Dienstag, 26. Dezember 2017

Man verdient wenig Dank von den Menschen, wenn man ihr inneres Bedürfnis erhöhen, ihnen eine große Idee von ihnen selbst geben, ihnen das Herrliche eines wahren, edlen Daseins zum Gefühl bringen will. Aber wenn man die Vögel belügt, Märchen erzählt, von Tag zu Tag ihnen forthelfend sie verschlechtert, da ist man ihr Mann, und darum gefällt sich die neuere Zeit in so viel Abgeschmacktem. Ich sage das nicht, um meine Freunde herunterzusetzen, ich sage nur, daß sie so sind, und daß man sich nicht verwundern muß, wenn alles ist, wie es ist.

Dienstag, 19. Dezember 2017

Die Obtrectatores machen, dass man sich ewig defensiv verhalten muss. Man hat nichts von ihnen, man wird nicht gefördert. Ihre Liebe gewinnt man doch nicht, und man muss ewig wie vor Feinden auf der Hut sein.
Morgens. Goethe: was er näher kennen möchte, wäre das Verhältniß und der Weg der neuen katholisch gewordenen Protestanten. – Ich meine, die Philosophie der Geschichte der Menschheit (Herder, Müller), die Zeit der Gegenwart, die welthistorische Richtung, haben es gethan. Stolberg ist der Heros unter ihnen. – Goethe: Ja, es sei die Fülle der Menschheit in ihm; das Gemüth des Großen, das Naturell; selbst das Kindermachen, die eigentliche Fülle des Menschlichen (ein Poet sei er gerade deswegen nie gewesen). – Ich: Aber nun sei von der andern Seite das Übel, daß er keine Kritik habe, die Tradition stützen wolle, durch Gelehrsamkeit und Historie. – Goethe: »Ei, das ist gegen alle Überlieferung, diese nimmt man entweder an, und dann gibt man von vorn herein etwas zu, oder man nimmt sie gar nicht an und ist ein rechter kritischer Philister. Auf jenem Mittelweg aber verdirbt man es mit allen; und es ist ein Beweis, daß er von dieser Seite noch nicht einmal mit sich fertig ist. Die Protestanten dagegen fühlen das Leere, und wollen nun einen Mysticismus machen, da ja gerade der Mysticismus entstehen muß. Dummes, absurdes Volk, verstehen ja nicht einmal, wie denn die Messe geworden ist, und es ist gerade als könne man eine Messe machen! So der Schubart, der erbärmliche, mit seinem hübschen Talent, hübschen aperçus, spielt nun mit dem Tode, sucht sein Heil in der Verwesung, da er freilich selbst schon halb verwest ist, das heißt, buchstäblich die Schwindsucht hat. Da möchte man des Teufels werden; es ist aber gut, ich lasse sie machen, es geht zu Grunde, und das ist recht.«

Ich: und es ist ihnen mit dem Christenthum, wenn man's beim Licht betrachtet, doch nicht recht ernst, es läuft am Ende doch immer wieder auf alles und eines und eines und alles hinaus. Dagegen ich mir den Dualismus für unentbehrlich halte, daß dem Geist und Leib sein Recht widerfahre, und die Einheit als Ziel und Höchstes immer gefordert, verlangt werde! Wovon hier auf der Erde nicht die Rede sein kann, als wenn Gott selbst kömmt. Sie aber wollen dem Herrn Christus auf die Spur kommen und selbst Christusse machen. Goethe: »Ja, recht, das ist: sie selbst wollen ein kleiner Herr Christus sein; sie ließen den Leib als solchen gelten, würden ihn auch zu ehren wissen.« – Dieß Alles kam zur Sprache, bei Gelegenheit eines neuen dünnen Büchleins: über das Abendmahl, welches in Gießen erschienen, und das ihm der hier badende Verfasser gegeben.
Sowenig nun die Dampfmaschinen zu dämpfen sind, sowenig ist dies auch im Sittlichen möglich: die Lebhaftigkeit des Handels, das Durchrauschen des Papiergelds, das Anschwellen der Schulden, um Schulden zu bezahlen, das alles sind die ungeheuern Elemente, auf die gegenwärtig ein junger Mann gesetzt ist. Wohl ihm, wenn er von der Natur mit mäßigem, ruhigem Sinn begabt ist, um weder unverhältnismäßige Forderungen an die Welt zu machen noch auch von ihr sich bestimmen zu lassen! 
Er ging mir fast nicht von der Seite, sprach so offen, so geistvoll und herzlich, aber wenn ein Dritter dazu kam, sprach er das fadeste Zeug, das man denken mag.

Freitag, 1. Dezember 2017


Und nun sei ein heiliges Vermächtnis
Brüderlichem Wollen und Gedächtnis:
Schwerer Dienste tägliche Bewahrung,
Sonst bedarf es keiner Offenbarung.

Sonntag, 26. November 2017


Die letzte Seite bin ich nun veranlaßt, in Ernst und Scherz mit etwas Wunderlichem zu schließen.

Des religiosen Gefühls wird sich kein Mensch erwehren, dabey aber ist es ihm unmöglich, solches in sich allein zu verarbeiten, deswegen sucht er oder macht sich Proselyten.

Das letztere ist meine Art nicht, das erstere aber hab ich treulich durchgeführt und, von Erschaffung der Welt an, keine Confession gefunden, zu der ich aber in meinen alten Tagen von einer Secte der Hypsistarier, welche, zwischen Heiden, Juden und Christen geklemmt, sich erklärten, das Beste, Vollkommenste, was zu ihrer Kenntniß käme, zu schätzen, zu bewundern, zu verehren und, insofern es also mit der Gottheit im nahen Verhältniß stehen müsse, anzubeten. Da ward mir auf einmal aus einem dunklen Zeitalter her ein frohes Licht, denn ich fühlte, daß ich Zeitlebens getrachtet hatte, mich zum Hypsistarier zu qualificiren; das ist aber keine kleine Bemühung: denn wie kommt man in der Beschränkung seiner Individualität wohl dahin, das Vortrefflichste gewahr zu werden?
Alles ist jetzt ultra, alles transzendiert unaufhaltsam, im Denken, wie im Tun. Niemand kennt sich mehr. Niemand begreift das Element, worin er schwebt und wirkt, niemand den Stoff, den er bearbeitet.

Donnerstag, 23. November 2017

In der Freundschaft wenigstens wollen wir uns nicht übertreffen lassen.

Freitag, 10. November 2017


Alle Gesetze sind von Alten und Männern gemacht. Junge und Weiber wollen die Ausnahme, Alte die Regel.
»Ich kann nicht arbeiten,« sagte er, »ich kann nicht lesen, und selbst das Denken gelingt mir nur in glücklichen Augenblicken der Erleichterung.«
Als Ottilie weg war, liess Goethe seinen Unmut und Verdruss über die Geschichte mit diesem Engländer aus. Das Treiben Ottiliens sei hohl, leer, es sei weder Leidenschaft, Neigung, noch wahres Interesse, es sei nur eine Wut, aufgeregt zu sein, ein abenteuerliches Treiben.

Montag, 30. Oktober 2017


Die Pariser Zeitschrift Le Globe …. Auch hier ist keine Spur, Frauen als Frauen zu Leserinnen werben zu wollen; der Geist jener Mitarbeiter ist auf die Zukunft gerichtet, und das möchte nicht anlockend für das schöne Geschlecht sein.

Wer thätig sein will und muß, hat nur das Gehörige des Augenblicks zu bedenken, und so kommt er ohne Weitläufigkeit durch. Das ist der Vortheil der Frauen, wenn sie ihn verstehen.

Mittwoch, 18. Oktober 2017


Es stecken mehr als fünfzig Angeln
In jeder Locke deiner Haare 

Mittwoch, 11. Oktober 2017


Es entstand eine Pause, während welcher Goethe fortfuhr im Zimmer auf- und abzugehen. Ich war indes begierig, über diesen wichtigen Punkt noch etwas weiteres zu hören, und suchte daher Goethen wieder in Anregung zu bringen.



»Liegt denn,« sagte ich, »diese geniale Productivität bloß im Geiste eines bedeutenden Menschen, oder liegt sie auch im Körper?«



»Wenigstens,« erwiederte Goethe, »hat der Körper darauf den größten Einfluß. Es gab zwar eine Zeit, wo man in Deutschtand sich ein Genie als klein, schwach, wohl gar buckelig dachte, allein ich lobe mir ein Genie, das den gehörigen Körper hat.



Wenn man von Napoleon gesagt, er sei ein Mensch aus Granit, so gilt dieses besonders auch von seinem Körper. Was hat sich der nicht alles zugemuthet und zumuthen können! Von dem brennenden Sande der Syrischen Wüste bis zu den Schneefeldern von Moskau, welche Unsumme von Märschen, Schlachten und nächtlichen Bivouacs liegt da nicht in der Mitte! Und welche Strapazen und körperliche Entbehrungen hat er dabei nicht aushalten müssen! Wenig Schlaf, wenig Nahrung, und dabei immer in der höchsten geistigen Thätigkeit! Bei der fürchterlichen Anstrengung und Aufregung des 18. Brumaire ward es Mitternacht, und er hatte den ganzen Tag noch nichts genossen, und ohne nun an seine körperliche Stärkung zu denken, fühlte er sich Kraft genug, um noch tief in der Nacht die bekannte Proclamation an das französische Volk zu entwerfen! Wenn man erwägt, was der alles durchgemacht und ausgestanden, so sollte man denken, es wäre in seinem vierzigsten Jahre kein heiles Stück mehr an ihm gewesen; allein er stand in jenem Alter noch auf den Füßen eines vollkommenen Helden.


Aber Sie haben ganz recht: der eigentliche Glanzpunkt seiner Thaten fällt in die Zeit seiner Jugend. Und es wollte etwas heißen, daß einer aus dunkler Herkunft und in einer Zeit, die alle Capacitäten in Bewegung setzte, sich so herausmachte, um in seinem siebenundzwanzigsten Jahre der Abgott einer Nation von dreißig Millionen zu sein! Ja, ja, mein Guter, man muß jung sein, um große Dinge zu thun. Und Napoleon ist nicht der einzige.«

Goethe gefiel mir diesen Abend ganz besonders. Das Edelste seiner Natur schien in ihm rege zu sein; dabei war der Klang seiner Stimme und das Feuer seiner Augen von solcher Kraft, als wäre er von einem frischen Auflodern seiner besten Jugend durchglüht. Merkwürdig war es mir, daß er, der selbst in so hohen Jahren noch einem bedeutenden Posten vorstand, so ganz entschieden der Jugend das Wort redete und die ersten Stellen im Staat, wenn auch nicht von Jünglingen, doch von Männern in noch jugendlichem Alter besetzt haben wollte. Ich konnte nicht umhin einige hochstehende deutsche Männer zu erwähnen, denen im hohen Alter die nöthige Energie und jugendliche Beweglichkeit zum Betriebe der bedeutendsten und mannigfaltigsten Geschäfte doch keineswegs zu fehlen scheine.



»Solche Männer und ihresgleichen,« erwiederte Goethe, »sind geniale Naturen, mit denen es eine eigene Bewandtniß hat; sie erleben eine wiederholte Pubertät, während andere Leute nur einmal jung sind.

Heute bei Goethe zu Tisch kam das Gespräch bald wieder auf das Dämonische, und er fügte zu dessen näheren Bezeichnung noch folgendes hinzu.



»Das Dämonische«, sagte er, »ist dasjenige, was durch Verstand und Vernunft nicht aufzulösen ist. In meiner Natur liegt es nicht, aber ich bin ihm unterworfen.«



»Napoleon«, sagte ich, »scheint dämonischer Art gewesen zu sein.«



»Er war es durchaus«, sagte Goethe, »im höchsten Grade, so daß kaum ein anderer ihm zu vergleichen ist. Auch der verstorbene Großherzog war eine dämonische Natur, voll unbegrenzter Tatkraft und Unruhe, so daß sein eigenes Reich ihm zu klein war, und das größte ihm zu klein gewesen wäre. Dämonische Wesen solcher Art rechneten die Griechen unter die Halbgötter.«



»Erscheint nicht auch«, sagte ich, »das Dämonische in den Begebenheiten?«



»Ganz besonders,« sagte Goethe, »und zwar in allen, die wir durch Verstand und Vernunft nicht aufzulösen vermögen. Überhaupt manifestiert es sich auf die verschiedenste Weise in der ganzen Natur, in der unsichtbaren wie in der sichtbaren. Manche Geschöpfe sind ganz dämonischer Art, in manchen sind Teile von ihm wirksam.«

Dienstag, 10. Oktober 2017


Erblickt' ich sie, da ward das helle Licht

Des Tag's mir trüb'; unwiderstehlich zog

Ihr Auge mich, ihr Mund mich an, mein Knie

Erhielt sich kaum, und aller Kraft
Des Geists bedurft' ich aufrecht mich zu halten.

Montag, 25. September 2017

Es ist besser, es geschehe dir ein Unrecht als die Welt sei ohne Gesetz. Deshalb füge sich jeder dem Gesetze.

Mittwoch, 20. September 2017

Um nun aber einigermaßen in die Richte zu kommen, will ich mich wieder nach jenem Ruderpflock umsehen und eines Gesprächs gedenken, das ich mit unserem geprüften Freunde Jarno, den ich unter dem Namen Montan im Gebirge fand, zu ganz besonderer Erweckung eigner Gefühle zufällig zu führen veranlaßt ward. Die Angelegenheiten unseres Lebens haben einen geheimnisvollen Gang, der sich nicht berechnen läßt. Du erinnerst dich gewiß jenes Bestecks, das euer tüchtiger Wundarzt hervorzog, als du dich mir, wie ich verwundet im Walde hingestreckt lag, hülfreich nähertest? Es leuchtete mir damals dergestalt in die Augen und machte einen so tiefen Eindruck, daß ich ganz entzückt war, als ich nach Jahren es in den Händen eines Jüngeren wiederfand. Dieser legte keinen besondern Wert darauf; die Instrumente sämtlich hatten sich in neuerer Zeit verbessert und waren zweckmäßiger eingerichtet, und ich erlangte jenes um desto eher, als ihm die Anschaffung eines neuen dadurch erleichtert wurde. Nun führte ich es immer mit mir, freilich zu keinem Gebrauch, aber desto sicherer zu tröstlicher Erinnerung: Es war Zeuge des Augenblicks, wo mein Glück begann, zu dem ich erst durch großen Umweg gelangen sollte.
Zufällig sah es Jarno, als wir bei dem Köhler übernachteten, der es alsobald erkannte und auf meine Erklärung erwiderte: »Ich habe nichts dagegen, daß man sich einen solchen Fetisch aufstellt, zur Erinnerung an manches unerwartete Gute, an bedeutende Folgen eines gleichgültigen Umstandes; es hebt uns empor als etwas, das auf ein Unbegreifliches deutet, erquickt uns in Verlegenheiten und ermutigt unsere Hoffnungen; aber schöner wäre es, wenn du dich durch jene Werkzeuge hättest anreizen lassen, auch ihren Gebrauch zu verstehen und dasjenige zu leisten, was sie stumm von dir fordern.«
Die Geheimnisse der Lebenspfade darf und kann man nicht offenbaren; es gibt Steine des Anstoßes, über die ein jeder Wanderer stolpern muß. Der Poet aber deutet auf die Stelle hin.
Mir drückten sich gewisse große Motive, Legenden, uraltgeschichtlich Überliefertes so tief in den Sinn, daß ich sie vierzig bis funfzig Jahre lebendig und wirksam im Innern erhielt; mir schien der schönste Besitz, solche werte Bilder oft in der Einbildungskraft erneut zu sehen, da sie sich denn zwar immer umgestalteten, doch, ohne sich zu verändern, einer reineren Form, einer entschiednern Darstellung entgegenreiften. Ich will hievon nur die »Braut von Korinth«, den »Gott und die Bajadere«, den »Grafen und die Zwerge«, den »Sänger und die Kinder« und zuletzt noch den baldigst mitzuteilenden »Paria« nennen.

Freitag, 15. September 2017

Ihr Haupt ruhte auf seiner Schulter, und der zerdrückten Locken und Bänder ward nicht gedacht. Sie hatte ihren Arm um ihn geschlungen; er umfaßte sie mit Lebhaftigkeit und drückte sie wiederholend an seine Brust. O daß ein solcher Augenblick nicht Ewigkeiten währen kann, und wehe dem neidischen Geschick, das auch unsern Freunden diese kurzen Augenblicke unterbrach.

Samstag, 26. August 2017

Auf einem Schimmel kam die liebenswürdige Amazone aus den Büschen, nahte sich ihm und stieg ab. Ihr menschenfreundliches Bemühen hieß sie gehen und kommen; endlich stand sie vor ihm. Das Kleid fiel von ihren Schultern; ihr Gesicht, ihre Gestalt fing an zu glänzen, und sie verschwand.

„Es giebt wunderliche Kritiker,“ fuhr Goethe fort. „An diesem Roman tadelten sie, daß der Held sich zu viel in schlechter Gesellschaft befinde. Dadurch aber, daß ich die sogenannte schlechte Gesellschaft als Gefäß betrachtete, um das, was ich von der guten zu sagen hatte, darin niederzulegen, gewann ich einen poetischen Körper und einen mannigfaltigen dazu. Hätte ich aber die gute Gesellschaft wieder durch sogenannte gute Gesellschaft zeichnen wollen, so hätte niemand das Buch lesen mögen.“
Den anscheinenden Geringfügigkeiten des ›Wilhelm Meister‹ liegt immer etwas Höheres zum Grunde, und es kommt bloß darauf an, daß man Augen, Weltkenntniß und Ubersicht genug besitze, um im Kleinen das Größere wahrzunehmen. Andern mag das gezeichnete Leben als Leben genügen. 
Der lebhafte Trieb nach Amerika zu Anfange des achtzehnten Jahrhunderts war groß, indem ein jeder, der sich diesseits einigermaßen unbequem fand, sich drüben in Freiheit zu setzen hoffte; dieser Trieb ward genährt durch wünschenswerte Besitzungen, die man erlangen konnte, ehe sich noch die Bevölkerung weiter nach Westen verbreitete. Ganze sogenannte Grafschaften standen noch zu Kauf an der Grenze des bewohnten Landes, auch der Vater unseres Herrn hatte sich dort bedeutend angesiedelt. Wie aber in den Söhnen sich oft ein Widerspruch hervortut gegen väterliche Gesinnungen, so zeigte sich’s auch hier. Unser Hausherr als Jüngling nach Europa gelangt fand sich hier ganz anders; diese unschätzbare Kultur seit mehreren tausend Jahren entsprungen, gewachsen, ausgebreitet, gedämpft, gedrückt, nie ganz erdrückt, wieder aufatmend, sich neu belebend und nach wie vor in unendlichen Tätigkeiten hervortretend gab ihm ganz andere Begriffe, wohin die Menschheit gelangen kann. Er zog vor, an den großen unübersehlichen Vorteilen sein Anteil hinzunehmen und lieber in der großen geregelt tätigen Masse mitwirkend sich zu verlieren, als drüben über dem Meere um Jahrhunderte verspätet den Orpheus und Lykurg zu spielen; er sagte: „Überall bedarf der Mensch Geduld, überall muß er Rücksicht nehmen, und ich will mich doch lieber mit meinem König abfinden, daß er mir diese oder jene Gerechtsame zugestehe, lieber mich mit meinem Nachbarn vergleichen, daß sie mir gewisse Beschränkungen erlassen, wenn ich ihnen von einer andern Seite nachgebe, als daß ich mich mit den Irokesen herumschlage um sie zu vertreiben, oder sie durch Kontrakte betriege, um sie zu verdrängen, aus ihren Sümpfen, wo man von Mosquitos zu Tode gepeinigt wird.“ Er übernahm die Familiengüter, wußte sie freisinnig zu behandeln, sie wirtschaftlich einzurichten, weite unnütz scheinende Nachbarsdistrikte klüglich anzuschließen und so sich innerhalb der kultivierten Welt, die in gewissem Sinne auch gar oft eine Wildnis genannt werden kann, ein mäßiges Gebiet zu erwerben und zu bilden, das für die beschränkten Zustände immer noch utopisch genug ist.

Mittwoch, 23. August 2017


Zählst du dich zu jenen Helden?
Zeige deine Wunden an!
Die mir Rühmliches vermelden,
Und ich führe dich heran.

Samstag, 19. August 2017

Unaufhörlich rief er sich jene Begebenheit zurück, welche einen unauslöschlichen Eindruck auf sein Gemüt gemacht hatte. Er sah die schöne Amazone reitend aus den Büschen hervorkommen, sie näherte sich ihm, stieg ab, ging hin und wider und bemühte sich um seinetwillen. Er sah das umhüllende Kleid von ihren Schultern fallen; ihr Gesicht, ihre Gestalt glänzend verschwinden. Alle seine Jugendträume knüpften sich an dieses Bild. Er glaubte nunmehr die edle, heldenmütige Chlorinde mit eignen Augen gesehen zu haben: ihm fiel der kranke Königssohn wieder ein, an dessen Lager die schöne, teilnehmende Prinzessin mit stiller Bescheidenheit herantritt.
Von dem Wilhelm Meister und dem Hesperus ab stellen sie alle den Jüngling jener Tage dar; wie er in glücklicher Dämmerung in das Leben eintritt, nach verwandten Seelen sucht, der Freundschaft begegnet und der Liebe, wie er nun aber mit den harten Realitäten der Welt in Kampf gerät und so unter mannigfaltigen Lebenserfahrungen heranreift, sich selber findet und seiner Aufgabe in der Welt gewiss wird. 

Dienstag, 15. August 2017


Dich betrügt der Staatsmann, der Pfaffe, der Lehrer der Sitten,
Und diess Kleeblatt wie tief betest du Pöbel es an.
Leider lässt sich noch kaum was rechtes denken und sagen
Das nicht grimmig den Staat, Götter und Sitten verletzt.

Sonntag, 13. August 2017


Betrachte nun den äußern Umriß! Wie gedrängt markig!

Und wiederholt die Ehernheit der Stirne, die Wirksamkeit des Augenknochens, den gefällig festen Raum an der Seite des Auges, sie Stärke der Wangen, die Fülle des Mundes und des Kinns anschließende Kraft!

Ich habe geendigt, und schaue wieder, und fange wieder von vorne an!

Mann verschlossener Tat! langsam reifender, aus tausend Eindrücken zusammen auf einen Punkt gewirkter, auf einen Punkt gedrängter Tat! In dieser Stirne ist nichts Gedächtnis, nichts Urteil, es ist ewig gegenwärtiges, ewig wirkendes, nie ruhendes Leben, Drang und Weben! Welche Fülle in den Wölbungen aller Teile! wie angespannt das Ganze! Dieses Auge faßt den Baum bei der Wurzel.

Donnerstag, 20. Juli 2017

Wenn dirs in Kopf und Herzen schwirrt,
Was willst du Bessres haben!
Wer nicht mehr liebt und nicht mehr irrt,
Der lasse sich begraben.


Über allen Ausdruck ist die reine Selbstigkeit dieses Mannes. Beim ersten Anblicke scheint was Verderbendes dir entgegen zu streben. Aber die treuherzige Verschlossenheit der Lippen, die Wangen, das Auge selbst! - Groß ist der Mensch, in einer Welt von Großen. Er hat nicht die hinlässige Verachtung des Tyrannen, er hat die Anstrengung dessen, der Widerstand findet, dessen, der sich im Widerstande bildet; der nicht dem Schicksale, sondern großen Menschen widerstrebt; der unter großen Menschen geworden ist. Nur ein Jahrhundert von Trefflichen konnte den Trefflichsten durch Stufen hervorbringen.
Er kann keinen Herrn haben, kann nicht Herr sein. Er hat nie seine Lust an Knechten gehabt. Unter Gesellen mußt er leben, unter Gleichen und Freien. In einer Welt voll Freiheit edler Geschöpfe würd er in seiner Fülle sein. Und daß das nun nicht so ist, schlägt im Herzen, drängt zur Stirne, schließt den Mund, bohrt im Blicke! Schaut hier den gordischen Knoten, den der Herr der Welt nicht lösen konnte. 

Sonntag, 2. Juli 2017


Ich sage es daher im Angesichte der Herausgeber und Ankündiger: daß ich an der ganzen Sache nicht den geringsten Anteil habe. Ohne weitere Verteidigung meines Charakters, hoffe ich noch so viel Glauben zu verdienen, und ohne weitere Klage über die Unbilligkeit, womit man mich hier wieder eines ganz unwahrscheinlichen Vergehens beschuldigen mögen, wünsch ich nur denen rechtschaffenen, würdigen Personen die sich dadurch gekränkt und beleidigt halten konnten, hiermit genug getan zu haben. Und o! vermocht ich schließlich Freunden und Feinden recht lebendig ans Herz zu legen, wie grausam der Mensch durch zweckloses Anekdotentragen, und liebloses, an sich oft unbedeutendes Nachreden, seines Bruders Ruhe vergiften, ja dessen bürgerliches Verhältnis untergraben kann.

Samstag, 1. Juli 2017

 

Wo Anmaßung mir wohlgefällt?
An Kindern: denen gehört die Welt.

Dienstag, 20. Juni 2017


So still bin ich lang nicht gewesen, und wenn das Auge Licht ist wird der ganze Körper licht seyn et vice versa. Die Gräfinn hat mir manche neue Begriffe gegeben, und alte zusammengerückt. Sie wissen daß ich nie etwas als durch Irradiation lerne, daß nur die Natur und die größten Meister mir etwas begreifflich machen können, und daß im halben oder einzelnen etwas zu fassen mir ganz unmöglich ist! – Wie offt hab ich die Worte Welt, grose Welt, Welt haben u.s.w. hören müssen und habe mir nie was dabey dencken können, die meisten Menschen die sich diese Eigenschafften anmasten, verfinsterten mir den Begriff, sie schienen mir wie schlechte Musickanten auf ihren Fiedeln Symphonien abgeschiedner Meister zu kreuzigen, ich konnte eine Ahndung davon aus diesem und ienem einzelnen Liede haben, vergebens sucht ich mir das zu dencken was mir nicht mit vollem Orchester war produzirt worden.

Dieses kleine Wesen hat mich erleuchtet. Diese hat Welt oder vielmehr sie hat die Welt, sie weis die Welt zu behandlen, sie ist wie Quecksilber das sich in einem Augenblicke tausendfach theilt und wieder in eine Kugel zusammenläuft. Sicher ihres Werths, ihres Rangs handelt sie zugleich mit einer Delikatesse und Aisance die man sehn muß um sie zu dencken. Sie scheint iedem das seinige zu geben wenn sie auch nichts giebt, sie spendet nicht, wie ich andre gesehn habe, nach Standsgebühr und Würden iedem das eingesiegelte zugedachte Packetgen aus, sie lebt nur unter den Menschen hin, und daraus entsteht eben die schöne Melodie die sie spielt daß sie nicht ieden Ton sondern nur die auserwählten berührt. Sie tracktirts mit einer Leichtigkeit und einer anscheinenden Sorglosigkeit daß man sie für ein Kind halten sollte das nur auf dem Klaviere, ohne auf die Noten zu sehen, herumruschelt, und doch weis sie immer was und wem sie spielt.
Was in ieder Kunst das Genie ist, hat sie in der Kunst des Lebens. Tausend andre kommen mir vor wie Leute die das durch Fleis ersezzen wollen was ihnen die Natur versagt hat, noch andre wie Liebhaber die ihr Conzertgen auswendig gelernt haben und es ängstlich produziren, noch andre – nun es wird uns Stoff zur Unterredung genug geben. Sie kennt den größten Teil vom vornehmen, reichen, schönen, verständigen Europa, theils durch sich theils durch andre, das Leben, Treiben, Verhältniß so vieler Menschen ist ihr gegenwärtig im höchsten Sinne des Worts, es kleidet sie alles was sie sich von iedem zueignet und was sie iedem giebt thut ihm wohl. Sie sehen ich trete geschwind auf alle Seiten um mit todten Worten, mit einer Folge von Ausdrücken ein einziges Lebendiges Bild zu beschreiben. Das Beste bleibt immer zurück. Ich habe noch drey Tage und nichts zu  thun als sie anzusehn in der Zeit will ich noch manchen Zug erobern. Nur noch einen der wie eine Parabel den Anfang einer ungeheuren Bahn zeichnet. Der Pfarr hier ist ein schlechter Kerl, nicht so daß man ihn absezzen könnte, genug er ist schlecht. Wenn der Graf ihn zu Gaste lädt so ißt sie nicht mit hausen, und sagt es sey recht und nothwendig auch öffentlich zu zeichen wenn man iemanden um seiner Schlechtigkeit willen verachtet.
Thun Sie dieses zu ienem oben gesagten hinzu so multiplizirt es die Summe ungeheuer. Gerne macht ich Ihnen nun auch von ihm das Portrait so weit ichs habe und führte den Rattentext weiter aus, wenn mich bey diesem Gegenstande nicht der natürliche Widerwille gegen das Schreiben behende ergriff. Soviel kan ich sagen er macht mir meine dramatische und epische Vorrathskammer um ein gutes reicher. Ich kan nicht verderben, da ich auch aus Steinen und Erde Brod machen kan.

Adieu süse Unterhaltung meines innersten Herzens. Ich sehe und höre nichts guts das ich nicht im Augenblick mit Ihnen theile. Und alle meine Beobachtungen über Welt und mich, richten sich nicht, wie Marck Antonins, an mein eignes, sondern an mein zweites selbst. Durch diesen Dialog, da ich mir bey iedem dencke was Sie dazu sagen mögten, wird mir alles heller  und werther. Wir haben heute Gäste von Langensalza. auf das Siegel drück ich einen Kuß und bin dein für ewig.

Sonntag, 18. Juni 2017


Seh ich die Werke der Meister an,
So seh ich das, was sie getan;
Betracht ich meine Siebensachen,
Seh ich, was ich hätt sollen machen.

Die seltenste Entwickelungsstufe der Phantasmen bei vollkommenster Gesundheit des Geistes und des Körpers ist die Fähigkeit, bei geschlossenen Augen das willkührlich Vorgestellte wirklich zu sehen. Es sind nur wenige Fälle dieser Art bekannt geworden; hierher gehören Cardanus, Goethe und noch einige andere Fälle, die ich in der Schrift: »J. Müller, über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Coblenz 1826« mitgetheilt. ….  Im Jahre 1828 hatte ich Gelegenheit, mich mit Goethe über diesen, uns beide gleich interessirenden Gegenstand zu unterhalten. Da er wußte, daß bei mir, wenn ich mich ruhig bei geschlossenen Augen hinlege, vor dem Einschlafen leicht Bilder in den Augen erscheinen, ohne daß es zum Schlaf kommt, indem vielmehr die Bilder sehr wohl beobachtet werden können, so war er sehr begierig zu erfahren, wie sich diese Bilder bei mir gestalten. Ich erklärte, daß ich durchaus keinen Einfluß des Willens aus Hervorrufung und Verwandlung derselben habe, und daß bei mir niemals eine Spur von symmetrischer und vegetativer Entwickelung vorkomme. Goethe hingegen konnte das Thema willkührlich angeben, und dann erfolgte allerdings scheinbar unwillkührlich, aber gesetzmäßig und symmetrisch das Umgestalten. Ein Unterschied zweier Naturen, wovon die eine die größte Fülle der dichterischen Gestaltungskraft besaß, die andere aber auf die Untersuchung des Wirklichen und des in der Natur Geschehenden gerichtet ist.
Unser abgeschiedener Freund war eine von den seltsamsten Individualitäten, die ich gekannt habe. Er ist eine Natur, dergleichen auch nicht wieder zum Vorschein kommen wird.

Die Männer denken mehr auf das Einzelne, auf das Gegenwärtige, und das mit Recht, weil sie zu thun, zu wirken berufen sind; die Weiber hingegen mehr auf das was im Leben zusammenhängt, und das mit gleichem Rechte, weil ihr Schicksal, das Schicksal ihrer Familien, an diesen Zusammenhang geknüpft ist, und auch gerade dieses Zusammenhängende von ihnen gefordert wird.

Donnerstag, 1. Juni 2017

Gar schön war’s, wie er sagte, dass ein einzelner Mensch nie einen Charakter in dem höchsten Ausdruck haben könne; er würde nicht leben können; er müsse vermischte Eigenschaften haben, um zu existieren. Er war in der Stunde, da er dies alles sprach, recht in seinem Himmel, und wir haben ihm endlich versprechen müssen, mit niemand davon zu reden.
Als die Freunde Goethe mit der sogenannten Vulpia neckten und seinen Sieg über sie als den ersten, welchen die Dame erlebt, aufhetzend in Zweifel zogen, gab er die merkwürdige Antwort: »Daß Sie auch andern würde gefallen haben, bezweifle ich nicht.«

Samstag, 20. Mai 2017

„Ach, die Menschen sind gar zu albern, niederträchtig und methodisch absurd; man muss so lange leben als ich, um sie ganz verachten zu lernen.“

Folgerecht aber nunmehr darzustellen, wie bei Veränderung und Erweiterung des Lokals, dem Translozieren der Büchersammlung aus dem Schlosse, der Umstellung, Einschaltung, Verschmelzung alles einzelnen verfahren worden, schiene gleichfalls eine unmögliche Aufgabe, wenn der Professor und Bibliothekar Dr. Güldenapfel in einem Bericht, welcher den größten Teil des beigefügten Aktenfaszikels ausmacht, solche nicht schon befriedigend gelöst hätte.

Man darf sich überzeugen, daß die höchsten Herren Erhalter mit gewogenem Beifalle die Ausführlichkeit ansehen werden, womit ein wohldenkender, seit sieben Jahren in den kleinlichsten Arbeiten zu einem großen Zwecke beschäftigter Mann gern eines jeden einzelnen Augenblicks gedenkt, deren unzählige, treu benutzt, endlich das Ganze zu bewirken, mit Hingebung aufgewendet werden mußten.

Mittwoch, 17. Mai 2017

Hier Tante ein Zweig aus Lenzens Goldnen herzen.

Irradiation nennt Goethe gelegentlich die Erfahrung, die ihm die schöne Gräfin von Werthern-Neunheiligen vermittelt.
Leider wird dieser fast so unbeschreiblich als unerträgliche Zustand von vielen wohl verstanden werden, die wie unser Freund, sich für außerordentliche physische und moralische Phänomene ansehen, und jene Bewegungen, die sie zerreißend beunruhigen, der Gewalt ihres Herzens der Kraft ihres Geistes zuschreiben; da sie doch mit etwas mehr Ordnung in ihrer Diät, mit etwas mehr Natur in ihrem Genüsse, zu ihrer eigenen und zu der Ihrigen Zufriedenheit recht ordentliche, und recht natürliche Menschen werden würden. Ja erlaubt mir meine Freunde, daß ich euch sage:  Ihr erscheint mir oft, wie kleine sachte Bäche, worein die Knaben Steine tragen, um sie rauschen zu machen. 

Freitag, 12. Mai 2017

Was ist das mit der Philosophie und besonders mit der neuen für eine wunderliche Sache! In sich selbst hineinzugehen, seinen eignen Geist über seinen Operationen zu ertappen, sich ganz in sich zu verschließen, um die Gegenstände desto besser kennenzulernen! Ist das wohl der rechte Weg? Der Hypochondrist, sieht der die Sachen besser an, weil er immer in sich gräbt und sich untergräbt? Gewiß, diese Philosophie scheint mir eine Art von Hypochondrie zu sein, eine falsche Art von Neigung, der man einen prächtigen Namen gegeben hat. Verzeihen Sie einem Alten, verzeihen Sie einem praktischen Arzte. 
45. Die Botaniker haben eine Pflanzenabteilung, die sie Incompletae nennen; man kann eben auch sagen, dass es inkomplette, unvollständige Menschen gibt. Es sind diejenigen, deren Sehnsucht und Streben mit ihrem Tun und Leisten nicht proportioniert ist. 

Donnerstag, 4. Mai 2017

Das Gespräch fiel auf Selbstkenntniß. »Ich behaupte, der Mensch kann sich nie selbst kennen lernen, sich nie rein als Object betrachten. Andre kennen mich besser als ich mich selbst. Nur meine Bezüge zur Außenwelt kann ich kennen und richtig würdigen lernen, darauf sollte man sich beschränken. Mit allem Streben nach Selbstkenntniß, das die Priester, das die Moral uns predigen, kommen wir nicht weiter im Leben, gelangen weder zu Resultaten noch zu wahrer innerer Besserung. Doch will ich diese Ansicht nicht eben für ein Evangelium ausgeben. Was sind travers? Falsche Stellungen zur Außenwelt. Wer hat sie nicht? Jede Lebensstufe hat die ihr eignen.«

Was am sonderbarsten war, so geriet er durch sein beständiges Nachdenken und Insichgekehrtsein sogar auf den Egoismus, der ihn beinahe hätte verrückt machen können.

Weil nämlich seine Träume größtenteils sehr lebhaft waren und beinahe an die Wirklichkeit zu grenzen schienen, so fiel es ihm ein, daß er auch wohl am hellen Tage träume und die Leute um ihn her, nebst allem, was er sahe, Geschöpfe seiner Einbildungskraft sein könnten.
 
Dies war ihm ein erschrecklicher Gedanke, und er fürchtete sich vor sich selber, sooft er ihm einfiel, auch suchte er sich dann wirklich durch Zerstreuung von diesen Gedanken loszumachen. 

Das Einzelne, Abgerissene und Zerstückte in seinem Dasein war es immer, was ihm Verdruß und Ekel erweckte.

Und dies entstand so oft, als unter dem Druck der Umstände seine Gedanken sich nicht über den gegenwärtigen Moment erheben konnten. – Dann war alles so unbedeutend, so leer und trocken und nicht der Mühe des Denkens wert. –

Dieser Zustand ließ ihn immer die Ankunft der Nacht, einen tiefen Schlummer, ein gänzliches Vergessen seiner selbst wünschen – ihm kroch die Zeit mit Schneckenschritten fort – und er konnte sich nie erklären, warum er in diesem Augenblicke lebte. 
Diesem großen, erhabenen und tröstlichen Gefühle so wenig als nur möglich nachzuhängen, lehrte mich ein edler Freund, der sich mir immer näher verband; es war der Arzt, den ich in dem Hause meines Oheims hatte kennen lernen, und der sich von der Verfassung meines Körpers und meines Geistes sehr gut unterrichtet hatte; er zeigte mir, wie sehr diese Empfindungen, wenn wir sie unabhängig von äußern Gegenständen in uns nähren, uns gewissermaßen aushöhlen und den Grund unseres Daseins untergraben. »Tätig zu sein«, sagte er, »ist des Menschen erste Bestimmung, und alle Zwischenzeiten, in denen er auszuruhen genötigt ist, sollte er anwenden, eine deutliche Erkenntnis der äußerlichen Dinge zu erlangen, die ihm in der Folge abermals seine Tätigkeit erleichtert.« 

Donnerstag, 20. April 2017

Wenn Goethe sich im Gespräch erschliesst, ist er gewöhnlich guter Laune, und er legt Wert darauf, seine Ansichten in einer möglichst originellen Form vorzubringen. Die Wahrheit liegt ihm am Herzen, aber je fester er von der Richtigkeit seiner Worte überzeugt ist, um so lieber kleidet er sie in ein Paradoxon.

HIPPIAS. Ein Träumender, ein Kranker, ein Wahnwitziger sieht, und doch ist das nicht, was er sieht.

AGATHON. Weil er in diesem Zustande nicht recht sehen kann.

HIPPIAS. Wie kannst du beweisen, daß du nicht gerad in diesem Punct krank bist? Frage die Ärzte; man kann in einem einzigen Stück wahnwitzig, und in allen Übrigen klug sein; so wie eine Laute bis auf eine einzige falsche Saite wohl gestimmt sein kann. Der rasende Ajax sieht zwo Sonnen, ein doppeltes Thebe. Was für ein untrügliches Kennzeichen hast du, das Wahre von dem was nur scheint; das was du würklich empfindest, von dem was du dir nur einbildest; das was du richtig empfindest, von dem was eine verstimmte Nerve dich empfinden macht, zu unterscheiden? Und wie, wenn alle Empfindung betröge, und nichts von allem was ist, so wäre, wie du es empfindest?

AGATHON. Darum bekümmere ich mich wenig. Gesetzt, die Sonne sei nicht so, wie ich sie sehe und fühle; für mich ist sie darum nicht minder so, wie ich sie sehe und fühle, und das ist für mich genug. Ihr Einfluß in das System aller meiner übrigen Empfindungen ist darum nicht weniger würklich, wenn sie gleich nicht so ist, wie sie sich meinen Sinnen darstellt, ja wenn sie gar nicht ist.
 
HIPPIAS. Die Anwendung hievon, wenn dirs beliebt? … 
"Ich mag nicht sagen, wie ich denke," erwiederte Goethe. "Es versteckt sich hinter jenem Gerede mehr böser Wille gegen mich, als Sie wissen. Ich fühle darin eine neue Form des alten Hasses, mit dem man mich seit Jahren verfolgt und mir im stillen beizukommen sucht. Ich weiß recht gut, ich bin vielen ein Dorn im Auge, sie wären mich alle sehr gern los, und da man nun an meinem Talent nicht rühren kann, so will man an meinen Charakter. Bald soll ich stolz sein, bald egoistisch, bald voller Neid gegen junge Talente, bald in Sinnenlust versunken, bald ohne Christenthum, und nun endlich gar ohne Liebe zu meinem Vaterlande und meinen lieben Deutschen. Sie kennen mich nun seit Jahren hinlänglich und fühlen was an all dem Gerede ist. Wollen Sie aber wissen, was ich gelitten habe, so lesen Sie meine ›Xenien‹, und es wird Ihnen aus meinen Gegenwirkungen klar werden, womit man mir abwechselnd das Leben zu verbittern gesucht hat.
Ein deutscher Schriftsteller – ein deutscher Märtyrer! Ja, mein Guter! Sie werden es nicht anders finden. Und ich selbst kann mich kaum beklagen; es ist allen andern nicht besser gegangen, den meisten sogar schlechter, und in England und Frankreich ganz wie bei uns. Was hat nicht Molière zu leiden gehabt, und was nicht Rousseau und Voltaire! Byron ward durch die bösen Zungen aus England getrieben und würde zuletzt ans Ende der Welt geflohen sein, wenn ein früher Tod ihn nicht den Philistern und ihrem Haß enthoben hätte.Und wenn noch die bornirte Masse höhere Menschen verfolgte! Nein, ein Begabter und ein Talent verfolgt das andere. Platen ärgert Heine, und Heine Platen, und jeder sucht den andern schlecht und verhaßt zu machen, da doch zu einem friedlichen Hinleben und Hinwirken die Welt groß und weit genug ist und jeder schon an seinem eigenen Talent einen Feind hat, der ihm hinlänglich zu schaffen macht!"

Samstag, 15. April 2017


Eine niedrige Kindheit, unzulänglicher Unterricht in der Jugend, zerrissene, zerstreute Studien im Jünglingsalter, der Druck eines Schulamtes, und was in einer solchen Laufbahn Ängstliches und Beschwerliches erfahren wird, hatte er mit vielen andern geduldet. Er war dreißig Jahre alt geworden, ohne irgendeine Gunst des Schicksals genossen zu haben; aber in ihm selbst lagen die Keime eines wünschenswerten und möglichen Glücks.

Mittwoch, 12. April 2017


Man kann von Winckelmann nicht lernen, aber man wird etwas, wenn man ihn gelesen hat.

Samstag, 8. April 2017


Das Mädchen ist allerliebst und, als ein ächt gebornes Frauenzimmerchen schon jetzt incalculabel.   (über Alma Goethe)

Mittwoch, 5. April 2017


Und bei den Grillen der hübschen Frauen
Mußt du immer vergnüglich schauen


 

Freitag, 24. März 2017

Ängstlich ist es, immer zu suchen, aber viel ängstlicher, gefunden zu haben und verlassen zu müssen.
Betrug ist der allgemeine, korrumpierende Charakterzug der herrschenden gesellschaftlichen und geistigen Ordnung, und der Dichter, der dies alles durchschaut, steht allein. 
Der Tasso ist nun einmal das höchste Geistige, die zarteste Menschheit, welche auch von der sanftesten und weichsten Umgebung gedrückt, sich ihrer Auflösung nähert; welche den Schwerpunkt verloren hat, der sie an die Wirklichkeit heftet, und daher auch erst in der Erscheinung ihre eigentliche Vollendung erreichen konnte. Die tragische Darstellung dieses Zarten, Geistigen, auf dem Punkte, wo es sich jammernd ablöst und in sich selbst versinkt, ist gewiss das Höchste der Poesie.  

Freitag, 10. März 2017


Das Deraisonnement der Deutschen in Rom mag sich noch widerlicher ausnehmen als wenn man es in Deutschland hören muß, und doch ist das Gespräch überall nichts als ein Austausch von Irrthümern, und ein Kreislauf von beschränkten Eigenheiten. Wir wollen unsern Weg recht still aber auch recht eigensinnig verfolgen. Lassen Sie nur ja niemand nichts von unsern Hypothesen, Theorien und Absichten merken, wenn die Leute von uns noch einige gute Meynung behalten sollen. Es ist bloß mit der Masse unserer vereinigten Kräfte und mit der Ausführung des Ganzen, daß wir ihnen in der Folge imponiren können und doch werden sie auszusetzen genug finden.

Ich war von je her überzeugt daß man entweder unbekannt oder unerkannt durch die Welt gehe, so daß ich auf kleinen oder größeren Reisen, in so fern es nur möglich war, meinen Nahmen verbarg und künftig will ich ihn gewiß nur zu besserer Ausführung unseres Zweckes aushängen.

Sonntag, 19. Februar 2017

Ein heiterer Tag ist wie ein grauer, wenn wir ihn ungerührt ansehen, und was kann uns rühren als die stille Hoffnung, daß die angeborne Neigung unsers Herzens nicht ohne Gegenstand bleiben werde? Uns rührt die Erzählung jeder guten Tat, uns rührt das Anschauen jedes harmonischen Gegenstandes; wir fühlen dabei, daß wir nicht ganz in der Fremde sind, wir wähnen einer Heimat näher zu sein, nach der unser Bestes, Innerstes ungeduldig hinstrebt.
Psychoanalytische Interpreten: die Erscheinung der Amazone sei nichts anderes als ein fetischistischer Tagtraum, die klinisch korrekte Beschreibung, wie ein Fetisch entstehe, hervorgetrieben von Goethes eigenen sexuellen Ängsten.
Die Unruhe hielt ihn noch eine Zeitlang wach, und er beschäftigte sich, das Bild der Amazone mit dem Bild seiner neuen, gegenwärtigen Freundin zu vergleichen. Sie wollten noch nicht miteinander zusammenfließen; jenes hatte er sich gleichsam geschaffen, und dieses schien fast ihn umschaffen zu wollen.

Freitag, 27. Januar 2017

Wilhelm hatte seine Augen auf sie gerichtet und war von ihren Blicken so eingenommen, daß er kaum fühlte, was mit ihm vorging.
Sie kommen mir eine Zeither vor wie Madonna die gen Himmel fährt, vergebens dass ein rückbleibender seine Arme nach ihr ausstreckt, vergebens dass sein scheidender trähnenvoller Blick den ihrigen noch einmal niederwünscht, sie ist nur in den Glanz versuncken der sie umgiebt, nur voll Sehnsucht nach der Krone die ihr überm Haupt schwebt. Adieu doch Liebe! Weimar, d. 7. Okbr. 76.

Mittwoch, 25. Januar 2017

Die Deutschen sind im Durchschnitt rechtliche, biedere Menschen aber von Originalität, Erfindung, Charakter, Einheit, und Ausführung eines Kunstwerkes haben sie nicht den mindesten Begriff. Das heisst mit Einem Worte sie haben keinen Geschmack. Versteht sich auch im Durchschnitt. Den rohren Teil hat man durch Abwechslung und Uebertreiben, den gebildetern durch eine Art Honettetät zum besten. Ritter, Räuber, Wohltätige, Dankbare, ein redlicher biederer Tiers-Etat, ein infamer Adel pp. und durchaus eine wohlsoutenierte Mittelmässigkeit, aus der man nur allenfalls abwärts ins Platte, aufwärts in den Unsinn einige Schritte wagt, das sind nun schon zehen Jahre die Ingredienzien und der Charakter unserer Romane und Schauspiele. Was ich unter diesen Aspekten von ihrem Theater hoffe, es mag dirigieren wer will, können Sie denken.

Willst du der getreue Eckart sein
Und jedermann vor Schaden warnen,
's ist auch eine Rolle, sie trägt nichts ein:Sie laufen dennoch nach den Garnen.

Was ist der Himmel, was ist die Welt,Als das, wofür eben einer sie hält;
Was hilft uns alle Herrlichkeit
Ohne Seelenbehaglichkeit
Und ohne des Leibes Liebesleben;
Was hilft euch alles Streiten und Streben.
Mich hat der süße kleine Gott in einen bösen Weltwinckel relegirt. Die öffentlichen Mädchen der Lust sind unsicher wie überall. Die Zitellen (unverheurathete Mädchen) sind keuscher als irgendwo, sie lassen sich nicht anrühren und fragen gleich, wenn man artig mit ihnen thut: e che concluderemo? Denn entweder man soll sie heurathen oder sie verheurathen und wenn sie einen Mann haben, dann ist die Messe gesungen. Ja man kann fast sagen, daß alle verheurathete Weiber dem zu Gebote stehn, der die Familie erhalten will. Das sind denn alles böse Bedingungen und zu naschen ist nur bey denen, die so unsicher sind als öffentliche Creaturen. Was das Herz betrifft, so gehört es gar nicht in die Terminologie der hiesigen Liebeskanzley.

Sonntag, 8. Januar 2017

Mir ist der Besitz nötig, um den richtigen Begriff der Objekte zu bekommen. Frei von den Täuschungen, die die Begierde nach einem Gegenstand unterhält, lässt erst der Besitz mich ruhig und unbefangen urteilen. Und so liebe ich den Besitz, nicht der beseßnen Sache, sondem meiner Bildung wegen, und weil er mich ruhiger und dadurch glücklicher macht. Auch die Fehler einer Sache lehrt mich erst der Besitz.