Mittwoch, 18. Dezember 2019

Und hinten drein komm ich bey Nacht
Und vögle sie dass alles kracht

Dienstag, 10. Dezember 2019

Schön kann sie nie gewesen sein, aber ihr Gesicht hat einen sanften Ernst und eine ganz eigene Offenheit. Ein gesunder Verstand, Gefühl und Wahrheit liegen in ihrem Wesen.

Montag, 25. November 2019

Die Mädgen oder vielmehr die jungen Frauen, die als Modelle sich bey den Mahlern einfinden, sind allerliebst mit unter und gefällig sich beschauen und genießen zu laßen. Es wäre auf diese Weise eine sehr bequeme Lust, wenn die französchen Einflüße nicht auch dieses Paradies unsicher machten. Ich bringe das Portrait von so einem Geschöpfe mit, man kann nichts zierlichers sehn.
Der erste wahre und höhere eigentliche Lebensgehalt kam durch Friedrich den Großen und die Taten des Siebenjährigen Kriegs in die deutsche Poesie. Jede Nationaldichtung muß schal sein oder schal werden, die nicht auf dem Menschlich-Ersten ruht, auf den Ereignissen der Völker und ihrer Hirten, wenn beide für einen Mann stehe. Könige sind darzustellen in Krieg und Gefahr, wo sie eben dadurch als die Ersten erscheinen, weil sie das Schicksal des Allerletzten bestimmen und teilen, und dadurch viel interessanter werden als die Götter selbst, die, wenn sie Schicksale bestimmt haben, sich der Teilnahme derselben entziehen. In diesem Sinne muß jede Nation, wenn sie für irgend etwas gelten will, eine Epopöe besitzen, wozu nicht gerade die Form des epischen Gedichts nötig ist.

Nun habe ich eine schöne Reise vor mir. Auf Como über den See nach Cleven Chur und so weiter. Da wird auch manch Stück Granit betreten und wieder einmal geklopft werden. Ich kaufe hier einen Hammer und werde an den Felsen pochen um des Todes Bitterkeit zu vertreiben.

Donnerstag, 21. November 2019


Dass Friedrich der Große aber gar nichts von ihnen wissen wollte, das verdross die Deutschen doch, und sie taten das Möglichste, als Etwas vor ihm zu erscheinen.

Eine Welt zwar bist du, o Rom, doch ohne die Liebe
Wäre die Welt nicht die Welt, wäre denn Rom auch nicht Rom.

Donnerstag, 14. November 2019

Abends war Goethe wieder etwas Faustinisch wild (wie er es leider Frauen, die ihm nur schön sind, gegenüber leicht wird), doch sagte er herrliche Sachen …
"Sag nur, warum du in manchem Falle
So ganz untröstlich bist?"
Die Menschen bemühen sich alle
Umzutun, was getan ist.

Montag, 28. Oktober 2019

Mich hat der süße kleine Gott in einen bösen Weltwinckel relegirt. Die öffentlichen Mädchen der Lust sind unsicher wie überall. Die Zitellen (unverheurathete Mädchen) sind keuscher als irgendwo,sie lassen sich nicht anrühren und fragen gleich, wenn man artig mit ihnen thut: e che concluderemo? Denn entweder soll man sie heurathen oder verheurathen und wenn sie einen Mann haben, dann ist die Messe gesungen. Ja man kann fast sagen, daß alle verheurathete Weiber dem zu Gebote stehn, der die Familie erhalten will. Das sind denn alles böse Bedingungen und zu naschen ist nur bey denen, die so unsicher sind als öffentliche Creaturen. Was das Herz betrifft; so gehört es gar nicht in die Terminologie der hiesigen Liebeskanzley.
Nach diesem Beytrag zur statistischen Kenntnis des Landes werden Sie ein sonderbar Phenomen begreifen, das ich nirgends so starck als hier gesehen habe, es ist die Liebe der Männer untereinander. Vorausgesetzt daß sie selten biß zum höchsten Grad der Sinnlichkeit getrieben wird, sondern sich in den mittlern Regionen der Neigung und Leidenschaft verweilt; so kann ich sagen, daß ich die schönsten Erscheinungen davon, welche wir nur aus griechischen Überlieferungen haben .. hier mit eignen Augen sehen und als ein aufmercksamer Naturforscher, das phisische und moralische davon beobachten konnte.

Kind! Kind! nicht weiter! Wie von unsichtbaren Geistern gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals leichtem Wagen durch; und uns bleibt nichts, als, mutig gefaßt, die Zügel festzuhalten und bald rechts bald links, vom Steine hier vom Sturze da, die Räder wegzulenken. Wohin es geht, wer weiß es?

Samstag, 26. Oktober 2019

Sich den Obern zu widersetzen, einem Sieger störrig und widerspenstig zu begegnen, damm weil um Griechisch und Lateinisch im Leibe steckt, er aber von diesen Dingen wenig oder nichts versteht, ist kindisch und abgeschmackt. Das ist Professorstolz, wie es Handwerksstolz, Bauernstolz und dergleichen gibt, der seinen Inhaber eben so lächerlich macht, als er ihm schadet.
Wir haben die Propyläen noch nicht gesehn. Was brauchen wir auch die Vorhöfe, da wir das Allerheiligste selber besitzen. Er lebt alleweil mitten unter uns; gestern habe ich mit ihm soupiert, heute werde ich mit ihm soupieren, und nächstens gebe ich ihm selbst eine Fête. Kommen Sie dann auch.
Sonderbar war es, dass ich auf äußere Veranlassung verschiedene Maßregeln nehmen musste, welche mich in neue Verhältnisse setzten, wodurch mein Aufenthalt in Rom immer schöner, nützlicher und glücklicher ward. Ja, ich kann sagen, dass ich die höchste Zufriedenheit meines Lebens in diesen letzten acht Wochen genossen habe und nun wenigstens einen äußersten Punkt kenne, nach welchem ich das Thermometer meiner Existenz künftig abmessen kann. 

Mein Abschied von hier betrübt drei Personen innigst. Sie werden nie wieder finden, was sie an mir gehabt haben, ich verlasse sie mit Schmerzen. In Rom hab' ich mich selbst zuerst gefunden, ich bin zuerst übereinstimmend mit mir selbst glücklich und vernünftig geworden, und als einen solchen haben mich diese dreie in verschiedenem Sinne und Grade gekannt, besessen und genossen.

Freitag, 25. Oktober 2019


20. Jan. 87 abends

Dein Brief vom 1. Jan. ist mir gekommen und hat mir Freude und Schmertzen gebracht. Dazu kann ich nichts weiter sagen als: ich habe nur Eine Existenz, diese hab ich diesmal ganz gespielt und spiele sie noch. Komm ich leiblich und geistlich davon, überwältigt meine Natur, mein Geist, mein Glück, diese Krise, so ersetz ich dir tausendfältig was zu ersetzen ist. – Komm ich um, so komm ich um, ich war ohne dies zu nichts mehr nütze.
Ach liebe Lotte du weist nicht welche Gewalt ich mir angethan habe und anthue und daß der Gedancke dich nicht zu besitzen mich doch im Grunde, ich mags nehmen und stellen und legen wie ich will aufreibt und aufzehrt. Ich mag meiner Liebe zu dir Formen geben welche ich will, immer immer – Verzeih mir daß ich dir wieder einmal sage was so lange stockt und verstummt. Wenn ich dir meine Gesinnungen meine Gedancken der Tage, der einsamsten Stunden sagen könnte. Leb wohl. Ich bin heute konfus und fast schwach. Leb wohl Liebe mich, ich gehe nun weiter und du hörst bald von mir und sollst durch mich noch ein Stück Welt weiter kennen lernen.  Rom d. 21. Febr. 87. 
An dir häng ich mit allen Fasern meines Wesens. Es ist entsetzlich was mich oft Erinnerungen zerreisen.

Mittwoch, 16. Oktober 2019


Kupido, loser, eigensinniger Knabe,
Du batst mich um Quartier auf einige Stunden!
Wie viele Tag’ und Nächte bist du geblieben,
Und bist nun herrisch und Meister im Hause geworden.

Jeder Satz zeugt von Genesung und von dem Hochgefühl neuer Kraft. In der Vergangenheit lag der Nebel einer verschwommenen Existenz. In der Gegenwart strahlte das Licht der zuverlässigen Erkenntnis. Und in der Zukunft kündigten sich noch unübersehbare Möglichkeiten sicheren Wissens und Schaffens an.

An Carl August. - Die Hauptabsicht meiner Reise war: mich von den physisch moralischen Übeln zu heilen, die mich in Deutschland quälten und mich zuletzt unbrauchbar machten; sodann den heißen Durst nach wahrer Kunst zu stillen, das erste ist mir ziemlich, das letzte ganz geglückt. 

Donnerstag, 10. Oktober 2019


Von meinem breiten Lager bin ich vertrieben,
Nun sitz’ ich an der Erde Nächte, gequält,
Dein Mutwill’ schüret Flamm’ auf Flamme des Herdes,
Verbrennt den Vorrat des Winters und sengt mich Armen. 


Wenn man vorstehendes Liedchen nicht in buchstäblichem Sinn nehmen, nicht jenen Dämon, den man gewöhnlich Amor nennt, dabei denken, sondern eine Versammlung tätiger Geister sich vorstellen will, die das Innerste des Menschen ansprechen, auffordern, hin und wider ziehen und durch geteiltes Interesse verwirren, so wird man auf eine symbolische Weise an dem Zustand teilnehmen, in dem ich mich befand, und welchen die Auszüge aus Briefen und die bisherigen Erzählungen genugsam darstellen. Man wird zugestehen, dass eine große Anstrengung gefordert ward, sich gegen so vieles aufrecht zu erhalten, in Tätigkeit nicht zu ermüden und im Aufnehmen nicht lässig zu werden. 

Du hast mir mein Gerät verstellt und verschoben,
Ich such’ und bin wie blind und irre geworden.
Du lärmst so ungeschickt, ich fürchte, das Seelchen
Entflieht, um dir zu entfliehn, und räumet die Hütte. 




Nachts durch die Stadt spazierend, gelangt' ich zum Molo. Dort sah ich mit einem Blick den Mond, den Schein desselben auf den Wolkensäumen, den sanft bewegten Abglanz im Meere, heller und lebhafter auf dem Saum der nächsten Welle. Und nun die Sterne des Himmels, die Lampen des Leuchtturms, das Feuer des Vesuvs, den Widerschein davon im Wasser und viele einzelne Lichter ausgesät über die Schiffe.
Das dritte Buch von Goethes Italienerinnerungen beginnt mit einem lateinischen Gebet, das Romulus bei der Gründung Roms spricht:

Longa sit huic, aetas dominaeque potentia terrae,
Sitque sub hac oriens occiduusque dies.
(Ovid, Fastorum libri)

Langes Leben sei ihr beschieden und Macht zur Herrschaft über die Welt,
und untertan sei ihr die aufgehende und untergehende Sonne. 

Samstag, 28. September 2019


Ruhig soll ich hier verpassen
Meine Müh und Fleiss;
Alles soll ich gelten lassen,
Was ich besser weiss.


Mit dieser Welt ists keiner Wege richtig;
Vergebens bist du brav, vergebens tüchtig,
Sie will uns zahm, sie will uns sogar nichtig!



Und das eben empfand Goethe als die eigentlich drohende Gefahr, als den eigentlichen Tod: den seelischen Tod im Leben, das Abflauen der tragenden inneren Energien, das Zerflattern eines tragenden Elementes.
Indem sich der männliche Intellekt willig in die Strahlungssphäre eines grossen und begnadeten Lebens begibt, wird sein Träger erst zum Menschen: zum dienenden Freund.

Dienstag, 10. September 2019

Voltaire hatte durch den Schutz, den er der Familie Calas angedeihen ließ, großes Aufsehn erregt und sich ehrwürdig gemacht. Für Deutschland fast noch auffallender und wichtiger war das Unternehmen Lavaters gegen den Landvogt gewesen. Der ästhetische Sinn, mit dem jugendlichen Mut verbunden, strebte vorwärts, und da man noch vor kurzem studierte, um zu Ämtern zu gelangen, so fing man nun an, den Aufseher der Beamten zu machen, und die Zeit war nah, wo der Theater- und Romanendichter seine Bösewichter am liebsten unter Ministern und Amtleuten aufsuchte. Hieraus entstand eine halb eingebildete, halb wirkliche Welt von Wirkung und Gegenwirkung, in der wir späterhin die heftigsten Angebereien und Verhetzungen erlebt haben, welche sich die Verfasser von Zeitschriften und Tagblättern, mit einer Art von Wut, unter dem Schein der Gerechtigkeit erlaubten und um so unwiderstehlicher dabei zu Werke gingen, als sie das Publikum glauben machten, vor ihm sei der wahre Gerichtshof: töricht! da kein Publikum eine exekutive Gewalt hat, und in dem zerstückten Deutschland die öffentliche Meinung niemanden nutzte oder schadete.

Donnerstag, 5. September 2019


5    5. Januar 1828

     Einiges an Faust. Oberaufsichtsgeschäfte mit meinem Sohne abgethan. Um 10 Uhr Canzlist Ehnlich, dem ich die Abschrift übertrug der gestern Abend angekommenen Tabelle des Herrn Glenck. Um 12 Uhr Herr von Vitzthum im Auftrag Ihro Kaiserlichen Hoheit. Einiges Abzusendende vorbereitet. Mittag die Herren von Gerstenbergk, Coudray, Vogel, Weichard, Wahl. Blieben bis gegen Abend. Sodann Herr Hofrath Meyer. Lasen einiges in Leo, Geschichte des jüdischen Staates. Von Serenissimo gesendet, von Lindenfels, Bemerkungen über von Dörring.

Samstag, 31. August 2019


In der Liebesnächte Kühlung,
Die dich zeugte, wo du zeugtest,
Überfällt dich fremde Fühlung,
Wenn die stille Kerze leuchtet.

Samstag, 24. August 2019

Mir ist das liebe Wertherische Blut
Immer zu einem Probirhengst gut
Den lass ich mit meinem Weib spazieren
Vor ihren Augen sich abbranliren

Montag, 12. August 2019

Die Weiber sind rechte Egoisten, indem man nur in ihr Interesse fällt, sofern sie uns lieben oder wir ihre Liebhaber machen oder sie uns zu Liebhabern wünschen. Eine ruhige, freie, absichtslose Teilnahme und Beurteilung fällt ganz außer ihrer Fähigkeit. Sie sehen alles nicht etwa nur aus ihrem Standpunkt, sondern in persönlichem Bezug auf sich.

Mittwoch, 7. August 2019


Ein sehr schöner dreispänniger Reisewagen rollt daher, eine freundliche junge Dame versäumt nicht, sich am Schlage sehen zu lassen und hüben und drüben zu grüßen; aber dem Postillion fällt man in die Zügel, der Schlag wird eröffnet, ein Erzklubist an ihrer Seite sogleich erkannt.

Zu verkennen war er freilich nicht, kurz gebaut, dicklich, breiten Angesichts, blatternarbig. Schon ist er bei den Füßen herausgerissen; man schließt den Schlag und wünscht der Schönheit glückliche Reise. Ihn aber schleppt man auf den nächsten Acker, zerstößt und zerprügelt ihn fürchterlich; alle Glieder seines Leibes sind zerschlagen, sein Gesicht unkenntlich.

Eine Wache nimmt sich endlich seiner an, man bringt ihn in ein Bauernhaus, wo er auf Stroh liegend zwar vor Tätlichkeiten seiner Stadtfeinde, aber nicht vor Schimpf, Schadenfreude und Schmähen geschützt war.
Doch auch damit ging es am Ende so weit, daß der Offizier niemand mehr hineinließ; auch mich, dem er es als einem Bekannten nicht abgeschlagen hätte, dringend bat: ich möchte diesem traurigsten und ekelhaftesten aller Schauspiele entsagen.

Da kommen wir mit vollem Trab;

Verzeiht! es ging nicht gütlich ab.

Wir klopften an, wir pochten an,

Und immer ward nicht aufgetan;

Wir rüttelten, wir pochten fort,

Da lag die morsche Türe dort;

Wir riefen laut und drohten schwer,

Allein wir fanden kein Gehör.

Und wie's in solchem Fall geschicht,

Sie hörten nicht, sie wollten nicht;

Wir aber haben nicht gesäumt,

Behende dir sie weggeräumt.

Das Paar hat sich nicht viel gequält,

Vor Schrecken fielen sie entseelt.

Ein Fremder, der sich dort versteckt

Und fechten wollte, ward gestreckt.

In wilden Kampfes kurzer Zeit

Von Kohlen, ringsumher gestreut,

Entflammte Stroh. Nun lodert's frei,

Als Scheiterhaufen dieser drei.

Mittwoch, 31. Juli 2019

Es ist wahr, ich konnte kein Freund der Französischen Revolution sein, denn ihre Greuel standen mir zu nahe.  

Dienstag, 23. Juli 2019


Die chronikalischen Notizen von den Abenteuern der Schmeling-Mara haben freylich den wahrhaften Charakter einer empirischen Welt; daher ist's um alles Geschichtliche ein gar wunderliches unsicheres Wesen und es geht wirklich in's Komische wenn man überdenkt wie man von längst Vergangenem sich mit Gewißheit überzeugen will. Wir besitzen hier eine alte niedliche silberne Schaale, die sich, wie eingegrabenes Bild und Inschrift beweist, von Kaiser Friedrich den Ersten herschreibt. Es ist unbestritten ein Pathengeschenk, und doch können sich die Gelehrten nicht vereinigen, wer eigentlich der Getaufte, wer der Taufzeuge sey. Hierüber existiren nun schon fünf Meynungen, die man als Muster des Scharfsinns und des Unsinns schätzen und halten kann; eine einzige ist gradsinnig und plausibel.

     Vorgenanntes Buch gelesen mit besonderm Vergnügen. Concipirt und mundirt. Nebenstehendes ausgefertigt: Herrn Garteninspector Sckell in Belvedere. – Herr Salinendirector Glenck zum Neuenjahr Sole von Stotternheim bringend, und auf Befragen über alle die neuen Bohrunternehmungen in Thüringen Auskunft gebend; nicht weniger eine geognostische Tabelle in Bezug auf die verschiedenen Salzformationen aufzeichnend. Verschiedene ihm vorgewiesene Mineralien geognostisch ordnend und erklärend. Einige Fragen vorlegend, deren Beantwortung überdenkend. Mittags für uns. Leo, Geschichte des jüdischen Staats fortgesetzt. Abends Professor Riemer. Einige Abtheilungen gedachten Buches mit demselben durchgelesen. Anderes Naheliegende besprochen. Späterhin fortgefahren an diesem Lesen.

Donnerstag, 11. Juli 2019

Es war indes tief Abend geworden, Goethe reichte mir seine liebe Hand, und ich ging.

Ich traf gegen 4 Uhr Hofrath Meyer bei Goethe an. Letzterer war sehr munter, ja aufgeregt; wie ein Gewitter bei heiterm Himmel suchte er sich seiner Kraftfülle durch geistige Blitze und Donnerschläge zu entledigen. Knebeln über Meteorologie consultiren, äußerte Goethe, heiße den Barometer über den Barometer befragen. Voltaire habe gesagt, die Erde sei eine alte Coquette, die sich jung zu machen strebe. Die Atmosphäre sei auch so eine Coquette, die eine zeitlang geregelten Gang affectire, aber bald sich dem ersten besten Wind preis gebe.

Daß man über Wellington's Omnipotenz als Premier-Minister jetzt schelte, sei absurd; man sollte froh sein, daß er endlich seinen rechten Platz eingenommen; wer Indien und Napoleon besiegt habe, möge wohl mit Recht über eine lumpige Insel herrschen. Wer die höchste Gewalt besitze, habe Recht; ehrfurchtsvoll müsse man sich vor ihm beugen. "Ich bin nicht so alt geworden, um mich um die Weltgeschichte zu bekümmern, die das Absurdeste ist, was es giebt; ob dieser oder jener stirbt, dieses oder jenes Volk untergeht ist mir einerlei; ich wäre ein Thor, mich darum zu bekümmern.

Wenn Alexander Humboldt und die andern Plutonisten mir's zu toll machen, werde ich sie schändlich blamiren; schon zimmere ich Xenien genug im Stillen gegen sie; die Nachwelt soll wissen, daß doch wenigstens ein gescheidter Mann in unserm Zeitalter gelebt hat, der jene Absurditäten durchschaute. Ich finde immer mehr, daß man es mit der Minorität, die stets die gescheidtere ist, halten muß."

Mittwoch, 10. Juli 2019

„Ihnen in Ihrer Heide“, erwiderte Goethe, „ist es freilich nicht so leicht geworden, und auch wir andern im mittleren Deutschland haben unser bißchen Weisheit schwer genug erkaufen müssen. Denn wir führen doch im Grunde alle ein isoliertes, armseliges Leben! Aus dem eigentlichen Volke kommt uns sehr wenig Kultur entgegen, und unsere sämtlichen Talente und guten Köpfe sind über ganz Deutschland ausgesät. Da sitzt einer in Wien, ein anderer in Berlin, ein anderer in Königsberg, ein anderer in Bonn oder Düsseldorf, alle durch fünfzig bis hundert Meilen voneinander getrennt, so daß persönliche Berührungen und ein persönlicher Austausch von Gedanken zu den Seltenheiten gehört. – Was dies aber wäre, empfinde ich, wenn Männer wie Alexander von Humboldt hier durchkommen und mich in dem, was ich suche und mir zu wissen nötig, in einem einzigen Tage weiter bringen, als ich sonst auf meinem einsamen Wege in Jahren nicht erreicht hätte.“

Montag, 1. Juli 2019


Als Meyer fragte, was es denn eigentlich heißen wolle, Plutonist oder Neptunist, sagte Goethe: "O danket Gott, daß Ihr nichts davon wißt, ich kann es auch nicht sagen, man könnte schon wahnsinnig werden, es nur auseinander zu setzen. Ohnehin bedeutet solch' ein Parteiname späterhin nichts mehr, löst sich in Rauch auf; die Leute wissen schon jetzt nicht mehr, was sie damit bezeichnen wollen. Ihr müßt verzeihen, wenn ich grob bin, ich schreibe jetzt eben in den Wanderjahren an der Rolle des Jarno, da spiele ich eine Weile auch im Leben den Grobian fort."

Was soll es nur hier in Weimar mit dem WitDöring werden? Man wird es schon bereuen, ihn hier zu haben; in seinen Memoiren ist kein Funke Geist. Er ist zum steten Gefängniß von der Natur bestimmt; darin spielt er seine Streiche. Wär' ich Fürst, ich ließ ihn gleich wieder verhaften, damit er in sein Element zurück käme. Gesehen und gesprochen hab' ich ihn wohl einmal, warum nicht? als Phänomen; aber ich wäre ein Lump, wenn ich ihn zum zweiten Male sähe.

Der Großherzog ergötzt sich an seinem Hiersein, um einmal wieder sich an einer Gefahr zu laben, um einmal wieder einen zahmen Wolf zu haben, der unter seinen Hunden und Schafen herum renommire.

Der Kerl hat meine Abschiedsformel an ihn: ›Sie haben selbst drucken lassen, daß Sie verführerisch seien und daß man sich nicht zu viel mit Ihnen einlassen müsse,‹ günstig für sich gedeutet; das macht mir Spaß. Nun er erregt doch; darauf kommt Alles an, sei es durch Haß oder Liebe. Man muß nur immer sorgen erregt zu werden, um gegen die Depression anzukämpfen. Das ist auch bei jetziger deprimirender Witterung der beste medicinische Rath. Wer mit mir umgehen will, muß zuweilen auch meine Grobianslaune zugeben, ertragen, wie eines andern Schwachheit oder Steckenpferd. Der alte Meyer ist klug, sehr klug; aber er geht nur nicht heraus, widerspricht mir nicht, das ist fatal. Ich bin sicher, im Innern ist er noch zehnmal zum Schimpfen geneigter als ich und hält mich noch für ein schwaches Licht. Er sollte nur aufpoltern und donnern, das gäbe ein prächtiges Schauspiel.

Mit Johanna Schopenhauer

Hier, caro amico (v. Holtei) das Opus der Voigt (Lebensgeschichte der Caroline Kummerfeld geb. Schulz) ... Die darin vorkommenden Geschichten sind toll genug; «Stella» verbürgt sich für die Wahrheit derselben, und ich, die ich die kleine, alte, sehr rechtliche Heldin noch persönlich gekannt habe, möchte es ebenfalls thun. Goethe hat mir erzählt, daß sie damals wirklich Furore gemacht, und wie er als Student zum Sterben in sie verliebt gewesen und sich im Leipziger Parterre die Hände fast wundgeklatscht habe, wenn sie in dem Weiße'schen Trauerspiel als Julia auftrat und in der Scene, ehe sie den Trank nimmt, die Ottern und Schlangen und Kröten von ihrem weißatlasnen Reifrock herunterschlenkerte, die sie in ihrer Phantasie daran heraufkriechen sah.

Sonntag, 16. Juni 2019


Seine Pietät für Schiller war eine so innerlich tiefe, daß man davon wahrhaft ergriffen werden mußte. Ich hatte, als über ›Egmont‹ gesprochen wurde, einst die Bearbeitung, die Schiller für's Theater unternommen, zu tadeln gewagt und mein Erstaunen geäußert, daß sie noch immer auf der Weimarischen Bühne gelte. Den Blick des Alten werd' ich nie vergessen, mit dem er mich anblitzte und fast grimmig sagte: «Was wißt Ihr, Kinder! Das hat unser großer Freund besser verstanden, als wir.»

Freitag, 14. Juni 2019


Sagt es niemand, nur den Weisen,
Weil die Menge gleich verhöhnet,
Das Lebend’ge will ich preisen,
Das nach Flammentod sich sehnet.

Montag, 10. Juni 2019


So begab es sich denn, daß er mich einmal nach dem Mittagsessen in eine Fensterbrüstung manoeuvrirte und in seiner eigenthümlichen unbeschreiblichen Manier also sprach: «Nun, Sie haben sich ja bisher (beim Vorlesen von Dramen) recht brav gehalten, wie ich hörte. Sie müssen sich nicht wundern, daß ich Sie noch nicht gebeten habe, mir Ihre Sachen vorzumachen; ich habe Gründe dazu. Ihnen wird nicht fremd sein, daß wir zu unserer Zeit uns auch mit dergleichen beschäftigt und viel darüber gedacht haben; nun hat man sich denn seine Ansichten über Declamation, Recitation, theatralischen Vortrag und besonders über die scharfen Unterscheidungen, die den Vorleser von Darsteller trennen, festgestellt, und da kommen denn die jungen Leute und werfen das alles über den Haufen. Nun, das ist ja recht schön! aber von uns Alten könnt Ihr nicht verlangen, daß wir sogleich ohne weiteres nachgeben sollen. Also ich sehe nur zwei Auswege: entweder Sie gewinnen mich für Ihre Künste – dann zwingen Sie mich, auf's neue darüber zu denken, und das würde mich stören; denn wir haben noch viel zu thun; oder es gelingt Ihnen nicht, mich irre zu machen und Sie befriedigen mich nicht – dann hätten wir beide keine Freude davon. Also denk ich, es sei besser, es bleibt, wie es ist. – Nun, wie gefällt es Ihnen in Weimar? Nicht wahr, es steckt viel Bildung in dem Orte? Wir haben denn auch wohl das unsere dazu gethan.»

«Ew. Excellenz!» sagte ich fest; denn jetzt wollte ich doch etwas Positives mitnehmen: «ich soll morgen, die zu ›Faust‹ gehörige ›Helena‹ vorlesen: ich habe mir zwar alle Mühe damit gegeben, aber alles verstehe ich doch nicht. Möchten Sie mir nicht z.B. erklären, was eigentlich damit gemeint sei, wenn Faust an Helena's Seite die Landgebiete an einzelne Heerführer vertheilt? Ob eine bestimmte Andeutung. - « Er ließ mich nicht ausreden, sondern unterbrach mich sehr freundlich: «Ja, ja, ihr guten Kinder! wenn Ihr nur nicht so dumm wäret!» Hierauf ließ er mich stehen.

Mittwoch, 5. Juni 2019


Fahrt nur fort, nach eurer Weise
Die Welt zu überspinnen!
Ich in meinem lebendigen Kreise
Weiss das Leben zu gewinnen.


Donnerstag, 30. Mai 2019


"Du Kräftiger, sei nicht so still,
Wenn auch sich andere scheuen."
Wer den Teufel erschrecken will,
Der muss laut schreien.

Mittwoch, 22. Mai 2019


Keine persönlichen Visiten, welches öffentlich von den Ministern verbeten worden. Schreiben an Carlyle mundirt. Nebenstehendes abgeschlossen: An Frau Obermedizinalrath von Ringseis nach München. Herrn Sckell in Dresden. Herrn Frommann nach Jena. Herrn Hofrath und Professor von Martius München. – Anderes vorbereitet. Wilhelm Meister über Hamlet, übersetzt im Globe Tom. VI. No. 15. Dr. Weller, mit demselben gefrühstückt. Fausts dritte Scene abgeschlossen. Übergang zu der vierten. Mittags für uns. Nach Tische Gespräch mit meinem Sohn. Verschiedenes, besonders über eine vorhabende Reise junger Freunde. Manches vorbereitet. Abends Herr Hofrath Meyer. Einiges zu Kunst und Alterthum. Nachher Cäcilie. Wölfchen. Später etwas am Hauptgeschäft.

Mundum des gestern Entworfenen. Nebenstehendes: Herrn Generalsuperintendenten Röhr, wegen Geh. Rath Schweitzers Übelbefinden. Herrn Bergrath Cramer, dankende Erwiederung und Anfrage, Wetzlar. – Concepte und Munda für die nächsten Posttäge. Meldete sich A. B. Granville. M. D. De la societé Royale de London et de l'academie Imperiale des sciences de Petersbourgh. Medecin de S. A. R. le Duc de Clarence, Grand Admiral d'Angleterre. Das Portefeuille für Eisenach aufgesucht. Herr und Frau von Hopfgarten von Eisenach zum Besuche. Des Herrn Granville Versuche über die ägyptischen Mumien. Mittag Dr. Eckermann. Mein Sohn sprach viel von seinem Reiseplane. Herr Canzler, das Album von Gräfin Line bringend. Manches andere verhandelnd. Später Professor Riemer. Mit ihm das Carneval durchgegangen. Er theilte sodann verschiedene Einzelnheiten mit, theils eigene theils aufgefaßte. Späterhin Dr. Eckermann. Aufmunterung zu einiger eingreifender Theilnahme. Er hatte bisher seinen Zuständen allzusehr nachgebend eine gewisse geistige Thätigkeit, wenn schon in seinem Geschäfte treu beschäftigt, versäumt.


     Vorgerückt an den drey letzten Scenen des ersten Actes. Manches vorgearbeitet im Concept und Mundum. Die jungen Herrschaften. Mittag Hofrath Vogel. Interessantes Gespräch. Wurde des Breslauer Lichtenstädt Werkchen über Platos Naturlehren und sonstiges besprochen. Abends mehrfache Sendungen von Herrn Schmid aus Altenberge, bedeutende Zinnstufen und dazu gehörige Gebirgsarten. Professor Leo, Vorlesungen über die Geschichte des jüdischen Staates.

Freitag, 10. Mai 2019


Verzeih! aber wenn du gegenwärtig wärst, müßtest du noch mehr erdulden. Mit 82 Jahren nimmt man es wirklich ernster in sich und für sich selbst, indem man die liebe leidige Welt in ihrem vieltausendjährigen Narrenleben in Gottesnamen fortwandeln läßt. Es ist schrecklich, wie sich das ein- über das andere Mal wieder in seinen Irrthümern brüstet.

Da ich das wieder überlese, möcht ich es zurückhalten, wie mir jetzt sehr oft geschieht; da man nicht einmal sagen mag, wie man denkt wie fällt's einem ein, so zu schreiben.
Nach allen diesen, etwas Timonischen Ausdrücken, die man sich nicht immer versagen sollte, darf ich dir wohl vertrauen: daß seit Anfang des Jahrs mir manches gelungen ist, was ich dafür halten kann, weil ich wenigstens es nicht besser zu machen wüßte. Sey dir also dergleichen Vermächtniß hiemit angekündigt.  

Dienstag, 30. April 2019


Hier ist das Wohlbehagen erblich,
Die Wange heitert wie der Mund,
Ein jeder ist an seinem Platz unsterblich,
Sie sind zufrieden und gesund.

Donnerstag, 25. April 2019


Rom, den 20. Juni. 
Nun hab' ich hier schon wieder treffliche Kunstwerke gesehen, und mein Geist reinigt und bestimmt sich. Doch brauchte ich wenigstens noch ein Jahr allein in Rom, um nach meiner Art den Aufenthalt nutzen zu können, und ihr wißt, ich kann nichts auf andre Art. Jetzt, wenn ich scheide, werde ich nur wissen, welcher Sinn mir noch nicht aufgegangen ist, und so sei es denn eine Weile genug. 

Rom, Ende Juni. - Ich habe mich in eine zu große Schule begeben, als daß ich geschwind wieder aus der Lehre gehen dürfte. Meine Kunstkenntnisse, meine kleinen Talente müssen hier ganz durchgearbeitet, ganz reif werden, sonst bring' ich wieder euch einen halben Freund zurück, und das Sehnen, Bemühen, Krabbeln und Schleichen geht von neuem an. Ich würde nicht fertig werden, wenn ich euch erzählen sollte, wie mir auch wieder alles diesen Monat hier geglückt ist, ja, wie mir alles auf einem Teller ist präsentiert worden, was ich nur gewünscht habe. Ich habe ein schönes Quartier, gute Hausleute. Tischbein geht nach Neapel, und ich beziehe sein Studium, einen großen kühlen Saal. Wenn ihr mein gedenkt, so denkt an mich als an einen Glücklichen; ich will oft schreiben, und so sind und bleiben wir zusammen.
Auch neue Gedanken und Einfälle hab' ich genug, ich finde meine erste Jugend bis auf Kleinigkeiten wieder, indem ich mir selbst überlassen bin, und dann trägt mich die Höhe und Würde der Gegenstände wieder so hoch und weit, als meine letzte Existenz nur reicht. Mein Auge bildet sich unglaublich, und meine Hand soll nicht ganz zurückbleiben. Es ist nur ein Rom in der Welt, und ich befinde mich hier wie der Fisch im Wasser und schwimme oben wie eine Stückkugel im Quecksilber, die in jedem andern Fluidum untergeht. Nichts trübt die Atmosphäre meiner Gedanken, als daß ich mein Glück nicht mit meinen Geliebten teilen kann. Der Himmel ist jetzt herrlich heiter, so daß Rom nur morgens und abends einigen Nebel hat. Auf den Gebirgen aber, Albano, Castello, Frascati, wo ich vergangene Woche drei Tage zubrachte, ist eine immer heitre reine Luft. Da ist eine Natur zu studieren.

Mittwoch, 17. April 2019


Du mußt steigen oder sinken,
Du mußt herrschen und gewinnen,
Oder dienen und verlieren,
Leiden oder triumphieren,
Amboß oder Hammer sein.
Es gibt keine patriotische Kunst und keine patriotische Wissenschaft. Beide gehören, wie alles Gute, der ganzen Welt an und können nur durch allgemeine freie Wechselwirkung aller zugleich Lebenden, in steter Rücksicht auf das, was uns vom Vergangenen übrig und bekannt ist, gefördert werden. 

Dienstag, 16. April 2019


Durch diese beiden Freunde ward ich denn auch gar bald mit Merck bekannt, dem ich durch Herdern, von Straßburg aus, nicht ungünstig angekündigt war. Dieser eigne Mann, der auf mein Leben den größten Einfluß gehabt, war von Geburt ein Darmstädter. Von seiner früheren Bildung wüßte ich wenig zu sagen. Nach vollendeten Studien führte er einen Jüngling nach der Schweiz, wo er eine Zeitlang blieb, und beweibt zurückkam. Als ich ihn kennen lernte, war er Kriegszahlmeister in Darmstadt. Mit Verstand und Geist geboren, hatte er sich sehr schöne Kenntnisse, besonders der neueren Literaturen, erworben, und sich in der Welt- und Menschengeschichte nach allen Zeiten und Gegenden umgesehn. Treffend und scharf zu urteilen war ihm gegeben. Man schätzte ihn als einen wackern entschlossenen Geschäftsmann und fertigen Rechner. Mit Leichtigkeit trat er überall ein, als ein sehr angenehmer Gesellschafter für die, denen er sich durch beißende Züge nicht furchtbar gemacht hatte.

Er war lang und hager von Gestalt, eine hervordringende spitze Nase zeichnete sich aus, hellblaue, vielleicht graue Augen gaben seinem Blick, der aufmerkend hin und wider ging, etwas Tigerartiges. Lavaters »Physiognomik« hat uns sein Profil aufbewahrt. In seinem Charakter lag ein wunderbares Mißverhältnis: von Natur ein braver, edler, zuverlässiger Mann, hatte er sich gegen die Welt erbittert, und ließ diesen grillenkranken Zug dergestalt in sich walten, daß er eine unüberwindliche Neigung fühlte, vorsätzlich ein Schalk, ja ein Schelm zu sein. Verständig, ruhig, gut in einem Augenblick, konnte es ihm in dem andern einfallen, wie die Schnecke ihre Hörner hervorstreckt, irgend etwas zu tun, was einen andern kränkte, verletzte, ja was ihm schädlich ward.

Doch wie man gern mit etwas Gefährlichem umgeht, wenn man selber davor sicher zu sein glaubt, so hatte ich eine desto größere Neigung, mit ihm zu leben und seiner guten Eigenschaften zu genießen, da ein zuversichtliches Gefühl mich ahnden ließ, daß er seine schlimme Seite nicht gegen mich kehren werde. Wie er sich nun, durch diesen sittlich unruhigen Geist, durch dieses Bedürfnis, die Menschen hämisch und tückisch zu behandeln, von einer Seite das gesellige Leben verdarb, so widersprach eine andere Unruhe, die er auch recht sorgfältig in sich nährte, seinem innern Behagen. Er fühlte nämlich einen gewissen dilettantischen Produktionstrieb, dem er um so mehr nachhing, als er sich in Prosa und Versen leicht und glücklich ausdrückte, und unter den schönen Geistern jener Zeit eine Rolle zu spielen gar wohl wagen durfte.

Ich besitze selbst noch poetische Episteln von ungemeiner Kühnheit, Derbheit und Swiftischer Galle, die sich durch originelle Ansichten der Personen und Sachen höchlich auszeichnen, aber zugleich mit so verletzender Kraft geschrieben sind, daß ich sie nicht einmal gegenwärtig publizieren möchte, sondern sie entweder vertilgen, oder als auffallende Dokumente des geheimen Zwiespalts in unserer Literatur der Nachwelt aufbewahren muß. Daß er jedoch bei allen seinen Arbeiten verneinend und zerstörend zu Werke ging, war ihm selbst unangenehm, und er sprach es oft aus, er beneide mich um meine unschuldige Darstellungslust, welche aus der Freude an dem Vorbild und dem Nachgebildeten entspringe.

Mittwoch, 10. April 2019


Wie selig kann man seine Freunde preisen die wenigstens das Unheil nicht mit Augen sehen das in dieser Gegend und nun auch in dem unglücklichen Maynz angerichtet wird. Ihre gütigen Briefe zeigen mir Sie auf dem gewöhnlichen ruhigen, obgleich mitunter beschwerlichen Pfade der bürgerlichen Geschäfte und des häußlichen Lebens, möge ein gutes Geschick Sie lange drauf erhalten.

Mich wandelt in meiner jetzigen Lage eine Art Stupor an und ich finde den trivialen Ausdruck: der Verstand steht mir still, trefflich um die Lage meines Geistes auszudrucken.  

Seit dem Anfange der eigentlichen Belagrung haben unsre Jäger auf ihrem gewöhnlichen Posten weniger Gefahr als vorher. Es wollte einigen gar nicht schmecken. Einer der sich ziemlich gut gehalten hat Nahmens Blumenstein hat um den Trauschein gebeten, er lebt schon lange mit einem Mädchen die Güntherinn heißt. Durchl. sind geneigt ihm zu willfahren, hätten Sie wohl die Gütigkeit zu sorgen? daß dem Mädchen das er schwanger zurückgelassen biß zu seiner Rückkunft von Stadtraths wegen kein Leid geschehe. Es gehen jetzt soviel Weltbürger zu Grunde daß man den neu eintretenden wohl ihre Ankunft facilitiren kann.

Samstag, 30. März 2019


Ach dürft ich fassen
Und halten ihn

Mittwoch, 27. März 2019


Jedem Alter des Menschen antwortet eine gewisse Philosophie. Das Kind erscheint als Realist; denn es findet sich so überzeugt von dem Dasein der Birnen und Aepfel als von dem seinigen. Der Jüngling, von inneren Leidenschaften bestürmt, muss auf sich selbst merken, sich vorfühlen: er wird zum Idealisten umgewandelt. Dagegen ein Skeptiker zu werden hat der Mann alle Ursache; er tut wohl zu zweifeln, ob das Mittel, das er zum Zwecke gewählt hat, auch das rechte sei. Vor dem Handeln, im Handeln hat er alle Ursache, den Verstand beweglich zu erhalten, damit er nicht nachher über eine falsche Wahl sich zu betrüben habe. Der Greis jedoch wird sich immer zum Mystizismus bekennen. Er sieht, dass so vieles vom Zufall abzuhängen scheint: das Unvernünftige gelingt, das Vernünftige schlägt fehl, Glück und Unglück stellen sich unerwartet ins Gleiche; so ist es, so war es, und das hohe Alter beruhigt sich in dem, der da ist, der da war, und der immer da sein wird. 

Donnerstag, 14. März 2019

Das Absolute steht noch über dem Vernünftigen. Darum handeln Souveräns oft unvernünftig, um sich in der absoluten Freiheit zu erhalten.

Freitag, 8. März 2019

»Der Wahnsinn des französischen Hofes hat den Talisman zerbrochen, der den Dämon der Revolutionen gefesselt hielt.«

Samstag, 2. März 2019


Ich mußte, als ich Goethen vor mir hatte, alles fahren lassen, was die langjährige, tiefgenährte Bekanntschaft mit dem Dichter mir einflößen gekonnt, um nur mit dem neubekannten wirksamen Menschen beschäftigt zu sein, der mild, freundlich, treuherzig, anmüthig, geistvoll, kraftreich, mir das Bild eines ganzen Menschen – wenn dieser geringe Ausdruck der hohen Bedeutung fähig ist – in vollständig ausgebreiteter, großartiger, schöner Lebensentwickelung vergegenwärtigte. Das seltene Glück – hier wohl unverdient, doch nicht unwürdig empfangen – einer so milden und biedern Aufnahme, als sei ich ein alter Freund, der längst erwartet worden, mußte mich umsomehr überraschen, als ich die scheue Zurückhaltung, die ihm sooft vorgeworfen worden, in den schriftlichen Berührungen, die ich mit ihm gehabt, nicht ganz hatte vermissen können. Nach der ersten Begrüßung, wobei er mir die Hand reichte, sprachen wir gleich sehr vertraut, und bald nachher hielt er inne, hielt mir seine Hand hin und rief mit Innigkeit: »Sie müssen mir nochmal die Hand geben!« –

Vergebens würde ich den Gang, den Inhalt, oder auch nur die Art des alsbald lebhaften Gesprächs zu schildern suchen; es war wie ein Stück Leben, in tausend Wellen fließend, ein Gefühl im Ganzen wirkend, ohne die einzelnen Bezüge gesondert festhalten zu lassen; jedes Wort eine Blüthe am Zweige eines Baumes, aus der tiefen dunkeln Wurzel her, aber selber doch nur als lustigheitres Gebild des Augenblickes erschlossen. Wie jenen hellenischen Fremden zu Athen, die nach mehreren mit Plato verlebten Tagen ihn ersuchten, sie nun auch zu seinem berühmten Namensvetter, dem Philosophen, zu führen, so ging es fast mir, der ich in täuschender Besinnung leicht diesen herrlichen Mann hätte bitten können, mir nun auch Bekanntschaft des ihm gleichnamigen Schriftstellers zu verschaffen. Ich blieb auf Goethes wiederholtes Anmahnen den ganzen Abend bei ihm, bis Mitternacht sogar; sein Sohn und dessen neuvermählte Gattin waren die einzigen Mitgenossen eines Theils dieser Stunden. Schwer würde ich einige besondere Sprüche aus dem lebendigen Ganzen aussondern; die festesten, kräftigsten Äußerungen, die feinsten erfreulichsten Wendungen, voll Gestalt im Hervorkommen, zerflossen mir unter den Händen, wenn ich sie dem Gedächtniß zum Behalten und Überliefern einprägen wollte.

Wir sprachen über alles, Goethe mit ungewöhnlichem – er sagt' es selbst – Zutrauen von Dingen, die seine Denkart sonst lieber unerörtert lassen mag; auch über den Geist und die Richtung der Entwickelung der Gegenwart, über die Gestalten der nächsten Vergangenheit, Napoleon, Franzosen, Deutschland, Preußen. Wie freut' ich mich des unerschütterlichen Vertrauens, das ich trotz aller Zwischendinge stets in unsres vaterländischen Dichters Vaterlandstreue gesetzt! Wie gerecht, einsichtig und unschuldig waren seine Äußerungen in dieser Hinsicht, von wahrem Geschichtsgefühl, so des Augenblicks, wie der Jahrhunderte beseelt! Er sieht nur früh und schnell die Dinge so, wie die meisten erst spät sie sehen; er hat vieles schon durchgearbeitet und beseitigt, womit wir uns noch plagen, und wir verlangen, er solle unsre Kindereien mitmachen, weil wir sie noch als Ernst nehmen!

Die Ehe ist der Anfang und der Gipfel aller Kultur. Sie macht den Rohen mild, und der Gebildetste hat keine bessere Gelegenheit, seine Milde zu beweisen. Unauflöslich muss sie sein: denn sie bringt so vieles Glück, dass alles einzelne Unglück dagegen gar nicht zu rechnen ist. Und was will man von Unglück reden? Ungeduld ist es, die den Menschen von Zeit zu Zeit anfällt, und dann beliebt er sich unglücklich zu finden. Lasse man den Augenblick vorübergehen, und man wird sich glücklich preisen, dass ein so lang Bestandenes noch besteht. Sich zu trennen, gibts gar keinen hinlänglichen Grund. Der menschliche Zustand ist so hoch in Leiden und Freuden gesetzt, dass gar nicht berechnet werden kann, was ein paar Gatten einander schuldig werden. Es ist eine unendliche Schuld, die nur durch die Ewigkeit abgetragen werden kann. Unbequem mag es manchmal sein, das glaub ich wohl, und das ist eben recht. Sind wir nicht auch mit dem Gewissen verheiratet, das wir oft gerne los sein möchten, weil es unbequemer ist, als uns je ein Mann oder eine Frau werden könnte?

Freitag, 15. Februar 2019


Es ist mir nicht leicht ein Blat saurer zu schreiben geworden, als der letzte Brief an dich und wahrscheinlich war er dir so unangenehm zu lesen, als mir zu schreiben. Indeß ist doch wenigstens die Lippe eröfnet und ich wünsche daß wir sie nie gegeneinander wieder schließen mögen. Ich habe kein größeres Glück gekannt als das Vertrauen gegen dich, das von jeher unbegränzt war, sobald ich es nicht mehr ausüben kann, bin ich ein andrer Mensch und muß in der Folge mich noch mehr verändern.

Ich klage nicht über meine hiesige Lage, ich habe mich gut hinein gefunden und hoffe darin auszuhalten obgleich das Clima schon wieder mich angreift und mich früher oder später zu manchem Guten untüchtig machen wird.

Wen man die kalte, feuchte Sommerzeit, die strengen Winter bedenckt, wenn durch des Herzogs äusseres Verhältniß und durch andre Combinationen alles bey uns inkonsistent und folgenloß ist und wird, wenn man fast keinen Menschen nennen kann, der in seinem Zustande behaglich wäre; so gehört schon Kraft dazu sich aufrecht, und nicht einen Plan zu machen, der einen nach und nach loslösen könnte; wenn nun aber gar ein übles Verhältniß zu den Nächsten entsteht; so weiß man nicht mehr wohin man soll. Ich sage das so gut in deinem als meinem Sinne und versichre dich: daß es mich unendlich schmerzt, dich unter diesen Umständen noch so tief zu betrüben.
Zu meiner Entschuldigung will ich nichts sagen. Nur mag ich dich gern bitten: Hilf mir selbst, daß das Verhältniß das dir zuwider ist, nicht ausarte, sondern stehen bleibe wie es steht.

Schencke mir dein Vertrauen wieder, sieh die Sache aus einem natürlichen Gesichtspunckte an, erlaube mir dir ein gelaßnes wahres Wort darüber zu sagen und ich kann hoffen es soll sich alles zwischen uns rein und gut herstellen.

Dienstag, 5. Februar 2019


Im Sommer 1822 wurde während eines Mahls über die vielen Kniffe der deutschen Rechtschreibung diskutiert. "Ich halte sie mir nach Möglichkeit vom Halse", erklärte Goethe, "und mache, wenn man streng sein will, in jedem Brief Schreibfehler. Und kein Komma!"

Die Anwesenden konnten es nicht glauben, was Goethe hier referierte. Dann fuhr Goethe schnell fort: "Dabei beruhige ich mein Gewissen mit der Meinung des verehrten Wielands, der behauptet hat: ‚Religion und Interpunktion sind Privatsachen.’"

Wir schleichen wie die Schneck’ im Haus,
Die Weiber alle sind voraus.
Denn, geht es zu des Bösen Haus,
Das Weib hat tausend Schritt voraus.

Freitag, 25. Januar 2019

Ich nahm alle Zustände und Personen, meine Kollegen zum Beispiel, durchaus real, als gegebene, einmal fixierte Naturwesen, die nicht anders handeln können, als sie handeln, und ordnete hiernach meine Verhältnisse zu ihnen.
„Es ist doch besser schlechtes Wetter als gar keins“, soll Prinz August von Gotha einst gesagt haben. Dies war heute der Haupttext der Goetheschen Unterhaltung. Er sagte, dieses Wort falle ihm immer ein, wenn er sich über etwas Unvollkommenes ärgere.
Überhaupt war er heute in jener bitter humoristischen Stimmung und sophistischen Widerspruchsart, die man so ungern zuweilen an ihm wahrnimmt. Über Gruithusens Behauptung im Monde eine Festung entdeckt zu haben, gerieth er ganz außer sich.
»Den Unsinn verbreitet, offenbare Irrthümer als baare Wahrheit ausgegeben zu sehen, ist das Schrecklichste, was einem Vernünftigen begegnen kann. So ist aber die liebe Menschheit. Indeß muß sie Gott wohl nicht anders haben wollen, sonst hätte er anders mit ihr angefangen.«

Dienstag, 15. Januar 2019


Es trägt der Besen, trägt der Stock,
Die Gabel trägt, es trägt der Bock,
Wer heute sich nicht heben kann,
Ist ewig ein verlorner Mann.

An Friedrich Schiller

Aus dem gesellig müsigen Carlsbad hätte ich in keine entgegengesetztere Existenz kommen können als in das einsam thätige Ilmenau, die wenigen Tage die ich hier bin sind mir sehr schnell verstrichen und ich muß noch acht Tage hier bleiben, wenn ich in den Geschäften nach Wunsch klar werden will. Ich war immer gerne hier und bin es noch, ich glaube es kommt von der Harmonie in der hier alles steht. Gegend, Menschen, Clima, Thun und Lassen. Ein stilles, mäßiges ökonomisches Streben, und überall den Übergang vom Handwerck zum Maschinenwerck und bey der Abgeschnittenheit einen größern Verkehr mit der Welt als manches Städtchen im flachen zugänglichen Lande. Noch habe ich auch keine Idee gehabt als die hierher passte, es war aber sehr nothwendig daß ich das Pensum vor Winters absolvirte. Leben Sie recht wohl in andern Regionen und gedencken mein mit der Ihrigen.

Ilmenau d. 29. Aug. 1795.

Mein Schoos! Gott!
Drängt sich nach ihm hin.




Mit dem Generalsuperintendenten gesprochen über jetzt lebende vorzügliche Prediger, auswendig gelernten oder freyen Vortrag; Übergang der Badenschen Gemeine zum Protestantismus, Motive desselben. Einiges geordnet. Abends Autographa einrangirt. Sodann Beschäftigung mit Walther.




O fahre zur Hölle!

Samstag, 12. Januar 2019


Übrigens hätte ihm sein literarischer Dilettantismus eher Nutzen als Schaden gebracht, wenn er nicht den unwiderstehlichen Trieb gefühlt hätte, auch im technischen und merkantilischen Fach aufzutreten. Denn wenn er einmal seine Fähigkeiten zu verwünschen anfing, und außer sich war, die Ansprüche an ein ausübendes Talent nicht genialisch genug befriedigen zu können, so ließ er bald die bildende, bald die Dichtkunst fahren und sann auf fabrikmäßige kaufmännische Unternehmungen, welche Geld einbringen sollten, indem sie ihm Spaß machten.