Montag, 13. Mai 2013
Ich mache Ihnen
Striche denn ich sas eine Viertelstunde in Gedancken und mein Geist flog auf
dem ganzen bewohnten Erdboden herum. Unseeliges Schicksal das mir keinen
Mittelzustand erlauben will. Entweder auf einem Punckt, fassend, festklammernd,
oder schweifend gegen alle vier Winde! – Seelig seyd ihr verklärte
Spaziergänger, die mit zufriedener Anständiger Vollendeung ieden Abend den
Staub von ihren Schuhen schlagen, und ihres Tagwercks Göttergleich sich freuen
Sonntag, 5. Mai 2013
Wenn Kindesblick
begierig schaut,
Er findet des Vaters Haus gebaut;
Und wenn das Ohr sich erst vertraut,
Ihm tönt der Muttersprache Laut;
Gewahrt es dies und jenes nah,
Man fabelt ihm, was fern geschah,
Umsittigt ihn, wächst er heran;
Er findet eben alles getan.
Man rühmt ihm dies, man preist ihm das:
Er wäre gar gern auch etwas;
Wie er soll wirken, schaffen, lieben,
Das steht ja alles schon geschrieben
Und, was noch schlimmer ist, gedruckt;
Da steht der junge Mensch verduckt,
Und endlich wird ihm offenbar:
Er sei nur, was ein andrer war.
Er findet des Vaters Haus gebaut;
Und wenn das Ohr sich erst vertraut,
Ihm tönt der Muttersprache Laut;
Gewahrt es dies und jenes nah,
Man fabelt ihm, was fern geschah,
Umsittigt ihn, wächst er heran;
Er findet eben alles getan.
Man rühmt ihm dies, man preist ihm das:
Er wäre gar gern auch etwas;
Wie er soll wirken, schaffen, lieben,
Das steht ja alles schon geschrieben
Und, was noch schlimmer ist, gedruckt;
Da steht der junge Mensch verduckt,
Und endlich wird ihm offenbar:
Er sei nur, was ein andrer war.
Ich hielt es für
unmöglich, daß der hochgefeierte Dichter sich keine jüngere und schönere
Geliebte ausgesucht haben sollte, doch schwand allmählich dieser Zweifel, als
ich sie in ihrem Hause besuchte und dort mit lauter Andenken des damals in Rom weilenden
Freundes umgeben sah. Sie führte mich zu seinem Bilde, las mir seine Verse vor und bemühte sich,
meine Phantasie durch die Schilderung seiner Liebenswürdigkeit zu bestechen.
... Indessen muß man die Geschicklichkeit bewundern, womit diese Frau ihr
künstliches Spiel durchzuführen wußte, so daß sie noch in späterer Zeit für
Goethes Geliebte galt.
Der Charakter dieser
Frau gehörte unstreitig zu den edelsten, und ihr Verstand, der mir zwar nie
bedeutend erscheinen wollte, führte sie glücklich an den mannigfachen Klippen
des Hoflebens vorüber . … Es läßt sich
nicht leugnen, daß Frau v. Stein bei dem besten Herzen viel Schlauheit und
Weltklugheit besitzen mußte; sonst wäre es ihr unmöglich gewesen, bis ans Ende
ihrer sehr langen Laufbahn ohne die mindeste Unterbrechung eine Stellung zu behaupten,
die sie der Herzogin Luise und Goethen so nahe brachte, daß nur der Tod dieses
innige Verhältnis lösen konnte, auf welchem selbst jetzt noch, wo ich dies
schreibe, ein undurchdringlicher Schleier ruht. Goethe allein vermöchte es, ihn
zu lüften; aber schwerlich wird er sich dazu verstehen. Folglich wird auch die
Nachwelt über eine Sache nicht klarer urteilen, die den Zeitgenossen des großen
Mannes stets rätselhaft blieb. Dem sei nun, wie ihm wolle! Was auch jener Schleier
verhüllen mag, Unwürdiges kann es nicht sein.
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