Donnerstag, 31. Dezember 2015
... und die Szene Fausts
mit Gretchen im Kerker erschütterte mich so sehr, dass ich trotz alles Schämens
und mächtigen Bemühens (ich war nämlich in der Loge des Herrn Vogel) nicht
imstande war, nicht nur die Tränen, sondern, was noch schlimmer war, ein lautes
Schluchzen zurückzuhalten, was sich mir zum Ärger gewaltsam aus der Brust
vordrängte. Frau Rosa hatte nichts Angelegentlicheres, als es bei der Soiree
Goethe sogleich zu erzählen, was mir ein solches dankbares Anblicken und
Lächeln und zuletzt ein Gespräch ... verschaffte ...
Dienstag, 29. Dezember 2015
Alle Damen in glänzender
Toilette, die Herren mit weissen Halsbinden, auf den Tischen grosse Buketts,
überall festliche Kleidung und Drapierung. Goethe war als Sonne und Idol des
Festes der Zentralpunkt, gegen den alles gravierte. Die Menge folgte ihm, bei
seiner Annäherung verstummte das Gespräch und lauschte man nur auf seine Worte.
Er beteilte damit, langsam den Salon umschreitend, wohlwollend alle.
Montag, 7. Dezember 2015
Wirst du nicht immer zu
dir sagen: ‘Natalie ist nicht da!’ und doch wird leider Natalie dir immer
gegenwärtig sein. Schliessest du die Augen, so wird sie sich dir darstellen;
öffnest du sie, so wird sie vor allen Gegenständen hinschweben wie die
Erscheinung, die ein blendendes Bild im Auge zurücklässt.
Dienstag, 1. Dezember 2015
Freitag, 20. November 2015
Dienstag, 10. November 2015
Verzeih! aber
wenn du gegenwärtig wärst, müßtest du noch mehr erdulden. Mit 82 Jahren nimmt
man es wirklich ernster in sich und für sich selbst, indem man die liebe
leidige Welt in ihrem vieltausendjährigen Narrenleben in Gottesnamen
fortwandeln läßt. Es ist schrecklich, wie sich das ein- über das andere Mal
wieder in seinen Irrthümern brüstet.
Sonntag, 1. November 2015
Mit Tages-, Wochen-
und Monatsblättern bin ich außer aller Verbindung, und diese haben die böse
Art, daß sie sehr oft die höchsten Worte, mit denen nur das Beste bezeichnet
werden sollte, als Phrasen anwenden, um das Mittelmäßige oder wohl gar Geringe
zu maskiren. In solcher Gesellschaft thut ein bestimmtes vernünftiges Wort
nicht seine rechte Wirkung.
Donnerstag, 29. Oktober 2015
Überdies waren die Äußerungen meiner Freunde
keineswegs von schonender Art, und es wiederholte sich dem vieljährigen Autor
die Erfahrung, daß man gerade von verschenkten Exemplaren Unlust und Verdruß zu
erleben hat. Kommt jemandem ein Buch durch Zufall oder Empfehlung in die Hand,
er liest es, kauft es auch wohl, überreicht ihm aber ein Freund, mit
behaglicher Zuversicht, sein Werk, so scheint es, als sei es darauf abgesehen,
ein Geistes-Übergewicht aufzudringen. Da tritt nun das radikale Böse in seiner
häßlichsten Gestalt hervor, als Neid und Widerwille gegen frohe, eine
Herzensangelegenheit vertrauende Personen. Mehrere Schriftsteller, die ich
befragte, waren mit diesem Phänomen der unsittlichen Welt auch nicht
unbekannt.
Montag, 12. Oktober 2015
Schon hatte ich ein
Promemoria verfaßt, Einleitung und Beystimmung war zugesagt, als mich
glücklicher oder unglücklicher Weise ein Dämon beym Ärmel zupfte und mich
bedenken ließ, daß es die Zeit nicht sey, sich in öffentliche Angelegenheiten
zu mischen und daß man nur wohl lebe, indem man verborgen lebt.
Freitag, 2. Oktober 2015
Aber jede Betrachtung
bestärkt mich in jenem Entschluß: bloß auf Werke, sie seyen von welcher Art sie
wollen, und deren Hervorbringung meinen Geist zu richten, und aller
theoretischen Mittheilung zu entsagen. Die neusten Erfahrungen haben mich auf’s
neue überzeugt: daß die Menschen statt jeder Art von ächter theoretischer
Einsicht, nur Redensarten haben wollen, wodurch das Wesen was sie treiben zu
etwas werden kann. Einige Fremde die unsere Sammlung besuchten, die Gegenwart
unserer alten Freundin, und über alles das sich neu constituirende
Liebhabertheater haben mir davon schreckliche Beispiele gegeben, und die Mauer,
die ich schon um meine Existenz gezogen haben, soll nun noch ein Paar Schuhe
höher aufgeführt werden.
Sonntag, 27. September 2015
„Seht, lieben Kinder, was wäre ich denn, wenn ich nicht immer mit klugen Leuten umgegangen wäre und von ihnen gelernt hätte? Nicht aus Büchern, sondern durch lebendigen Ideentausch, durch heitre Geselligkeit müsst ihr lernen!“
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Donnerstag, 17. September 2015
Ein Stündchen bei Goethe in allerlei Gesprächen.
„Ich hatte wirklich einmal den Wahn, als sei es
möglich, ein deutsches Theater zu bilden. Ja ich hatte den Wahn, als könne ich
selber dazu beitragen und als könne ich zu einem solchen Bau einige Grundsteine
legen. Ich schrieb meine Iphigenie und meinen Tasso und dachte in kindischer
Hoffnung, so würde es gehen. – Allein es regte sich nicht und rührte sich nicht
und blieb alles wie zuvor. Hätte ich Wirkung gemacht und Beifall gefunden, so
würde ich Euch ein ganzes Dutzend Stücke wie die Iphigenie und den Tasso
geschrieben haben. An Stoff war kein Mangel. Allein, wie gesagt, es fehlten die
Schauspieler, um dergleichen mit Geist und Leben darzustellen, und es fehlte
das Publikum, dergleichen mit Empfindung zu hören und aufzunehmen.“ Samstag, 12. September 2015
„Sie wissen, ich
bekümmere mich im ganzen wenig um das, was über mich geschrieben wird, aber es
kommt mir doch zu Ohren, und ich weiß recht gut, daß, so sauer ich es mir auch
mein lebelang habe werden lassen, all mein Wirken in den Augen gewisser Leute
für nichts geachtet wird, eben weil ich verschmäht habe, mich in politische
Parteiungen zu mengen. Um diesen Leuten recht zu sein, hätte ich müssen
Mitglied eines Jakobinerklubs werden und Mord und Blutvergießen predigen! –
Doch kein Wort mehr über diesen schlechten Gegenstand, damit ich nicht
unvernünftig werde, indem ich das Unvernünftige bekämpfe.“
Donnerstag, 3. September 2015
Seinen
wirkungsmächtigsten Ausdruck gewinnt zu Goethes Lebzeiten das
geschichtsphilosophische Selbstverständnis der Moderne in Hegels historischer
Dialektik – weshalb es naheliegt, Goethes Bemerkung über das „närrisch Ding“
des modernen Zeiterlebens auf Hegels Prozessmodell der Geschichtsbewegung zu
beziehen, in Hinsicht vor allem auf den Begriff der „Aufhebung“ im System der
Hegelschen Dialektik. Hier gilt jede Gegenwart als Durchgangsstadium, das
negierend aufzuheben ist im Prozess der Selbstentfaltung des Geistes, der
identisch ist mit dem Prozess der Weltgeschichte.
„Und überhaupt, was ist es und was soll es? –
Gott hat sich nach den bekannten imaginierten sechs Schöpfungstagen keineswegs
zur Ruhe begeben, vielmehr ist er noch fortwährend wirksam wie am ersten. Diese
plumpe Welt aus einfachen Elementen zusammenzusetzen und sie jahraus jahrein in
den Strahlen der Sonne rollen zu lassen, hätte ihm sicher wenig Spaß gemacht,
wenn er nicht den Plan gehabt hätte, sich auf dieser materiellen Unterlage eine
Pflanzschule für eine Welt von Geistern zu gründen. So ist er nun fortwährend
in höheren Naturen wirksam, um die geringeren heranzuziehen.“
Schröders Antwort ist, wie es scheint, Ihnen
sonderbarer als mir vorgekommen. Bey meinem radicalen Unglauben über die
Menschen kommt mir so etwas ganz natürlich vor. Eben so möchte ich auch wegen
der Aufnahme des Almanachs sagen: wer nicht wie jener unvernünftige Säemann im
Evangelio den Saamen umherwerfen mag ohne zu fragen was davon und wo es
aufgeht, der muß sich mit dem Publiko gar nicht abgeben.
Freitag, 28. August 2015
Montag, 17. August 2015
Die Menschen sind noch eben so absurd wie 1806, wo ich gar frömmlich aufgefordert wurde das Schauspiel abzudanken, nach welchem sie vier Wochen später jämmerlich lechzten, da ich nun die Bosheit hatte die Eröffnung noch vierzehn Tage aufzuschieben, bis sie mich unter Drohungen dazu nöthigten. Wir sind mit Asche genug bestreut, und brauchen nicht noch gar einen Sack überzuziehen.
Freitag, 14. August 2015
Freund Meyer, dessen Um- und Übersicht aus alter und neuen Zeit Sie in dem kühnen Aufsatze nicht verkennen werden, trägt mit mir diese Gesinnungen schon viele Jahre auf dem Herzen, und es schien gerade der rechte Augenblick, wo das Absurde sich selbst überbietet, wo alle echte Gleichzeitigen, besonders die Väter und Pfleger talentvoller, durch diesen Zeitwahnsinn verrückter Söhne, in Verzweiflung sind, mit historischem, billigem, das Talent würdigendem, die Abweichung scharf bezeichnendem Vortrag aufzutreten. Tausend und aber tausend Wohldenkende werden sich bestimmt schnell versammeln, der reine Menschen- und Kunstverstand wird laut werden, und wir kommen auch denen zu statten, die jetzt wider Willen dem Strom in den sie sich eingelassen haben gehorchen.
Die thüringischen alten Chroniken liest man hier recht an der Stelle; obgleich es immer schmerzhaft genug ist zu sehen wie das so schöne, über die Maßen frucht- und bewohnbare Land, mehrere Jahrhunderte durch, von Rohheit, Unverstand, Unzulänglichkeit und Verirrung aus das schrecklichste leiden mußte. Freylich giebt die übrige Welt in diesen Epochen auch keinen tröstlichen Anblick.
Hier aber ist der eigentlichste classische Boden grenzenloser Absurditäten jeder Art. Religiöse, revolutionäre, fürstliche, städtische, edelmännische; dahingegen hört man von tüchtigen Menschen meist nur insofern sie zu Grunde gehen.
Montag, 10. August 2015
Es war in dieser Komposition nichts, was ich
nicht aus eignen Erfahrungen nach der Natur hätte ausmalen können. Selbst auf
der Reise, selbst in Gefahr, Neigungen zu erregen, die, wenn sie auch kein
tragisches Ende nehmen, doch schmerzlich genug, gefährlich und schädlich werden
können; selbst in dem Fall, in einer so großen Entfernung von der Heimat
abgelegne Gegenstände, Reiseabenteuer, Lebensvorfälle zu Unterhaltung der
Gesellschaft mit lebhaften Farben auszumalen, von der Jugend für einen
Halbgott, von gesetztern Personen für einen Aufschneider gehalten zu werden,
manche unverdiente Gunst, manches unerwartete Hindernis zu erfahren; das alles
gab mir ein solches Attachement an diesen Plan, an diesen Vorsatz, dass ich
darüber meinen Aufenthalt zu Palermo, ja den größten Teil meiner übrigen
sizilianischen Reise verträumte. Weshalb ich denn auch von allen Unbequemlichkeiten
wenig empfand, da ich mich auf dem überklassischen Boden in einer poetischen
Stimmung fühlte, in der ich das, was ich erfuhr, was ich sah, was ich bemerkte,
was mir entgegenkam, alles auffassen und in einem erfreulichen Gefäß bewahren
konnte.
Nach meiner löblichen oder unlöblichen
Gewohnheit schrieb ich wenig oder nichts davon auf, arbeitete aber den größten
Teil bis aufs letzte Detail im Geist durch, wo es denn, durch nachfolgende
Zerstreuungen zurückgedrängt, liegen geblieben, bis ich gegenwärtig nur eine
flüchtige Erinnerung davon zurückrufe.
Donnerstag, 30. Juli 2015
Freitag, 17. Juli 2015
Verzeihe! Es ist
Sonntag morgens und von aussen beruhigt mich nichts; denn fast sind wir schon
der neusten in der Volks- und Pöbelmasse aufgeregten Wildheiten gewohnt, auch
Durchmärsche nehmen wir als bekannt an. Wundersam kommt mir freilich vor, dass
sich nach vierzig Jahren der alte tumultarische Taumel wieder erinnert.
Das Pariser Erdbeben
hat seine Erschütterungen durch Europa lebhaft verzweigt; ihr habt davon ja
auch einen Fieberanstoss empfunden. Alle Klugheit der noch Bestehenden liegt
darin, daß sie die einzelnen Paroxysmen unschädlich machen, und das beschäftigt
mich dann auch an allen Orten und Enden. Kommen wir darüber hinaus, so ist’s wieder
auf eine Weile ruhig. Mehr sag ich nicht.
Dienstag, 14. Juli 2015
Sonntag, 12. Juli 2015
Dabei
ging seine Ordnungsliebe fast bis ins Unglaubliche. Nicht nur, daß alle
eingegangenen Briefe und ebenso die Konzepte oder Kopien aller abgesendeten
monatlich in gesonderte Bände geheftet und über einzelne Unternehmungen, z. B.
selbst über jeden Maskenzug, den er anordnete, wieder eigene Aktenstücke
gebildet wurden - er entwarf auch periodische Tabellen über die Ergebnisse
seiner vielseitigen Tätigkeit, Studien und Fortschritte persönlicher oder
innerer Verhältnisse, aus denen dann am Jahresschlusse wieder gedrängte
Hauptübersichten zusammengestellt wurden.
Dienstag, 7. Juli 2015
Freitag, 26. Juni 2015
Die Gegenwart hat
wirklich etwas Absurdes; man meint das wär’ es nun, man sehe, man fühle sich,
darauf ruht man; was aber aus solchen Augenblicken zu gewinnen sei, darüber kommt
man nicht zur Besinnung. Wir wollen uns hierüber so ausdrücken: der Abwesende
ist die ideale Person; die Gegenwärtigen kommen sich einander ganz trivial vor.
Es ist ein närrisch Ding, daß durchs Reale das Ideelle gleichsam aufgehoben
wird, daher mag denn wohl kommen, daß den Modernen ihr Ideelles nur als Sehnsucht
erscheint.
Samstag, 6. Juni 2015
Verzeihen mir
jedoch meine Freunde, wenn ich künftig wortkarg erfunden werde; während eines
Reisezugs rafft man unterwegs auf, was man kann, jeder Tag bringt etwas Neues,
und man eilt, auch darüber zu denken und zu urteilen. Hier aber kömmt man in
eine gar große Schule, wo ein Tag so viel sagt, daß man von dem Tage nichts zu
sagen wagen darf. Ja, man täte wohl, wenn man, jahrelang hier verweilend, ein
pythagoreisches Stillschweigen beobachtete.
Dienstag, 2. Juni 2015
Nur nichts als Profession getrieben! Das ist mir
zuwider. Ich will alles, was ich kann, spielend treiben, was mir eben kommt und
so lange die Lust daran währt. So hab' ich in meiner Jugend gespielt unbewusst;
so will ich's bewusst fortsetzen durch mein übriges Leben. Nützlich - Nutzen,
das ist eure Sache. Ihr mögt mich benutzen; aber ich kann mich nicht auf den
Kauf oder Nachfrage einrichten. Was ich kann und verstehe, das werdet ihr
benutzen, sobald ihr wollt und das Bedürfnis danach habt. Zu einem Instrument
gebe ich mich nicht her; und jede Profession ist ein Instrument oder, wollt ihr
es vornehmer ausgedrückt, ein Organ.
Donnerstag, 21. Mai 2015
Wenn steigend sich der Wasserstrahl
entfaltet,
Allspielende, wie froh erkenn' ich dich;Wenn Wolke sich gestaltend umgestaltet,
Allmannigfalt'ge, dort erkenn' ich dich.
An des geblümten Schleiers
Wiesenteppich,
Allbuntbesternte, schön erkenn' ich
dich;Und greift umher ein tausendarm'ger Eppich,
O Allumklammernde, da kenn' ich dich.
Wenn am Gebirg der Morgen sich
entzündet,
Gleich, Allerheiternde, begrüß' ich
dich;Dann über mir der Himmel rein sich ründet,
Allherzerweiternde, dann atm' ich dich.
Freitag, 8. Mai 2015
O meine Freunde! Warum der Strom des Genies so
selten ausbricht, so selten in hohen Fluten hereinbraust und eure staunende
Seele erschüttert? Liebe Freunde, da wohnen die gelassenen Herren auf beiden
Seiten des Ufers, denen ihre Gartenhäuschen, Tulpenbeete und Krautfelder
zugrunde gehen würden, die daher in Zeiten mit Dämmen und Ableiten der künftig
drohenden Gefahr abzuwehren wissen.
Samstag, 2. Mai 2015
Samstag, 25. April 2015
Auch
mir war durch die Gunst hoher Gönner eine regelmäßige Mitteilung dieser Blätter
beschieden, die ich mit großem Bedacht eifrig zu studieren nicht unterließ. Nun
darf ich mir wohl nachrühmen, daß ich von jeher die Vorzüge der Menschen und
ihrer Produktionen willig anerkannt, geschätzt und bewundert, auch mich daran
dankbar auferbaut habe. Deshalb mußte mir in der Grimmischen Korrespondenz gar
bald auffallen, daß in Erzählung, Anekdote, Charakterschilderung, Darstellung,
Urteil durchaus mehr Tadel als Lob zu bemerken sei, mehr scheltende als ehrende
Terminologie vorzukommen pflege. Wohlgelaunt begann ich eines Tages, zum
Vorteil meiner Betrachtung und eigenen Unterrichts, jene sämtlichen Ausdrücke
auszuziehen, auch in späterer Zeit zu sondern und alphabetisch zu ordnen, halb
im Scherz, halb im Ernst, und so blieben sie viele Jahre bei mir liegen.
Die
große Ordnung, auf die er streng hielt, das Planvolle in seinen Arbeiten war
ein ferneres wichtiges Mittel, wodurch er sich vor Zeitverlust schützte. Jahre
oder Jahrzehnte hindurch sammelte er Material für zukünftige Schriften. Als
Knebel über Lukrez schrieb, beklagte es Goethe, daß der alte Freund keine
Kollektionen, keine Akten darüber habe; darum sei es ihm schwer, produktiv und
positiv zu sein. "Da habe ich ganz anders gesammelt, Stöße von Exzerpten
und Notizen über jeden Lieblingsgegenstand!"
Für
jede Arbeit entwarf er ferner eine sorgfältige Disposition, überdachte die
Hauptteile und Unterabteilungen, sammelte dann für die einzelnen Kapitel
Tatsachen und Gedanken; so konnte er bald an diesem, bald an jenem Teile des
Werkes schreiben, je nachdem er aufgelegt war, und so kamen ihm seine Vorarbeiten
oft nach Jahrzehnten noch zugute.
»Es
giebt nur zwei Wege« – hörte ich ihn oftmals behaupten – »ein bedeutendes Ziel
zu erreichen und Großes zu leisten: Gewalt und Folge. Jene wird leicht verhaßt,
reizt zu Gegenwirkung auf und ist überhaupt nur wenigen Begünstigten verliehen;
Folge aber, beharrliche, strenge, kann auch vom Kleinsten angewendet werden und
wird selten ihr Ziel verfehlen, da ihre stille Macht im Laufe der Zeit
unaufhaltsam wächst. Wo ich nun nicht mit Folge wirken, fortgesetzt Einfluß
üben kann, ist es gerathener gar nicht wirken zu wollen, indem man außerdem nur
den natürlichen Entwickelungsgang der Dinge, der in sich selbst Heilmittel mit
sich führt, stört, ohne für die bessere Richtung Gewähr leisten zu können.«
Dienstag, 7. April 2015
Man muß sich über alles setzen, um nicht zermalmt zu
werden, und von der Höhe seiner Größe herab sich wohl vorstellen, daß die Menge
nur aus Unvernünftigen und Dummköpfen zusammengesetzt ist; man würde ihre Zahl
noch vermehren, wenn man nicht die Mißbräuche, wie sie die Dummheit besitzt
unter sich groß werden zu lassen, zum eignen Nutzen anwendete, da dann andere
von ihnen profitieren würden, wenn wir es nicht selbst täten.
Donnerstag, 26. März 2015
Die
kleine Anzahl nothwendiger und gewisser Wahrheiten wird niemals Geist und Herz
völlig befriedigen; wer sie entdeckt, hat ohne Zweifel den höchsten Ruhm, aber
auch nützlich für das menschliche Geschlecht haben die Verfasser solcher Werke
gearbeitet, die uns rühren oder angenehm betrügen. Will man die Leidenschaften
des Menschen mit metaphysischer Genauigkeit behandeln, so thut man seiner Natur
Gewalt. Auf dieser Erde giebt es nur Anfänge; keine Gränze ist bezeichnet, die
Tugend steht fest, aber das Glück schwebt im Weiten; und wenn es eine
Untersuchung nicht aushält, wird es durch sie vernichtet, wie glänzende
Nebelbilder, aus leichten Dünsten emporsteigend, für den verschwinden, der
durch sie hindurchgeht.
Versuch
über die Dichtungen. - Keine seiner Fähigkeiten ist dem Menschen werther, als
die Einbildungskraft. Das menschliche Leben scheint so wenig auf Glück
berechnet, daß man nur mit Hülfe einiger Schöpfungen und gewisser Bilder, nur
durch glückliche Wahl unserer Erinnerungen die vertheilten Freuden der Erde
sammeln, und, nicht durch die Kraft der Philosophie, sondern durch die weit
mächtigere Wirkung der Zerstreuungen gegen die Leiden zu kämpfen vermag, die
uns das Schiksal auflegt.
Man
hat viel von den Gefahren der Einbildungskraft gesprochen, und es wäre unnütz
aufzusuchen, was eine unfähige Mittelmäßigkeit, oder eine strenge Vernunft
hierüber wiederholt haben. Die Menschen werden nicht aufgeben, sich
interessiren zu lassen, und diejenigen die das Talent besitzen, uns zu rühren,
werden noch weniger Verzicht thun, es mit Glück auszuüben.
Das
Beste ist die tiefe Stille, in der ich gegen die Welt lebe und wachse und
gewinne, was sie mir mit Feuer und Schwert nicht nehmen können.
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Mittwoch, 25. März 2015
Dienstag, 24. Februar 2015
"Dieses musste mir also zu meiner eigenen
Tröstung gereichen, welche nicht aus Belehrung und Gründen hervorging; hier
sprach vielmehr der Gegenstand das alles aus, was ein bekümmertes Gemüt so gern
vernehmen mag: die vernünftige Welt sei von Geschlecht zu Geschlecht auf ein
folgereiches Tun entschieden angewiesen. Wo nun der menschliche Geist diesen
hohen, ewigen Grundsatz in der Anwendung gewahr wird, so fühlt er sich auf
seine Bestimmung zurückgeführt und ermutigt, wenn er auch zugleich gestehen
wird: dass er eben in der Gliederung dieser Folge, selbst an- und abtretend so
Freude als Schmerz, wie in dem Wechsel der Jahreszeiten so in dem
Menschenleben, an andern wie an sich selbst zu erwarten habe."
Donnerstag, 12. Februar 2015
Solchen
Zerstreuungen und Heiterkeiten gab ich mich um so lieber und zwar bis zur
Trunkenheit hin, als mich mein leidenschaftliches Verhältnis zu Friedriken
nunmehr zu ängstigen anfing. Eine solche jugendliche, aufs Geratewohl gehegte
Neigung ist der nächtlich geworfenen Bombe zu vergleichen, die in einer
sanften, glänzenden Linie aufsteigt, sich unter die Sterne mischt, ja einen
Augenblick unter ihnen zu verweilen scheint, alsdann aber abwärts zwar wieder
dieselbe Bahn, nur umgekehrt, bezeichnet, und zuletzt da, wo sie ihren Lauf
geendet, Verderben hinbringt. Friedrike blieb sich immer gleich; sie schien
nicht zu denken noch denken zu wollen, daß dieses Verhältnis sich so bald
endigen könne. Olivie hingegen, die mich zwar auch ungern vermißte, aber doch
nicht so viel als jene verlor, war voraussehender oder offener. Sie sprach
manchmal mit mir über meinen vermutlichen Abschied und suchte über sich selbst
und ihre Schwester sich zu trösten. Ein Mädchen, das einem Manne entsagt, dem
sie ihre Gewogenheit nicht verleugnet, ist lange nicht in der peinlichen Lage,
in der sich ein Jüngling befindet, der mit Erklärungen ebenso weit gegen ein
Frauenzimmer herausgegangen ist. Er spielt immer eine leidige Figur: denn von
ihm, als einem werdenden Manne, erwartet man schon eine gewisse Übersicht
seines Zustandes, und ein entschiedener Leichtsinn will ihn nicht kleiden. Die
Ursachen eines Mädchens, das sich zurückzieht, scheinen immer gültig, die des
Mannes niemals.
Dienstag, 3. Februar 2015
Tutti
i più sapienti istitutori e maestri sono d'accordo nel dire che i fanciulli non
sanno perché‚ VOGLIONO; ma anche i grandi, simili ai fanciulli, barcollano su
questa terra e, come quelli che non sanno donde vengono e dove vanno, non
agiscono secondo uno scopo determinato e si lasciano governare da biscotti e
dolci e vergate; questo invece nessuno lo vuol credere, eppure a me sembra sia
una verità da toccare con mano.
Samstag, 24. Januar 2015
"Ach", seufzte Goethe,
"das waren freilich schöne Zeiten! - Doch wir wollen sie uns aus dem Sinne
schlagen, damit uns die grauen Nebeltage der Gegenwart nicht ganz unerträglich
werden."
"Es täte not", sagte
ich, "dass ein zweiter Erlöser käme, um den Ernst, das Unbehagen und den
ungeheuren Druck der jetzigen Zustände uns abzunehmen."
"Käme
er", antwortete Goethe, "man würde ihn zum zweiten Male kreuzigen.
Doch wir brauchten keineswegs ein so Grosses.
..."
Samstag, 10. Januar 2015
... das Fragmentarische
und Wilde seiner Jugendarbeiten mißfiel ihm selbst in reiferen Jahren. Er
strebte nach einer Einheit und Vollendung, vorzüglich nachdem er auf seiner
Reise in Italien die Kunst erforscht hatte. Seine ersten Versuche in dieser
Manier, was er um 1786-90 schrieb, ist ganz seiner unwürdig. Es war eine ganz un-poetische
mühselige Realität. Er mußte aber auch hierin zum Virtuosen werden, und um es
zu werden, beschränkte er seinen Geist. Das macht mich sehr wehmütig.
Samstag, 3. Januar 2015
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