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»Ich habe gegen diese Vorstellung, als Glauben betrachtet, nichts,« gab Goethe
hierauf zur Antwort, »nur pflege ich auf Ideen, denen seine sinnliche
Wahrnehmung zu Grunde liegt, keinen ausschließenden Werth zu legen. Ja, wenn
wir unser Gehirn und den Zusammenhang desselben mit dem Uranus und die
tausendfältigen einander durchkreuzenden Fäden kennten, worauf der Gedanke hin
und her läuft! So aber werden wir der Gedankenblitze immer dann erst inne, wann
sie einschlagen. Wir kennen nur Ganglien, Gehirnknoten; vom Wesen des Gehirns
selbst wissen wir soviel als gar nichts. Was wollen wir denn also von Gott
wissen? Man hat es Diderot sehr verdacht, daß er irgendwo gesagt: wenn Gott
noch nicht ist, so wird er vielleicht noch. Gar wohl lassen sich aber nach meinen
Ansichten von der Natur und ihren Gesetzen Planeten denken, aus welchen die
höhern Monaden bereits ihren Abzug genommen, oder wo ihnen das Wort noch gar
nicht vergönnt ist. Es gehört eine Constellation dazu, die nicht alle Tage zu
haben ist, daß das Wasser weicht und daß die Erde trocken wird. So gut wie es
Menschenplaneten giebt, kann es auch Fischplaneten und Vogelplaneten geben. Ich
habe in einer unserer früheren Unterhaltungen den Menschen das erste Gespräch
genannt, das die Natur mit Gott hält. Ich zweifle gar nicht, daß dies Gespräch
auf andern Planeten viel höher, tiefer und verständiger gehalten werden kann.
Uns gehen vor der Hand tausend Kenntnisse dazu ab. Das Erste gleich, was uns
mangelt, ist die Selbstkenntniß; nach dieser kommen alle übrigen. Streng
genommen kann ich von Gott doch weiter nichts wissen, als wozu mich der
ziemlich beschränkte Gesichtskreis von sinnlichen Wahrnehmungen auf diesem
Planeten berechtigt, und das ist in allen Stücken wenig genug. Damit ist aber
keineswegs gesagt, daß durch diese Beschränkung unserer Naturbetrachtungen auch
dem Glauben Schranken gesetzt wären. Im Gegentheil kann, bei der
Unmittelbarkeit göttlicher Gefühle in uns, der Fall gar leicht eintreten, daß
das Wissen als Stückwerk besonders auf einem Planeten erscheinen muß, der, aus
seinem ganzen Zusammenhange mit der Sonne herausgerissen, alle und jede
Betrachtung unvollkommen läßt, die eben darum erst durch den Glauben ihre
vollständige Ergänzung erhält. Schon bei Gelegenheit der Farbenlehre habe ich bemerkt,
daß es Urphänomene giebt, die wir in ihrer göttlichen Einfalt durch unnütze
Versuche nicht stören und beeinträchtigen, sondern der Vernunft und dem Glauben
übergeben sollen. Versuchen wir von beiden Seiten muthig vorzudringen, nur
halten wir zugleich die Grenzen streng auseinander! Beweisen wir nicht, was
durchaus nicht zu beweisen ist! Wir werden sonst nur früh oder spät in unserm
sogenannten Wissenswerk unsere eigne Mangelhaftigkeit bei der Nachwelt zur
Schau tragen. Wo das Wissen genügt, bedürfen wir freilich des Glaubens nicht,
wo aber das Wissen seine Kraft nicht bewährt oder ungenügend erscheint, sollen
wir auch dem Glauben seine Rechte nicht streitig machen. Sobald man nur von dem
Grundsatz ausgeht, daß Wissen und Glauben nicht dazu da sind, um einander
aufzuheben, sondern um einander zu ergänzen, so wird schon überall das Rechte
ausgemittelt werden.«
Donnerstag, 21. Januar 2021
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