Dienstag, 22. Dezember 2009

Da nun den Menschen eigentlich nichts interessiert als seine Meinung, so sieht jedermann, der eine Meinung vorträgt, sich rechts und links nach Hilfsmitteln um, damit er sich und andere bestärken möge. Des Wahren bedient man sich, solange es brauchbar ist, aber leidenschaftlich rhetorisch ergreift man das Falsche, sobald man es für den Augenblick nutzen, damit, als einem Halbargumente, blenden, als mit einem Lückenbüßer das Zerstückelte scheinbar vereinigen kann. Dieses zu erfahren, war mir erst ein Ärgernis, dann betrübte ich mich darüber, und nun macht es mir Schadenfreude: Ich habe mir das Wort gegeben, ein solches Verfahren niemals wieder aufzudecken.
Goethe machte mir Vorwürfe, dass ich eine hiesige angesehene Familie nicht besucht. „Sie hätten,“ sagte er, „im Laufe des Winters dort manchen genussreichen Abend verleben, auch die Bekanntschaft manches bedeutenden Fremden dort machen können; das ist Ihnen nun, Gott weiss durch welche Grille, alles verloren gegangen.“
„Ihr seid ein wunderlicher Christ,“ sagte Goethe lachend; „tut, was Ihr wollt, ich will Euch gewähren lassen.“
„Diese Ihre Naturtendenz,“ erwiderte Goethe, „ist freilich nicht geselliger Art; allein was wäre alle Bildung, wenn wir unsere natürlichen Richtungen nicht wollten zu überwinden suchen. Es ist eine grosse Torheit, zu verlangen, dass die Menschen zu uns harmonieren sollen. Ich habe es nie getan. Ich habe einen Menschen immer nur als ein für sich bestehendes Individuum angesehen, das ich zu erforschen und das ich in seiner Eigentümlichkeit kennen zu lernen trachtete, wovon ich aber durchaus keine weitere Sympathie verlange. Dadurch habe ich es nun dahin gebracht, mit jedem Menschen umgehen zu können, und dadurch allein entsteht die Kenntnis mannigfaltiger Charaktere sowie die nötige Gewandtheit im Leben. Denn gerade bei widerstrebenden Naturen muss man sich zusammennehmen, um mit ihnen durchzukommen, und dadurch werden alle die verschiedenen Seiten in uns angeregt und zur Entwickelung und Ausbildung gebracht, so dass man sich denn bald jedem Visavis gewachsen fühlt. So sollen Sie es auch machen. Sie haben dazu mehr Anlage als Sie selber glauben; und das hilft nun einmal nichts, Sie müssen in die grosse Welt hinein, Sie mögen sich stellen, wie Sie wollen.“
Goethe war eine Weile in Gedanken verloren, dann sprach er zu mir die Worte eines Alten:
Untergehend sogar ist’s immer dieselbige Sonne.
„Wenn einer fünfundsiebzig Jahre alt ist,“ fuhr er darauf mit grosser Heiterkeit fort, „kann es nicht fehlen, dass er mitunter an den Tod denke. Mich lässt dieser Gedanke in völliger Ruhe, denn ich habe die feste Ueberzeugung, dass unser Geist ein Wesen ist ganz unzerstörbarer Natur; es ist ein fortwirkendes von Ewigkeit zu Ewigkeit. Es ist der Sonne ähnlich, die bloss unsern irdischen Augen unterzugehen scheint, die aber eigentlich nie untergeht, sondern unaufhörlich fortleuchtet.“

Montag, 14. Dezember 2009

„Nur die ungebildete Seite an uns ist es, von der wir glücklich sind. Jeder Mensch hat so eine.“

Sonntag, 29. November 2009

„Ich bin Gott darin ähnlich, dass er immer geschehen lässt, was er nicht will“, sagte Goethe über Tisch, worauf Werner bemerkte, dass Goethe Gott darin ähnlich sei, dass er auch alles vergässe.
Wir sprachen darauf über die manchen Jahre seiner Theaterleitung, und welche unendliche Zeit er damit für sein schriftstellerisches Wirken verloren. „Freilich,“ sagte Goethe, „ich hätte indes manches gute Stück schreiben können, doch wenn ich es recht bedenke, gereut es mich nicht. Ich habe all mein Wirken und Leisten immer nur symbolisch angesehen, und es ist mir im Grunde ziemlich gleichgültig gewesen, ob ich Töpfe machte oder Schüsseln.“
Mittags Frommanns, Oken, Werner, Fernow, Meyer, Schopenhauer, Ulrich.

Sonntag, 22. November 2009

„Durch das jetzt in Deutschland allgemein verbreitete Interesse an Kunst und Poesie wird weder für diese beiden, noch für die Erscheinung eines originalen und ersten und einzigen Meisterwerks etwas gewonnen. Der Kunst-Genius producirt zu allen Zeiten, in mehr oder minder geschmeidigem Stoff, wie die Vorwelt Homer, Aeschylos, Sophokles, Dante, Ariost, Calderon und Shakespeare gesehen hat; es ist nur dies der Unterschied, daß jetzt auch die Mittelmäßigkeit und die secondären Figuren dran kommen und alle untern Kunsteigenschaften, die zur Technik gehören. Es wird nun auch im Thale licht, statt daß sonst nur die hohen Berggipfel Sonne trugen.
So ist es auch mit andern Stimmungen des Geistes, mit der religiösen, amourösen, bellicosen und andern. In einzelnen Individuen sind sie zu allen Zeiten gewesen und noch. Aber allgemein verbreitet nur zu gewissen Zeitaltern, und immer sind sie der Cometenschwanz irgend eines in diesen ausgezeichneten Mannes ober mehrerer, in denen, wie an den Spitzen der Berge, zuerst diese Morgenröthe schimmerte. Jede solche Stimmung lebt einen Tag, hat ihren Morgen, Mittag, Nachmittag und Abend. So ist's mit der Kunst; so wird es auch mit der Poesie werden, die jetzt im Nachmittag ist.“ Oder wie Goethe sonst zu sagen liebte: „Es ist wie eine Krankheit, durch die man hindurch muß.“
An eben dem Tage erzählte er mir, da wir zusammen von Jena nach Weimar fuhren, den Inhalt, den er seinem Roman Die Wahlverwandtschaften geben wollte.
Es seien ja dies alles nur Fetzen und Lappen von seiner Existenz; da einmal ein alter Hut, und dort ein paar Schuhe, und dort ein Lappen von einem Rock, den er einmal getragen.
Mit Werner habe ich den letzten Tag seiner Anwesenheit eine wunderliche Unterredung auf dem Schlosse gehabt, er hat mir sein System der Liebe auseinandergesetzt, tief ergreifend, weil man immer fühlte, wie er sich das Ganze nur wie einen Galgen aus Verzweiflung über Unglück erbaut hat. … Von Goethe meinte er, dass er vielleicht nie geliebt, sondern immer in einer Art Meisterschaft stehen geblieben wäre.
Nur allein der Mensch
vermag das Unmögliche;
Er unterscheidet,
wählet und richtet;
Er kann dem Augenblick
Dauer verleihen.

Mittwoch, 4. November 2009

Goethe sprach darauf über seine Gegner, und dass dieses Geschlecht nie aussterbe. „Ihre Zahl ist Legion,“ sagte er, „doch ist es nicht unmöglich, sie einigermassen zu klassifizieren.“
„Zuerst nenne ich meine Gegner aus Dummheit; es sind solche, die mich nicht verstanden, und die mich tadelten, ohne mich zu kennen. Diese ansehnliche Masse hat mir in meinem Leben viel Langeweile gemacht; doch es soll ihnen verziehen sein, denn sie wussten nicht, was sie taten.“
„Eine zweite grosse Menge bilden sodann meine Neider. Diese Leute gönnen mir das Glück und die ehrenvolle Stellung nicht, die ich durch mein Talent mir erworben. Sie zerren an meinem Ruhm und hätten mich gerne vernichtet. Wäre ich unglücklich und elend, so würden sie aufhören.“
„Ferner kommt eine grosse Anzahl derer, die aus Mangel an eigenem Sukzess meine Gegner geworden. Es sind begabte Talente darunter, allein sie können mir nicht verzeihen, dass ich sie verdunkele.“
„Viertens nenne ich meine Gegner aus Gründen. Denn da ich ein Mensch bin, und als solcher menschliche Fehler und Schwächen habe, so können auch meine Schriften davon nicht frei sein. Da es mir aber mit meiner Bildung ernst war und ich an meiner Veredelung unablässig arbeitete, so war ich im beständigen Fortstreben begriffen, und es ereignete sich oft, dass sie mich wegen eines Fehlers tadelten, den ich längst abgelegt hatte. Diese Guten haben mich am wenigsten verletzt; sie schossen nach mir, wenn ich schon meilenweit von ihnen entfernt war. Überhaupt war ein abgemachtes Werk mir ziemlich gleichgültig; ich befasste mich nicht weiter damit und dachte sogleich an etwas Neues.
„Eine fernere grosse Masse zeigt sich als meine Gegner aus abweichender Denkungsweise und verschiedenen Ansichten. Man sagt von den Blättern eines Baumes, dass deren kaum zwei vollkommen gleich befunden werden, und so möchten sich auch unter tausend Menschen kaum zwei finden, die in ihrer Gesinnungs- und Denkungsweise vollkommen harmonieren. Setze ich dieses voraus, so sollte ich mich billig weniger darüber wundern, dass die Zahl meiner Widersacher so gross ist, als vielmehr darüber, dass ich noch so viele Freunde und Anhänger habe. Meine ganze Zeit wich von mir ab, denn sie war ganz in subjektiver Richtung begriffen, während ich in meinem objektiven Bestreben im Nachteile und völlig allein stand.“
Im ganzen ist der Stil eines Schriftstellers ein treuer Abdruck seines Inneren; will jemand einen klaren Stil schreiben, so sei es ihm zuvor klar in seiner Seele, und will jemand einen grossartigen Stil schreiben, so habe er einen grossartigen Charakter.
Madame Roland, auf dem Blutgerüste, verlangte Schreibzeug, um die ganz besondern Gedanken aufzuschreiben, die ihr auf dem letzten Wege vorgeschwebt. Schade, dass man ihr's versagte; denn am Ende des Lebens gehen dem gefassten Geiste Gedanken auf, bisher undenkbare; sie sind wie selige Dämonen, die sich auf den Gipfeln der Vergangenheit glänzend niederlassen.
Goethe ist wohl und hat heute wieder Damenbesuch.

Sonntag, 18. Oktober 2009

Tieck ist ein Talent von hoher Bedeutung, und es kann seine ausserordentlichen Verdienste niemand besser erkennen als ich selber; allein wenn man ihn über ihn selbst erheben und mir gleichstellen will, so ist man im Irrtum. Ich kann dieses gerade heraussagen, denn was geht es mich an, ich habe mich nicht gemacht. Es wäre ebenso, wenn ich mich mit Shakespeare vergleichen wollte, der sich auch nicht gemacht hat, und der doch ein Wesen höherer Art ist, zu dem ich hinaufblicke und das ich zu verehren habe.
Mit diesen Worten reichte er mir einige radierte Blätter des berühmten Tiermalers Roos; lauter Schafe und diese Tiere in allen ihren Lagen und Zuständen. Das Einfältige der Physiognomien, das Hässliche, Struppige der Haare, alles mit der äussersten Wahrheit, als wäre es die Natur selber.

„Mir wird immer bange,“ sagte Goethe, „wenn ich diese Tiere ansehe. Das Beschränkte, Dumpfe, Träumende, Gähnende ihres Zustandes zieht mich in das Mitgefühl desselben hinein; man fürchtet, zum Tier zu werden, und möchte fast glauben, der Künstler sei selber eins gewesen. Auf jeden Fall bleibt es im hohen Grade erstaunenswürdig, wie er sich in die Seelen dieser Geschöpfe hat hineindenken und hineinempfinden können, um den innern Charakter in der äussern Hülle mit solcher Wahrheit durchblicken zu lassen. Man sieht aber, was ein grosses Talent machen kann, wenn es bei Gegenständen bleibt, die seiner Natur analog sind.“
In der Welt kommt es nicht darauf an, dass man die Menschen kenne, sondern dass man in jedem Augenblick klüger sei als der vor uns steht, und niemand ist in diesem Falle als der sein Handwerk, seine Kunst aus dem Grunde versteht. Der Vorteil alles Handelns und Wandelns ruht hierauf.
„Es gibt vortreffliche Menschen,“ sagte Goethe, „die nichts aus dem Stegreife, nichts obenhin zu tun vermögen, sondern deren Natur es verlangt, ihre jedesmaligen Gegenstände mit Ruhe tief zu durchdringen. Solche Talente machen uns oft ungeduldig, indem man selten von ihnen erlangt, was man augenblicklich wünscht; allein auf diesem Wege wird das Höchste geleistet.“

Samstag, 17. Oktober 2009

Goethe war diesen Abend besonders kräftig, heiter und aufgelegt. Er holte ein Manuskript ungedruckter Gedichte herbei, woraus er mir vorlas.

Sonntag, 11. Oktober 2009

Des Dichters Glück war von jeher: Weiber, Wein, Gesang, und unseren Freund, für den ein ewiger Frühling blüht, begeistern die beiden ersten noch im Herbst seines Lebens zu den herrlichsten Gesängen. Verliebt sein ist die Weise des Hauses; verliebt ist jedermann, der darin aus- und eingeht; ich war zuletzt wahrhaftig besorgt, auch uns würde die Epidemie ergreifen.
Schön waren sie alle, am schönsten aber die, in welchen er Sie sprechen liess, und mit deren Zartheit ich nichts zu vergleichen wüsste, wie es denn wohl noch nie einen Dichter gegeben hat, der in das weibliche Gemüt so tiefe Blicke getan hat, es ist, als habe das ganze Geschlecht von der Edelsten bis zur Niedrigsten bei ihm in Beichte gesessen.

Sonntag, 4. Oktober 2009

Mittags mit Goethe allein zu Tisch. Über die Nibelungen als ein von Grund aus tüchtiges Gedicht.
Er war in dieser Kleidung so jugendlich und schön, dass ich ihm um den Hals fiel und ausrief: „Ew. Exzellenz, Ihnen so zu widerstehen ist unmöglich, aber ich hoffe, Sie werden mein Unglück nicht wollen.“
Die Menschen werden weit mehr von der Sprache gebildet denn die Sprache von den Menschen.

Samstag, 19. September 2009

„Meyer pflegt immer zu sagen,“ fiel Goethe lachend ein, „wenn nur das Denken nicht so schwer wäre! – „Das Schlimme aber ist,“ fuhr er heiter fort, „dass alles Denken zum Denken nichts hilft; man muss von Natur richtig sein, so dass die guten Einfälle immer wie freie Kinder Gottes vor uns dastehen und uns zurufen: da sind wir!“
Ein weit verbreiteter Name, eine hohe Stellung im Leben sind gute Dinge. Allein mit all meinem Namen und Stande habe ich es nicht weiter gebracht, als dass ich, um nicht zu verletzen, zu der Meinung anderer schweige. Dieses würde nun in der Tat ein sehr schlechter Spass sein, wenn ich dabei nicht den Vorteil hätte, dass ich erfahre, wie die anderen denken, aber sie nicht, wie ich.

Montag, 14. September 2009

Nimmt man das Willkürliche aus dem Leben und Handeln und Verfahren weg, so hat man das Beste hinweggenommen. Sei ich noch so weise und verständig und zweckmässig: ich muss doch sterben wie der Allerunvernünftigste, wie der Tor. Und ich habe keine Freude davon gehabt, und andern keine damit gemacht.

Freitag, 11. September 2009

Das Gespräch kam eben nicht auf erhabene Gegenstände; aber wie bedeutend ist auch das Kleinste in Goethes Munde! wie lebendig, wie frisch und heiter! - Und Goethe hat eine so herrliche Milde.
Wieland verglich recht passend die Vulpius mit einer Otahaitin.
Ich musste bei ihm vorlesen in einer Abendgesellschaft, ich fragte ihn, ob es nicht zu verliebt würde sein; er antwortete: „Wir sind alle verliebt.“

Freitag, 4. September 2009

... oft ist er früh gekommen mir botanische Stunden zu geben, und einigemal hat er mich ganz allein zu weiten Spaziergängen abgeholt.

Freitag, 28. August 2009

Hochwohlgeborner Herr,
Hochzuverehrender Herr Geheimer Rath!
Beiliegendes Blatt enthält den Wunsch einer, Sie unbegränzt hochschätzenden, Gesellschaft, die Zeitschrift, von der die Rede ist, mit Ihren Beiträgen zu beehren, über deren Rang und Werth nur Eine Stimme unter uns seyn kann. Der Entschluß Euer Hochwohlgeboren, diese Unternehmung durch Ihren Beitritt zu unterstützen, wird für den glücklichen Erfolg derselben entscheidend seyn, und mit größter Bereitwilligkeit unterwerfen wir uns allen Bedingungen, unter welchen Sie uns dieselben zusagen wollen.

Dienstag, 18. August 2009

„Und dann, das Leben eines deutschen Gelehrten, was ist es? Was in meinem Fall daran etwa Gutes sein möchte, ist nicht mitzuteilen, und das Mitteilbare ist nicht der Mühe wert. Und wo sind denn die Zuhörer, denen man mit einigem Behagen erzählen möchte?“
Als ich darauf später mit Goethe allein war, fragte er mich über Zelter. »Nun,« sagte er, »wie gefällt er Ihnen?« Ich sprach über das durchaus Wohltätige seiner Persönlichkeit. »Er kann«, fügte Goethe hinzu, »bei der ersten Bekanntschaft etwas sehr derbe, ja mitunter sogar etwas roh erscheinen. Allein das ist nur äusserlich. Ich kenne kaum jemanden, der zugleich so zart wäre wie Zelter. Und dabei muss man nicht vergessen, dass er über ein halbes Jahrhundert in Berlin zugebracht hat. Es lebt aber, wie ich an allem merke, dort ein so verwegener Menschenschlag beisammen, dass man mit der Delikatesse nicht weit reicht, sondern dass man Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob sein muss, um sich über Wasser zu halten.«
Heute gegen Abend liess er mich dennoch rufen. Als ich zu ihm hineintrat, fand ich einen Stuhl bereits in seine Nähe gesetzt; er reichte mir seine Hand entgegen und war äusserst liebevoll und gut. Er fing sogleich an, über meine kleine Rezension zu reden. »Ich habe mich sehr darüber gefreut,« sagte er, »Sie haben eine schöne Gabe. Ich will Ihnen etwas sagen,« fuhr er dann fort, »wenn Ihnen vielleicht von andern Orten her literarische Anträge gemacht werden sollten, so lehnen Sie solche ab oder sagen es mir wenigstens zuvor; denn da Sie einmal mit mir verbunden sind, so möchte ich nicht gerne, dass Sie auch zu anderen ein Verhältnis hätten.«
Ich antwortete, dass ich mich bloss zu ihm halten wolle, und dass es mir auch vorderhand um anderweitige Verbindungen durchaus nicht zu tun sei.
Das war ihm lieb, und er sagte darauf, dass wir diesen Winter noch manche hübsche Arbeit miteinander machen wollten.

Freitag, 7. August 2009

„Man hat mich immer als einen vom Glück besonders Begünstigten gepriesen; auch will ich mich nicht beklagen und den Gang meines Lebens nicht schelten. Allein im Grunde ist es nichts als Mühe und Arbeit gewesen, und ich kann wohl sagen, dass ich in meinen fünfundsiebzig Jahren keine vier Wochen eigentliches Behagen gehabt. Es war das ewige Wälzen eines Steines, der immer von neuem gehoben sein wollte. Meine Annalen werden es deutlich machen, was hiermit gesagt ist. Der Ansprüche an meine Tätigkeit, sowohl von aussen als innen, waren zu viele.“

Montag, 3. August 2009

„Mein eigentliches Glück war mein poetisches Sinnen und Schaffen. Allein wie sehr war dieses durch meine äussere Stellung gestört, beschränkt und gehindert. Hätte ich mich mehr vom öffentlichen und geschäftlichen Wirken und Treiben zurückhalten und mehr in der Einsamkeit leben können, ich wäre glücklicher gewesen und würde als Dichter weit mehr gemacht haben. So aber sollte sich bald nach meinem Götz und Werther an mir das Wort eines Weisen bewähren, welcher sagte: wenn man der Welt etwas zu Liebe getan habe, so wisse sie dafür zu sorgen, dass man es nicht zum zweiten Male tue.“

Montag, 20. Juli 2009

Gegen Abend sendete Goethe mir eine Einladung, ihn zu besuchen. Humboldt sei an Hof, und ich würde ihm daher um so willkommener sein. Ich fand ihn noch wie vor einigen Tagen in seinem Lehnstuhl sitzend; er reichte mir freundlich die Hand, indem er mit himmlischer Sanftmut einige Worte sprach. Ein grosser Ofenschirm stand ihm zur Seite und gab ihm zugleich Schatten vor den Lichtern, die weiterhin auf dem Tisch standen. Auch der Herr Kanzler trat herein und gesellte sich zu uns.
Ein Volk, das ein Morgenblatt, eine Elegante Zeitung, einen Freimütigen p. habe, und Leser dazu, sei schon rein verloren.
Nach Tisch kam die Elsermann. Streit mit ihr über die Weiber und ihre Einbildung von sich.
»Weiber haben keine Ironie, können nicht von sich selbst lassen. Daher ihre sogenannte größere Treue, weil sie sich selbst nicht überwinden können, und sie können es nicht, weil sie bedürftiger, abhängiger sind als die Männer.«
Wenn man sie sah, konnte man nicht begreifen, wie sie Goethes Geliebte geworden war. Sie glich weder Lotten, noch Klärchen, noch Gretchen, weder den Leonoren, noch der Iphigenie; wenn sie überhaupt einer der Goetheschen Gestalten glich, so glich sie der Braut von Korinth, aber in entgegengesetzter Bedeutung, denn nicht der Geist, sondern der Körper spukte. Für Poesie hatte sie durchaus keinen Sinn, und Goethe sagte einmal selbst im Scherz: „Es ist doch wunderlich, die Kleine kann gar kein Gedicht verstehen.“
„Der Herr Geheimrat und ich“, - soll sie einmal gesagt haben - „wir sitzen immer und sehen einander an. Das wird am Ende langweilig.“

Sonntag, 19. Juli 2009

Goethe hatte das Jenaische Commissoriale sehr übel genommen. »Ich bin zu alt, um mit mir Farcen und Possen spielen zu lassen.« Er gab mir bei dieser Gelegenheit viele Beweise seines offenen Vertrauens und sprach dann noch lange von der Theatergeschichte. »Es ist unglaublich, wie der Umgang der Weiber herabzieht.« Wenn er die Jagemann alle acht Tage hätte sprechen und persönlich influiren wollen, würde es gegangen sein, da sie aber ohne alle Consequenz und Plan sei, nur eine Rolle spielen, leben, genießen wolle, so ruinire sie jedes Verhältniß, jede Häuslichkeit, in die sie trete, ohne eigentlich böse zu sein.

Mittwoch, 15. Juli 2009

Bei Goethe. »Ich studire,« sprach er, »jetzt die ältere französische Literatur ganz gründlich wieder, um ein ernstes Wort mit den Franzosen reden zu können. Welche unendliche Cultur,« rief er, »ist schon an ihnen vorübergegangen zu einer Zeit, wo wir Deutsche noch [232] ungeschlachte Bursche waren. Deutschland ist nichts, aber jeder einzelne Deutsche ist viel, und doch bilden sich letztere gerade das Umgekehrte ein. Verpflanzt und zerstreut wie die Juden in alle Welt müssen die Deutschen werden, um die Masse des Guten ganz und zum Heile aller Nationen zu entwickeln, die in ihnen liegt.«

Dienstag, 14. Juli 2009

„Sie sehen das Produkt eines höchst leidenschaftlichen Zustandes,« fügte er hinzu; »als ich darin befangen war, hätte ich ihn um alles in der Welt nicht entbehren mögen, und jetzt möchte ich um keinen Preis wieder hineingeraten.“

Dienstag, 7. Juli 2009

Ich ging gegen Abend, um Goethe zu besuchen, hörte aber unten im Hause, der preussische Staatsminister von Humboldt sei bei ihm, welches mir lieb war, in der Überzeugung, dass dieser Besuch eines alten Freundes ihm die wohltätigste Aufheiterung gewähren würde.
Vor dem Dinge, das man das Publikum nennt, hat er eine souveräne Verachtung. Es freuet ihn, wenn er dem Ungeheuer Brocken hinwerfen kann, an welches es sich die Zähne blutig beisst. Ich kenne ihn lange, von innen wie von aussen.
Als er gegangen war, sprach Goethe sehr gut über ihn und sagte dann: »Alle diese vortrefflichen Menschen, zu denen Sie nun ein angenehmes Verhältnis haben, das ist es, was ich eine Heimat nenne, zu der man immer gerne wieder zurückkehrt.«
Und dann: solange man sich im Allgemeinen hält, kann es uns jeder nachmachen; aber das Besondere macht uns niemand nach. Warum? Weil es die anderen nicht erlebt haben.
Als ich ausgelesen, trat Goethe wieder zu mir heran. »Gelt,« sagte er, »da habe ich Euch etwas Gutes gezeigt. In einigen Tagen sollen Sie mir darüber weissagen.«

Sonntag, 5. Juli 2009

Zum Rauchen gehört auch das Biertrinken, damit der erhitzte Gaumen wieder abgekühlt werde. Das Bier macht das Blut dick und verstärkt zugleich die Berauschung durch den narkotischen Tabaksdampf. So werden die Nerven abgestumpft und das Blut bis zur Stockung verdickt. Wenn es so fortgehen sollte, wie es den Anschein hat, so wird man nach zwei oder drei Menschenaltern schon sehen, was diese Bierbäuche und Schmauchlümmel aus Deutschland gemacht haben. An der Geistlosigkeit, Verkrüppelung und Armseligkeit unserer Literatur wird man es zuerst bemerken.

Samstag, 20. Juni 2009

Ohne das Legionskreuz geht Goethe niemals, und von dem, durch den er es hat, pflegt er immer „mein Kaiser“ zu sagen!
Wenn ich die Summe von dem Wissenswerten in so mancher Wissenschaft, mit der ich mich mein ganzes Leben hindurch beschäftigt habe, aufschreiben wollte, das Manuskript würde so klein ausfallen, dass sie es in einem Briefcouvert nach Hause tragen könnten.
Ich habe Dir … von einer gewissen Madame Schopenhauer geschrieben … Mir ist sie durch Figur, Stimme und affektiertes Wesen fatal, aber Goethe versäumt keinen ihrer Tees, die sie zweimal alle Woche gibt. Nur die Wolzogen und ich haben ihn ein paarmal untreu gemacht.
Obgleich Goethes Frau ihm gesagt hat, dass das Mystische Goethen unerträglich sei, so liess er sich beigehn, ein Sonett auf Genua, wo er kürzlich gewesen, vorzubringen, in welchem die Scheibe des Vollmonds zur Hostie gemacht wird. Wie dies Goethe gehört hat, ist er, wie er selbst sagt, saugrob (im Wunderhorn heisst es sauhöflich) geworden. Werner hat sich zurückziehen müssen …

Sonntag, 14. Juni 2009

Übrigens ist alles in solcher Konfusion und Bewegung, dass die ästhetische Stimmung, die erforderlich wäre, den Roman nach unseren Wünschen zu vollenden, nur als eine Wundergabe erwartet werden kann. Indessen ist auch daran nicht ganz zu verzweifeln. Leben Sie recht wohl.
In der Dämmerung war ich ein halbes Stündchen bei Goethe. Er sass auf einem hölzernen Lehnstuhl vor seinem Arbeitstische; ich fand ihn in einer wunderbar sanften Stimmung, wie einer, der von himmlischem Frieden ganz erfüllt ist, oder wie einer, der an ein süsses Glück denkt, das er genossen hat und das ihm wieder in aller Fülle vor der Seele schwebt. Stadelmann musste mir einen Stuhl in seine Nähe setzen.
Wir sprachen darauf dies und jenes über vorhabende Arbeiten. Es war die Rede von seiner ›Reise über Frankfurt und Stuttgart nach der Schweiz‹, die er in drei Heften liegen hat und die er mir zusenden will, damit ich die Einzelnheiten lese und Vorschläge tue, wie daraus ein Ganzes zu machen. »Sie werden sehen,« sagte er, »es ist alles nur so hingeschrieben, wie es der Augenblick gab; an einen Plan und eine künstlerische Rundung ist dabei gar nicht gedacht, es ist, als wenn man einen Eimer Wasser ausgiesst.«
Stadelmann brachte zwei Wachslichter, die er auf Goethes Arbeitstisch stellte. Goethe ersuchte mich, vor den Lichtern Platz zu nehmen, er wolle mir etwas zu lesen geben. Und was legte er mir vor? Sein neuestes, liebstes Gedicht, seine ›Elegie‹ von Marienbad.

Samstag, 6. Juni 2009

Wie ich mich an Goethes herrlichem Gesicht, an diesen edlen, schönen Zügen geweidet habe! Sie schienen mir, bei allem Imposanten, milder als je; und ich war ohne Scheu, da er mich freunlich auf seinem Sofa neben sich niedersitzen hiess.
Jasper zeigt, dass Goethe mit seinem Faust den gefährlichen Typus eines Menschen ohne sozialen Alltag vorgestellt habe. Und tatsächlich erlebt Faust nur absolute Höhepunkte oder bedrohliche Tiefpunkte. Er ist konventionellen Normen enthoben und wird dafür nicht richtig zur Verantwortung gezogen.

Samstag, 30. Mai 2009

»Das ist auch so ein Theaterkind wie du, Ottilie«, sagte er dann, und wir freuten uns miteinander über unsere beiderseitige Neigung. »Meine Tochter«, fügte er hinzu, »versäumt keinen Abend.« – »Solange gute heitere Stücke gegeben werden,« erwiderte ich, »lasse ich es gelten, allein bei schlechten Stücken muss man auch etwas aushalten.« – »Das ist eben recht,« erwiderte Goethe, »dass man nicht fort kann und gezwungen ist auch das Schlechte zu hören und zu sehen. Da wird man recht von Hass gegen das Schlechte durchdrungen und kommt dadurch zu einer desto besseren Einsicht des Guten. Beim Lesen ist das nicht so, da wirft man das Buch aus den Händen, wenn es einem nicht gefällt, aber im Theater muss man aushalten.« Ich gab ihm recht und dachte, der Alte sagt auch gelegentlich immer etwas Gutes.
»Gewiss«, sagte Schultz, »ist die persönliche Einwirkung eines so ausserordentlichen Menschen und Meisters wie Goethe ganz unschätzbar. Ich bin auch herübergekommen, um mich an diesem grossen Geiste einmal wieder zu erquicken.«
Goethe sagte einmal zu Rühle: »Ich heidnisch? Nun ich habe doch Gretchen hinrichten und Ottilie verhungern lassen; ist das den Leuten nicht christlich genug? Was wollen sie noch Christlicheres?«
Es geht uns hier ganz gut. Kaaz hat sich wohlbefunden, und geht morgen früh ab. Ich habe ihm Geld mitgegeben, dass er Suppen-Ingredienzien schicken soll, wozu er auch etwas Parmesan-Käse legen will, als welcher zu den Macaronis ganz unentbehrlich ist.
»Ich kann dieses Buch durchaus nicht billigen, Herr von Goethe; es ist wirklich unmoralisch, und ich empfehle es keinem Frauenzimmer.« Darauf hat Goethe eine Weile ganz ernsthaft geschwiegen und endlich mit vieler Innigkeit gesagt: »Das thut mir leid, es ist doch mein bestes Buch. Glauben Sie nicht, daß es die Grille eines alten Mannes ist – ja, man liebt das Kind am meisten, welches aus der letzten Ehe, aus der spätesten Zeit unserer Zeugungskraft stammt. Aber Sie thun mir und dem Buche Unrecht. Das Gesetz in dem Buche ist wahr, das Buch ist nicht unmoralisch, Sie müssen's nur vom größeren Gesichtspuncte betrachten; der gewöhnliche moralische Maßstab kann bei solchem Verhältniß sehr unmoralisch auftreten.«
Goethe kommt mir vor, wie der Orpheus in der antiken Poesie, der sich vor den auf seinen Gesang andringenden Bestien gewissermassen fürchtet. ... Goethen ist die Zärtlichkeit der Tiere unangenehm, sie macht ihm weh; aber mir macht die Zärtlichkeit gewisser Weiber gegen ihn noch viel weher, die mir viel schlimmer als diese Bestien vorkommen, eben weil es doch Menschen sind.
Knebel scheint sich in seiner Strohwittwerschaft ganz wohl zu befinden, doch ist er mir etwas nachdenklicher als sonst, und ich denke, in kurzem wird sich eine Vereinigung der alten Zustände wiedergefunden haben. Der Knabe wird alle Tage braver und besser, nur fehlt es ihm an Beschäftigung und Anregung von aussen. Wenn er unter vielen seines gleichen wäre und recht lebhaften Unterricht erhielte, so könnte etwas aus ihm werden.

Freitag, 15. Mai 2009

Die Gegenwart will ihre Rechte; was sich täglich im Dichter von Gedanken und Empfindungen aufdrängt, das will und soll ausgesprochen sein. Hat man aber ein grösseres Werk im Kopfe, so kann nichts daneben aufkommen, so werden alle Gedanken zurückgewiesen, und man ist für die Behaglichkeit des Lebens selbst so lange verloren. Welche Anstrengung und Verwendung von Geisteskraft gehört nicht dazu, um nur ein grosses Ganzes in sich zu ordnen und abzurunden, und welche Kräfte und welche ruhige ungestörte Lage im Leben, um es dann in einem Fluss gehörig auszusprechen. Hat man sich nun im Ganzen vergriffen, so ist alle Mühe verloren; ist man ferner, bei einem so umfangreichen Gegenstande, in einzelnen Teilen nicht völlig Herr seines Stoffes, so wird das Ganze stellenweise mangelhaft werden, und man wird gescholten; und aus allem entspringt für den Dichter statt Belohnung und Freude für so viele Mühe und Aufopferung nichts als Unbehagen und Lähmung der Kräfte. Fasst dagegen der Dichter täglich die Gegenwart auf, und behandelt er immer gleich in frischer Stimmung, was sich ihm darbietet, so macht er sich immer etwas Gutes, und gelingt ihm auch einmal etwas nicht, so ist nichts daran verloren.
Da ist der August Hagen in Königsberg, ein herrliches Talent; haben Sie seine ›Olfried und Lisena‹ gelesen ? Da sind Stellen darin, wie sie nicht besser sein können; die Zustände an der Ostsee, und was sonst in dortige Lokalität hineinschlägt, alles meisterhaft. Aber es sind nur schöne Stellen, als Ganzes will es niemanden behagen. Und welche Mühe und welche Kräfte hat er daran verwendet! ja er hat sich fast daran erschöpft. Jetzt hat er ein Trauerspiel gemacht!

Donnerstag, 14. Mai 2009

Dabei lächelte Goethe und hielt einen Augenblick inne.
Ich nahm das Wort und sagte, dass, wenn ich nicht irre, er Hagen in ›Kunst und Altertum‹ geraten, nur kleine Gegenstände zu behandeln. „Freilich habe ich das,“ erwiderte Goethe; „aber tut man denn, was wir Alten sagen? Jeder glaubt, er müsse es doch selber am besten wissen, und dabei geht mancher verloren, und mancher hat lange daran zu irren. Es ist aber jetzt keine Zeit mehr zum Irren, dazu sind wir Alten gewesen; und was hätte uns alle unser Suchen und Irren geholfen, wenn ihr jüngeren Leute wieder dieselbigen Wege laufen wolltet? Da kämen wir ja nie weiter! Uns Alten rechnet man den Irrtum zugute, weil wir die Wege nicht gebahnt fanden; wer aber später in die Welt eintritt, von dem verlangt man mehr, der soll nicht abermals irren und suchen, sondern er soll den Rat der Alten nutzen und gleich auf gutem Wege fortschreiten. Es soll nicht genügen, dass man Schritte tue, die einst zum Ziele führen, sondern jeder Schritt soll Ziel sein und als Schritt gelten.“
Tragen Sie diese Worte bei sich herum, und sehen Sie zu, was Sie davon mit sich vereinigen können. Es ist mir eigentlich um Sie nicht bange, aber ich helfe Sie durch mein Zureden vielleicht schnell über eine Periode hinweg, die Ihrer jetzigen Lage nicht gemäss ist. Machen Sie vorderhand, wie gesagt, immer nur kleine Gegenstände, immer alles frischweg, was sich Ihnen täglich darbietet, so werden Sie in der Regel immer etwas Gutes leisten, und jeder Tag wird Ihnen Freude bringen. Geben Sie es zunächst in die Taschenbücher, in die Zeitschriften; aber fügen Sie sich nie fremden Anforderungen, sondern machen Sie es immer nach Ihrem eigenen Sinn.

Dienstag, 12. Mai 2009

„Aber lassen Sie vorderhand alles Grosse zur Seite. Sie haben lange genug gestrebt, es ist Zeit, dass Sie zur Heiterkeit des Lebens gelangen, und dazu eben ist die Bearbeitung kleiner Gegenstände das beste Mittel.“
Was werde ich nun diesen Winter nicht noch bei ihm lernen, und was werde ich nicht durch den blossen Umgang mit ihm gewinnen, auch in Stunden, wenn er eben nicht grade etwas Bedeutendes spricht! – Seine Person, seine blosse Nähe scheint mir bildend zu sein, selbst wenn er kein Wort sagte.
Ich fühle mich nun durch Goethes Worte um ein paar Jahre klüger und fortgerückt und weiss in meiner tiefsten Seele das Glück zu erkennen, was es sagen will, wenn man einmal mit einem rechten Meister zusammentrifft. Der Vorteil ist gar nicht zu berechnen.

Freitag, 8. Mai 2009

»Das Publicum besonders das deutsche, ist eine närrische Carricatur des Demos. Es bildet sich wirklich ein, eine Art von Instanz, von Senat auszumachen und im Leben und Lesen dieses oder jenes wegvotiren zu können, was ihm nicht gefällt. Dagegen ist kein Mittel als ein Mittel Ausharren.«
Ich glaube, ihn selbst gesehen zu haben, ist zu dem Verständnisse seiner Gedichte ungemein förderlich. In ihnen ist diesselbe Mischung der grossartigsten, reinsten und edelsten Natur, die ein sinnvoller Mensch sogleich anerkennt und verehrt, und jener höchst eigentümlichen besonderen Bildung, deren Gang man nur zuweilen errät. Erregt doch auch der wunderbare Blick seiner Augen ebensowohl das vollste Vertrauen, als er uns ferne von ihm hält. ... Man findet diese Einsamkeit, meine ich, in den meisten seiner Werke und das Ansprechendste und Einleuchtendste mit dem Seltsamsten und Fremdartigsten verbunden.
Die Ottilie ist ein Fräulein, von der Goethe gesagt hat, es stäke nicht ein, sondern tausend Engel in ihr.

Sonntag, 3. Mai 2009

Das Inhaltsverzeichnis ist mir zur rechten Zeit gekommen und entspricht ganz meinen Wünschen und Zwecken. Lassen Sie mich die Frankfurter Rezensionen bei meiner Rückkehr auf gleiche Weise redigiert finden, so zolle ich den besten Dank, welchen ich vorläufig schon im Stillen entrichte, indem ich Ihre Gesinnungen, Zustände, Wünsche, zwecke und Pläne mit mir teilnehmend herumtrage, um bei meiner Rückkunft mich über Ihr Wohl desto gründlicher besprechen zu können. Mehr sag’ ich heute nicht. Der Abschied von Marienbad gibt mancherlei zu denken und zu tun, während man ein allzu kurzes Verweilen mit vorzüglichen Menschen gar schmerzlich empfindet.
Möge ich Sie in stiller Tätigkeit antreffen, aus der denn doch zuletzt am sichersten und reinsten Weltumsicht und Erfahrung hervorgeht. Leben Sie wohl; freue mich auf ein längeres und engeres Zusammensein.
Mit der Goethe und der Ulrich zu Tisch. Dass Goethe jetzt so heftig werde und sich gehen lasse. Woher es komme.
Wenn so beide (er und Günther) zusammen kämen, das komme ihm immer so vor, als wenn ein paar indische Götter sich so einander besuchen und etwas voneinander haben wollen.
»Ich muss geradeheraus sagen,« begann er, »ich wünsche, dass Sie diesen Winter bei mir in Weimar bleiben.« Dies waren seine ersten Worte, dann ging er näher ein und fuhr fort: »In der Poesie und Kritik steht es mit Ihnen aufs beste, Sie haben darin ein natürliches Fundament; das ist Ihr Metier, woran Sie sich zu halten haben und welches Ihnen auch sehr bald eine tüchtige Existenz zuwege bringen wird. Nun ist aber noch manches, was nicht eigentlich zum Fache gehört und was Sie doch auch wissen müssen. Es kommt aber darauf an, dass Sie hiebei nicht lange Zeit verlieren sondern schnell darüber hinwegkommen. Das sollen Sie nun diesen Winter bei uns in Weimar, und Sie sollen sich wundern, wie weit Sie Ostern sein werden. Sie sollen von allem das Beste haben, weil die besten Hülfsmittel in meinen Händen sind. Dann stehen Sie fürs Leben fest und kommen zum Behagen und können überall mit Zuversicht auftreten.«
»Für eine Wohnung in meiner Nähe«, fuhr Goethe fort, »werde ich sorgen; Sie sollen den ganzen Winter keinen unbedeutenden Moment haben. Es ist in Weimar noch viel Gutes beisammen, und Sie werden nach und nach in den höhren Kreisen eine Gesellschaft finden, die den besten aller grossen Städte gleichkommt. Auch sind mit mir persönlich ganz vorzügliche Männer verbunden, deren Bekanntschaft Sie nach und nach machen werden und deren Umgang Ihnen im hohen Grade lehrreich und nützlich sein wird.«
Merkwürdige Reflexion Goethes über sich selbst: Dass er das Ideelle unter einer weiblichen Form oder unter der Form des Weibes concipirt. Wie ein Mann sei, das wisse er ja nicht. Den Mann zu schildern sei ihm nur biographisch möglich, es müsse etwas Historisches zum Grunde liegen.
Bei Gelegenheit des Theaters, und was dabei vorgeht, scheinbar ohne Goethes Wissen, sagte er, dass er mehr davon wisse als Gott selbst, der sich um solchen Dreck nicht bekümmerte.
„Du hast wohl recht, aber wir andern sind so daran gewöhnt, uns alles von ihm gefallen zu lassen, dass es uns nie einfällt, darüber böse zu werden oder zu zürnen.“ „Das mag sein, aber Goethe würde es in seiner Jugend schwerlich geduldet haben, so behandelt zu werden.“

Samstag, 2. Mai 2009

Bei den Weibern zählt einer wenigstens mit, wiegt er auch nicht mit. Sie schätzen die Courmacher nach der Zahl, nicht nach dem Gewichte.

Dienstag, 28. April 2009

Wir saßen lange beisammen, in ruhiger, liebevoller Stimmung. Ich drückte seine Knie, ich vergaß das Reden über seinem Anblick, ich konnte mich an ihm nicht satt sehen. Das Gesicht so kräftig und braun und voller Falten und jede Falte voller Ausdruck. Und in allem solche Biederkeit und Festigkeit und solche Ruhe und Größe! Er sprach langsam und bequem, so wie man sich wohl einen bejahrten Monarchen denkt, wenn er redet. Man sah ihm an, daß er in sich selber ruht und über Lob und Tadel erhaben ist. Es war mir bei ihm unbeschreiblich wohl; ich fühlte mich beruhigt, so wie es jemandem sein mag, der nach vieler Mühe und langem Hoffen endlich seine liebsten Wünsche befriedigt sieht.
Alles was Meinungen über die Dinge sind, gehört dem Individuum an, und wir wissen nur zu sehr, dass die Ueberzeugung nicht von der Einsicht, sondern von dem Willen abhängt; dass niemand etwas begreift, als was ihm gemäss ist und was er deswegen zugeben mag. Im Wissen wie im Handeln entscheidet das Vorurteil alles, und das Vorurteil, wie sein Name wohl bezeichnet, ist ein Urteil vor der Untersuchung. Es ist eine Bejahung oder Verneinung dessen, was unsere Natur anspricht oder ihr widerspricht; es ist ein freudiger Trieb unseres lebendigen Wesens nach dem Wahren wie nach dem Falschen, nach allem, was wir mit uns im Einklang fühlen.
Er ist das vollkommenste Wesen, das ich kenne, auch im Äusseren; eine hohe, schöne Gestalt, die sich sehr gerade hält, sehr sorgfältig gekleidet, immer schwarz oder ganz dunkelblau, die Haare recht geschmackvoll frisiert und gepudert, wie es seinem Alter ziemt, und ein gar prächtiges Gesicht mit zwei klaren Augen, die mild und durchdringend zugleich sind. ...
Das Weib ist ein organisiertes Gebären, das Organ des Gebärens. Des Mannes telos ist viel idealer und geistiger. Und sein Verdienst besteht im ideellen und geistigen Wirken.

Montag, 27. April 2009

Mit Liebe schieden wir auseinander; ich im hohen Grade glücklich, denn aus jedem seiner Worte sprach Wohlwollen und ich fühlte, daß er es überaus gut mit mir im Sinne habe.

Samstag, 25. April 2009

Goethe hatte einen Band der Farbenlehre vor sich liegen. „Ich bin“, sagte er, „Ihnen noch immer eine Antwort wegen des Phänomens der farbigen Schatten schuldig. Da dieses aber vieles voraussetzt und mit vielem andern zusammenhängt, so will ich Ihnen auch heute keine aus dem Ganzen herausgerissene Erklärung geben, vielmehr habe ich gedacht, daß es gut sein würde, wenn wir die Abende, die wir zusammenkommen, die ganze Farbenlehre miteinander durchlesen. Dadurch haben wir immer einen soliden Gegenstand der Unterhaltung, und Sie selbst werden sich die ganze Lehre zu eigen machen, so daß Sie kaum merken, wie Sie dazu kommen. Das Überlieferte fängt bei Ihnen an zu leben und wieder produktiv zu werden, wodurch ich denn voraussehe, daß diese Wissenschaft sehr bald Ihr Eigentum sein wird. Nun lesen Sie den ersten Abschnitt.“
Wir sprachen von Professoren, die, nachdem das Bessere gefunden, immer noch die Newtonische Lehre vortragen. „Dies ist nicht zu verwundern,“ sagte Goethe; „solche Leute gehen im Irrtum fort, weil sie ihm ihre Existenz verdanken. Sie müßten umlernen, und das wäre eine sehr unbequeme Sache.“ „Aber,“ sagte ich, „wie können ihre Experimente die Wahrheit beweisen, da der Grund ihrer Lehre falsch ist?“ – „Sie beweisen auch die Wahrheit nicht,“ sagte Goethe, „und das ist auch keineswegs ihre Absicht, sondern es liegt ihnen bloß daran, ihre Meinung zu beweisen. Deshalb verbergen sie auch alle solche Experimente, wodurch die Wahrheit an den Tag kommen und die Unhaltbarkeit ihrer Lehre sich darlegen könnte.“

Freitag, 24. April 2009

„Es gereut mich auch keineswegs,“ sagte Goethe, „obgleich ich die Mühe eines halben Lebens hineingesteckt habe. Ich hätte vielleicht ein halb Dutzend Trauerspiele mehr geschrieben, das ist alles, und dazu werden sich noch Leute genug nach mir finden.“
„In der Farbenlehre steht mir nun noch die Entwickelung des Regenbogens bevor, woran ich zunächst gehen werde. Es ist dieses eine äußerst schwierige Aufgabe, die ich jedoch zu lösen hoffe. Es ist mir aus diesem Grunde lieb, jetzt mit Ihnen die Farbenlehre wieder durchzugehen, wodurch sich denn, zumal bei Ihrem Interesse für die Sache, alles wieder anfrischt.“
„Wenn nur die Menschen“, fuhr Goethe fort, „das Rechte, nachdem es gefunden, nicht wieder umkehrten und verdüsterten, so wäre ich zufrieden; denn es täte der Menschheit ein Positives not, das man ihr von Generation zu Generation überlieferte, und es wäre doch gut, wenn das Positive zugleich das Rechte und Wahre wäre. In dieser Hinsicht sollte es mich freuen, wenn man in den Naturwissenschaften aufs Reine käme, und sodann im Rechten beharrte und nicht wieder transzendierte, nachdem im Faßlichen alles getan worden. Aber die Menschen können keine Ruhe halten, und ehe man es sich versieht, ist die Verwirrung wieder oben auf.“
Goethe war in der besten Laune, und ich war glücklich, ihn abermals über so bedeutende Dinge reden zu hören. „Wir wollen uns nur“, sagte er, „im stillen auf dem rechten Wege forthalten und die Übrigen gehen lassen; das ist das Beste.“

Mittwoch, 22. April 2009

Seit man nun aber nach des trefflichen Mannes Tode in dieser Wissenschaft das Oberste zu unterst kehrt, gehe ich in diesem Fache öffentlich nicht weiter mit, sondern halte mich im stillen in meiner Überzeugung fort.

Sonntag, 19. April 2009

Es ist aber der kindisch egoistische Widerspruchsgeist im Menschen, dass er gegen sich selbst zerstörend verfährt, nur um ein anderes nicht über sich zu leiden. Lobt man ein Bestimmtes, so weiss er gleich noch ein anderes darüber aufzustellen, um jenes zu vernichten; tadelt man etwas, so steigt er gleich einige Stufen tiefer, um zu zeigen, dass es noch vieles unter jenem gebe, und so dies zu entschuldigen, ja zu erheben.
„Man erschrickt,“ sagte Goethe, „wenn man diese Bilderchen durchsieht! Da wird man erst gewahr, wie unendlich reich und groß Shakespeare ist! Da ist doch kein Motiv des Menschenlebens, das er nicht dargestellt und ausgesprochen hätte! Und alles mit welcher Leichtigkeit und Freiheit!“
Das Gespräch wendete sich auf Byron, und zwar wie er gegen Shakespeares unschuldige Heiterkeit im Nachteil stehe, und wie er durch sein vielfältig negatives Wirken sich so häufigen und meistenteils nicht ungerechten Tadel zugezogen habe. „Hätte Byron Gelegenheit gehabt,“ sagte Goethe, „sich alles dessen, was von Opposition in ihm war, durch wiederholte derbe Äußerungen im Parlament zu entledigen, so würde er als Poet weit reiner dastehen. So aber, da er im Parlament kaum zum Reden gekommen ist, hat er alles, was er gegen seine Nation auf dem Herzen hatte, bei sich behalten, und es ist ihm, um sich davon zu befreien, kein anderes Mittel geblieben, als es poetisch zu verarbeiten und auszusprechen. Einen großen Teil der negativen Wirkungen Byrons möchte ich daher verhaltene Parlamentsreden nennen, und ich glaube sie dadurch nicht unpassend bezeichnet zu haben.“
Es kam darauf einer unserer neuesten deutschen Dichter zur Erwähnung, der sich in kurzer Zeit einen bedeutenden Namen gemacht, dessen negative Richtung jedoch gleichfalls nicht gebilligt wurde.
„Es ist nicht zu leugnen,“ sagte Goethe, „er besitzt manche glänzende Eigenschaften; allein ihm fehlt – die Liebe. – Er liebt so wenig seine Leser und seine Mitpoeten als sich selber, und so kommt man in den Fall, auch auf ihn den Spruch des Apostels anzuwenden: „Und wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.“ Noch in diesen Tagen habe ich Gedichte von Platen gelesen und sein reiches Talent nicht verkennen können. Allein, wie gesagt, die Liebe fehlt ihm, und so wird er auch nie so wirken, als er hätte
müssen. Man wird ihn fürchten, und er wird der Gott derer sein, die gern wie er negativ wären, aber nicht wie er das Talent haben.“
Der Freiheitssinn und die Vaterlandsliebe, die man aus den Alten zu schöpfen meint, wird in den meisten Leuten zur Fratze. Was dort aus dem ganzen Zustand der Nation, ihrer Jugend, ihrer Lage zu andern, ihrer Cultur hervorging, wird bei uns eine ungeschickte Nachahmung. Unser Leben führt uns nicht zur Absonderung und Trennung von andern Völkern, vielmehr zu dem größten Verkehr; unsere bürgerliche Existenz ist nicht die der Alten; wir leben auf der einen Seite viel freier, ungebundener und nicht so einseitig beschränkt als die Alten, auf der andern ohne solche Ansprüche des Staats an uns, daß wir eifersüchtig auf seine Belohnung zu sein Ursache und deswegen einen Patricieradel zu souteniren hätten. Der ganze Gang unserer Cultur, der christlichen Religion selbst führt uns zur Mittheilung, Gemeinmachung, Unterwürfigkeit und zu allen gesellschaftlichen Tugenden, wo man nachgiebt, gefällig ist, selbst mit Aufopferung der Gefühle und Empfindungen, ja Rechte, die man im rohen Naturzustande haben kann. Sich den Obern zu widersetzen, einem Sieger störrig und widerspenstig zu begegnen, darum weil uns Griechisch und Lateinisch im Leibe steckt, er aber von diesen Dingen wenig oder nichts versteht, ist kindisch und abgeschmackt. Das ist Professorstolz, wie es Handwerksstolz, Bauernstolz und dergleichen giebt, der seinen Inhaber ebenso lächerlich macht, als er ihm schadet.
In Bezug auf Werke guter Schriftsteller: Wenn der Bäcker wüsste oder bedächte, was für ein Lumpenpack sein Brot ässe, er würde lieber keines backen.
»Das wird freilich eine große Operation sein, aber was der Historiker nach solcher Plage für Wahrheit hält, ist immer nur für ihn, ist nur subjective [93] Wahrheit; unbestreitbare, objective Wahrheit ist es nicht.«
Fichte beantwortete die Frage des Pilatus: was ist Wahrheit? – einmal mit folgenden Worten: Wahrheit ist, was nothwendig so gedacht werden muß, wie es gedacht ist, was schlechthin nicht anders gedacht werden kann.
»Nämlich von Fichte oder von mir. Also hat ein jeder seine eigene Wahrheit. Die mathematische Wahrheit aber ist für Alle dieselbe.«
Man braucht wahrlich nicht den Widerspruch zu seinem Grundsatze gemacht zu haben, um den Gang der Dinge anders zu denken, als sie uns überliefert oder von irgend einem Historiker dargestellt werden können. Und solange dieses der Fall ist, so lange wird es verstattet sein, die Geschichte des Irrtums zu zeihen, und ihre Ueberlieferungen als falsch anzusehen.
»Aber nun doch noch eine Frage. Was wollen Sie denn zuletzt mit Ihrer Geschichte, mit allen diesen historischen Wahrheiten, Irrthümern, Dichtungen? Welches ist das endliche Ziel Ihrer Studien und Ihrer Bestrebungen?«
Das ist eine große Frage, Ew. Excellenz, die eine weitläufige Antwort nothwendig macht. In der Kürze wüßte ich sie in der That nicht besser zu beantworten als mit Faust's Worten:

Was der ganzen Menschheit zugetheilt ist,

Will ich in meinem inneren Selbst erkennen.

»Genießen, wollen Sie sagen.«
Ew. Excellenz halten's zu Gnaden: ich möchte doch bei dem Erkennen bleiben, und mich mit dem Genusse begnügen, den etwa das Erkennen abwirft. Das Erkannte aber möchte ich alsdann durch Lehre und Schrift mittheilen. Übrigens darf ich wohl nicht hinzufügen, daß ich natürlich nur von meinem Wunsch und Willen gesprochen habe; das Vollbringen liegt nur zum kleinsten Theil in des Menschen Hand. Aber in magnis voluisse sat est.
»Ja, ja. Wir haben nunmehr Stoff zu vielen künftigen Unterhaltungen. Aber es ist schon weit am Tage, wir müssen's dießmal unterbrechen.«
„Nun, nun! sagte er dann, wenn Sie in Jena sind, so sind wir ja nahe beieinander und können zueinander und können uns schreiben, wenn etwas vorfällt.“
... seine Besuche sind mir nicht wohltätig, ich kann nicht offen gegen ihm sein, manchmal ist er ganz wie verrückt, und nicht allein mir kommt er so vor, sondern mehreren Menschen.
Die Lüge bleibt immer; sie ist nur abermals zurück geworfen, und zurück geworfen auf die Sache selbst; und wir bekommen stets ein unwahres, ein verzerrtes, ein schiefes und falsches Bild von der früheren Welt. Und besser wäre doch wohl, sich gar nicht um die Vergangenheit zu bekümmern, als falsche, also unnütze und verwirrende Vorstellungen von derselben mit uns herumzutragen. Dadurch werden wir nur verführt, auch die Welt, in der wir leben, falsch aufzufassen, und verkehrt in ihr und auf sie zu wirken.

Sonntag, 12. April 2009

„Man kann nicht wissen, wie sich das dreht und wendet,“ sagte er dann; ich habe manchen hübschen Freund in Berlin, da habe ich denn dieser Tage Ihrer gedacht.“
Es ist mit den Völkern, wie mit den Menschen. Die Völker bestehen ja aus Menschen. Auch sie treten ins Leben, wie die Menschen, treiben's, etwas länger, in gleich wunderlicher Weise, und sterben gleichfalls entweder eines gewaltsamen Todes, oder eines Todes vor Alter und Gebrechlichkeit. Die Gesammtnoth und die Gesammtplage der Menschen ist eben die Noth und die Plage der Völker.
»Alles, was Sie da vorbringen, kann nichts gelten. In der Poesie giebt es keine Widersprüche. Diese sind nur in der wirklichen Welt, nicht in der Welt der Poesie. Was der Dichter schafft, das muß genommen werden, wie er es geschaffen hat. So wie er seine Welt gemacht hat, so ist sie. Was der poetische Geist erzeugt, muß von einem poetischen Gemüth empfangen werden. Ein kaltes Analysiren zerstört die Poesie und bringt keine Wirklichkeit hervor. Es bleiben nur Scherben übrig, die zu nichts dienen und nur incommodiren.«
Eben deßwegen habe ich alles Räsonniren verworfen, und nehme die Handlung rein und lauter, wie sie dargestellt, und jedes Wort, wie es gesprochen worden ist.
»Aber Sie nehmen nur immer die einzelnen Scenen, Sprüche, Wörter, und wollen von dem Ganzen nichts wissen.«
Weil es dem Dichter nicht gefallen hat, uns ein Ganzes zu geben. Wir haben ja nur Bruchstücke.

»Aber eben weil es Bruchstücke sind, müssen sie ja zu einem Ganzen gehören, und im Ganzen poetisch aufgefaßt werden.«
Er fing sogleich an von meinem Manuskript zu reden. „Ich komme eben von Ihnen her, sagte er; ich habe den ganzen Morgen in Ihrer Schrift gelesen; sie bedarf keiner Empfehlung, sie empfiehlt sich selber.“
In meiner Art auf und ab wandelnd, war ich seit einigen Tagen an einem alten Manne von etwa 78 bis 80 Jahren häufig vorübergegangen, der auf sein Rohr mit einem goldenen Knopfe gestützt dieselbe Straße zog, kommend und gehend. Ich erfuhr, es sei ein vormaliger hochverdienter General aus einem alten, sehr vornehmen Geschlechte. Einige Male hatte ich bemerkt, daß der Alte mich scharf anblickte, auch wohl, wenn ich vorüber war, stehen blieb und mir nachschaute. Indeß war mir das nicht auffallend, weil mir dergleichen wohl schon begegnet ist. Nun aber trat ich einmal auf einem Spaziergang etwas zur Seite, um, ich weiß nicht was, genauer anzusehen. Da kam der Alte freundlich auf mich zu, entblößte das Haupt ein wenig, was ich natürlich anständig erwiederte, und redete mich folgendermaßen an: ›Nicht wahr, Sie nennen sich Herr Goethe?‹ – Schon recht. – ›Aus Weimar?‹ – Schon recht. – ›Nicht wahr, Sie haben Bücher geschrieben?‹ – O ja. – ›Und Verse gemacht?‹ – Auch. – ›Es soll schön sein.‹ – Hm! – ›Haben sie denn viel geschrieben?‹ – Hm! es mag so angehen. – ›Ist das Versemachen schwer?‹ – So, so! – ›Es kommt wohl halter auf die Laune an? ob man gut gegessen und getrunken hat, nicht wahr?‹ – Es ist mir fast so vorgekommen. – ›Na schauen S'! da sollten Sie nicht in Weimar sitzen bleiben, sondern halter nach Wien kommen.‹ – Hab' auch schon daran gedacht. – ›Na schauen S'! in Wien ist's gut; es wird gut gegessen und getrunken.‹ – Hm! – ›Und man hält was auf solche Leute, die Verse machen können.‹ – Hm! – ›Ja, dergleichen Leute finden wohl gar – wenn S' sich gut halten, schauen S', und zu leben wissen – in den ersten und vornehmsten Häusern Aufnahme.‹ – Hm! ›Kommen S' nur! Melden S' sich bei mir, ich habe Bekanntschaft, Verwandtschaft, Einfluß. Schreiben S' nur: Goethe aus Weimar, bekannt von Karlsbad her. Das letzte ist nothwendig zu meiner Erinnerung, weil ich halter viel im Kopf habe.‹ – Werde nicht verfehlen. – ›Aber sagen S' mir doch, was haben S' denn geschrieben?‹ – Mancherlei, von Adam bis Napoleon, vom Ararat bis zum Blocksberg, von der Ceder bis zum Brombeerstrauch. – ›Es soll halter berühmt sein.‹ – Hm! Leidlich. – ›Schade, daß ich nichts von Ihnen gelesen und auch früher nichts von Ihnen gehört habe! Sind schon neue verbesserte Auflagen von Ihren Schriften erschienen?‹ – O ja! Wohl auch. – ›Und es werden wohl noch mehr erscheinen?‹ – Das wollen wir hoffen. – ›Ja, schauen S', da kauf' ich Ihre Werke nicht. Ich kaufe halter nur Ausgaben der letzten Hand; sonst hat man immer den Ärger, ein schlechtes Buch zu besitzen, oder man muß dasselbe Buch zum zweiten Male kaufen; darum warte ich, um sicher zu gehen, immer den Tod der Autoren ab, ehe ich ihre Werke kaufe. Das ist Grundsatz bei mir, und von diesem Grundsatz kann ich halter auch bei Ihnen nicht abgehen.‹ – Hm! –
Manchmal sehne ich mich nach einem behaglichen Freund ... Goethe ist selten zu sehen, und immer ist etwas um ihn, entweder eine Wolke, ein Nebel oder ein Glanz, wo man nicht in seine Atmosphäre kann.
Lichtenbergs Wohlgefallen an Karikaturen rührt von seiner unglücklichen körperlichen Konstitution mit her, dass es ihn gefreut, etwas noch unter sich zu erblicken. Wie er sich wohl in Rom gemacht haben würde beim Anblick und Einwirkung der Kunst? Er war keine konstruktive Natur, wie Äsop oder Sokrates; nur auf Entdeckung des Mangelhaften gestellt.
Ich lebte in diesen Liedern ganze Wochen und Monate. Dann gelang es mir, den Wilhelm Meister zu bekommen, dann sein Leben, dann seine dramatischen Werke. Den Faust, vor dessen Abgründen menschlicher Natur und Verderbnis ich anfänglich zurückschauderte, dessen bedeutend-rätselhaftes Wesen mich aber immer wieder anzog, las ich alle Festtage. Bewunderung und Liebe nahm täglich zu, ich lebte und webte Jahr und Tag in diesen Werken und dachte und sprach nichts als von Goethe.
Weit entfernt aber bin ich auch wiederum, zu glauben, daß hiermit nun der ganze innere Goethe gezeichnet sei. Man kann diesen außerordentlichen Geist und Menschen mit Recht einem vielseitigen Diamanten vergleichen, der nach jeder Richtung hin eine andere Farbe spiegelt. Und wie er nun in verschiedenen Verhältnissen und zu verschiedenen Personen ein anderer war, so kann ich auch in meinem Falle nur in ganz beschiedenem Sinne sagen: dies ist mein Goethe.

Samstag, 11. April 2009

Auch eine schädliche Wahrheit ist nützlich, weil sie nur Augenblicke schädlich sein kann und alsdann zu andern Wahrheiten führt, die immer nützlich und sehr nützlich werden müssen. Umgekehrt ist ein nützlicher Irrtum schädlich, weil er es nur augenblicklich sein kann und in andre Irrtümer verleitet, die immer schädlicher werden.
Auch mich hat ein liebes Abenteuer erwartet. Abenteuer? Warum brauche ich das alberne Wort? Es ist nichts Abenteuerliches in einem sanften Zuge, der Menschen zu Menschen hinzieht. Unser bürgerliches Leben, unsere falschen Verhältnisse, das sind die Abenteuer, das sind die Ungeheuer!
Ich war darauf wieder ein Stündchen bei ihm.
Wenn ich aber die reiche Fülle seiner Äußerungen bedenke, die während eines Zeitraumes von neun Jahren mich beglückten, und nun das Wenige betrachte, das mir davon schriftlich aufzufassen gelungen ist, so komme ich mir vor wie ein Kind, das den erquicklichen Frühlingsregen in offenen Händen aufzufangen bemüht ist, dem aber das meiste durch die Finger läuft.

Freitag, 10. April 2009

Eberl schien sich darüber zu wundern, wie Mozart ohne Welt, ohne vielseitiges Wissen doch die Charaktere aus den Dichtungen, die er in Musik gesetzt, so gut habe fassen und halten können.
Es gibt Tugenden, die man, wie die Gesundheit, nicht eher schätzt, als bis man sie vermisst; von denen nicht eher die Rede ist, als wo sie fehlen; die man stillschweigend voraussetzt; die dem Inhaber nicht zugute kommen, weil sie in einem Leiden, in der Geduld bestehen. Sie scheinen, wo sie sind, nur aus einer Abwesenheit von Kraft und Tätigkeit zu bestehen, und sie sind die höchste Kraft, nur nach innen gewandt, und zur Abwehr äusseren Unglimpfs, nur als Gegendruck gebraucht. Hammer zu sein, scheint jedem rühmlicher und wünschenswerter, als Amboss, und doch was gehört nicht dazu, diese unendlichen, immer wiederkehrenden Schläge auszuhalten!
… sein Bube kommt mir auch nicht vor, als könnte er lange leben, gebe der Himmel, dass er nicht vor ihm stirbt, seine Demoiselle, sagt man, betrinkt sich alle Tage, wird aber dick und fett, der arme Goethe, der lauter edle Umgebungen hätte haben sollen! doch hat er auch zwei Naturen.
Ich habe ihn in dieser Zeit ziemlich oft gesehen, und wie kraftlos und ernst ist sein Wesen. Seine Philistrosität, die der prophetische Novalis durch die verschlungenen Gewebe des „Wilhelm Meister“ deutlich erkannt hatte, kommt immer mehr zu Tage, wovon der „Rameau“ – Du kennst ihn gewiss schon – ein treffender Beweis ist.

Dienstag, 7. April 2009

Goethe erklärte, er habe niemals über die Theorien der Poesie anhaltend und ernst nachgedacht; von allen seinen poetischen Werken sei keines mit klarem Verstande dessen, was gemacht werden solle und müsse, sondern bloss durch ein Gefühl, eine Ahnung, das sei das Rechte, entstanden, ohne weiteres Räsonnement darüber.

Donnerstag, 2. April 2009

Die Natur hat offenbar gewollt, daß wir nicht eben unsre körperlichen Kräfte in dem Grade des natürlichen Zustandes erhalten sollten, daß wir schwächer werden sollten, ohne doch darum einzubüßen; denn sie hat uns in der menschlichen Gesellschaft, im Zusammenleben und in der Gewalt des Verstandes eine Stärke zubereitet, die alle Stärke der wildesten Thiere übertrifft. Und gewisse Operationen des Geistes gelingen nicht anders, als bei einer zarteren Organisation.
Ladend und lieblich bist du,
Und Blumen, Mond und Gestirne
Huldigen, Sonne, nur dir.
In Weimar selbst, welch ein verwunschenes Verhältnis des Sohnes zwischen diesem Vater und dieser Mutter. Die Mademoiselle hilft sich, und nennt den Sohn August; aber wie soll der Sohn die Mademoiselle anreden? – Die ganze Haushaltung, wie sie jetzt besteht, ist ungereimt, und muss jedem weh tun, diesem so jenem anders. Darüber sind sich alle eins, dass Goethe diese gemeine Natur nicht heiraten kann …

Dienstag, 31. März 2009

Seine äusserliche Lage, wie er sie hat werden lassen, wie das Schicksal sie gemacht hat, im einzelnen und im ganzen Zusammenhange, ist so, dass er unmöglich glücklich sein kann. Dass er heraus muss, fühlt er selbst. Aber in welche neue nun hinein? Hier ist so vieles zu schlichten und guter Rat teuer.

Mittwoch, 25. März 2009

So bist du die Rose der Rosen,
Lilie der Lilien zugleich.
So ungefähr, aber viel schöner, war das Lied, was Goethe mir von Demoiselle Engels zur Gitarre singen liess.
Alles verkündet Dich,
Nahst Du im Morgenlicht
Eilet die Sonne hervor.
Zeigst Du im Garten Dich,

Rose der Rosen Du,
Lilie der Lilien zusamt.

Dienstag, 24. März 2009

Dabei lächelte er liebevoll in sich.

Samstag, 21. März 2009

Vor wenigen Tagen bin ich hier angekommen, heute war ich zuerst bei Goethe. Der Empfang seinerseits war überaus herzlich und der Eindruck seiner Person auf mich der Art, daß ich diesen Tag zu den glücklichsten meines Lebens rechne.

Freitag, 20. März 2009

Nacht! und so wär es denn Nacht!

Mittwoch, 18. März 2009

Jetzt ist er sehr stolz und finster und ernst; jedoch hat er der Liebe noch nicht entsagt, denn er hat so ein Mittelding zwischen Frau und Mädchen bei sich und führt es überall mit sich herum, auch sitzt es im Theater neben ihm und sieht ihn zärtlich an, wenn verliebte Stellen kommen.
… dass über Göthe's Gesicht ein Erröthen der Ueberraschung ging, ein Ausdruck der gutmüthig fragte, warum man ihm seine geheimsten Ueberzeugungen entlocken wolle? Und so bin ich überzeugt, dass er nicht einmal seinen Freund nur habe ahnen lassen, wie er über den Dichter Schiller denke. Überhaupt ist der zarten Schonung, der Gutmütigkeit in Göthe weit mehr, als die Menschen glauben, und ich meine, dass in seinem Charakter viel weniger Härte sei als in Schillers. Doch ist es freilich leichter, keine Härte an sich hervortreten zu lassen, wenn man in Lebensfülle, reicher Wohlbehaglichkeit, und rüstiger Gesundheit blüht, was doch im ganzen von Goethe gilt, als wenn ein starker Geist seinem Körper, in welchem das Leben untergraben ist, die lebendigste Anstrengung abtrotzen muss …

Sonntag, 8. März 2009

Ich gab ihm vollkommen recht, wenn er die protestantische Religion beschuldigte, sie hätte dem einzelnen Individuum zu viel zu tragen gegeben. ... „Die Ohrenbeichte“, sagte er, „hätte dem Menschen nie sollen genommen werden.“

Donnerstag, 5. März 2009

Die Hofluft tut den schönen Geistern nicht wohl. - Schiller wird auch immer krank, wenn er an Hof geht.
Ich kann nicht begreifen, wie man sich selbst ersticken kann, wie es doch mit unserm Goethe der Fall ist.
Noch heute morgen sagte er zu mir: Nun kommen die traulichen Winterabende, da wollen wir zusammen lesen, und brav rezensieren.

Mittwoch, 4. März 2009

Dabei ist Goethe die Liebe selbst und sucht in allen Dingen und bei allen Menschen nur die vorteilhaftesten Seiten auf, und beurteilt den Menschen nur nach dem Massstabe dessen, was er seiner inneren Natur nach zu leisten im Stande ist. Wie kämen wir schwachen Kinder des Staubes auch sonst neben ihm zurecht, wenn er diese schonende und liebreiche Maxime nicht hätte?
Was sagst Du zu Hölderlins Sophokles? Ist der Mensch rasend oder stellt er sich nur so, und ist sein Sophokles eine versteckte Satire auf schlechtes Übersetzen? Ich habe neulich abends, als ich mit Schiller bei Goethe aß, beide recht damit regaliert. Lies doch den vierten Chor der „Antigone“ - Du hättest Schiller sehen sollen, wie er lachte!
Seine Weise, die Menschen zu betrachten, ist ganz die eines kontemplativen Naturforschers, im edleren Sinne des Wortes.
Könnte nun wohl ein Naturforscher sich über einen Giftbaum oder eine Kröte ärgern? Nun, so verdriesst Goethe auch ein Kotzebue, selbst ein Merkel nicht. Er denkt, der liebe Gott, der von allen Arten etwas gibt, hat ihnen einmal diese eselshafte Natur gegeben, sie müssen ihr treu bleiben. Auch solche Subjekte sind notwendig zum Heil des Ganzen, wenn sie gleich nur negativ wirken.

Montag, 2. März 2009

Die gnädigen Gesinnungen, welche Eure Durchlaucht so edelmütig gegen mich äussern, befreien mein Herz von einer grossen Last ...
Gestern war Apollo hier und sagte, er würde es in zwei Teile teilen, und es wird nun besser gehen, auch umgibt ein Sternenkranz seitdem mein Haupt, denn als ich einige Stellen lobte, erhob sich Apoll und küsste die Stirn, welche so fein und zart sentierte, und das fühlte, was nur die zartesten Seelen fassen könnten – seit diesem Tag glänzt meine Stirn, wie das Angesicht Moses …

Donnerstag, 26. Februar 2009

Das Innere des Hauses machte auf mich einen sehr angenehmen Eindruck; ohne glänzend zu sein, war alles höchst edel und einfach; auch deuteten verschiedene an der Treppe stehende Abgüsse antiker Statuen auf Goethes besondere Neigung zur bildenden Kunst und dem griechischen Altertum. Ich sah verschiedene Frauenzimmer, die unten im Hause geschäftig hin und wieder gingen; auch einen der schönen Knaben Ottiliens, der zutraulich zu mir herankam und mich mit großen Augen anblickte.

Samstag, 14. Februar 2009

Überdies war der tägliche Umgang mit ganz vorzüglichen Köpfen unter den Studierenden und das unaufhörliche besprechen der höchsten Gegenstände auf Spaziergängen und oft bis tief in die Nacht hinein, für mich ganz unschätzbar und auf meine immer freiere Entwicklung von günstigstem Einfluß.

Freitag, 13. Februar 2009

Könnte ich Dir doch den einen Nachmittag schildern, wo ich bis in den Abend hinein fünf volle Stunden bei ihm allein war. Er war vom Hofe gekommen, alle seine Hausgenossen waren spazieren gefahren, da schickte er zu mir mit den Worten: „ich solle ihm Gesellschaft leisten“. Als ich zu ihm ins Zimmer trat, fand ich ihn, schon wieder in seinem blauen, heimischen Ueberrock, seine Medaillen und Münzen durchmusternd; er gab mit freundlich die Hand und sah mir noch freundlicher ins Gesicht. Er sah so recht behaglich und gemütlich aus und war es auch in der Tat.
On the threshold immediately before the ante-chamber is inlaid in large letters: SALVE.
Dem herrlichen Goethe bin ich nun in meiner neuen Wohnung recht nahe, ich kann ihn täglich sehen und darf zu ihm kommen, wann ich will. Ich darf ihn um alles fragen, um jede Belehrung bitten, jeden Zweifel unverhohlen mitteilen. Gewöhnlich zweimal die Woche esse ich bei ihm, einmal abends, einmal mittags, aber auch sonst lässt er mich manchmal zu sich kommen, entweder zum Spazierengehn, oder wenn er Lust zu sprechen hat, oder dies oder jenes zeigen und erklären, oder auch, wenn meine Kräfte reichen, erklärt haben will.
Hätte Lorenz länger leben und eine fortschreitende stufenhafte Ausbildung des gegründeten Zustandes statthaben können, so würde die Geschichte von Florenz eins der schönsten Phänomene darstellen; allein wir sollen wohl im Lauf der irdischen Dinge die Erfüllung des schönen Möglichen nur selten erleben.
Einem tätigen, produktiven Geiste, einem wahrhaft vaterländisch gesinnten und einheimische Literatur befördernden Manne wird man es zugute halten, wenn ihn der Umsturz alles Vorhandenen schreckt, ohne daß die mindeste Ahnung zu ihm spräche, was denn Besseres, ja nur anderes daraus erfolgen solle. Man wird ihm beistimmen, wenn es ihn verdrießt, daß dergleichen Influenzen sich nach Deutschland erstrecken und verrückte, ja unwürdige Personen das Heft ergreifen.
So erinnere ich mich noch jetzt eines Tages, wo die Dame bei Goethe zu Besuch war, in einem Zimmer, das gerade unter dem meinigen lag, beide in überlautem und heftigem, fast leidenschaftlichem Gespräch begriffen gehört zu haben, wobei besonders sie so kreischend schrie und tobte, dass ich fürchtete, sie würde, nach oben die dünne Decke durchbrechend, gleich einer zornigen Fee, zum Dache hinaus in die Lüfte fahren. Goethe versicherte mir auch nachher, dass er sie durch seine Argumente so in die Enge getrieben, dass es beinah diesen Anschein gehabt hätte.

Sonntag, 8. Februar 2009

Ich glaube, Frau von Staël hat ihm das Bedürfnis beigebracht, wieder etwas gebildetere Frauen bei sich zu sehen, als bisher es seine Umgebung war.
Goethe hat aus lauter Freude, dass die Staël fort war, seine ihm bequemere Donna zwei Tage nacheinander durch alle Strassen auf dem Schlitten gefahren.
Ich sah ihm steif ins Auge, und es schien mir freundlicher und milder als jemals.

Freitag, 6. Februar 2009

Sie tadelte seine scheue Zurückgezogenheit, seine kalte, zurückstossende Verschlossenheit, kurz alles dasjenige, was Goethe, der die Weiber stets nur als Spielwerkzeuge ansehe, und bei wahrhaft geistreichen und witzigen Frauen, die ihn nicht anbeteten, sich stets übelbefinde, erst in dem Kreise der Frauen verlernen müsse, die sich selbst schätzen.
... er meinte, Ansichten über Dinge wechselten, wie die Tage. Nun sei diese an der Ordnung, dann jene, so wie im Homer an einem Tage Diomedes der Held sei, an einem andern Achilles usw. Der Unterschied, dass jene Meinung länger daure, jene kürzer, sei nicht anders, als wie Sommertage länger dauern, als Wintertage.
Mein Urteil über Goethe kommt mir gerade so vor, als wenn das Lamm dort am Bach dem Wolf, der’s eben fressen will, eine Lobrede hält. Ach, er hat eine Wolfs-Natur!
Manchmal fällt ihm so eine Visite ein, wie vom Himmel gefallen. ... Ich unterhielt ihn mit den Kupfern, die eben da lagen ... diese gefielen ihm sehr, und dann empfahl er sich wieder.
Aber so ist’s mit uns allen! Des Menschen Verdüsterungen und Erleuchtungen machen sein Schicksal! Es täte uns not, dass der Dämon uns täglich am Gängelband führte und uns sagte und triebe was immer zu tun sei. Aber der gute Geist verlässt uns und wir sind schlaff und tappen im dunkeln.Da war Napoleon ein Kerl! – Immer erleuchtet, immer klar und entschieden, und zu jeder Stunde mit der hinreichenden Energie begabt um das was er als vorteilhaft und notwendig erkannt hatte, sogleich ins Werk zu setzen. Sein Leben war das Schreiten eines Halbgottes von Schlacht zu Schlacht und von Sieg zu Sieg. Von ihm könnte man sehr wohl sagen, dass er sich in dem Zustand einer fortwährenden Erleuchtung befunden, weshalb auch sein Geschick ein so glänzendes war, wie es die Welt vor ihm nicht sah und vielleicht auch nach ihm nicht sehen wird.

Sonntag, 1. Februar 2009

Man hat im Verlauf dieses biographischen Vortrags umständlich gesehen, wie das Kind, der Knabe, der Jüngling sich auf verschiedenen Wegen dem Übersinnlichen zu nähern gesucht; erst mit Neigung nach einer natürlichen Religion hingeblickt, dann mit Liebe sich an eine positive fest geschlossen, ferner durch Zusammenziehung in sich selbst seine eignen Kräfte versucht und sich endlich dem allgemeinen Glauben freudig hingegeben. Als er in den Zwischenräumen dieser Regionen hin und wider wanderte, suchte, sich umsah, begegnete ihm manches, was zu keiner von allen gehören mochte, und er glaubte mehr und mehr einzusehen, dass es besser sei, den Gedanken von dem Ungeheuren, Unfasslichen abzuwenden.
Er glaubte in der Natur, der belebten und unbelebten, der beseelten und unbeseelten, etwas zu entdecken, das sich nur in Widersprüchen manifestierte und deshalb unter keinen Begriff, noch viel weniger unter ein Wort gefasst werden könnte. Es war nicht göttlich, denn es schien unvernünftig; nicht menschlich, denn es hatte keinen Verstand, nicht teuflisch, denn es war wohltätig; nicht englisch, denn es ließ oft Schadenfreude merken. Es glich dem Zufall, denn es bewies keine Folge; es ähnelte der Vorsehung, denn es deutete auf Zusammenhang. Alles, was uns begrenzt, schien für dasselbe durchdringbar; es schien mit den notwendigen Elementen unsres Daseins willkürlich zu schalten; es zog die Zeit zusammen und dehnte den Raum aus. Nur im Unmöglichen schien es sich zu gefallen und das Mögliche mit Verachtung von sich zu stoßen. Dieses Wesen, das zwischen alle übrigen hinein zu treten, sie zu sondern, sie zu verbinden schien, nannte ich dämonisch, nach dem Beispiel der Alten und derer, die etwas Ähnliches gewahrt hatten. Ich suchte mich vor diesem furchtbaren Wesen zu retten, indem ich mich, nach meiner Gewohnheit, hinter ein Bild flüchtete.

Donnerstag, 29. Januar 2009

Es sind über sechzig Jahre, daß die Konzeption des Faust bei mir jugendlich von vorneherein klar, die ganze Reihenfolge hin weniger ausführlich vorlag. Nun hab ich die Absicht immer sachte neben mir hergehen lassen, und nur die mir gerade interessantesten Stellen einzeln durchgearbeitet, so daß im zweiten Teil Lücken blieben, durch ein gleichmäßiges Interesse mit dem übrigen zu verbinden. Hier trat nun freilich die große Schwierigkeit ein, dasjenige durch Vorsatz und Charakter zu erreichen, was eigentlich der freiwillig tätigen Natur allein zukommen sollte. Es wäre aber nicht gut, wenn es nicht auch nach einem so langen, tätig nachdenkenden Leben möglich geworden wäre, und ich lasse mich keine Furcht angehen, man werde das Ältere vom Neueren, das Spätere vom Früheren unterscheiden können, welches wir denn den künftigen Lesern zur geneigten Einsicht übergeben wollen.
Ganz ohne Frage würd es mir unendliche Freude machen, meinen werten, durchaus dankbar anerkannten, weit verteilten Freunden auch bei Lebzeiten diese sehr ernsten Scherze zu widmen, mitzuteilen und ihre Erwiderung zu vernehmen. Der Tag aber ist wirklich so absurd und konfus, daß ich mich überzeuge, meine redlichen, lange verfolgten Bemühungen um dieses seltsame Gebäu würden schlecht belohnt und an den Strand getrieben, wie ein Wrack in Trümmern daliegen und von dem Dünenschutt der Stunden zunächst überschüttet werden. Verwirrende Lehre zu verwirrtem Handel waltet über die Welt, und ich habe nichts angelegentlicher zu tun als dasjenige was an mir ist und geblieben ist wo möglich zu steigern und meine Eigentümlichkeiten zu kohobieren, wie Sie es, würdiger Freund, auf Ihrer Burg ja auch bewerkstelligen. Teilen Sie mir deshalb auch etwas von Ihren Arbeiten mit; Riemer ist, wie Sie wohl wissen, an die gleichen und ähnlichen Studien geheftet und unsere Abendgespräche führen oft auf die Grenzen dieses Faches. Verzeihung diesem verspäteten Blatte! Ohngeachtet meiner Abgeschlossenheit findet sich selten eine Stunde, wo man sich diese Geheimnisse des Lebens vergegenwärtigen mag.
treu angehörig
Weimar den 17. März 1832
J. W. v. Goethe

Mittwoch, 14. Januar 2009

Dies Werk ist so vortrefflich, dass Goethe, als er es den Schauspielern vorlas, selbst bitterlich weinte; das ist das Schönste, was ich von ihm gehört habe, überhaupt erscheint er mir, seit ich vieles und näheres von ihm höre, als der einfachste edelste reinste Mensch, und von Stolz und Kälte sprechen nur die Schafsköpfe.
Aber in dem sogenannten Genuss seines vollen Lebens darf ihn nichts stören.
«Verfluchen muß man das Produkt», sagte er im September 1786 zu Wilhelm von Humboldt über Friedrich Schlegels Alarcos.
Auf Herders dritten Teil freu’ ich mich sehr. Hebt mir ihn auf, bis ich sagen kann, wo er mir begegnen soll. Er wird gewiss den schönen Traumwunsch der Menschheit, dass es dereinst besser mit ihr werden sollte, trefflich ausgeführt haben. Auch muss ich selbst sagen, halt’ ich es für wahr, dass die Humanität endlich siegen wird, nur fürcht’ ich, dass zu gleicher Zeit die Welt ein großes Hospital und einer des andern humaner Krankenwärter sein werde.
Die Menschen werfen sich im Politischen wie auf dem Krankenlager von einer Seite zur andern, in der Meinung besser zu liegen.

Montag, 12. Januar 2009

Goethe verdirbt einem meistenteils die Gesellschaft. Wahre Güte des Herzens gibt auch Lebensart. Goethe hat eigentlich nur Schwäche des Herzens; dies habe ich lange für Güte gehalten.
Als er am 19. Januar 1802 Schiller eine Abschrift des Iphigeniendramas schickt, schreibt er: "Ich habe hie und da hineingesehen, es ist ganz verteufelt human."
Unter uns gesagt, ist an der ganzen Sache nichts interessant als Luthers Charakter, und es ist auch das Einzige, was der Menge eigentlich imponiert. Alles übrige ist ein verworrener Quark, wie er uns noch täglich zur Last fällt.
Vom Wahnsinn gab Goethe die einfache Definition, daß er darin bestehe, wenn man von der wahren Beschaffenheit der Gegenstände und Verhältnisse, mit denen man es zu tun habe, weder Kenntnis habe noch nehmen wolle, diese Beschaffenheit hartnäckig ignoriere.

Donnerstag, 8. Januar 2009

Denn es ging mir mit diesen Entwickelungen natürlicher Phänomene wie mit Gedichten, ich machte sie nicht, sondern sie machten mich.

Mittwoch, 7. Januar 2009

Freilich konnte ich auf diese Weise nur didaktisch und dogmatisch verfahren, eine eigentlich dialektische und konversierende Gabe war mir nicht verliehen. Oft aber trat auch eine böse Gewohnheit hervor, deren ich mich anklagen muß: da mir das Gespräch, wie es gewöhnlich geführt wird, höchst langweilig war, indem nichts als beschränkte, individuelle Vorstellungsarten zur Sprache kamen, so pflegte ich den unter Menschen gewöhnlich entspringenden bornierten Streit durch gewaltsame Paradoxe aufzuregen und ans Äußerste zu führen. Dadurch war die Gesellschaft meist verletzt und in mehr als einem Sinne verdrießlich. Denn oft, um meinen Zweck zu erreichen, mußt' ich das böse Prinzip spielen, und da die Menschen gut sein und auch mich gut haben wollten, so ließen sie es nicht durchgehen; als Ernst konnte man es nicht gelten lassen, weil es nicht gründlich, als Scherz nicht, weil es zu herb war; zuletzt nannten sie mich einen umgekehrten Heuchler und versöhnten sich bald wieder mit mir. Doch kann ich nicht leugnen, daß ich durch diese böse Manier mir manche Person entfremdet, andere zu Feinden gemacht habe.

Samstag, 3. Januar 2009

Nach einem Concert, das unsere Erwartungen nicht hinlänglich befriedigte, fuhren wir zu Goethens. Der alte Herr empfing uns ganz besonders zärtlich und entwickelte, als wir bald darauf mit ihm am traulichen Eßtisch saßen, seine ganze Liebenswürdigkeit in Scherz und Ernst auf's Allerreizendste. O, wie hinreißend, wie unwiderstehlich ist der Mann, wenn er in heitrer Gemüthlichkeit sich zwischen seinen Kindern und Freunden bewegt – bald das Größte und Höchste in's Gespräch verflechtend, bald sich scherzhaft wieder zu dem Kleinsten und Unbedeutendsten herabneigend und jedem einen neuen Werth, eine neue Bedeutung verleihend.
Dieser Gegenstand leitete uns dann weiter zurück in die entferntesten Zeiten der erwachenden Cultur zu der Erfindung der Schrift überhaupt, und ich warf Goethe die Frage auf, wie Homer seine Werke eigentlich geschrieben habe.»Diese Frage, mein liebes Engelchen!« sagte er, »kann nur durch weitläufige Erzählungen beantwortet, oder vielmehr verneint werden.«
Abgeschlossen sei das Buch,
Es enthält fürwahr genug;
Was davon dich kann erfreuen,
Wird sich immerfort erneuen,
Und was mag dem Scheiden frommen,
Als ein baldig Wiederkommen?
Er begriff kaum, wie man sich je von ihm wieder entfernen konnte, wenn man einmal seine Nähe genossen hatte. Als Julie sich im Februar 1823 von Weimar verabschiedet, um in das Haus ihrer Mutter zurückzukehren, ist Goethes Betroffenheit am Umschlag in die für ihn so schutzwirksame Geschäftsmässigkeit ablesbar.