt oder ungenügend erscheint, sollen
wir auch dem Glauben seine Rechte nicht streitig machen. Sobald man nur von dem
Grundsatz ausgeht, daß Wissen und Glauben nicht dazu da sind, um einander
aufzuheben, sondern um einander zu ergänzen, so wird schon überall das Rechte
ausgemittelt werden.«
Es
war spät geworden, als ich heute Goethe verließ. Er küßte mir die Stirn beim
Abschiede, was sonst nie seine Gewohnheit ist. Ich wollte im Dunkeln die Treppe
heruntergehen; aber er litt es nicht, sondern hielt mich fest beim Arme, bis er
jemand geklingelt, der mir leuchten mußte. Noch in der Thür warnte er mich, daß
ich auf meiner Hut sein und mich vor der rauhen Nachtluft in Acht nehmen
sollte. Weichmüthiger, als bei Wieland's Tode, habe ich Goethe nie zuvor
gesehen und sah ihn auch nachher nie wieder so.
Sonntag, 10. Januar 2021
»Dies niedrige Weltgesindel,« nahm er nach einer Pause und etwas beruhigter wieder das Wort, »pflegt sich über die Maßen breit zu machen; es ist ein wahres Monadenpack, womit wir in diesem Planetenwinkel zusammengerathen sind, und möchte wenig Ehre von dieser Gesellschaft, wenn sie auf andern Planeten davon hörten, für uns zu erwarten sein.«
Freitag, 8. Januar 2021
Hier
trat eine Pause ein. Ich schwieg still, weil ich, was ich etwa zu sagen
vermocht hätte, nicht zu sagen wagte, und weil ich auch diesem Manne gegenüber
in der That sehr bewegt war. Bald fuhr Goethe fort: