So
begab es sich denn, daß er mich einmal nach dem Mittagsessen in eine
Fensterbrüstung manoeuvrirte und in seiner eigenthümlichen unbeschreiblichen
Manier also sprach: «Nun, Sie haben sich ja bisher (beim Vorlesen von Dramen)
recht brav gehalten, wie ich hörte. Sie müssen sich nicht wundern, daß ich Sie
noch nicht gebeten habe, mir Ihre Sachen vorzumachen; ich habe Gründe dazu.
Ihnen wird nicht fremd sein, daß wir zu unserer Zeit uns auch mit dergleichen
beschäftigt und viel darüber gedacht haben; nun hat man sich denn seine
Ansichten über Declamation, Recitation, theatralischen Vortrag und besonders
über die scharfen Unterscheidungen, die den Vorleser von Darsteller trennen,
festgestellt, und da kommen denn die jungen Leute und werfen das alles über den
Haufen. Nun, das ist ja recht schön! aber von uns Alten könnt Ihr nicht
verlangen, daß wir sogleich ohne weiteres nachgeben sollen. Also ich sehe nur
zwei Auswege: entweder Sie gewinnen mich für Ihre Künste – dann zwingen Sie
mich, auf's neue darüber zu denken, und das würde mich stören; denn wir haben
noch viel zu thun; oder es gelingt Ihnen nicht, mich irre zu machen und Sie
befriedigen mich nicht – dann hätten wir beide keine Freude davon. Also denk
ich, es sei besser, es bleibt, wie es ist. – Nun, wie gefällt es Ihnen in
Weimar? Nicht wahr, es steckt viel Bildung in dem Orte? Wir haben denn auch
wohl das unsere dazu gethan.»
Montag, 10. Juni 2019
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