Da nun einmal für mich die Zeit freier Geständnisse herangekommen, so sei auch
folgendes gegenwärtig ausgesprochen.
Donnerstag, 15. Dezember 2016
In
späteren Jahren übergab ich lieber etwas dem Druck als in den mittleren, denn
in diesen war die Nation irre gemacht durch Menschen, mit denen ich nicht
rechten will. Sie stellten sich der Masse gleich, um sie zu beherrschen; sie
begünstigten das Gemeine als ihnen selbst gemäß,
und alles Höhere ward als anmaßend verrufen. Man warnte vor tyrannischem
Beginnen anderer im Literarkreise, indessen man selbst eine ausschließende Tyrannei
unter dem Scheine von Liberalität auszuüben suchte. Es bedarf keiner langen
Zeit mehr, so wird diese Epoche von edlen Kennern frei geschildert werden.
Diesen
werten Freunden kann ich für den Augenblick nur so viel erwidern: daß es mich
tiefrührend ergreifen muß, das Problem meines Lebens, an dem ich selbst wohl
noch irre werden könnte, vor der Nation so klar und rein aufgelöst
zu sehen; wobei ich mich denn auch über manches Zweifelhafte belehrt, über
manches Beunruhigende beschwichtigt fühle. Ein solcher Fall möchte sich in
irgendeiner Literatur wohl selten zugetragen haben, und es wird sich gar wohl
ziemen, auf diese Betrachtungen gelegentlich zurückkehrend, meine Bewunderung
auszudrücken über den durchdringenden Blick ernster Männer und Freunde, die
ihre Aufmerksamkeit einem einzelnen in dem Grade geschenkt, daß sie seine
Eigenheiten besser
kennen als er selbst und, indem sie einem Individuum alles Liebe und
Gute erweisen, es doch in seiner Beschränktheit stehen lassen, das Unvereinbare
von ihm nicht fordernd.
Freitag, 9. Dezember 2016
Die erste
ist die niedrigste und dem Thierreich die nächste. Ich rechne zu ihr den großen
Haufen von Menschen, deren bester Theil nicht nur in seiner natürlichen Rohheit
bleibt, sondern überdas nach und nach so sehr verunstaltet wird, daß er auch
die darunter hervorglimmende natürliche Schönheit fast gänzlich verliert; deren
zarte Fähigkeiten theils unentwickelt geblieben, theils im Bearbeiten verdorben
werden; die nie zu wahren Menschen reif werden. Ihre Unwissenheit wird mit den
Jahren zur Dummheit; und die sinnlichen Triebe, die mit ihnen aufwachsen und
keiner gesetzmäßigen Gewalt gehorchen lernen, dünsten eine Menge Vorurtheile
aus, welche den unterscheidenden Sinn des Guten und Bösen, das Vorrecht der
menschlichen Natur, dicht überziehen; sie arten mit der Zeit in herrschende
Neigungen aus, welche nur nach Beschaffenheit des Temperaments und der
äußerlichen Umstände abgeändert sind. Diese Menschen sind also sehr sinnliche
Geschöpfe, ungestüm in ihren Leidenschaften, wankelmüthig, kurzsichtig,
eigensinnig und doch leichtgläubig und also leicht zu betrügen. Die Einbildung
ist ihre Vernunft, der äußere Schein der Grund ihrer Entscheidung, ihres
Wollens und Nichtwollens. Sie sind größtentheils dazu verurtheilt, nur für den
Leib zu sorgen. Daher ziehen sie sich eine niedrige und thierische Denkart zu,
daß sie sich niemals über die Erde, wo ihr Futter wächst, erheben können. Ihre
Sitten sind so plump wie ihr Geschmack, ihre Vergnügungen sind wenig und von
der gröbsten Art; hingegen vergrößert die Unwissenheit, der Aberglaube, die
Furcht, die Kleinmüthigkeit die Zahl ihrer Uebel ungemein. Es ist kein Wunder,
daß diese Art von Menschen das glückliche Leben nicht kennt, da sie so sehr
wenig sind, was der Mensch seyn soll, und ein geheimer Instinct ihnen immer
sagt, daß sie keine blose Thiere sind, ob sie gleich von Tyrannen, die oft zu
ihrer eignen Art gehören, so gehalten werden.
Man sieht leicht, daß daran nicht zu gedenken ist, daß diese
Mittelgattung zwischen Menschen und Yahoos jemals zu etwas Höherm geadelt
werde. Ich besorge, daß das so viel als unmöglich sey. Aber man sieht auch
gleich, daß die Natur dieser Menschen sie nicht nur fähig, sondern es ihnen
unentbehrlich macht, regiert zu werden. Wenn man sich theils ihrer Neigung zum
Neuen und Wunderbaren, theils ihrer Trägheit und Furchtsamkeit und ihrer andern
Leidenschaften klüglich zu bedienen weiß, so müssen eben diese helfen, sie in
so vieler Ordnung zu erhalten, als nöthig ist, um zu verhindern, daß unsre Erde
kein Chaos werde. Man muß nicht vergessen, daß es auch unter diesem Pöbel
wieder Grade gibt; aber, wenn wir genau untersuchen, so wird der Unterschied
zuletzt kaum größer seyn, als der Unterschied zwischen einer Hofcoquette im
Gallakleid und zwischen einer Coquette im Mieder, oder zwischen einem Narren im
Zwillichkittel und einem Narren mit einem Ordensbande.
Samstag, 3. Dezember 2016
In die andre Classe setze ich die große Menge der Leute von
bessern Glücksumständen, welche Vergnügen und Zeitvertreib zum Zweck ihres
Lebens machen. Diese werden beinahe den größten Theil jener beiden Welten
ausmachen, die man die große und die schöne Welt zu nennen pflegt. Diese Leute
scheinen unsre Erde für einen großen Maskeradeplatz anzusehen, wo es Jedem
erlaubt ist, zu seyn, was er will, wenn nur die große Absicht erreicht wird,
die Zeit zu tödten. Sie machen sich bekannter mit dieser Welt, als die erste
Classe. Sie rennen nach Vergnügen; alle ihre übrigen Leidenschaften sind nur
Aufwärterinnen des Hangs zum Vergnügen. Der Witz, dieser gefährliche Affe der
Vernunft, ist ihr Abgott. Dieser lehrt sie die giftige, aber süße Kunst, sich
selbst zu betrügen. Er setzt die Zukunft und jede ernste Wahrheit in Entfernung
und Schatten und blähet kleine kindische Freuden zu Riesengröße auf. Er erhitzt
die Phantasie und zeigt ihr lauter bezauberte Gegenden. Er erfindet andere
Gesetze, als die ewigen Tafeln des göttlichen Willens; oder er verändert,
erweitert sie und läßt sie nach. Der Mensch wird zu einem feinen wollustathmenden Vieh gemacht, dessen
Freuden nur mannigfaltiger, weitläufiger und künstlicher sind als der übrigen
Thiere. Ihre Seele scheint in ihrem Blute zu sprudeln; solange dieses wallet,
so sind sie. Sie befinden sich so wohl in dieser Welt, daß sie keine Zeit
haben, an eine bessere zu denken; und wenn es geschehen würde, so müßten es
Mahommeds Paradiese seyn.
Diese Classe ist allerdings von der ersten unterschieden. Eine
feinere Anlage, zartere Empfindungen, mehr Lebhaftigkeit des Geistes,
Geschmack, Witz und Artigkeit machen diesen Unterschied. Das, was sie mit
einander gemein haben, will ich jetzt nicht untersuchen. Diese Leute sind es,
denen wir den angenehmen Mißbrauch der schönen Künste, der den Gebrauch fast
ganz verdrängt hat, die Erfindung unzählig vieler Instrumente der Wollust,
Zierrathen und Artigkeiten, Moden und Spiele – zu danken haben. Sie haben ganz
gewiß einen Theil der Erde verschönert, aber immer auf Unkosten eines andern.
Die Menschen von der ersten Classe sind die Sklaven der Vergnügungen ihrer
Brüder von der zweiten. Sie müssen sich ermüden, diesen die Nothdurft und die
Bequemlichkeiten des Lebens zu verschaffen, und werden gezwungen erfindsam zu
seyn, um sie immer mit neuen Spielwerken zu versehen. So halten sie einander
wechselsweise in Thätigkeit.
Wie schön und gut würden die Menschen werden, wenn man sie bereden
könnte, die Gegenstände ihrer Neigung mit bessern zu verwechseln und die Freude
aus reinern Quellen zu schöpfen. Die Wahrheit kann etwas hierzu thun, wenn sie
sich gefallen läßt, sich mit Witz zu schminken. Doch wirkt selten etwas
kräftiger auf solche weichliche Gemüther, als der Ueberdruß, das Alter, und was
man Unglücksfälle zu nennen pflegt. Die
gewöhnlichen Wirkungen davon sind bei ihnen entweder Misanthropie, eine Art von
Fieber, welches seine guten Stunden leidet, in denen sie sich ihrer ehemaligen
Freuden wenigstens erinnern – oder ein gewisser fanatischer Schwung der
Einbildungskraft und des Herzens, der eine Neigung hervorbringt, sich vom Leibe
zu entkörpern, der seine Dienste versagt; eine große Verachtung dieser Welt, die
uns verläßt, und eine schwärmende Sehnsucht nach der unsichtbaren, die jetzt am
bequemsten ist, weil man, sie zu genießen, nur eine erhitzte Einbildung nöthig
hat. Es ist bekannt, daß man vornehmlich dem schönern Theil des menschlichen
Geschlechts Schuld gibt, daß viele desselben auf den Einfall kommen, reine
Geister zu werden, nachdem sie sich genöthiget sehen, sich des Titels irdischer
Engel zu begeben.
Donnerstag, 1. Dezember 2016
Die dritte Classe wird von den speculativen Köpfen eingenommen,
die einen beträchtlichen Theil des menschlichen Geschlechts ausmachen, von
jenem Grammatiker an, welcher ausrechnete, wie oft ein jeder Buchstabe im Homer
vorkommt, bis zu dem Fakir, der sich bemüht, über den tiefsinnigsten
Betrachtungen des Nichts, als des Ursprungs aller Dinge, selbst zu Nichts zu
werden. Diese Leute scheinen nur Zuschauer in dieser Welt zu seyn, sie gaffen
sie an, als ob sie weiter keine Verbindungen mit ihr hätten; und zu allem
Unglück verschwenden die meisten ihre Aufmerksamkeit nur auf das, was ein
weiser Mann kaum eines flüchtigen Anblicks werth hält.
Diese
Classe theilt sich, gleich den vorigen, in viele besondere Gattungen ein.
Einige, denen die Erde zu klein vorkommt (denn sie ist ja nur ein Sonnenstaub
gegen das ganze Himmelssystem), haben sich gänzlich dem Himmel gewidmet, ob sie
gleich an demselben fast nichts als Unordnung und Abweichungen von ihren Regeln
sehen, welche sie sich bestmöglich aufzulösen bestreben. Man könnte glauben,
sie borgten von den Sphären Feuer zur Erweckung und Nährung der Andacht und der
Richtung der Seele gegen das Ewige; sie gewöhnten sich an eine höhere und
reinere Denkart, als die andern Sterblichen, und an ein lebhafteres Gefühl der
hohen Bestimmung der menschlichen Natur. Aber das ist es nicht. Sie rechnen nur
aus, in was für einer Art von Linien sich die Planeten um die Sonne
herumdrehen, oder wie weit der Hundsstern von der Erde absteht. – Andere nicht
so hoch fliegende Geister begnügen sich demüthig an der Contemplation der
Sommervögel und aller Arten von Ungeziefer; sie wissen ihre Zahl und nennen sie
mit Namen.
Andere kriechen unter dem Schutt alter Ruinen herum, sie verstehen
sich auf Sprachen, die verloren gegangen sind, und erklären die geheimnißvollen
Figuren auf dem Tisch der Isis. Andere zerquälen sich, den ganzen Umfang der
Sittenlehre aus einem einzigen Grundsatz zu demonstriren; Andere beweisen die
Unsterblichkeit der Seele aus der Vernunft; Einige erfinden neue Lehrgebäude,
um Andern die Mühe zu machen, sie wieder umzuwerfen. Einige speculiren so
lange, bis sie an Allem, was ist, zu zweifeln anfangen; Andere beweisen durch
eine lange Reihe von Schlüssen, daß es Mittag ist, wenn uns die Sonne auf den
Wirbel brennt. Viele verbrauchen ihr Leben mit der Bemühung, alle Meinungen,
Erfindungen, Träume und Wahrheiten, Gutes und Böses aller andern Scribenten zusammenzulesen, ohne
darauf zu sinnen, was sie mit diesem Schatz anfangen wollen. – Der größte Theil
dieser wunderlichen Leute ermüdet sich in Kleinigkeiten, und die Wenigen, die
sich mit wichtigern Dingen beschäftigen, haben das Unglück, die Wahrheit für
einen blosen Gegenstand der Betrachtung zu halten, für ein Ding, das, wie der
Baum des Erkenntnisses, lieblich zum Anschauen ist. Sie gleichen den Hütern der
schönen Sklavinnen eines Sultans, welche zwar die Erlaubniß zu sehen, aber
nicht das Recht zu genießen haben, oder den bezauberten Drachen in den alten
Romanen, die in unterirdischen Höhlen große Schätze bewachen, deren Werth oder
Gebrauch ihnen unbekannt ist.
Die vierte Classe ist (wie ich befürchte) viel weniger zahlreich
als die vorige; und nun werden wir gleich errathen, daß sie die beste ist. Sie
ist in der That die wahre Zierde der Erde, und wenn noch etwas auf derselben
ist, das englische Blicke herabholen kann, so ist es das Leben dieser
liebenswürdigen Menschen, welchen die Natur eine glückliche Anlage zu einer
harmonischen Gemüthsart, eine feine Empfindung des Schönen und edle Neigungen
zum Guten verliehen hat. Ohne einige Fähigkeiten in einem außerordentlichen
Grad zu haben, sind sie scharfsichtig genug, das Wahre von dem Schein zu
unterscheiden und durch die Verblendungen der Einbildungskraft, der
Leidenschaft und Gewohnheit hindurchzudringen. Die Tugend scheint ein
vorzügliches Recht an ihre Herzen zu haben. Sie verachten die Niederträchtigkeit
der Seele, die nur sich selbst liebt. Ihre Freude ist Gutes thun. Die Neigung
zum Vergnügen mag wohl hauptsächlich ihre Jugend beleben, sie wird aber von
einer gleich starken Liebe zur Ehre bewacht, und beide leiten sie nach und nach
zu den reinern Quellen der Tugend. Sie können irren, sie können durch eine unvorsichtige Neigung
geblendet oder auf Seitenwege gelockt werden. Aber ihr Herz ist keiner Bosheit,
keiner Tücke, keines Neides, keiner Niederträchtigkeit fähig; ihr offner
Verstand, die Güte ihres Gemüths, ihre Redlichkeit gegen sich selbst lassen sie
nie weit verirren, bringen sie bald wieder zurück und befördern sie immer
weiter. Diese allein sind zur Freundschaft und wahren Zärtlichkeit recht
aufgelegt. Für sie ist die Natur schön, für sie sind so viel feine und
beglückende Freuden in den Verbindungen der Gesellschaft. Sie genießen der Welt
mit Vernunft, aber sie sind nicht an sie gefesselt. – Wenn es wahr ist, daß
lebende Beispiele und redende Gemälde der Tugend mehr nutzen als moralische
oder metaphysische Dissertationen, so trägt gewiß diese kleine Anzahl von
thätigen Weisen, beiderlei Geschlechts, mehr zum wahren Vortheil der Menschen
bei, als die ganze unabsehbare Welt der speculativen Gelehrten.
Mich
dünkt, ich habe nun allen Sterblichen, so verschieden als sie immer scheinen
mögen, ihre Classen angewiesen, bis auf die sonderbaren und seltnen Geister,
die man über die übrigen Menschen so erhaben gefunden hat, daß man sie mit dem
Namen Genien zu unterscheiden pflegt, welcher sonst Wesen von höherer Ordnung
andeutet. Ihre Anzahl ist so groß, als es Gott zur Erhaltung der moralischen
Ordnung oder zur Züchtigung der Menschen nöthig findet. Denn es gibt gutthätige
und böse Genien. Beide kommen darin überein, daß sie ungewöhnliche Fähigkeiten
und, wenn ich so sagen darf, etwas Kolossalisches in der Gestalt ihres Geistes
haben. Von Jugend auf unterscheidet sie eine brennende Begierde zum Wissen; ein
Fleiß, den Hindernisse nur muthiger machen; eine Freiheit der Seele, die so
ungelehrig ist, das Joch zu tragen, daß sie manchmal auch die nothwendigen
Schranken überspringt; eine gewisse Begeisterung der Imagination, die ihnen
tausend unbekannte Ideen aufdeckt, und etwas Heldenmäßiges im Herzen, das sie
zu großen Thaten fähig macht. Durch die Entwicklung und Ausbildung dieser
großen Fähigkeiten vermittelst der Wissenschaften, des Nachsinnens, der
Kenntniß der Welt und der Erfahrung gelangen sie zuletzt zu dieser
durchdringenden Schärfe des Geistes und männlichen Stärke des Gemüths, welche
sie so sehr über die gemeinen Menschen hinwegsetzt.
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