Montag, 26. Dezember 2022

Noch im vorigen Jahrhundert durfte man dem Kaiser von Persien bei Gastmahlen unverschämt widersprechen, zuletzt wurde denn freilich der überkühne Tischgenosse bei den Füßen weg und am Fürsten nah vorbei geschleppt, ob dieser ihn vielleicht begnadige? Geschah es nicht, hinaus mit ihm und zusammengehauen.

Mittwoch, 21. Dezember 2022

Wie grenzenlos hartnäckig und widersetzlich Günstlinge sich gegen den Kaiser betrugen, wird uns von glaubwürdigen Geschichtsschreibern anekdotenweise überliefert. Der Monarch ist wie das Schicksal unerbittlich, aber man trotzt ihm. Heftige Naturen verfallen darüber in eine Art Wahnsinn, wovon die wunderlichsten Beispiele vorgelegt werden könnten.    

Donnerstag, 15. Dezember 2022

Auf alle Fälle sind wir genöthigt unser Jahrhundert zu vergessen wenn wir nach unserer Überzeugung arbeiten wollen.

Sonntag, 11. Dezember 2022

Der Dichter steht viel zu hoch, als dass er Partei machen sollte. Heiterkeit und Bewusstsein sind die schönen Gaben, für die er dem Schöpfer dankt: Bewusstsein, dass er vor dem Furchtbaren nicht erschrecke, Heiterkeit, dass er alles erfreulich darzustellen wisse.

Donnerstag, 8. Dezember 2022

Nicht aber allein vor dem Sultan, sondern auch vor Geliebten erniedrigt man sich ebenso tief und noch häufiger. 

 … hier sehen wir den ersten Diplomaten des Jahrhunderts, in der grössten Ruhe, sitzend und alle Zufälligkeiten des Augenblicks gelassen erwartend. Umgeben von einem höchst anständigen, aber nicht prunkhaften Zimmer finden wir ihn im schicklichen einfachen Hofkleide, den Degen an der Seite, den Federhut nicht weit hinterwärts auf dem Canapé liegend, eben als erwarte der Geschäftsmann die Meldung des Wagens, um zur Conferenz zu fahren; den linken Arm auf die Tischlehne gelehnt, in der Nähe von Papier, Schreibzeug und Feder, die Rechte im Schoos, den rechten Fuss über den linken geschlagen, erscheint er vollkommen impassibel. Wir erwehrten uns nicht des Andenkens an die Epikurischen Gottheiten, welche da wohnen „wo es nicht regnet noch schneiet noch irgend ein Sturm weht“; so ruhig sitzt hier der Mann, unangefochten von allen Stürmen, die um ihn her sausen. Begreifen lässt sich, dass er so aussieht, aber nicht wie er es aushält. Sein Blick ist das Unerforschlichste; er sieht vor sich hin, ob er aber den Beschauer ansieht, ist zweifelhaft ….  Genug, wir mögen hier physiognomisieren und deuten wie wir wollen, so finden wir unsere Einsicht zu kurz, unsre Erfahrung zu arm, unsre Vorstellung zu beschränkt, als dass wir uns von einem solchen Wesen einen hinlänglichen Begriff machen könnten.   

Samstag, 26. November 2022

Wie erschrak Wilhelm, wie betäubt fuhr er aus einem glücklichen Traume auf, als die Gräfin sich auf einmal mit einem Schrei von ihm losriß und mit der Hand nach ihrem Herzen fuhr.

Er stand betäubt vor ihr da; sie hielt die andere Hand vor die Augen und rief nach einer Pause: »Entfernen Sie sich, eilen Sie!«

Er stand noch immer.


Samstag, 19. November 2022

Sooft er die Gräfin anblickte, schien es ihm, als wenn ein elektrischer Funke sich vor seinen Augen zeigte; er wußte zuletzt nicht mehr, wo er Atem zu seiner Rezitation hernehmen solle. Die schöne Dame hatte ihm immer gefallen; aber jetzt schien es ihm, als ob er nie etwas Vollkommneres gesehen hätte, und von den tausenderlei Gedanken, die sich in seiner Seele kreuzten, mochte ungefähr folgendes der Inhalt sein:

Wie töricht lehnen sich doch so viele Dichter und sogenannte gefühlvolle Menschen gegen Putz und Pracht auf und verlangen nur in einfachen, der Natur angemessenen Kleidern die Frauen alles Standes zu sehen. Sie schelten den Putz, ohne zu bedenken, daß es der arme Putz nicht ist, der uns mißfällt, wenn wir eine häßliche oder minder schöne Person reich und sonderbar gekleidet erblicken; aber ich wollte alle Kenner der Welt hier versammeln und sie fragen, ob sie wünschten, etwas von diesen Falten, von diesen Bändern und Spitzen, von diesen Puffen, Locken und leuchtenden Steinen wegzunehmen. Würden sie nicht fürchten, den angenehmen Eindruck zu stören, der ihnen hier so willig und natürlich entgegenkommt? Ja, »natürlich« darf ich wohl sagen! Wenn Minerva ganz gerüstet aus dem Haupte des Jupiter entsprang, so scheinet diese Göttin in ihrem vollen Putze aus irgendeiner Blume mit leichtem Fuße hervorgetreten zu sein.

Donnerstag, 10. November 2022

So sehr ich, wie billig, von der Partei der Christen war, stand ich doch der heidnischen Heldin mit ganzem Herzen bei, als sie unternahm, den großen Turm der Belagerer anzuzünden. Und wie nun Tankred dem vermeinten Krieger in der Nacht begegnet, unter der düstern Hülle der Streit beginnt und sie gewaltig kämpfen. – Ich konnte nie die Worte aussprechen:

‚Allein das Lebensmaß Chlorindens ist nun voll,
Und ihre Stunde kommt, in der sie sterben soll!’

dass mir nicht die Tränen in die Augen kamen, die reichlich flossen, wie der unglückliche Liebhaber ihr das Schwert in die Brust stößt, der Sinkenden den Helm löst, sie erkennt und zur Taufe bebend das Wasser holt.

Aber wie ging mir das Herz über, wenn in dem bezauberten Walde Tankredens Schwert den Baum trifft, Blut nach dem Hiebe fließt und eine Stimme ihm in die Ohren tönt, dass er auch hier Chlorinden verwunde, dass er vom Schicksal bestimmt sei, das, was er liebt, überall unwissend zu verletzen!

Es bemächtigte sich die Geschichte meiner Einbildungskraft so, dass sich mir, was ich von dem Gedichte gelesen hatte, dunkel zu einem Ganzen in der Seele bildete, von dem ich dergestalt eingenommen war, dass ich es auf irgendeine Weise vorzustellen gedachte. Ich wollte Tankreden und Reinalden spielen und fand dazu zwei Rüstungen ganz bereit, die ich schon gefertigt hatte. Die eine, von dunkelgrauem Papier mit Schuppen, sollte den ernsten Tankred, die andere aus Silber- und Goldpapier, den glänzenden Reinald zieren. In der Lebhaftigkeit meiner Vorstellung erzählte ich alles meinen Gespannen, die davon ganz entzückt wurden und nur nicht wohl begreifen konnten, dass das alles aufgeführt, und zwar von ihnen aufgeführt werden sollte.   

Samstag, 29. Oktober 2022

Montan geleitete seinen Freund nunmehr in dem Bergrevier methodisch umher, überall begrüßt von einem derben »Glück auf!«, welches sie heiter zurückgaben. »Ich möchte wohl«, sagte Montan, »ihnen manchmal zurufen: ›Sinn auf!‹, denn Sinn ist mehr als Glück; doch die Menge hat immer Sinn genug, wenn die Obern damit begabt sind. Weil ich nun hier, wo nicht zu befehlen, doch zu raten habe, bemüht' ich mich, die Eigenschaft des Gebirgs kennen zu lernen. Man strebt leidenschaftlich nach den Metallen, die es enthält. Nun habe ich mir auch das Vorkommen derselben aufzuklären gesucht, und es ist mir gelungen. Das Glück tut's nicht allein, sondern der Sinn, der das Glück herbeiruft, um es zu regeln. Wie diese Gebirge hier entstanden sind, weiß ich nicht, will's auch nicht wissen; aber ich trachte täglich, ihnen ihre Eigentümlichkeit abzugewinnen. Auf Blei und Silber ist man erpicht, das sie in ihrem Busen tragen; ich weiß es zu entdecken: das Wie? behalt' ich für mich und gebe Veranlassung, das Gewünschte zu finden. Auf mein Wort unternimmt man's versuchsweise, es gelingt, und man sagt, ich habe Glück. Was ich verstehe, versteh' ich mir, was mir gelingt, gelingt mir für andere, und niemand denkt, daß es ihm auf diesem Wege gleichfalls gelingen könne. Sie haben mich in Verdacht, daß ich eine Wünschelrute besitze, sie merken aber nicht, daß sie mir widersprechen, wenn ich etwas Vernünftiges vorbringe, und daß sie dadurch sich den Weg abschneiden zu dem Baum des Erkenntnisses, wo diese prophetischen Reiser zu brechen sind.«

Ermutigt an diesen Gesprächen, überzeugt, daß auch ihm durch sein bisheriges Tun und Denken geglückt, in einem weit entlegenen Fache, dem Hauptsinne nach, seines Freundes Forderungen sich gleichzustellen, gab er nunmehr Rechenschaft von der Anwendung seiner Zeit, seitdem er die Vergünstigung erlangt, die auferlegte Wanderschaft nicht nach Tagen und Stunden, sondern dem wahren Zweck einer vollständigen Ausbildung gemäß einzuteilen und zu benutzen.

Hier nun war zufälligerweise vieles Redens keine Not, denn ein bedeutendes Ereignis gab unserm Freunde Gelegenheit, sein erworbenes Talent geschickt und glücklich anzuwenden und sich der menschlichen Gesellschaft als wahrhaft nützlich zu erweisen.

Welcher Art aber dies gewesen, dürfen wir im Augenblicke noch nicht offenbaren, obgleich der Leser bald, noch ehe er diesen Band aus den Händen legt, davon genugsam unterrichtet sein wird.  

Sonntag, 23. Oktober 2022

Ich habe öfters bemerkt, dass der Mensch das, was an ihm das Grösste und Trefflichste ist, selten kennt, noch auch diesen Vorzügen einen Wert beilegt. Was er hat, sieht er an wie ein reichgeborner seinen Reichtum, als etwas, das zu ihm gehört, als etwas, das sich von selbst versteht, als eine Sache, von der er ausgeht. Aber das, wohin seine Wünsche sich sehnen, was ihm abgeht, was er, sein Dasein zu erweitern und zu ergänzen, nötig glaubt, das ist es, was ihn aufs stärkste interessiert, worüber er alles andere vergisst, worum er alles andere hingäbe; eine Empfindung, die der dritte Zuschauer nicht begreifen kann. Wenn diese Empfindung hoch- und viel begabte Seelen ergreift, dann verlassen sie den innern weiten Kreis ihres Daseyns und schwärmen an denen Gränzen herum, die ihnen so gut wie andern gesezt sind. Sprechen sie alsdann davon, schreiben sie davon, so giebt es meistentheils etwas Albernes, etwas, das uns über die engen Gränzen der Menschheit nachdenken und trauren lässt, eben in dem Augenblike, da sie glauben, das Innigste, Höchste, Treflichste, Lezte ihres ganzen Daseyns für sich gefühlet und andern oftenbart zu haben.

Mir ist Pilatus wieder die wichtigste Beylage zu dieser Erfahrung. Alle Kräfte Fähigkeiten, Empfindung, Abstraktion, alle Wissenschaft, Scharfsinn, alles Anschauen, alles tiefe Gefühl der Menschheit und ihrer Verhältnisse und mehr Vorzüge, die Lavater in einem so hohen Grade besizt, lässt er zurük, wirft er weg, um dem Unerreichbaren athemlos nachzuhezen. Ich mögte ihn einem Manne vergleichen, der Güter, Geld, Besizthümer, Weib, Kinder, Freunde, alles nicht achtete und vernachlässigte um einen unwiderstehlichen Trieb nach mechanischen Künsten zu befriedigen und eine Maschine zum fliegen zu erfinden.

Samstag, 22. Oktober 2022

Indessen schwärmt eine Masse von Engländern um unsre jungen Damen, und um hiezu bessere Gelegenheit zu finden veranstalten sie zunächst einen großen Ball auf dem Stadthause. Dabey aber ist das Wunderlichste, daß unsre junge schöne Welt sich vereinigt hat wöchentlich ein Druckblatt herauszugeben, wovon die Redaction unter meinem Dache geschieht. Es sind schon drey Blätter herausgegeben; der Titel ist: Chaos, es darf nur noch die Nacht hinzutreten so ist auch der Eros schon geboren. Ich behauptete, sie sollten diesem gemäß den Titel von Zeit zu Zeit verändern. 

Donnerstag, 20. Oktober 2022

Tags umsonst die Knechte lärmten,
Hack’ und Schaufel, Schlag um Schlag,
Wo die Flämmchen nächtig schwärmten
Stand ein Damm den andern Tag.
Menschenopfer mußten bluten,
Nachts erscholl des Jammers Qual,
Meerab flossen Feuergluthen,
Morgens war es ein Canal.
Gottlos ist er, ihn gelüstet
Unsre Hütte, unser Hain;
Wie er sich als Nachbar brüstet
Soll man unterthänig seyn.

Dienstag, 11. Oktober 2022

Der Dichter steht viel zu hoch, als daß er Partei machen sollte. Heiterkeit und Bewußtsein sind die schönen Gaben, für die er dem Schöpfer dankt: Bewußtsein, daß er vor dem Furchtbaren nicht erschrecke, Heiterkeit, daß er alles erfreulich darzustellen wisse.  

Montag, 26. September 2022

Denn das bloße Anblicken einer Sache kann uns nicht fördern. Jedes Ansehen geht über in ein Betrachten, jedes Betrachten in ein Sinnen, jedes Sinnen in ein Verknüpfen, und so kann man sagen, daß wir schon bei jedem aufmerksamen Blick in die Welt theoretisieren. Dieses aber mit Bewußtsein, mit Selbstkenntnis, mit Freiheit, und um uns eines gewagten Wortes zu bedienen, mit Ironie zu tun und vorzunehmen, eine solche Gewandtheit ist nötig, wenn die Abstraktion, vor der wir uns fürchten, unschädlich und das Erfahrungsresultat, das wir hoffen, recht lebendig und nützlich werden soll.
Weiß Gott! Ich lege mich so oft zu Bette mit dem Wunsche, ja manchmal mit der Hoffnung, nicht wieder zu erwachen: und morgens schlage ich die Augen auf, sehe die Sonne wieder, und bin elend. 

Dienstag, 20. September 2022

Alles in dieser Welt läuft auf eine Lumperei hinaus, und ein Mensch, der um anderer Willen, ohne daß es seine eigene Leidenschaft, sein eigenes Bedürfnis ist, sich um Geld oder Ehre, oder sonst was abarbeitet, ist immer ein Tor.

Gefährlich sind solche Bestien wie Ihr seid, die alles ringsum mit Fäulnis anstecken, die alles Schöne und Gute begeifern und bescheißen und dann der Welt glauben machen, es sei alles nicht besser als ihr eigener Kot.  

Samstag, 17. September 2022

«Die Beschäftigung mit Unsterblichkeitsideen», fuhr Goethe fort, «ist für vornehme Stände und besonders für Frauenzimmer, die nichts zu tun haben. Ein tüchtiger Mensch aber, der schon hier etwas Ordentliches zu sein gedenkt und der daher täglich zu streben, zu kämpfen und zu wirken hat, läßt die künftige Welt auf sich beruhen und ist tätig und nützlich in dieser. Ferner sind Unsterblichkeitsgedanken für solche, die in Hinsicht auf Glück hier nicht zum besten weggekommen sind, und ich wollte wetten, wenn der gute Tiedge ein besseres Geschick hätte, so hätte er auch bessere Gedanken.»

Mittwoch, 14. September 2022

»Ich habe den großen Vorteil,« fuhr er fort, »daß ich zu einer Zeit geboren wurde, wo die größten Weltbegebenheiten an die Tagesordnung kamen und sich durch mein langes Leben fortsetzten, so daß ich vom Siebenjährigen Krieg, sodann von der Trennung Amerikas von England, ferner von der Französischen Revolution, und endlich von der ganzen Napoleonischen Zeit bis zum Untergange des Helden und den folgenden Ereignissen lebendiger Zeuge war. Hiedurch bin ich zu ganz anderen Resultaten und Einsichten gekommen, als allen denen möglich sein wird, die jetzt geboren werden und die sich jene großen Begebenheiten durch Bücher aneignen müssen, die sie nicht verstehen.«


Was uns die nächsten Jahre bringen werden, ist durchaus nicht vorherzusagen; doch ich fürchte, wir kommen so bald nicht zur Ruhe. Es ist der Welt nicht gegeben, sich zu bescheiden; den Grossen nicht, dass kein Missbrauch der Gewalt stattfinde, und der Masse nicht, dass sie in Erwartung allmählicher Verbesserungen mit einem mässigen Zustande sich begnüge. Könnte man die Menschheit vollkommen machen, so wäre auch ein vollkommener Zustand denkbar; so aber wird es ewig herüber und hinüber schwanken, der eine Teil wird leiden, während der andere sich wohl befindet, Egoismus und Neid werden als böse Dämonen immer ihr Spiel treiben, und der Kampf der Parteien wird kein Ende haben.
Das Vernünftigste ist immer, dass jeder sein Metier treibe, wozu er geboren ist und was er gelernt hat, und dass er den andern nicht hindere, das seinige zu tun. Der Schuster bleibe bei seinem Leisten, der Bauer hinter dem Pflug, und der Fürst wisse zu regieren. Denn dies ist auch ein Metier, das gelernt sein will, und das sich niemand anmassen soll, der es nicht versteht.

Montag, 12. September 2022

"Könnten Geist und höhere Bildung", sagte er, "ein Gemeingut werden, so hätte der Dichter ein gutes Spiel; er könnte immer durchaus wahr sein und brauchte sich nicht zu scheuen, das Beste zu sagen. So aber muss er sich immer in einem gewissen Niveau halten; er hat zu bedenken, dass seine Werke in die Hände einer gemischten Welt kommen, und er hat daher Ursache, sich in acht zu nehmen, dass er der Mehrzahl guter Menschen durch eine zu grosse Offenheit kein Ärgernis gebe."

"Und dann ist die Zeit ein wunderlich Ding. Sie ist ein Tyrann, der seine Launen hat und der zu dem, was einer sagt und tut, in jedem Jahrhundert ein ander Gesicht macht. Was den alten Griechen zu sagen erlaubt war, will uns zu sagen nicht mehr anstehen, und was Shakespeares kräftigen Mitmenschen durchaus anmutete, kann der Engländer von 1820 nicht mehr ertragen, so daß in der neuesten Zeit ein Family-Shakespeare ein gefühltes Bedürfnis wird."

Sonntag, 4. September 2022

Goethe zeigte mir heute zwei höchst merkwürdige Gedichte, beide in hohem Grade sittlich in ihrer Tendenz, in einzelnen Motiven jedoch so ohne allen Rückhalt natürlich und wahr, dass die Welt dergleichen unsittlich zu nennen pflegt, weshalb er sie denn auch geheim hielt und an eine öffentliche Mitteilung nicht dachte.

Samstag, 3. September 2022

Ein Leben ohne Liebe, ohne die Nähe des Geliebten ist nur eine Comédie à tiroir, ein schlechtes Schubladenstück. Man schiebt eine nach der andern heraus und wieder hinein und eilt zur folgenden. Alles, was auch Gutes und Bedeutendes vorkommt, hängt nur kümmerlich zusammen. Man muss überall von vorn anfangen und möchte überall enden.

Freitag, 2. September 2022

Einen guten Gedanken, den wir gelesen, etwas Auffallendes, das wir gehört, tragen wir wohl in unser Tagebuch. Nähmen wir uns aber zugleich die Mühe, aus den Briefen unserer Freunde eigentümliche Bemerkungen, originelle Ansichten, flüchtige geistreiche Worte auszuzeichnen, so würden wir sehr reich werden. Briefe hebt man auf, um sie nie wieder zu lesen; man zerstört sie zuletzt einmal aus Diskretion, und so verschwindet der schönste, unmittelbarste Lebenshauch unwiederbringlich für uns und andre. Ich nehme mir vor, dieses Versäumnis wieder gut zu machen.

Dienstag, 30. August 2022

Die Wahrheit ist einem immer neu, und wenn man wieder einmal so einen ganz wahren Menschen sieht, meint man, man käme erst auf die Welt.

Donnerstag, 25. August 2022

Bertuch war, als die Genieperiode grassirte, immer das Stichblatt des Spottes bey den Genies und dem Herzog, u. hieß (...) der Spießbürger. An eben dem Abend, wo er seine Frau zuerst nach Weimar in sein Logis gebracht hatte, erhielt er noch vom Herzog u. Göthe einen Besuch. Der Herzog debütirte damit, daß er gehört habe, er habe sich verteufelt spießbürgerisch eingerichtet, einen prächtigen Nachtstuhl machen lassen, und triebe großen Luxus. Er müsse doch also sehen, was daran sey. Sogleich fielen ihm ein paar neue schöne Spiegel ins Auge, die er mit seinem Hieber zertrümmern wollte, sich aber doch, als Bertuch vorstellte, daß er sie auf des Herzogs Unkosten noch einmal so kostbar anschaffen würde, zureden ließ, u. mit der Aeuserung abstand, daß man die Spiegel um der Frau willen lassen müsse, damit sich diese bespiegeln könne. Darauf hielt der Herzog Revision auf Bertuchs Schreibepult, fand einen Roman von Göchhausen, mit dem er so gleich eine Exekution vornahm, Blätter herausriß, u. herausbrannte, Taback hineinstreute, u. so die Bescheerung der Fräulein v. Göchhausen versiegelt unter Bertuchs Namen zuschickte. Endlich hieb u. stach er in die neuen Tapeten, weil dieß verflucht spießbürgerisch sei, daß man die nackten Wände überkleistern wollte. Die junge Ehefrau schlich sich, wie vom Donner gerührt, über diese Behandlung davon. Bertuch verbiß seinen Aerger, ward aber einige Tage darauf sterbenskrank. Als der Arzt von Todesgefahr sprach, kam der Herzog noch um Mitternacht um gleichsam Abbitte zu thun, u. Göthe ging mit Thränen aus der Kammer, u. drückte der tiefgekränkten Frau die hand mit den Worten: sie habe einen harten Anfang.

Samstag, 20. August 2022

 

Aber dann, o Genius! dass offenbar werde, nicht Fläche, Weichheit des Herzens sei an seiner Unbestimmtheit schuld; lass ihn ein Mädchen finden, seiner wert!

Lass die beiden sich finden, beim ersten Nahen werden sie dunkel und mächtig ahnen, was jedes für einen Inbegriff von Glückseligkeit in dem andern ergreift, werden nimmer voneinander lassen. Und dann lall er ahnend und hoffend und genießend: 
»Was doch keiner mit Worten ausspricht, keiner mit Tränen, und keiner mit dem verweilenden vollen Blick, und der Seele drin.«


Mittwoch, 17. August 2022

Abends sitzt er in einer wohlgeheizten Stube, eine weisse Fuhrmannsmütze auf dem Kopf, ein Moltumjäckchen und lange Flauschpantalons an, in nieder getretenen Pantoffeln und herabhängenden Strümpfen im Lehnstuhl, während sein kleiner Junge auf seinen Knieen schaukelt. In einem Winkel sitzt stillschweigend und meditierend der Maler Meyer, auf der anderen Seite die Donna Vulpia mit dem Strickstrumpf. Dies ist die Familiengruppe.

Merck war mit Goethen schon früh Kumpan und Lebebruder gewesen, ohngeachtet er etwa 6 Jahre älter war. Er hatte einst seine Frau in flagranti mit einem Liebhaber ergriffen, und zweifelte daher an der Echtheit seiner Kinder. Weil er sich nun selbst aktäonisiert wußte, bezweifelte er auch die Treue der übrigen Weiber, und streuete überall, wo er Eheglück fand, Samen der Zwietracht aus. Überhaupt fand er eine teuflische Lust darinnen, Leute, die sich glücklich fühlten, auf die linke Seite aufmerksam zu machen, und ihr Glück zu stören. Ihn hat daher auch Goethe zum Original des Mephistopheles in seinem Faust (dies ist Goethe selbst) genommen, und mehrere Szenen sind Anspielungen auf wirkliche Begebenheiten, die er mit Merck erlebt hatte, z.B. die Szene in Auerbachs Hof und das Liedchen vom Stroh. Schade nur, dass dieser Faust, so wie wir ihn jetzt in seinen Werken haben, ein aus frühern und spätern Arbeiten zusammengeflicktes Lappenwerk ist (so wie auch der Wilhelm Meister), und dass die interessantesten Wollustszenen (z.B. im Gefängnisse, wo Faust so wütend wird, dass er selbst den Mephistopheles erschreckt) unterdrückt worden sind.

Mittwoch, 10. August 2022

Bonstetten ist ein Mann, der von Voltaire und Rousseau herauf bis zu der Frau v. Staël und Lord Byron mit aller Literatur des Jahrhunderts gelebt hat. Er besitzt eine grenzenlose Erfahrung und eine besondere Gabe, die Eigenheiten verschiedener Personen durch die feinsten und schärfsten Andeutungen einem anderen zu überliefern und anschaulich zu machen.   

Dienstag, 9. August 2022

„Allmächtiger Gott, was muss ich ausstehen, wie krank bin ich, kränker als in vielen Jahren“, rief er einmal über das andere aus. Sodann: „Die Götter halten uns hart in solchen kranken Tagen, und doch auch nicht gar sonderlich in den gesunden.“

Montag, 8. August 2022

 

Es ist besser, dass Ungerechtigkeiten geschehen, als dass sie auf ungerechte Weise behoben werden.

Sonntag, 31. Juli 2022

Kleine Polin, mit der Goethe viel sprach. Ein stilles, liebes Wesen. Goethe liebt die Leidenden und gesellt sich sanft und teilend zu ihnen.

Freitag, 29. Juli 2022

Er las nach dem Befehle der Damen, allein so zerstreut und schlecht, daß, wenn die Zuhörerinnen nicht so nachsichtig gewesen wären, sie ihn gar bald würden entlassen haben.

 


Er trat ins Zimmer, und seine Augen begegneten sogleich den Augen der Gräfin, die auf ihn gerichtet waren. Philine zog ihn zu der Dame, indes der Graf sich mit den übrigen beschäftigte. Wilhelm neigte sich und gab auf verschiedene Fragen, welche die reizende Dame an ihn tat, nicht ohne Verwirrung Antwort. Ihre Schönheit, Jugend, Anmut, Zierlichkeit und feines Betragen machten den angenehmsten Eindruck auf ihn, um so mehr, da ihre Reden und Gebärden mit einer gewissen Schamhaftigkeit, ja man dürfte sagen Verlegenheit begleitet waren.

Freitag, 22. Juli 2022

Die Zerstreuungen der Jugend, da meine Gespannschaft sich zu vermehren anfing, taten dem einsamen, stillen Vergnügen Eintrag. Ich war wechselsweise bald Jäger, bald Soldat, bald Reiter, wie es unsre Spiele mit sich brachten; doch hatte ich immer darin einen kleinen Vorzug vor den andern, dass ich imstande war, ihnen die nötigen Gerätschaften schicklich auszubilden. So waren die Schwerter meistens aus meiner Fabrik; ich verzierte und vergoldete die Schlitten, und ein geheimer Instinkt ließ mich nicht ruhen, bis ich unsre Miliz ins Antike umgeschaffen hatte. Helme wurden verfertiget, mit papiernen Büschen geschmückt, Schilde, sogar Harnische wurden gemacht, Arbeiten, bei denen die Bedienten im Hause, die etwa Schneider waren, und die Nähterinnen manche Nadel zerbrachen.


Samstag, 16. Juli 2022

Einen Teil meiner jungen Gesellen sah ich nun wohl gerüstet; die übrigen wurden auch nach und nach, doch geringer, ausstaffiert, und es kam ein stattliches Korps zusammen. Wir marschierten in Höfen und Gärten, schlugen uns brav auf die Schilde und auf die Köpfe; es gab manche Misshelligkeit, die aber bald beigelegt war.


Dieses Spiel, das die andern sehr unterhielt, war kaum etliche Mal getrieben worden, als es mich schon nicht mehr befriedigte. Der Anblick so vieler gerüsteten Gestalten musste in mir notwendig die Ritterideen aufreizen, die seit einiger Zeit, da ich in das Lesen alter Romane gefallen war, meinen Kopf anfüllten.


Samstag, 2. Juli 2022

Das befreite Jerusalem, davon mir Koppens Übersetzung in die Hände fiel, gab meinen herumschweifenden Gedanken endlich eine bestimmte Richtung. Ganz konnte ich zwar das Gedicht nicht lesen; es waren aber Stellen, die ich auswendig wusste, deren Bilder mich umschwebten. Besonders fesselte mich Chlorinde mit ihrem ganzen Tun und Lassen. Die Mannweiblichkeit, die ruhige Fülle ihres Daseins taten mehr Wirkung auf den Geist, der sich zu entwickeln anfing, als die gemachten Reize Armidens, ob ich gleich ihren Garten nicht verachtete.

Aber hundert und hundert Mal, wenn ich abends auf dem Altan, der zwischen den Giebeln des Hauses angebracht ist, spazierte, über die Gegend hinsah und von der hinab gewichenen Sonne ein zitternder Schein am Horizont heraufdämmerte, die Sterne hervortraten, aus allen Winkeln und Tiefen die Nacht hervordrang und der klingende Ton der Grillen durch die feierliche Stille schrillte, sagte ich mir die Geschichte des traurigen Zweikampfs zwischen Tankred und Chlorinden vor.

Dienstag, 21. Juni 2022

 

So wie nicht leicht etwas Vernünftiges gedacht oder gesagt werden kann, was nicht irgendwo schon einmal gedacht oder gesagt wäre, so finden wir auch wohl die Absurditäten unserer Mitlebenden in verjährten Schriften aufgezeichnet und zu jedem neuen Irrtume sind alte Parallel-Stellen zu finden.

 

Freitag, 10. Juni 2022

An meinen Bildern müßt ihr nicht schnuffeln, die Farben sind ungesund.

Mittwoch, 8. Juni 2022

Die große Schwierigkeit bei psychologischen Reflexionen ist, daß man immer das Innere und Äußere parallel oder vielmehr verflochten betrachten muß. 

Dienstag, 31. Mai 2022

Sehr merkwürdig ist mir aufgefallen wie es eigentlich mit dem Publico einer großen Stadt beschaffen ist. Es lebt in einem beständigen Taumel von Erwerben und Verzehren, und das was wir Stimmung nennen, läßt sich weder hervorbringen noch mittheilen. Alle Vergnügungen , selbst das Theater, sollen nur zerstreuen und die große Neigung des lesenden Publicums zu Journalen und Romanen entsteht eben daher, weil jene immer und diese meist Zerstreuung in die Zerstreuung bringen.

Ich glaube sogar eine Art von Scheu gegen poetische Productionen, oder wenigstens in so fern sie poetisch sind, bemerkt zu haben, die mir aus eben diesen Ursachen ganz natürlich vorkommt. Die Poesie verlangt, ja sie gebietet Sammlung, sie isolirt den Menschen wider seinen Willen, sie drängt sich wiederholt auf und ist in der breiten Welt (um nicht zu sagen in der großen) so unbequem wie eine treue Liebhaberin.

Montag, 30. Mai 2022

Ich gewöhne mich nun alles wie mir die Gegenstände vorkommen und was ich über sie denke aufzuschreiben, ohne die genauste Beobachtung und das reifste Urtheil von mir zu fordern, oder auch an einen künftigen Gebrauch zu denken. Wenn man den Weg einmal ganz zurückgelegt hat, so kann man mit besserer Uebersicht das vorräthige immer wieder als Stoff gebrauchen.

Samstag, 28. Mai 2022

Schmidt von Friedberg ist bei mir gewesen; es war keine unangenehme aber auch keine wohlthätige Erscheinung, Im ganzen ein hübscher junger Mensch, ein kleiner Kopf auf mäßigen Schultern, treffliche Schenkel und Füße, knapp, reinlich, anständig nach hiesiger Art gekleidet. Die Gesichtszüge klein und eng beisammen, kleine, schwarze Augen, schwarze Haare nahe am Kopf sanscülottisch abgeschnitten. Aber um die Stirne schmiedete ihm ein ehernes Band der Vater der Götter. Mit dem Munde machte er wunderliche Verzerrungen als wenn er dem, was er sagte noch einen gewissen eigenthümlichen Ausdruck geben wollte. Er ist der Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns, der ihn zum Prediger bestimmte, dadurch ist der Mensch ganz aus seinem Wege gerückt worden. Ich glaube daß er, zu einem beschränkten Handel und Lebenswandel angeführt, recht gut gewesen wäre, da er Energie und eine gewisse Innigkeit zu haben scheint; unter einer Nationalgarde sähe ich ihn am allerliebsten. Die Folge mag es zeigen, aber ich fürchte es ist nicht viel Freude an ihm zu erleben. Voraus also gesetzt daß es kein gedrückter Mensch ist, sondern einer der, nach seiner Aussage, seiner Gestalt, seiner Kleidung in mäßigem Wohlbehagen lebt, so ist es ein böses Zeichen daß sich keine Spur von Streben, Liberalität, Liebe, Zutrauen an ihm offenbart. Er stellte sich mir in dem philisterhaften Egoismus eines Exstudenten dar. Dabei aber auch keine Spur von Rohheit, nichts schiefes in seinem Betragen außer der Mundverzerrung.

 

Ich nahm zur Base meiner Behandlung daß Sie ihn an mich schicken, und setzte also in diesem Sinne vieles voraus, aber es hat doch auch gar nichts allgemeines noch besonderes angeklungen, auch nichts über Reinhold und Fichte, die er doch beide gehört hat. Ueberhaupt konnte ich nichts bedeutendes von ihm herauslocken als daß er, seit einem Jahre, gewisse besondere Ansichten der Welt gewonnen habe, wodurch er sich zur Poesie geneigt fühle (das denn ganz gut sein möchte), daß er aber auch überzeugt sei, nur in einer gewissen Verbindung der Philosophie und Poesie bestehe die wahre Bildung. Wogegen ich nichts zu sagen habe, wenn ich es nur nicht von einem jungen Menschen hören müßte. Uebrigens ging er weg wie er gekommen war, ehe doch auch nur irgend ein Gespräch sich eingeleitet hatte, und war mir für diesen kurzen Moment bedeutend genug. Der zurückgezognen Art nach erinnerte er mich an Hölderlin, ob er gleich größer und besser gebildet ist; sobald ich diesen gesehen habe, werde ich mit einer nähern Parallele aufwarten. Da auf meinem Lebensgange besonders in früheren Zeiten mir mehrere Naturen dieser Art begegnet sind und ich erfahren habe wo es eigentlich mit ihnen hinausgeht, so will ich noch ein allgemeines Wort hinzufügen: Menschen, die aus dem Kaufmannsstamm zur Literatur und besonders zur Poesie übergehen, haben und behalten eine eigne Tournüre. Es läßt sich an einigen ein gewisser Ernst und Innigkeit bemerken, ein gewisses Haften und Festhalten, bei andern ein lebhaftes thätiges Bemühen; allein sie scheinen mir keiner Erhebung fähig, so wenig als des Begriffs, worauf es eigentlich ankommt. Vielleicht thue ich dieser Kaste unrecht und es sind viele aus andern Stämmen, denen es nicht besser geht. Denken Sie einmal Ihre Erfahrung durch, es finden sich wahrscheinlich auch Ausnahmen.

Leben Sie recht wohl und halten Sie sich ja gesund und vergnügt in Ihrem Gartenhause. Grüßen Sie mir Ihre liebe Frau. Wenn ich nur einmal wieder ins Jenaische Schloß gelangen kann, soll mich sobald niemand heraustreiben.

 

Mittwoch, 25. Mai 2022

Aber gerade, daß er so lange in diesen höhern Regionen zu verweilen das Glück hatte, daß er alles, was er dachte, fühlte, in sich bildete, träumte, wähnte, lange Zeit für die vollkommenste Wirklichkeit halten durfte, eben dieses verbitterte ihm die Frucht, die er von dem Baum des Erkenntnisses zu pflücken endlich genötigt ward.  

Wer kann dem Konflikt mit der Außenwelt entgehen: Auch unser Freund wird in diesen Streit hineingezogen; ungern läßt er sich durch Erfahrung und Leben widersprechen, und da ihm nach langem Sträuben nicht gelingen will, jene herrlichen Gestalten mit denen der gemeinen Welt, jenes hohe Wollen mit den Bedürfnissen des Tags zu vereinigen, entschließt er sich, das Wirkliche für das Notwendige gelten zu lassen, und erklärt das ihm bisher Wahrgeschienene für Phantasterei.

Aber sogleich überfällt ihn die Sorge, er möge zu weit gehen, er möge selbst phantastisch handeln; und nun beginnt er zugleich einen Kampf gegen die gemeine Wirklichkeit. Er lehnt sich auf gegen alles, was wir unter dem Wort Philisterei zu begreifen gewohnt sind, gegen stockende Pedanterei, kleinstädtisches Wesen, kümmerliche äußere Sitte, beschränkte Kritik, falsche Sprödigkeit, platte Behaglichkeit, anmaßliche Würde, und wie diese Ungeister, deren Name Legion ist, nur alle zu bezeichnen sein mögen.    

Donnerstag, 12. Mai 2022

Goethe kam mit seiner Kammerjungfer an seiner Seite an uns vorbeigegangen. Ich schämte mich in seiner Seele und hielt mein Sonnenschirmchen vor, als hätte ich ihn nicht bemerkt.

Dienstag, 10. Mai 2022

 Schon früher hatte unser Freund wegen größerer und kleinerer Schriften gar manche Anfechtung leiden müssen; um so weniger konnte es ihm, als Herausgeber einer Zeitschrift, an literarischen Fehden ermangeln. Aber auch hier beweist er sich als immer derselbe. Ein solcher Federkrieg darf ihm niemals lange dauern, und wie sichs einigermaßen in die Länge ziehen will, so läßt er dem Gegner das letzte Wort und geht seines gewohnten Pfades.      

 Wird es unsern verehrten Meistern gefallen, mit diesem Aufsatz in ihre Lade alles dasjenige niederzulegen, was öffentlich über unsern Freund erscheinen wird, noch mehr aber dasjenige, was unsere Brüder, auf die er am meisten und am eigensten gewirkt, welche eines ununterbrochenen nähern Umgangs mit ihm genossen, vertraulich äußern und mitteilen möchten, so würde hiedurch ein Schatz von Tatsachen, Nachrichten und Urteilen gesammelt, welcher wohl einzig in seiner Art sein dürfte und woraus denn unsere Nachkommen schöpfen könnten, um mit standhafter Neigung ein so würdiges Andenken immerfort zu beschützen, zu erhalten und zu verklären.  

 Leuchsenrings Schatullen enthielten in diesem Sinn manche Schätze. Die Briefe einer Julie Bondeli wurden sehr hoch geachtet; sie war als Frauenzimmer von Sinn und Verdienst und als Rousseaus Freundin, berühmt. Wer mit diesem außerordentlichen Mann nur irgend in Verhältnis gestanden hatte, genoss teil an der Glorie, die von ihm ausging, und in seinem Namen war eine stille Gemeinde weit und breit ausgesät.    

Samstag, 30. April 2022

 

Heute mit Goethe zu Tisch erzählte er mir zunächst, daß er den ›Ivanhoe‹ lese. »Walter Scott ist ein großes Talent,« sagte er, »das nicht seinesgleichen hat, und man darf sich billig nicht verwundern, daß er auf die ganze Lesewelt so außerordentliche Wirkungen hervorbringt. Er gibt mir viel zu denken, und ich entdecke in ihm eine ganze neue Kunst, die ihre eigenen Gesetze hat.«

Mittwoch, 20. April 2022

Ihro Majestät der König von Württemberg beehren mich in Begleitung unserer jungen Herrschaften mit Ihro Gegenwart.

Sonntag, 10. April 2022

 In Deutschland versank die Sache immer mehr ins Jammervolle. Die Physiko-Mathematiker hatten unter sich ausgemacht, dass meine Farbenlehre ein grosser Irrtum sei, und es waren wirklich deshalb ganz präsentable Phrasen kurrent geworden. Bedeutende Personen, welche sich bei Männern von Fach danach erkundigten, ward mit Zuversicht ausdrücklich erwidert: es sei nicht das erste Mal, dass jemand, bei sonst guten Einsichten und vorzüglichen Eigenschaften, durch eine fixe Idee zum partiellen Wahnsinn könne verführt werden. 

Donnerstag, 24. März 2022

 

Die größten Qualen, so wie die meisten, welchen der Mensch ausgesetzt sein kann, entspringen aus den einem Jeden inwohnenden Mißverhältnissen zwischen Sollen und Wollen, sodann aber zwischen Sollen und Vollbringen, Wollen und Vollbringen, und diese sind es, die ihn auf seinem Lebensgange so oft in Verlegenheit setzen. Die geringste Verlegenheit, die aus einem leichten Irrtum, der unerwartet und schadlos gelöst werden kann, entspringt, gibt die Anlage zu lächerlichen Situationen. Die höchste Verlegenheit hingegen, unauflöslich oder unaufgelöst, bringt uns die tragischen Momente dar.

 

Das Sollen wird dem Menschen auferlegt, das Muß ist eine harte Nuß; das Wollen legt der Mensch sich selbst auf, des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Ein beharrendes Sollen ist lästig, Unvermögen des Vollbringens fürchterlich, ein beharrliches Wollen erfreulich, und bei einem festen Willen kann man sich sogar über das Unvermögen des Vollbringens getröstet sehen.

Aber alles Sollen ist despotisch. Es gehöre der Vernunft an: wie das Sitten- und Stadtgesetz; oder der Natur: wie die Gesetze des Werdens, Wachsens und Vergehens, des Lebens und Todes. Vor allem diesem schaudern wir, ohne zu bedenken, daß das Wohl des Ganzen dadurch bezielt sei. Das Wollen hingegen ist frei, scheint frei und begünstigt den Einzelnen. Daher ist das Wollen schmeichlerisch, und mußte sich der Menschen bemächtigen, sobald sie es kennen lernten. Es ist der Gott der neuen Zeit; ihm hingegeben, fürchten wir uns vor dem Entgegengesetzten, und hier liegt der Grund, warum unsre Kunst, so wie unsre Sinnesart, von der antiken ewig getrennt bleibt. Durch das Sollen wird die Tragödie groß und stark, durch das Wollen schwach und klein. Auf dem letzten Wege ist das sogenannte Drama entstanden, in dem man das ungeheure Sollen durch ein Wollen auflöste; aber eben weil dieses unsrer Schwachheit zu Hülfe kommt, so fühlen wir uns gerührt, wenn wir nach peinlicher Erwartung zuletzt noch kümmerlich getröstet werden.

Sonntag, 27. Februar 2022

Überhaupt muß ich nun versuchen, Tag für Tag, Stunde für Stunde zu seyn, was noch zu leisten ist, um das Gegründete rein aufzurichten und praktisch zu befestigen. Es gibt sehr vorzügliche junge Leute, aber die Hansnarren wollen alle von vornen anfangen und unabhängig, selbstständig, original, eigenmächtig, uneingreifend, gerade vor sich hin, und wie man die Thorheiten alle nennen möchte, wirken und dem Unerreichbaren genug thun. Ich sehe diesem Gange seit 1789 zu und weiß, was hätte geschehen können, wenn irgend einer rein eingegriffen und nicht jeder ein Peculium für sich vorbehalten hätte. Mir ziemt jetzt 1829 über das Vorliegende klar zu werden, es vielleicht auszusprechen; und wenn mir das auch gelingt, wird's doch nichts helfen, denn das Wahre ist einfach und gibt wenig zu thun, das Falsche gibt Gelegenheit, Zeit und Kräfte zu zersplittern. 

Mittwoch, 23. Februar 2022

An Zelter. - Doch will ich hier, obgleich zu Ende eilend, nicht schließen ohne zu bemerken, daß mein Aufenthalt auch dadurch angenehm ist daß ich zwar vor jedem An- und Überlauf sicher bin, die jenaischen Freunde aber bey sehr gutem Weg nur ein Stündchen hierher haben, da sie sich denn mit einer leichten Erfrischung begnügend nach angenehmer Unterhaltung wieder zurückbegeben. Auch von Weimar aus sind sie schon früh ausgefahren, haben den Mittag froh bey mir zugebracht und Abends wieder zurückgekehrt; man braucht immer vier Stunden zur Fahrt.

 Damit dir nun nichts Nothwendiges und Nützliches zuletzt verborgen bleibe, so muß ich dir sagen daß mein Tisch gut versorgt ist, durch einen sonderbaren Zufall, daß der Castellan, mein gegenwärtiger Wirth, ehmals ein Hofküchenverwandter gewesen ist und seinem frühern Beruf noch immer Ehre zu machen weiß.

Das klingt ja ganz bequem und behaglich! wirst du sagen, und das wär es auch, erschiene nicht sogleich im Hintergrunde der düstere Katafalk, der alle jene Betrachtungen aufregt die der Mensch in heiterer Stunde mit Recht beseitigt. Das Menschen- und Weltwesen dreht sich um einen herum daß man schwindlig werden möchte.

 

Freitag, 11. Februar 2022

Und so halte dich denn auf deinen Füßen so gut es gehen will, ich muß das Gleiche versuchen.

Allen wohlwollenden Dämonen bestens empfohlen,

 Dornburg d. 27. Jul. 1828.  

Donnerstag, 3. Februar 2022

Goethe sagt, man lebe erst dann gut, wenn man vergesse, dass man lebe …
Göthe hat gewiß poetische Momente, wo er sich für den heiligen Geist, die Vulpia für die gebenedeite Jungfrau und seinen Jungen für das Christuskind hält.
Göthe sollte die Vulpia als Pagen mit nach Italien nehmen, damit die Italiener auch einmal etwas zu sehn bekämen. Sie sei eine Sau mit dem Perlenhalsband.

Montag, 31. Januar 2022

Unterbrochen wird der arkadische Dialog zwischen Helena und Faust durch „Signale, Explosionen von den Türmen, Trompeten und Zinken, kriegerische Musik“. Ein „Durchmarsch gewaltiger Heereskraft“ vollzieht sich unter den Augen des Liebespaars.  

Freitag, 28. Januar 2022

Fluch sei der Hoffnung!
Fluch dem Glauben!
Und Fluch vor allem der Geduld!

Mittwoch, 26. Januar 2022

Meine alte Gabe, die Welt mit Augen desjenigen Malers zu sehen, dessen Bilder ich mir eben eingedrückt, brachte mich auf einen eignen Gedanken. Es ist offenbar, daß sich das Auge nach den Gegenständen bildet, die es von Jugend auf erblickt, und so muß der venezianische Maler alles klarer und heiterer sehn als andere Menschen. Wir, die wir auf einem bald schmutzkotigen, bald staubigen, farblosen, die Widerscheine verdüsternden Boden und vielleicht gar in engen Gemächern leben, können einen solchen Frohblick aus uns selbst nicht entwickeln.     

Montag, 24. Januar 2022

In jedem Kleide werd' ich wohl die Pein

Des engen Erdelebens fühlen.

Ich bin zu alt, um nur zu spielen,

Zu jung, um ohne Wunsch zu sein.

Was kann die Welt mir wohl gewähren?

Entbehren sollst du! sollst entbehren!

Das ist der ewige Gesang,

Der jedem an die Ohren klingt,

Den, unser ganzes Leben lang,

Uns heiser jede Stunde singt.

Nur mit Entsetzen wach' ich morgens auf,

Ich möchte bittre Tränen weinen,

Den Tag zu sehn, der mir in seinem Lauf

Nicht Einen Wunsch erfüllen wird, nicht Einen,

Der selbst die Ahnung jeder Lust

Mit eigensinnigem Krittel mindert,

Die Schöpfung meiner regen Brust

Mit tausend Lebensfratzen hindert.

Auch muß ich, wenn die Nacht sich niedersenkt,

Mich ängstlich auf das Lager strecken;

Auch da wird keine Rast geschenkt,

Mich werden wilde Träume schrecken.

Der Gott, der mir im Busen wohnt,

Kann tief mein Innerstes erregen;

Der über allen meinen Kräften thront,

Er kann nach außen nichts bewegen;

Und so ist mir das Dasein eine Last,

Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt.

Wie wäre es denn, wenn wir dem Teufel einräumten, dass er den Begriff des Guten nicht dem göttlichen Wertsystem entnimmt, sondern seiner eigenen Wertskala, die der göttlichen radikal entgegengesetzt ist? Dann freilich würde offenbar, was Mephisto meint, wenn er sich einen Teil der Kraft nennt, die stets das „Gute“ schafft. Das Gute wäre dann ein Gutes vom Teufel her gesehen, und von ihm, so hofft er, auch bewirkbar.   (Oskar Seidlin) 

Samstag, 8. Januar 2022

Nach Golde drängt,
Am Golde hängt
Doch alles.
Ach wir Armen.