Für
und wider zu dieser Stunde
Quengelt
ihr schon seit vielen Jahren:
Was
ich getan, ihr Lumpenhunde!
Werdet
ihr nimmermehr erfahren.
Goethe war in besonders guter, erhöhter Stimmung. Er ließ eine Flasche
Wein kommen, wovon er sich und mir einschenkte. Unser Gespräch ging wieder auf
den Großherzog Karl August zurück.
»Sie sehen,« sagte Goethe, »wie sein außerordentlicher Geist das ganze
Reich der Natur umfaßte. Physik, Astronomie, Geognosie, Meteorologie, Pflanzen
und Thierformen der Urwelt, und was sonst dazu gehört, er hatte für alles Sinn
und für alles Interesse. Er war achtzehn Jahre alt, als ich nach Weimar kam,
aber schon damals zeigten seine Keime und Knospen, was einst der Baum sein
würde. Er schloß sich bald auf das innigste an mich an und nahm an allem, was
ich trieb, gründlichen Antheil. Daß ich fast zehn Jahre älter war als er, kam
unserm Verhältniß zugute. Er saß ganze Abende bei mir in tiefen Gesprächen über
Gegenstände der Kunst und Natur und was sonst allerlei Gutes vorkam. Wir saßen
oft tief in die Nacht hinein, und es war nicht selten daß wir
nebeneinander aus meinem Sofa einschliefen. Fünfzig Jahre lang haben wir es
miteinander fortgetrieben, und es wäre kein Wunder wenn wir es endlich zu etwas
gebracht hätten.«
»Eine so gründliche Bildung,« sagte ich, »wie sie der Großherzog gehabt
zu haben scheint, mag bei fürstlichen Personen selten vorkommen.«
»Sehr selten!« erwiderte Goethe. »Es giebt zwar viele, die fähig sind
über alles sehr geschickt mitzureden; aber sie haben es nicht im Innern und
krabbeln nur an den Oberflächen. Und es ist kein Wunder, wenn man die
entsetzlichen Zerstreuungen und Zerstückelungen bedenkt, die das Hofleben mit
sich führt und denen ein junger Fürst ausgesetzt ist. Von allem soll er Notiz
nehmen. Er soll ein bißchen das kennen und ein bißchen das, und dann ein
bißchen das und wieder ein bißchen das. Dabei kann sich aber nichts setzen und
nichts Wurzel schlagen, und es gehört der Fonds einer gewaltigen Natur dazu, um
bei solchen Anforderungen nicht in Rauch aufzugehen. Der Großherzog war
freilich ein geborener großer Mensch, womit alles gesagt und alles gethan ist.«
»Bei allen seinen höhern wissenschaftlichen und geistigen Richtungen,«
sagte ich, »scheint er doch auch das Regieren verstanden zu haben.«
»Er war ein Mensch aus dem Ganzen,« erwiderte Goethe, »und es kam bei
ihm alles aus einer einzigen großen Duelle. Und wie das
Ganze gut war, so war das Einzelne gut, er mochte thun und treiben was er
wollte. Übrigens kamen ihm zur Führung des Regiments besonders drei Dinge zu
statten. Er hatte die Gabe, Geister und Charaktere zu unterscheiden und jeden
an seinen Platz zu stellen. Das war sehr viel. Dann hatte er noch etwas, was
ebenso viel war, wo nicht noch mehr: er war beseelt von dem edelsten
Wohlwollen, von der reinsten Menschenliebe, und wollte mit ganzer Seele nur das
Beste. Er dachte immer zuerst an das Glück des Landes und ganz zuletzt erst ein
wenig an sich selber. Edeln Menschen entgegenzukommen, gute Zwecke befördern zu
helfen, war seine Hand immer bereit und offen. Es war in ihm viel Göttliches.
Er hätte die ganze Menschheit beglücken mögen. Liebe aber erzeugt Liebe. Wer
aber geliebt ist, hat leicht regieren.
Und drittens: er war größer als seine Umgebung. Neben zehn Stimmen, die
ihm über einen gewissen Fall zu Ohren kamen, vernahm er die elfte, bessere in
sich selber. Fremde Zuflüsterungen glitten an ihm ab, und er kam nicht leicht
in den Fall, etwas Unfürstliches zu begehen, indem er das zweideutig gemachte
Verdienst zurücksetzte und empfohlene Lumpe in Schutz nahm. Er sah überall
selber, urtheilte selber und hatte in allen Fällen in sich selber die sicherste
Basis. Dabei war er schweigsamer Natur, und seinen Worten folgte die Handlung.«
»Wie leid thut es mir,« sagte ich, »daß ich nicht viel mehr von ihm
gekannt habe als sein Äußeres; doch das hat sich mir tief eingeprägt. Ich sehe
ihn noch immer auf seiner alten Droschke, im abgetragenen grauen Mantel und
Militärmütze und eine Cigarre rauchend, wie er aus die Jagd fuhr, seine
Lieblingshunde nebenher. Ich habe ihn nie anders fahren sehen als auf dieser
unansehnlichen alten Droschke, auch nie anders als zweispännig. Ein Gepränge
mit sechs Pferden und Röcke mit Ordenssternen scheint nicht sehr nach seinem
Geschmack gewesen zu sein.«
»Das ist,« erwiderte Goethe, »jetzt bei Fürsten überhaupt kaum mehr an
der Zeit. Es kommt jetzt darauf an, was einer auf der Waage der Menschheit
wiegt; alles übrige ist eitel. Ein Rock mit dem Stern und ein Waagen mit sechs
Pferden imponirt nur noch allenfalls der rohesten Masse, und kaum dieser.
Übrigens hing die alte Droschke des Großherzogs kaum in Federn. Wer mit ihm
fuhr, hatte verzweifelte Stöße auszuhalten. Aber das war ihm eben recht. Er
liebte das Derbe und Unbequeme und war ein Feind aller Verweichlichung.«
»Spuren davon,« sagte ich, »sieht man schon in Ihrem Gedicht ›Ilmenau‹, wo Sie ihn nach dem Leben gezeichnet zu haben scheinen.«
»Er war damals sehr jung,« erwiderte Goethe; »doch ging es mit uns
freilich etwas toll her. Er war wie ein edler Wein, aber noch in gewaltiger
Gärung. Er wußte mit seinen Kräften nicht wo hinaus, und wir waren oft
sehr nahe am Halsbrechen. Auf Parforcepferden über Hecken, Gräben und durch
Flüsse, und bergauf bergein sich tagelang abarbeiten, und dann Nachts unter
freiem Himmel kampiren, etwa bei einem Feuer im Walde: das war nach seinem
Sinne. Ein Herzogthum geerbt zu haben, war ihm nichts, aber hätte er sich eins
erringen, erjagen und erstürmen können, das wäre ihm etwas gewesen.
Das Ilmenauer Gedicht,« fuhr Goethe fort, »enthält als Episode eine
Epoche, die im Jahre 1783, als ich es schrieb, bereits mehrere Jahre hinter uns
lag, sodaß ich mich selber darin als eine historische Figur zeichnen und mit
meinem eigenen Ich früherer Jahre eine Unterhaltung führen konnte. Es ist
darin, wie Sie wissen, eine nächtliche Scene vorgeführt, etwa nach einer
solchen halsbrechenden Jagd im Gebirge. Wir hatten uns am Fuße eines Felsens
kleine Hütten gebaut und mit Tannenreisern gedeckt, um darin auf trockenem
Boden zu übernachten. Vor den Hütten brannten mehrere Feuer, und wir kochten
und brieten was die Jagd gegeben hatte. Knebel, dem schon damals die
Tabakspfeife nicht kalt wurde, saß dem Feuer zunächst und ergötzte die
Gesellschaft mit allerlei trockenen Späßen, während die Weinflasche von Hand zu
Hand ging. Seckendorff, der schlanke mit den langen seinen Gliedern, hatte sich
behaglich am Stamm eines Baumes hingestreckt und summte allerlei Poetisches.
Abseits in einer
ähnlichen kleinen Hütte lag der Herzog im tiefen Schlaf. Ich selber saß davor,
bei glimmenden Kohlen, in allerlei schweren Gedanken, auch in Anwandlungen von
Bedauern über mancherlei Unheil, das meine Schriften angerichtet. Knebel und
Seckendorff erscheinen mir noch jetzt gar nicht schlecht gezeichnet, und auch
der junge Fürst nicht in diesem düstern Ungestüm seines zwanzigsten Jahres:
Der Vorwitz lockt ihn in die Weite,
Kein Fels ist ihm zu schroff, kein Steg zu schmal,
Der Unfall lauert an der Seite
Und stürzt ihn in den Arm der Qual.
Dann treibt die schmerzlich überspannte Regung
Gewaltsam ihn bald da, bald dort hinaus,
Und von unmuthiger Bewegung
Ruht er unmuthig wieder aus.
Und düster wild an heitern Tagen,
Unbändig ohne froh zu sein,
Schläft er, an Seel' und Leib verwundet und zerschlagen,
Auf
einem harten Lager ein.»
«So war er ganz und gar. Es ist darin nicht der kleinste Zug
übertrieben. Doch aus dieser Sturm- und Drangperiode hatte sich der Herzog bald
zu wohlthätiger Klarheit durchgearbeitet, sodaß ich ihn zu seinem Geburtstage
im Jahre 1783 an diese Gestalt seiner frühern Jahre sehr wohl erinnern mochte.
Ich leugne nicht, er hat mir anfänglich manche Noth und Sorge gemacht.
Doch seine tüchtige Natur reinigte sich bald und bildete sich bald zum Besten, sodaß
es eine Freude wurde, mit ihm zu leben und zu wirken.«
»Sie machten,« bemerkte ich, »in dieser ersten Zeit mit ihm eine einsame
Reise durch die Schweiz.«
»Er liebte überhaupt das Reisen,« erwiderte Goethe; »doch war es nicht
sowohl um sich zu amusiren und zu zerstreuen, als um überall die Augen und
Ohren offen zu haben und auf allerlei Gutes und Nützliches zu achten, das er in
seinem Lande einführen könnte. Ackerbau, Viehzucht und Industrie sind ihm aus
diese Weise unendlich viel schuldig geworden. Überhaupt waren seine Tendenzen
nicht persönlich, egoistisch, sondern rein produktiver Art, und zwar produktiv
für das allgemeine Beste. Dadurch hat er sich denn auch einen Namen gemacht,
der über dieses kleine Land weit hinausgeht.«
»Sein sorgloses einfaches Äußere,« sagte ich, »schien anzudeuten, daß er
den Ruhm nicht suche, und daß er sich wenig aus ihm mache. Es schien als sei er
berühmt geworden ohne sein weiteres Zuthun, bloß wegen seiner stillen
Tüchtigkeit.«
»Es ist damit ein eigenes Ding,« erwiderte Goethe. »Ein Holz trennt,
weil es Stoff dazu in sich hat und ein Mensch wird berühmt, weil der Stoff dazu
in ihm vorhanden. Suchen läßt sich der Ruhm nicht, und alles Jagen danach ist
eitel. Es kann sich wohl jemand durch kluges Benehmen und allerlei künstliche
Mittel eine Art von Namen machen; fehlt aber dabei das innere Juwel, so ist es
eitel und hält nicht auf den andern Tag.
Ebenso ist es mit der Gunst des Volks. Er suchte sie nicht und that den
Leuten keineswegs schön; aber das Volk liebte ihn, weil es fühlte, daß er ein
Herz für sie habe.«
Goethe erwähnte sodann die übrigen Glieder des großherzoglichen Hauses,
und wie durch alle der Zug eines edeln Charakters gehe. Er sprach über die
Herzensgüte des jetzigen Regenten, über die großen Hoffnungen, zu denen der
junge Prinz berechtige, und verbreitete sich mit sichtbarer Liebe über die
seltenen Eigenschaften der jetzt regierenden hohen Fürstin, welche im edelsten
Sinne große Mittel verwende, um überall Leiden zu lindern und gute Keime zu
wecken. »Sie ist von jeher für das Land ein guter Engel gewesen,« sagte er,
»und wird es mehr und mehr, je länger sie ihm verbunden ist. Ich kenne die
Großherzogin seit dem Jahre 1805 und habe Gelegenheit in Menge gehabt, ihren
Geist und Charakter zu bewundern. Sie ist eine der besten und bedeutendsten
Frauen unserer Zeit und würde es sein, wenn sie auch keine Fürstin wäre. Und
das ist's eben, worauf es ankommt, daß wenn auch der Purpur abgelegt worden,
noch sehr viel Großes, ja eigentlich noch das Beste übrigbleibe.«
Sie umschlang ihn mit den ihrigen und drückte ihn auf das zärtlichste an ihre Brust. Die Hoffnung fuhr wie ein Stern, der vom Himmel fällt, über ihre Häupter weg. Sie wähnten, sie glaubten einander anzugehören; sie wechselten zum erstenmal entschiedene, freie Küsse und trennten sich gewaltsam und schmerzlich.
Das Frauenzimmer kam ihnen auf einem Paar leichten Pantöffelchen mit hohen Absätzen aus der Stube entgegengetreten. Sie hatte eine schwarze Mantille über ein weißes Negligé geworfen, das, eben weil es nicht ganz reinlich war, ihr ein häusliches und bequemes Ansehn gab; ihr kurzes Röckchen ließ die niedlichsten Füße von der Welt sehen.
Wir sprachen sodann über die Einheit Deutschlands, und in welchem Sinne
sie möglich und wünschenswert.
»Mir ist nicht bange,« sagte Goethe, »daß Deutschland nicht eins werde;
unsere guten Chausseen und künftigen Eisenbahnen werden schon das Ihrige thun.
Vor allem aber sei es eins in Liebe untereinander, und immer sei es eins gegen
den auswärtigen Feind; es sei eins, daß der deutsche Thaler und Groschen im
ganzen Reiche gleichen Werth habe; eins, daß mein Reisekoffer durch alle
sechsunddreißig Staaten ungeöffnet passiren könne. Es sei eins, daß der
städtische Reisepaß eines weimarischen Bürgers von dem Grenzbeamten eines
großen Nachbarstaats nicht für unzulänglich gehalten werde, als der Paß eines
Ausländers. Es sei von Inland und Ausland unter deutschen Staaten überall keine
Rede mehr. Deutschland sei ferner eins in Maß und Gewicht, in Handel und
Wandel, und hundert ähnlichen Dingen, die ich nicht alle nennen kann und mag.
Wenn man aber denkt, die Einheit Deutschlands bestehe darin, daß das
sehr große Reich eine einzige große Residenz habe, und daß diese eine große
Residenz wie zum Wohl der Entwickelung einzelner großer Talente, so auch zum
Wohl der großen Masse des Volks gereiche, so ist man im Irrthum.
Man hat einen Staat wohl einem lebendigen Körper mit vielen Gliedern
verglichen, und so ließe sich wohl die Residenz eines Staates dem Herzen
vergleichen, von welchem aus Leben und Wohlsein in die einzelnen nahen und
fernen Glieder strömt. Sind aber die Glieder sehr ferne vom Herzen, so wird das
zuströmende Leben schwach und immer schwächer empfunden werden. Ein
geistreicher Franzose, ich glaube Dupin, hat eine Karte über den Kulturzustand
Frankreichs entworfen und die größere oder geringere Aufklärung der
verschiedenen Departements mit hellern oder dunklern Farben zur Anschauung
gebracht. Da finden sich nun besonders in südlichen, weit von der Residenz
entlegenen Provinzen einzelne Departements, die in ganz schwarzer Farbe
daliegen, als Zeichen einer dort herrschenden großen Finsterniß. Würde das aber
wohl sein, wenn das schöne Frankreich statt des einen großen
Mittelpunktes zehn Mittelpunkte hätte, von denen Licht und Leben ausginge?
Wodurch ist Deutschland groß als durch eine bewundernswürdige
Volkskultur, die alle Theile des Reichs gleichmäßig durchdrungen hat? Sind es
aber nicht die einzelnen Fürstensitze, von denen sie ausgeht und welche ihre
Träger und Pfleger sind? Gesetzt, wir hätten in Deutschland seit Jahrhunderten
nur die beiden Residenzstädte Wien und Berlin, oder gar nur eine, da möchte ich
doch sehen, wie es um die deutsche Kultur stände, ja auch um einen überall
verbreiteten Wohlstand, der mit der Kultur Hand in Hand geht.»
«Deutschtand hat über zwanzig im ganzen Reiche vertheilte Universitäten und über hundert ebenso verbreitete öffentliche Bibliotheken, an Kunstsammlungen und Sammlungen von Gegenständen aller Naturreiche gleichfalls eine große Zahl; denn jeder Fürst hat dafür gesorgt, dergleichen Schönes und Gutes in seine Nähe heranzuziehen. Gymnasien und Schulen für Technik und Industrie sind im Überfluß da, ja es ist kaum ein deutsches Dorf, das nicht seine Schule hatte. Wie steht es aber um diesen letzten Punkt in Frankreich?
Und wiederum die Menge deutscher Theater, deren Zahl über siebzig
hinausgeht, und die doch auch als Träger und Beförderer höherer Volksbildung
keineswegs zu verachten. Der Sinn für Musik und Gesang und ihre Ausübung ist in
keinem Lande verbreitet wie in Deutschland, und daß ist auch etwas!
Nun denken Sie aber an Städte wie Dresden, München, Stuttgart, Kassel,
Braunschweig, Hannover und ähnliche; denken Sie an die großen Lebenselemente,
die diese Städte in sich selber tragen; denken Sie an die Wirkungen, die von
ihnen aus die benachbarten Provinzen ausgehen: und fragen Sie sich, ob das
alles sein würde, wenn Sie nicht seit langen Zeiten die Sitze von Fürsten
gewesen?
Frankfurt, Bremen, Hamburg, Lübeck sind groß und glänzend, ihre
Wirkungen aus den Wohlstand von Deutschland gar nicht zu berechnen: würden sie
aber wohl bleiben was sie sind, wenn sie ihre eigene Souveränetät verlieren und
irgend einem großen deutschen Reiche als Provinzialstädte einverleibt werden
sollten? Ich habe Ursache, daran zu zweifeln.«
Schon manchmal hab ich bedacht, wie wir beiden gleichsam an die entgegengesetzten Enden der socialen Welt angewiesen sind; du, in die kreiselnde Bewegung einer volkreichen Königstadt verschlungen, hast alles persönlich zu bestehen, unterrichtest und lehrst, gibst und genießest, arbeitest und vollbringst, versammelst und diridirt, gebietest und herrschest und was nicht alles; hiezu noch der Familiencirkel und fremde Gelage gerechnet, da gibt es denn schon etwas auszuhalten. Indessen ich einsam, wie Merlin vom leuchtenden Grabe her, mein eignes Echo ruhig und gelegentlich, in der Nähe, wohl auch in die Ferne vernehmen lasse. Von dieser Betrachtung laß uns zum gemeinsamen, nciht unbedeutenden Geschäft hinüber gehen, zu dessen völliger Einleitung ich nächstens einen Aufsatz vorlege, ihn, der weiteres Vorschreiten befördern wird, deiner Einstimmung empfehlend. Der getreue Eckart ist mir von großer Beyhülfe. reinen und redlichen Gesinnungen treu, wächst er täglich an Kenntniß, Ein- und Übersicht und bleibt, wegen fördern Theilnahme, ganz unschätzbar; so wie Riemer, von seiner Seite, durch gesellige Berichtigung, Reinigung, Revision und Abschluß der Manuscripte, so wie der Druckbogen mir Arbeit und Leben erleichtert. Möge uns beiden so viel Kraft und Behagen verliehen seyn, um bis an's Ende wirksam auszudauern.
Deshalb denn, manchmal zurückschauend, in diesem
Gänsespiel getrost Vorwärts.
Weimar den 14. December 1830.
J. W. v. Goethe.
»Soviel ich sehe und gehört habe,« sagte er, »hat sich Goethe durch
seinen Geist und tausend Verbindlichkeiten Freunde, Verehrer und Vergötterung
erworben, aber sich selbst hat er immer behalten, sich selbst hat er nie
gegeben. Ich fürchte, er hat sich aus dem höchsten Genuß der Eigenliebe ein
Ideal von Glück geschaffen, bei dem er nicht glücklich ist. Dieser Charakter
gefällt mir nicht, ich würde ihn mir nicht wünschen, und in der Nähe eines
solchen Menschen wäre mir nicht wohl.«
Er tadelte mich, daß ich immer zu viel Argumente für eine Sache brächte,
nicht lediglich auf das Eine, was gerade Noth sei, hinwirke.
»Die Geschäfte müssen abstract, nicht menschlich mit Neigung oder
Abneigung, Leidenschaft, Gunst behandelt werden, dann setzt man mehr und
schneller durch. Auch keine Recriminationen, keine Vorwürfe über Vergangenes,
nun doch nicht zu Änderndes. Jeder Tag bestehe für sich, wie kann man leben,
wenn man nicht jeden Abend sich und andern ein Absolutorium ertheilt? Ihr dürft
mir das nicht übel nehmen. Wenn ich einmal reden soll, muß ich meine Paradoxa
frei aussprechen dürfen; Ihr werdet sie ohnehin nicht mehr lange von mir
hören.«
Du hast vollkommen recht, mein Bester! Wenn ich das Uhrwerk meiner Lebensbetriebe nicht gehörig in Ordnung hielte, so könnt ich in einem dergleichen leidigen Falle kaum weiter existiren. Dießmal aber hat der Zeiger nur einige Stunden retardirt, und nun ist alles wieder im alten mäßigen Gange.
Jedoch hab ich dir vom Verlauf des Novembers noch einiges zu bekennen.
Das Außenbleiben meines Sohns drückte mich, auf mehr als Eine Weise, sehr
heftig und widerwärtig; ich griff daher zu einer Arbeit, die mich ganz
absorbiren sollte. Der vierte Band meines Lebens lag, über zehn Jahre, in
Schematen und theilweiser Ausführung, ruhig aufbewahrt, ohne daß ich gewagt
hätte Arbeikt wieder vorzunehmen. Nun griff ich sie mit Gewalt an, und es
gelang so weit, daß der Band, wie er liegt, gedruckt werden könnte, wenn ich
nicht Hoffnung hätte den Inhalt noch reicher und bedeutender, die Behandlung
aber noch vollendeter darzustellen.
So weit nun betracht ich's in vierzehn Tagen, und es möchte wohl kein
Zweifel seyn, daß der unterdrückte Schmerz und eine so gewaltsame
Geistesanstrengung jene Explosion, wozu sich der Körper disponirt finden
mochte, dürften verursacht haben. Plötzlich, nachdem keine entschiedene
Andeutung, noch irgend ein drohendes Symptom vorausging, riß ein Gefäß in der
Lunge und der Blutauswurf war so stark: daß, wäre nicht gleich und kunstgemäße
Hülfe zu erhalten gewesen, hier wohl die ultima linea rerum sich würde hingezogen
haben. Nächstens noch von andern Dingen, worauf ich den vergangenen sonnenlosen
Sommer aufmerksamen Fleiß gewendet, zu vorläufiger und, wie ich fernerhin
hoffe, zu künftiger Zufriedenheit.
Weimar den 10. December 1830.
Heute früh komm ich auch noch einen Augenblick.
Gerne will ich alles hören was du mir zu sagen hast, ich muß nur bitten daß du
es nicht zu genau mit meinem jetzt so zerstreuten, ich will nicht sagen
zerrißnen Wesen nehmest. Dir darf ich wohl sagen daß mein innres nicht ist wie
mein äusres. Lebe wohl.
Die Papiere der Voß habe ich in der Stadt, ich will
sie ihr bringen oder schicken, ich weiß daß sie solche nicht durch die Hände
der Meyern will gehen laßen. Ich dancke dir fürs Frühstück. Fritz soll mir lieb
seyn, es freut mich immer seine Gegenwart, und wenn ich ihm was seyn kann. Laß
mir die Archiv Scheine zurück und Lebe wohl. Mögest du in dem stillen Kochberg
vergnügt und vorzüglich gesund seyn. Ich will so fortleben wie ich kann ob es
gleich eine sonderbare Aufgabe ist. Kayser geht mit der Herzoginn wieder fort,
das sage nicht weiter, ob ich gleich dencke es ist kein Geheimniß mehr und so
schließt sich alle Hoffnung auf die schöne Tonkunst ganz für mich zu. Der trübe
Himmel verschlingt alle Farben. Herder geht nun auch und – so lebe tausendmal
wohl.
Wir
Neueren sagen jetzt besser mit Napoleon: die Politik ist das Schicksal. Hüten
wir uns aber mit unseren neuesten Literatoren zu sagen, die Politik sei die
Poesie, oder sie sei für den Poeten ein passender Gegenstand. Der englische
Dichter Thomson schrieb ein sehr gutes Gedicht über die Jahreszeiten, allein
ein sehr schlechtes über die Freiheit, und zwar nicht aus Mangel an Poesie im
Poeten, sondern aus Mangel an Poesie im Gegenstande.
Der
Dichter wird als Mensch und Bürger sein Vaterland lieben, aber das Vaterland
seiner poetischen Kräfte und seines poetischen Wirkens ist das Gute, Edle und
Schöne, das an keine besondere Provinz und an kein besonderes Land gebunden
ist, und das er ergreift und bildet, wo er es findet. Er ist darin dem Adler
gleich, der mit freiem Blick über Ländern schwebt und dem es gleichviel ist, ob
der Hase, auf den er hinabschießt, in Preußen oder in Sachsen läuft.
Und was heißt denn: sein Vaterland lieben, und was heißt denn: patriotisch wirken? Wenn ein Dichter lebenslänglich bemüht war, schädliche Vorurteile zu bekämpfen, engherzige Ansichten zu beseitigen, den Geist seines Volkes aufzuklären, dessen Geschmack zu reinigen und dessen Gesinnungs- und Denkweise zu veredeln, was soll er denn da Besseres tun? und wie soll er denn da patriotischer wirken? – An einen Dichter so ungehörige und undankbare Anforderungen zu machen, wäre ebenso, als wenn man von einem Regimentschef verlangen wolle: er müsse, um ein rechter Patriot zu sein, sich in politische Neuerungen verflechten und darüber seinen nächsten Beruf vernachlässigen. Das Vaterland eines Regimentschefs aber ist sein Regiment, und er wird ein ganz vortrefflicher Patriot sein, wenn er sich um politische Dinge gar nicht bemüht, als soweit sie ihn angehen.
Den guten Eckermann hätt' ich Ihnen näher bekannt gewünscht. Das Problematische an ihm löst sich auf, wenn man erkennt, daß er eine einfach reine Seele ist, die mit sich und der Welt ebenfalls gern rein seyn möchte. Wie wenige jedoch gelangen dazu! Ein Wesen wie das seinige kann sich nur nach und nach offenbaren.
Ueber den eigentlichen Zustand eines aufmerksamen
Reisenden habe ich eigne Erfahrungen gemacht und eingesehen worin sehr oft der
Fehler der Reisebeschreibungen liegt. Man mag sich stellen wie man will so
sieht man auf der Reise die Sache nur von Einer Seite und übereilt sich im
Urtheil; dagegen sieht man aber auch die Sache von dieser Seite lebhaft und das
Urtheil ist in gewissem Sinne richtig. Ich habe mir daher Acten gemacht, worin
ich alle Arten von öffentlichen Papieren die mir eben jetzt begegnen, Zeitungen,
Wochenblätter, Predigtauszüge, Verordnungen, Komödienzettel, Preiscourante
einheften lasse und sodann auch sowohl das, was ich sehe und bemerke, als auch
mein augenblickliches Urtheil einhefte; ich spreche sodann von diesen Dingen in
Gesellschaft und bringe meine Meinung vor, da ich denn bald sehe in wie fern
ich gut unterrichtet bin, und in wie fern mein Urtheil mit dem Urtheil wohl
unterrichteter Menschen übereintrifft. Ich nehme sodann die neue Erfahrung und
Belehrung auch wieder zu den Acten, und so giebt es Materialien, die mir
künftig als Geschichte des äußern und innern interessant genug bleiben müssen.
Wenn ich bei meinen Vorkenntnissen und meiner Geistesgeübtheit Lust behalte,
dieses Handwerk eine Weile fortzusetzen, so kann ich eine große Masse
zusammenbringen.
Der Chinese in Rom.
Einen Chinesen sah ich in Rom, die gesammten
Gebäude,
Alter und
neuerer Zeit, schienen ihm lästig und schwer.
Ach! so seufzt’ er, die Armen! ich hoffe, sie sollen
begreifen
Wie erst
Säulchen von Holz tragen des Daches Gezelt,
Daß an Latten und Pappen, und Schnitzwerk und bunter
Vergoldung
Sich des
gebildeten Aug’s feinerer Sinn nur erfreut.
Siehe, da glaubt’ ich, im Bilde, so manchen
Schwärmer zu schauen,
Der sein
luftig Gespinnst mit der soliden Natur
Ewigem Teppich vergleicht, den ächten, reinen
Gesunden
Krank nennt, daß ja nur er heiße, der Kranke,
gesund.
Göthe.
Nach zehenstündigem Schlaf, bin ich fröhlich erwacht. O dass doch mein
Beruf wäre immer in Bewegung und freyer Luft zu seyn, ich wollte gerne iede
Beschweerlichkeit mit nehmen die diese Lebensart auch ausdauern muss. Nachher
hab ich verschiednes durchgeredt und untersucht. Die Menschen sind vom Fluch
gedrückt der auf die Schlange fallen sollte sie kriechen auf dem Bauche und
fressen Staub. Dann las ich zur Abwaschung und Reinigung einiges griechische
davon geb ich Ihnen in einer unmelodischern, und unausdrückendern Sprache
wenigstens durch meinen Mund und Feder, auch Ihr Theil.
Die Abschrift meines Reise Journals gäbe ich höchst
ungerne aus Händen, meine Absicht war sie ins Feuer zu werfen. Ich weiß schon
wie es geht. So was sieht immer noch einer und wieder einer, es wird noch
einmal abgeschrieben und endlich habe ich den Verdruß diese Pudenda irgendwo
gedruckt zu sehn. Denn es ist im Grunde sehr dummes Zeug, das mich jetzt
anstinkt. Du kannst sie nirgends brauchen als in Verona. Auf dem Rückwege würde
sie dir fatal sein und ich bin in Unruhe wenn ich das Zeug auf Reisen weiß. Es
ist nicht Knauserei sondern redliche Scham daß ich die Blätter nicht hergeben
mag.
Ich sehe dich noch heute.
Adieu. G.
Kommt nur kühnlich, kommt nur alle,
Und versammelt euch zum Schmause,
Denn ihr werdet mich mit Dräuen,
Mich mit Hoffnung nimmer beugen.
Seht, hier bin ich, bin gefangen,
Aber noch nicht überwunden.
Kommt, verzehret meine Glieder
Und verzehrt zugleich mit ihnen
Eure Ahnherrn, eure Väter,
Die zur Speise mir geworden.
Dieses Fleisch, das ich euch reiche,
Ist, ihr Toren, euer eignes,
Und in meinen innern Knochen
Stickt das Mark von euren Ahnherrn.
Kommt nur, kommt, mit jedem Bisse
Kann sie euer Gaumen schmecken.
Ob nun nach der alten Lehre die humores peccantes im Körper
herumspazieren, oder ob nach der neuen die verhältnismäßig schwächeren Teile in
Désavantage sind, genug bei mir hinkt es bald hier, bald dort und sind die
Unbequemlichkeiten aus den Gedärmen ans Diaphragma, von da in die Brust, ferner
in den Hals und so weiters ins Auge gezogen, wo sie mir denn am
allerunwillkommensten sind.