Mittwoch, 17. September 2025
Welcher Mensch, welche Gesellschaft dürfte
vergleichen aussprechen, da man ja von Jugend auf nicht leicht jemand kennen
und die Steigerung seiner Thätigkeit beurtheilen wird. Wodurch bethätigt sich
denn zuletzt der Charakter, als daß er sich in der Tagesbewegung, im Hin- und
Widerwirken bildet. Wer unterstünde sich den Werth der Zufälligkeiten, der
Anstöße, der Nachklänge zu bestimmen, wer getraute sich die
Wahlverwandtschaften zu würdigen. Genug, wer sich untersteht zu schätzen, was
der Mensch ist, der müßte in Anschlag bringen, was er war und wie er's geworden
ist. Solche allgemeine Unverschämtheiten haben wir gar oft schon erlebt, sie
kehren immer zurück und müssen gedultet werden.
Dieß hab ich bey Gelegenheit jener
Unternehmungen gedacht, und ich zweifle nicht, daß haben noch gar manches
Andere zu denken seyn möchte. Von der neusten französichen Rommanlectüre und
ihrem nächsten Kreise will ich nur so viel sagen: es ist eine Literatur der
Verzweiflung, woraus nach und alles Wahre, Ästhetische sich von selbst
verbannt. Notre Dame de Paris von Victor Hugo besticht durch das Verdienst
fleißiger wohlgenutzter Studien der alten Localitäten, Sitten und Ereignissen;
aber in den handelnden Figuren ist durchaus keine Spur von Naturlebendigkeit.
Es sind Lebens untheilhafte Gliedermänner und – Weiber, nach ganz geschickten
Proportionen aufgebaut, aber außer dem hölzernen und stählernen Knochengerüste
durchaus nur ausgestopfte Puppen, mit welchen der Verfasser auf das
unbarmherzigste umgeht, sie in die seltsamsten Posituren renkt und verrenkt,
sie foltert und durchpeitscht, geistig und leiblich zerfleischt, freylich ein
Nichtfleisch ohne Barmherzigkeit zerfetzt und in Lappen zerreißt; doch das
alles geschieht mit dem entschiedenen historisch-rhetorischen Talent, dem man
eine lebhafte Einbildungskraft nicht absprechen kann, ohne die er solche
Abominationen gar nicht hervorbringen könnte.