Mittwoch, 30. Dezember 2020

Kurz, obgleich er sich sehr krank fühlt, so ist er dennoch gefasst wie immer, und betrachtet das Treiben der Ärzte, als wären es Experimente, die sie an einem Fremden machen. „Probiert nur immer“, sagte er, „der Tod steht an allen Ecken und breitet seine Arme nach mir aus, aber lasst Euch nicht stören.“

Dienstag, 29. Dezember 2020

Schon Schiller habe 1802 an Humboldt geschrieben: »wenn Goethe nur einen Funken Glauben hätte, so würden manche Sachen hier sich bessern lassen p.«

Samstag, 19. Dezember 2020

Mir ist es wundersam und rührend zu sehen was wir für arme Narren sind, die wir es so bitter ernst nehmen und doch sind wir, im besten Sinne, Narren in unserm Sack.  

Mittwoch, 16. Dezember 2020

 »Es geht mir ungünstig mit der neuesten deutschen Literatur,« sagte ich.     

Dienstag, 15. Dezember 2020

Biskuit und schöne Trauben wurden zum Nachtisch aufgetragen. Letztere waren aus der Ferne gesendet, und Goethe tat geheimnisvoll, woher sie gekommen. Er verteilte sie und reichte mir eine sehr reife über den Tisch. »Hier, mein Guter,« sagte er, »essen Sie von diesen Süßigkeiten und sei'n Sie vergnügt.« Ich ließ mir die Traube aus Goethes Händen wohlschmecken und war nun mit Leib und Seele völlig in seiner Nähe.  

Samstag, 5. Dezember 2020

Der Mensch wird überhaupt genug durch seine Leidenschaften und Schicksale verdüstert, als daß er nöthig hätte, dieses noch durch die Dunkelheiten einer barbarischen Vorzeit zu thun. Er bedarf der Klarheit und der Aufheiterung, und es thut ihm noth, daß er sich zu solchen Kunst- und Literaturepochen wende, in denen vorzügliche Menschen zu vollendeter Bildung gelangten, sodaß es ihnen selber wohl war und sie die Seligkeit ihrer Cultur wieder auf andere auszugießen im Stande sind.   

Der Mensch ist ein einfaches Wesen. Und wie reich, mannigfaltig und unergründlich er auch sein mag, so ist doch der Kreis seiner Zustände bald durchlaufen.  

Schiller erscheint hier, wie immer, im absoluten Besitz seiner erhabenen Natur; er ist so groß am Theetisch, wie er es im Staatsrath gewesen sein würde. Nichts geniert ihn, nichts engt ihn ein, nichts zieht den Flug seiner Gedanken herab; was in ihm von großen Ansichten lebt, geht immer frei heraus ohne Rücksicht und ohne Bedenken. Das war ein rechter Mensch, und so sollte man auch sein! Wir andern dagegen fühlen uns immer bedingt; die Personen, die Gegenstände, die uns umgeben, haben auf uns ihren Einfluß; der Theelöffel geniert uns, wenn er von Gold ist, da er von Silber sein sollte: und so, durch tausend Rücksichten paralysirt, kommen wir nicht dazu, was etwa Großes in unserer Natur sein möchte, frei auszulassen. Wir sind die Sklaven der Gegenstände und erscheinen geringe oder bedeutend, je nachdem uns diese zusammenziehen oder zu freier Ausdehnung Raum geben.«  

Mittwoch, 25. November 2020

Herders sind wieder von Ilmenau zurück und haben mich zum Eintritt mit unangenehmen Sachen unterhalten, die sie nichts angehn. Ich habe beschlossen die Frau nächstens beym Lippen zu kriegen und ihr meine Herzensmynung zu sagen, sie mag alsdenn referiren, und es ist sehr gut dass mann sich erklärt, und gewisse Dinge ein für allemal nicht leidet.  

Montag, 23. November 2020

Sprechen wir es aber aufrichtig aus: ein eigentlicher Lebemann, der frei und praktisch atmet, hat kein ästhetisches Gefühl und keinen Geschmack, ihm genügt Realität im Handeln, Genießen, Betrachten ebenso wie im Dichten; und wenn der Orientale, seltsame Wirkung hervorzubringen, das Ungereimte zusammenreimt, so soll der Deutsche, dem dergleichen wohl auch begegnet, dazu nicht scheel sehen.     

Wie wollt ich du könntest nur acht Tage mein Herz an deinem, meinen Blick in deinem fühlen. Bey Gott was hier vorgeht ist unaussprechlich fein und schnell und nur dir vernehmbar.

Engel! Ihr Brief hat mir wie der in die Ohren geklungen wie die Trompete dem eingeschlafnen Krieger.

  

Donnerstag, 12. November 2020

Man trägt sie fort und setzt sie nieder,
Eh' man sich umsieht, stehn sie wieder;
Nach überstandener Gewalt
Versöhnt ein schöner Aufenthalt. 

Montag, 2. November 2020

Von einem Engländer wird erzählt, er habe sich aufgehangen, um nicht mehr täglich sich aus- und anzuziehn. Ich kannte einen wackeren Gärtner, den Aufseher einer großen Parkanlage, der einmal mit Verdruß ausrief: »Soll ich denn immer diese Regenwolken von Abend gegen Morgen ziehen sehn!« Man erzählt von einem unserer trefflichsten Männer, er habe mit Verdruß das Frühjahr wieder aufgrünen gesehn, und gewünscht, es möchte zur Abwechselung einmal rot erscheinen. Dieses sind eigentlich die Symptome des Lebensüberdrusses, der nicht selten in den Selbstmord ausläuft, und bei denkenden in sich gekehrten Menschen häufiger war, als man glauben kann.


Nichts aber veranlaßt mehr diesen Überdruß, als die Wiederkehr der Liebe. Die erste Liebe, sagt man mit Recht, sei die einzige: denn in der zweiten und durch die zweite geht schon der höchste Sinn der Liebe verloren. Der Begriff des Ewigen und Unendlichen, der sie eigentlich hebt und trägt, ist zerstört, sie erscheint vergänglich wie alles Wiederkehrende. Die Absonderung des Sinnlichen vom Sittlichen, die in der verflochtenen kultivierten Welt die liebenden und begehrenden Empfindungen spaltet, bringt auch hier eine Übertriebenheit hervor, die nichts Gutes stiften kann.

Wer sind die Vögel, in den Ästen
Des Pappelstromes hingewiegt?

Freitag, 30. Oktober 2020

Dieses führt mich auf Maler Hensel, der mir die Jetons überbrachte. Auch er, wie so manche andere, hat ein eingebornes Talent, was aber daraus werden kann, das weiß – nicht Gott, der sich um dergleichen schwerlich bekümmert – aber ich weiß es, der ich diesem Irrfall seit mehr als zwanzig Jahren zusehe. Auch er stickt in dem seichten Dilettantismus der Zeit, der in Alterthümley und Vaterländeley einen falschen Grund, in Frömmeley ein schwächendes Element sucht, eine Atmosphäre, worin sich vornehme Weiber, halbkennende Gönner und unvermögende Versuchler so gerne begegnen; wo eine hohle Phrasensprache, die man sich gebildet, so süßlich klingt, ein Maximengewand, das man sich auf den kümmerlichen Leib zugeschnitten hat, so nobel kleidet, wo man täglich von der Auszehrung genagt an Unsicherheit kränkelt, und um nur zu leben und fortzuwebeln, sich auf's schmächlichste selbst belügen muß.


Uns somit mag denn noch manches weiße Papier zu dir gelangen, manches bleibt für die nächste Mittheilung. Uns und euch dessen Anblick wir uns eine Weile ergötzen wollen.

Alles Gute, Schöne, Würdige!  

Dienstag, 27. Oktober 2020

Als ich ihm ein scharfes Witzwort eines unsrer Freunde mittheilte, wurde er ganz aufgebracht und zornig. »Durch solche böswillige und indiscrete Dichteleien macht man sich nur Feinde und verbittert Laune und Existenz sich selbst. Ich wollte mich doch lieber aufhängen, als ewig negiren, ewig in der Opposition sein, ewig schlußfertig auf die Mängel und Gebrechen meiner Mitlebenden, Nächstlebenden lauern. Ihr seid noch gewaltig jung und leichtsinnig, wenn ihr so etwas billigen könnt. Das ist ein alter Sauerteig, der den Character inficirt hat und aus der Revolutionszeit stammt.« In solcher Heftigkeit ward Goethe immer beredter, immer geistreicher, immer aufrichtiger und dabei wohlmeinender in der Richtung seiner Aussprüche, so daß es mir ganz lieb war, durch jene Mittheilung seine Explosion provocirt zu haben. 

Abends war ich einige Stunden bei Goethe, der noch unpaß, doch schon besser war. Später kam Coudray hinzu, dann Huschke. Goethe sprach über den Gebrauch des Thees. »Er wirkt stets wie Gift auf mich,« sagte er, »und doch was sollten die Frauen ohne ihn anfangen? Das Thee machen ist eine Art Function, eine eingebildete Thätigkeit, besonders in England. Und da sitzen sie gar behaglich umher, und sind weiß, und sind schön, und sind lang, und da müssen wir sie schon sitzen lassen.«

Ich frug, ob er Seidel's literarisches Geschenk »Charinomos« gelesen habe? »Keineswegs, nichts ist mir hohler und fataler wie ästhetische Theorien. Ich bin zu alt, um noch neue Theorien in meinen Kopf zu bringen. Ein Lied, eine Erzählung irgend etwas Producirtes - das lese ich wohl und gerne, wenn es gut ist; das beseelt um mich herum. Auch Urtheile sind etwas Geschaffenes, Thätiges und vor allen lobe ich mir meine Globisten, aber was ein Anderer denkt, wie kann mich das kümmern? Ich kann doch nicht wie er denken, weil ich Ich und nicht Er bin. Wie können sich nur die Leute einbilden, daß mich ihr Denken interessiren könnte, z.B. Cousin?«

…. Im Ganzen war er heut sehr mild und freundlich.

Dienstag, 20. Oktober 2020

Goethe machte mir Schwierigkeiten wegen des beabsichtigten Abdrucks seines Dankbriefes nach Jena »Ich weiß, was ich kann und nicht kann und will nur das, was ich kann.«


Es ist sonderbar, daß eben, da ich Ihren Brief erhalte, ich still-traurig über denselben Gegenstand nachdachte, davon Sie mir schreiben. Aber leider ist da auf der einen Seite, wo unser Freund die Hoffnung aufgegeben, nichts zu ändern, weil nichts zu hoffen ist und moralisch unrichtiger Takt und Töne in unserm System herrschen. Aber als ein weiser Mann wird er sich’s wohl mit der Zeit zurechtlegen.

Überdies geht unser Freund seinen ihm gehörigen Weg. Sie andere Philosophen wissen ja, daß gewisse notwendige Gesetze in der moralischen Natur so gut als in der physischen mit denen Dingen verknüpft sind. So kann ein Verständiger, Edler, Großmütiger, Wohltätiger, Uneigennütziger keinen vergnüglichen Teil mit dieser Welt haben; oder wenn er ihn genießen will, so muß er seinen Himmel verlassen. Diese Menschen bleiben nun einmal die, welche man wie den einigen Gott im Geist und in der Wahrheit verehrt. Keine irdischen Altäre werden ihnen nicht gebaut.

Nur ist es notwendig, daß, wenn einmal diese himmlischen Seelen durch Ämter mit den Menschenkindern gebunden sind, sie sich dieses recht deutlich machen und immer in ihrem Herzen wiederholen: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“

Auf diesem Weg müssen wir unserm Freund beistehen.   

Er ist also jetzt Wirklicher Geheimer Rat, Kammerpräsident, Präsident des Kriegscollegii, Aufseher des Bauwesens bis zum Wegbau hinunter, Direktor des Bergwerks, dabei auch Directeur des plaisirs, Hofpoet, Verfasser von schönen Festivitäten, Hofopern, Balletts, Redoutenaufzügen, Inskriptionen, Kunstwerken usw., Direktor der Zeichenakademie, in der er den Winter über Vorlesungen über die Osteologie gehalten; selbst überall der erste Akteur, Tänzer, kurz, das Faktotum des Weimarschen und, so Gott will, bald der Major domus sämtlicher Ernestinischer Häuser, bei denen er zur Anbetung umherzieht. 

Bei alledem geht’s in Geschäften, wie es gehen will und mag. Meine Gegenwart ist hier beinah unnütz und wird mir von Tag zu Tag lästiger. Was anderswohin weiß, sehnt sich weg.   (Herder an Hamann)


Um mich herum fühle ich eine sonderbare Wüste, da ich doch in dem Eigentlichen, worüber ich reden möchte, niemand hier habe, mit dem ich sprechen kann, als meine Frau. Die hiesigen schönen Geister sind so sehr weit von mir und leben in ihrer Welt, in denen es ihnen sehr wohl ist ...

Kunst, Kunst ist jetzt die Losung, der alles zu Füßen liegt: süßer mystischer Opiumtraum unverstandner Ideen und Gefühle!

11. Mai: «Hier ist Nichts, Nichts, Nichts als armes Treiben und Martern des Geistes: despotische Anarchie und anarchischer Despotismus.»        (Herder an Hamann)

Montag, 5. Oktober 2020

Äußerst fratzenhaft erscheint der arme Kosegarten, der, nachdem er nun zeitlebens gesungen und gezwitschert hat, wie ihm von der lieben Natur die Kehle gebildet und der Schnabel gewachsen war, seine Individualität durch die Folterschrauben der neuen philosophischen Forderungen selbst auszurecken bemüht ist, und seine Bettlerjacke auf der Erde nachschleift, um zu versichern, daß er doch auch ohngefähr so einen Königsmantel in der Garderobe führe. Ich werde das Exhibitum sogleich an Meyern absenden. Indessen sind diese Menschen, die sich noch denken können, daß das Nichts unserer Kunst alles sei, noch besser dran als wir andern, die wir doch mehr oder weniger überzeugt sind, daß das Alles unserer Kunst nichts ist.

Freitag, 2. Oktober 2020

Er war sehr gut gegen mich, nennte mich im Vertrauen seines Herzens Du, das verwies ich ihm mit den sanftesten Ton von der Welt, sich’s nicht anzugewöhnen, weil es nun eben niemand wie ich zu verstehn weiß und er ohnedies oft gewisse Verhältnisse aus den Augen setz. Da springt er wild auf vom Kanapee, sagt: „Ich muß fort!“, läuft ein paarmal auf und ab, um seinen Stock zu suchen, findt ihn nicht, rennt so zur Türe hinaus ohne Abschied, ohne Gutenacht. Sehen Sie, lieber Zimmermann, so war’s heute mit unsern Freund. Schon einigemal habe ich bittern Verdruß um ihn gehabt; das weiß er nicht und soll’s nie wissen.  ...  

Goethe hatte sich mir gegenüber gesetzt, und wir sprachen noch über allerlei Dinge. Dann verweilten wir wieder bei Lord Byron, und es kamen die mancherlei Unfälle zur Erwähnung, die sein späteres Leben getrübt, bis zuletzt ein zwar edles Wollen, aber ein unseliges Geschick ihn nach Griechenland geführt und vollends zugrunde gerichtet. „Überhaupt“, fuhr Goethe fort, „werden Sie finden, daß im mittleren Leben eines Menschen häufig eine Wendung eintritt, und daß, wie ihn in seiner Jugend alles begünstigte und alles ihm glückte, nun mit einemmal alles ganz anders wird, und ein Unfall und ein Mißgeschick sich auf das andere häuft.“

Samstag, 26. September 2020

Die Gebrüder Schlegel waren und sind bey soviel schönen Gaben unglückliche Menschen ihr Leben lang; sie wollten mehr vorstellten als ihnen von Natur gegönnt war und mehr wirken als sie vermochten; daher war und mehr wirken als sie vermochten; daher haben sie in Kunst und Literatur viel Unheil angerichtet. Von ihren falschen Lehren in der bildenden Kunst, welche den Egoismus, mit Schwäche verbunden, präconisirten, lehrten und ausbreiteten, haben sich die deutschen Künstler und Liebhaber noch nicht erholt; sogar muß man diesen den Irrthum auf eine weile gönnen, sie würden verzweifeln, wenn ihnen die Augen aufgingen. Indessen haben wir andern die Noth, die wir Künstlern forthelfen sollen, deren Werke doch am Ende niemand will, weil sie niemanden zusagen; deswegen haben die lobenswürdigen Vereine das Publicum redlich zum Besten, indem sie verlosen was niemand kaufen würde, und woran derjenige der's gewinnt sich kaum erfreuen kann.

Um zu jenen Dioskuren zurückzukehren, so erstickte doch Friedlich Schlegel am Wiederkäuen sittlicher und religioser Absurditäten, die er auf seinem unbehaglichen Lebensgange gern mitgetheilt und ausgebreitet hätte; deshalb er sich in den Katholicismus flüchtete und bey seinem Unterhang ein recht hübsches, aber falsch gesteigertes Talent, Adam Müller, nach sich zog.

Genau besehen war die Richtung nach dem Indischen auch nur pis-aller. Sie waren klug genug zu sehen, dass weder im deutschen noch im lateinischen und griechischen Felde etwas Brillantes für sie zu thun sey; nun warfen sie sich das Talent von August Wilhelm auf eine Ehrenvolle Weise. Alles das – und + wird die Folgezeit reiner in Evidenz setzen. Schiller liebte sie nicht, ja er hasste sie, und ich weiß nicht ob aus dem Briefwechsel hervorgeht, dass ich, in unserm engen Kreise wenigstens, sociale Verhältnisse zu vermitteln suchte. Sie ließen mich bey der großen Umwälzung, die sie wirklich durchsetzen, nothdürftig stehen, zum Verdrusse Hardenbergs, welcher mich auch wollte delirt (ausgelöscht) haben. Ich hatte mit mir selbst genug zu thun, was kümmerten mich andere.


Schiller war mit Recht auf sie erbost; wie er ihnen im Wege stand, konnt er ihnen nicht in den Weg treten. Er sagte mir einmal, da ihm meine allgemeine Toleranz, sogar die Fördernis dessen was ich nicht mochte, nicht gefallen wollte: "Kotzebue ist mir respectabler in seiner Fruchtbarkeit als jenes unfruchtbare, im Grunde immer nachhinkende und den Raschfortschreitenden zurückrufende und hindernde Geschlecht."

Freitag, 18. September 2020

Schon Bulwer instrumentierte seine Schilderung der grossstädtischen Menschen im «Eugen Aram» mit dem Hinweis auf die Goethische Bemerkung, jeder Mensch, der beste wie der elendeste, trage ein Geheimnis mit sich herum, das ihn allen anderen verhasst machen würde, sollte es bekannt werden. 

Mittwoch, 9. September 2020

Der Rhythmus hat etwas Zauberisches, sogar macht er uns glauben, das Erhabene gehöre uns an. 

Samstag, 29. August 2020

 … je incommensurabler und für den Verstand unfasslicher eine poetische Produktion, desto besser. 

Freitag, 21. August 2020

Mit meinen Augen hab ich es gesehn,
Das Urbild jeder Tugend, jeder Schöne;
Was ich nach ihm gebildet, das wird bleiben:
Tancredens Heldenliebe zu Chlorinden,
Erminiens stille nicht bemerkte Treue,
Sophroniens Großheit und Olindens Not.
Es sind nicht Schatten, die der Wahn erzeugte,
Ich weiß es, sie sind ewig, denn sie sind.
Und was hat mehr das Recht, Jahrhunderte
Zu bleiben und im stillen fort zu wirken,
Als das Geheimnis einer edlen Liebe,
Dem holden Lied bescheiden anvertraut?  

Freilich ist dieses alles nur eine poetische Schöpfung; allein der beschränkte Mensch vermag nicht viel weiter zu dringen, und er ist zufrieden, etwas zu finden, wobei er sich beruhigen möchte. Wir sehen auf Erden Erscheinungen und empfinden Wirkungen, von denen wir nicht wissen, woher sie kommen, und wohin sie gehen. Wir schließen auf einen geistigen Urquell, auf ein Göttliches, wofür wir keine Begriffe und keinen Ausdruck haben, und welches wir zu uns herabziehen und anthropomorphisieren müssen, um unsere dunkelen Ahndungen einigermaßen zu verkörpern und fasslich zu machen. 

Donnerstag, 20. August 2020

Ich traf Goethen gegen Abend ziemlich abgespannt und einsilbig, es gelang mir jedoch, nach vielen vergeblichen Versuchen, ihn endlich munter, gesprächig und heiter zu machen.

Darüber war ich sehr froh; denn nichts ist peinlicher als das Zusammensein mit ihm, wenn er jeden Gesprächsfaden sogleich fallen läßt, oder abreißt, auf jede Frage mit: »Gute Menschen! es ist ihnen aber nicht zu helfen« oder »da mögt ihr jungen Leute zusehen, ich bin zu alt dazu« antwortet und manche lange Pause mit nichts als hm! hm! ausfüllt, auch wohl den Kopf wie aus Schläfrigkeit sinken läßt.

 

Die Sonne tönt, nach alter Weise,
In Brudersphären Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.
Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,
Wenn keiner Sie ergründen mag;
die unbegreiflich hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag.

Sonntag, 16. August 2020

Ich hatte das Dargestellte wohl gehört und wohl empfunden, aber es blieb mir so vieles räthselhaft, daß ich mich gedrungen fühlte, Goethe um einigen Aufschluß zu bitten. Er aber, in seiner gewöhnlichen Art, hüllte sich in Geheimnisse, indem er mich mit großen Augen anblickte und mir die Worte wiederholte: Die Mütter! Mütter! 's klingt so wunderlich! 

Donnerstag, 13. August 2020

»Geht nur,« sagte Goethe, »und laßt mir das Publicum, von dem ich nichts hören mag. Die Hauptsache ist, daß es geschrieben steht; mag nun die Welt damit gebaren, so gut sie kann, und es benutzen, so weit sie es fähig ist.«      

 »Es ist eigen« sagte ich, »daß man so häufig bei ausgezeichneten Talenten, besonders bei Poeten findet, daß sie eine schwächliche Constitution haben.«

»Das Außerordentliche, was solche Menschen leisten,« sagte Goethe, »setzt eine sehr zarte Organisation voraus, damit sie seltener Empfindungen fähig sein und die Stimme der Himmlischen vernehmen mögen. Nun ist eine solche Organisation im Conflict mit der Welt und den Elementen leicht gestört und verletzt, und wer nicht, wie Voltaire, mit großer Sensibiliät eine außerordentliche Zähheit verbindet, ist leicht einer fortgesetzten Kränklichkeit unterworfen. Schiller war noch beständig krank. Als ich ihn zuerst kennen lernte, glaubte ich, er lebte keine vier Wochen. Aber auch er hatte eine gewisse Zähheit; er hielt sich noch die vielen Jahre und hätte sich bei gesunderer Lebensweise noch länger halten können.«     

Dienstag, 4. August 2020


Aug', mein Aug', was sinkst du nieder?
Goldne Träume, kommt ihr wieder?
Weg, du Traum! so gold du bist;
Hier auch Lieb' und Leben ist.

Samstag, 1. August 2020


Riemer ist sehr brav. Wir lesen jetzt, eine neue Ausgabe vorbereitend, Wilhelm Meister zusammen. Da ich dieses Werklein, so wie meine übrigen Sachen, als Nachtwandler geschrieben, so sind mir seine Bemerkungen über meinen Styl höchst lehrreich und anmuthig.  

Donnerstag, 30. Juli 2020

Alles ist gleich, alles ungleich, alles nützlich und schädlich, sprechend und stumm, vernünftig und unvernünftig. Und was man von einzelnen Dingen bekennt, widerspricht sich öfters.  

Mittwoch, 29. Juli 2020

Das Höchste, was wir von Gott und der Natur erhalten haben, ist das Leben, die rotierende Bewegung der Monas um sich selbst, welche weder Rast noch Ruhe kennt; der Trieb, das Leben zu hegen und zu pflegen, ist einem jeden unverwüstlich eingeboren, die Eigentümlichkeit desselben jedoch bleibt uns und andern ein Geheimnis.   

Dienstag, 28. Juli 2020


»Heute früh hab' ich gelernt, jetzt wiederholt und versucht. Ich bin müde, zerbrochen, und morgen geht es wieder von vorn an. Morgen abend soll gespielt werden. So schlepp' ich mich hin und her; es ist mir langweilig, aufzustehen, und verdrießlich, zu Bette zu gehen. Alles macht einen ewigen Zirkel in mir. Dann treten die leidigen Tröstungen vor mir auf, dann werf' ich sie weg und verwünsche sie. Ich will mich nicht ergeben, nicht der Notwendigkeit ergeben – warum soll das notwendig sein, was mich zugrunde richtet? Könnte es nicht auch anders sein? Ich muß es eben bezahlen, daß ich eine Deutsche bin: es ist der Charakter der Deutschen, daß sie über allem schwer werden, daß alles über ihnen schwer wird.«


»O, meine Freundin«, fiel Wilhelm ein, »könnten Sie doch aufhören, selbst den Dolch zu schärfen, mit dem Sie sich unablässig verwunden! Bleibt Ihnen denn nichts? Ist denn Ihre Jugend, Ihre Gestalt, Ihre Gesundheit, sind Ihre Talente nichts? Wenn Sie ein Gut ohne Ihr Verschulden verloren haben, müssen Sie denn alles übrige hinterdrein werfen? Ist das auch notwendig?«

Dienstag, 21. Juli 2020

Sie schwieg einige Augenblicke, dann fuhr sie auf: »Ich weiß es wohl, daß es Zeitverderb ist, nichts als Zeitverderb ist die Liebe! Was hätte ich nicht tun können! tun sollen! Nun ist alles rein zu nichts geworden. Ich bin ein armes, verliebtes Geschöpf, nichts als verliebt! Haben Sie Mitleiden mit mir, bei Gott, ich bin ein armes Geschöpf!«  
Er faßte sie bei der Hand und bat sie auf das inständigste, sich nicht selbst aufzureiben. »O«, sagte er, »wie sonderbar ist es, daß dem Menschen nicht allein so manches Unmögliche, sondern auch so manches Mögliche versagt ist. Sie waren nicht bestimmt, ein treues Herz zu finden, das Ihre ganze Glückseligkeit würde gemacht haben. Ich war dazu bestimmt, das ganze Heil meines Lebens an eine Unglückliche festzuknüpfen, die ich durch die Schwere meiner Treue wie ein Rohr zu Boden zog, ja vielleicht gar zerbrach.«
Er pflegte zu sagen: »Der Mensch ist so geneigt, sich mit dem Gemeinsten abzugeben, Geist und Sinne stumpfen sich so leicht gegen die Eindrücke des Schönen und Vollkommnen ab, daß man die Fähigkeit, es zu empfinden, bei sich auf alle Weise erhalten sollte. Denn einen solchen Genuß kann niemand ganz entbehren, und nur die Ungewohntheit, etwas Gutes zu genießen, ist Ursache, daß viele Menschen schon am Albernen und Abgeschmackten, wenn es nur neu ist, Vergnügen finden. Man sollte«, sagte er, »alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, einige vernünftige Worte sprechen.« 

Donnerstag, 16. Juli 2020

Man hat beobachtet, daß es möglich sei, ziemlich genau den geistigen Zustand einer Nation nach ihrer periodischen Literatur zu beurteilen. Und fürwahr, diese Art von Schriften hat mehr als alle andere Ursache, sich nach dem Geschmacks- und Sittenwechsel zu
richten.  

Dienstag, 7. Juli 2020

Wir sprachen über Leute, die, ohne eigentliches Talent, zur Productivität gerufen werden, und über andere, die über Dinge schreiben, die sie nicht verstehen.
»Das Verführerische für junge Leute,« sagte Goethe, »ist dieses. Wir leben in einer Zeit, wo so viele Cultur verbreitet ist, daß sie sich gleichsam der Atmosphäre mitgetheilt hat, worin ein junger Mensch athmet. Poetische und philosophische Gedanken leben und regen sich in ihm, mit der Lust seiner Umgebung hat er sie eingesogen, aber er denkt, sie wären sein Eigenthum, und so spricht er sie als das Seinige aus. Nachdem er aber der Zeit wiedergegeben hat, was er von ihr empfangen, ist er arm. Er gleicht einer Quelle, die von zugetragenem Wasser eine Weile gesprudelt hat, und die aufhört zu rieseln, sobald der erborgte Vorrath erschöpft ist.«    

Montag, 22. Juni 2020

»Wenn man alt ist,« sagte er, »denkt man über die weltlichen Dinge anders, als da man jung war. So kann ich mich des Gedankens nicht erwehren, daß die Dämonen, um die Menschheit zu necken und zum besten zu haben, mitunter einzelne Figuren hinstellen, die so anlockend sind, daß jeder nach ihnen strebt, und so groß, daß niemand sie erreicht. So stellten sie den Rafael hin, bei dem Denken und Thun gleich vollkommen war; einzelne treffliche Nachkommen haben sich ihm genähert, aber erreicht hat ihn niemand. So stellten sie den Mozart hin als etwas Unerreichbares in der Musik. Und so in der Poesie Shakespeare. Ich weiß, was Sie mir gegen diesen sagen können, aber ich meine nur das Naturell, das große Angeborene der Natur. So steht Napoleon unerreichbar da.«  
»Da die Conception so alt ist,« sagte Goethe, »und ich seit funfzig Jahren darüber nachdenke, so hat sich das innere Material so sehr gehäuft, daß jetzt das Ausscheiden und Ablehnen die schwere Operation ist. Die Erfindung des ganzen zweiten Theils ist wirklich so alt wie ich sage. Aber daß ich ihn erst jetzt schreibe, nachdem ich über die weltlichen Dinge so viel klarer geworden, mag der Sache zu gute kommen. Es geht mir damit wie einem, der in seiner Jugend sehr viel kleines Silber und Kupfergeld hat, das er während dem Lauf seines Lebens immer bedeutender einwechselt, sodaß er zuletzt seinen Jugendbesitz in reinen Goldstücken vor sich sieht.«  

Donnerstag, 11. Juni 2020

»Die Menge, die Majorität, ist nothwendig immer absurd und verkehrt; denn sie ist bequem, und das Falsche ist stets viel bequemer als die Wahrheit. Letztere will ernst erforscht und rücksichtslos angeschaut und angewendet sein. Das Falsche aber schmiegt sich an jede träge, bequeme oder thörichte Individualität an, ist wie ein Firniß, mit dem man leicht alles übertüncht.«
»Wenn man in und für die Zeit schreibt, ist es gar zu unangenehm, zu finden, daß man nichts auf sie wirkt. Ja wenn man Schiller's und meinen Briefwechsel liest, da findet man wohl, daß diese Kerls es sich ganz anders sauer werden, ganz höllisch ernst sein ließen. Und man wundert sich, daß sie sich so viele Mühe geben mochten; die albernen Burschen dachten nach, suchten sich Alles klar zu machen, Theorien von dem, was sie geschaffen hatten, zu ergrübeln; hätten es sich leichter machen können und lieber was Frisches schaffen.«

Mittwoch, 10. Juni 2020

Kant hat unstreitig am meisten genützt, indem er die Grenzen zog, wie weit der menschliche Geist zu dringen fähig sei, und daß er die unauflöslichen Probleme liegen ließ. Was hat man nicht alles über Unsterblichkeit philosophirt! und wie weit ist man gekommen? Ich zweifle nicht an unserer Fortdauer, denn die Natur kann die Entelechie nicht entbehren; aber wir sind nicht auf gleiche Weise unsterblich, und um sich künftig als große Entelechie zu manifestiren, muß man auch eine sein.  

Sonntag, 31. Mai 2020


Mannräuschlein nannte man im siebzehnten Jahrhundert gar ausdrucksvoll die Geliebte.

Freitag, 29. Mai 2020


Das Schöne ist eine Manifestation geheimer Naturgesetze, die uns ohne dessen Erscheinung ewig wären verborgen geblieben.

Mittwoch, 27. Mai 2020

„Oft quälen mich Durchreisende mit langweiligen Besuchen, und da ich mich jetzt mit Osteologie beschäftige, so lege ich ihnen zuweilen meine vorhandenen Knochen vor, das erregt den Besuchenden Langeweile - und sie empfehlen sich. Ich habe diese Vorlage bei Ihnen vergessen.“
Alles, was ich um mich her in der wirklichen Welt und in der vergangenen sehe, wird mir immer heller und deutlicher, und bekömmt immer mehr Beziehung auf einander, je vollständiger meine Ideen davon werden.

Dienstag, 19. Mai 2020

»Das Schlimme ist,« fuhr Goethe fort, »daß man im Leben so viel durch falsche Tendenzen ist gehindert worden, und daß man nie eine solche Tendenz erkannt, als bis man sich bereits davon freigemacht.«
»Woran aber,« sagte ich, »soll man sehen und wissen, daß eine Tendenz eine falsche sei?«
»Die falsche Tendenz,« antwortete Goethe, »ist nicht productiv, und wenn sie es ist, so ist das Hervorgebrachte von keinem Werth. Dieses an andern gewahr zu werden, ist nicht so gar schwer, aber an sich selber, ist ein eigenes Ding und will eine große Freiheit des Geistes. Und selbst das Erkennen hilft nicht immer; man zaudert und zweifelt und kann sich nicht entschließen, so wie es schwer hält, sich von einem geliebten Mädchen loszumachen, von deren Untreue man längst wiederholte Beweise hat. Ich sage dieses, indem ich bedenke, wie viele Jahre es gebrauchte, bis ich einsah, daß meine Tendenz zur bildenden Kunst eine falsche sei, und wie viele andere, nachdem ich es erkannt, mich davon loszumachen.« 
Goethe las mir seine Antwort an den König von Bayern. Er hatte sich dargestellt wie einen, der persönlich die Stufen der Villa hinaufgeht und sich in des Königs unmittelbarer Nähe mündlich äußert. »Es mag schwer sein,« sagte ich, »das richtige Verhältniß zu treffen, wie man sich in solchen Fällen zu halten habe.«
»Wer wie ich,« antwortete Goethe, »sein ganzes Leben hindurch mit hohen Personen zu verkehren gehabt, für den ist es nicht schwer. Das einzige dabei ist, daß man sich nicht durchaus menschlich gehen lasse, vielmehr sich stets innerhalb einer gewissen Convenienz halte.« 

Sonntag, 10. Mai 2020

Goethe zeigte mir sodann auch auf diesem Grundriß die merkwürdigsten Gebäude und Plätze. »Dies,« sagte er, »ist der Farnesische Garten.«
»War es nicht hier,« sagte ich, »wo Sie die Hexenscene des ›Faust‹ geschrieben?«
»Nein,« sagte er, »das war im Garten Borghese.«    

Hier Gustgen ein altes verlohrnes Zettelgen das ich wiederfinde.

Ich muss noch viel herumgetrieben werden, und dann einen Augenblick an Ihrem Herzen! – Das ist immer so mein Traum, meine Aussicht durch viel Leiden. – Ich habe mich so offt am Weiblichen Geschlecht betrogen – O Gustgen wenn ich nur einen Blick in Ihr Aug thun könnte! – Ich will schweigen – Hören Sie nicht auf, auch für mich zu seyn. Ade.

Samstag, 2. Mai 2020


Alles Gescheite ist schon gedacht worden, man muß nur versuchen, es noch einmal zu denken.
Alles Grosse und Gescheite existiert in der Minorität. Es hat Minister gegeben, die Volk und König gegen sich hatten und die ihre grossen Pläne einsam durchführten. Es ist nie daran zu denken, dass die Vernunft popular werde. Leidenschaften und Gefühle mögen popular werden, aber die Vernunft wird immer nur im Besitz einzelner Vorzüglicher sein.

Freitag, 1. Mai 2020

Es ist etwas Unstetes und Mistrauisches in seinem ganzen Wesen, wobey sich niemand in seiner Gegenwart wohl befinden kann. Es ist mir, als wenn ich auf keinem seiner Stühle ruhig sitzen könnte. Er ist der glücklichste Mensch von aussen. Er hat Geist, Ehre, Bequemlichkeit, Genuss der Künstle. Und doch möchte ich nicht 3000 Rthlr. Einnahme haben und an seiner Stelle sein.

Dienstag, 28. April 2020

Ich will Ihnen etwas sagen, woran Sie sich im Leben halten mögen. Es gibt in der Natur ein Zugängliches und ein Unzugängliches. Dieses unterscheide und bedenke man wohl und habe Respekt. Es ist uns schon geholfen, wenn wir es überhaupt nur wissen, wiewohl es immer sehr schwer bleibt, zu sehen, wo das eine aufhört und das andere beginnt. Wer es nicht weiß, quält sich vielleicht lebenslänglich am Unzugänglichen ab, ohne je der Wahrheit nahe zu kommen. Wer es aber weiß und klug ist, wird sich am Zulänglichen halten, und indem er in dieser Region nach allen Seiten geht und sich befestiget, wird er sogar auf diesem Wege dem Unzugänglichen etwas abgewinnen können, wiewohl er hier doch zuletzt gestehen wird, daß manchen Dingen nur bis zu einem gewissen Grade beizukommen ist, und die Natur immer etwas Problematisches hinter sich behalte, welches zu ergründen, die menschlichen Fähigkeiten nicht hinreichen.

Samstag, 25. April 2020

Und eben diese durchdringenden Augen des umsichtigen Mannes scheinen uns ein Entsetzen zu verraten; er blickt auf eine fürchterliche Erscheinung, die unmittelbar, unerwartet aus den Wellen bricht. Die Helden, sämtlich erstaunt, feiern von der Arbeit. Herkules allein fährt fort, das Meer zu schlagen; was den übrigen als Wunder erscheint, sind ihm bekannte Dinge. Rastlos gewohnt zu arbeiten, strebt er kräftig vor wie nach, unbekümmert um alles nebenbei.   

Alle nun schauen auf Glaukus, der sich dem Meer enthebt. Dieser, sonst ein Fischer, genoß vorwitzig Tang und Meerpflanze; die Wellen schlugen über ihm zusammen und führten ihn hinab als Fisch zu den Fischen. Aber der übriggebliebene menschliche Teil ward begünstigt: zukünftige Dinge kennt er, und nun steigt er herauf, den Argonauten ihre Schicksale zu verkünden. Wir betrachten seine Gestalt: aus seinen Locken, aus seinem Bart trieft, gießt das Meerwasser über Brust und Schultern herab, anzudeuten die Schnelligkeit, womit er sich hervorhob.

Mittwoch, 22. April 2020

Vor mehreren Wochen sagte er mir einmal, er für seine Person hätte viel Glück, ja es strömte ihm von allen Seiten zu, aber nur für andre habe er kein Glück.

Sonntag, 12. April 2020

«In Erwartung der Suppe will ich Ihnen indeß eine Erquickung der Augen geben.» Mit diesen freundlichen Worten legte Goethe mir einen Band vor mit Landschaften von Claude Lorrain.
»Da sehen Sie einmal einen vollkommenen Menschen,« sagte Goethe, »der schön gedacht und empfunden hat und in dessen Gemüth eine Welt lag, wie man sie nicht leicht irgendwo draußen antrifft. Die Bilder haben die höchste Wahrheit, aber keine Spur von Wirklichkeit. Claude Lorrain kannte die reale Welt bis ins kleinste Detail auswendig, und er gebrauchte sie als Mittel, um die Welt seiner schönen Seele auszudrücken. Und das ist eben die wahre Idealität, die sich realer Mittel so zu bedienen weiß, daß das erscheinende Wahre eine Täuschung hervorbringt, als sei es wirklich.«
»Ich dächte,« sagte ich, »das wäre ein gutes Wort und zwar ebenso gültig in der Poesie wie in den bildenden Künsten.«
»Ich sollte meinen,« sagte Goethe.
»Indessen,« fuhr er fort, »wäre es wohl besser, Sie sparten sich den fernern Genuß des trefflichen Claude zum Nachtisch, denn die Bilder sind wirklich zu gut, um viele davon hintereinander zu sehen.«
»Ich fühle so,« sagte ich, »denn mich wandelt jedesmal eine gewisse Furcht an, wenn ich das folgende Blatt umwenden will. Es ist eine Furcht eigener Art, die ich vor diesem Schönen empfinde, so wie es uns wohl mit einem trefflichen Buche geht, wo gehäufte kostbare Stellen uns nöthigen innezuhalten, und wir nur mit einem gewissen Zaudern weiter gehen.«  

Montag, 30. März 2020

«Ja,» sagte Goethe, «die ›Elegien‹ liebt er besonders; er hat mich hier viel damit geplagt, ich sollte ihm sagen, was an dem Factum sei, weil es in den Gedichten so anmuthig erscheint, als wäre wirklich was Rechtes daran gewesen. Man bedenkt aber selten, daß der Poet meistens aus geringen Anlässen was Gutes zu machen weiß.»

Mittwoch, 18. März 2020


»Ich muß bewundern,« sagte ich, »wie Napoleon bei solcher Jugend mit den großen Angelegenheiten der Welt so leicht und sicher zu spielen wußte, als wäre eine vieljährige Praxis und Erfahrung vorangegangen.«

«Liebes Kind,» sagte Goethe, «das ist das Angeborene des großen Talents. Napoleon behandelte die Welt wie Hummel seinen Flügel; beides erscheint uns wunderbar, wir begreifen das eine so wenig wie das andere, und doch ist es so und geschieht vor unsern Augen. Napoleon war darin besonders groß, daß er zu jeder Stunde derselbige war. Vor einer Schlacht, während einer Schlacht, nach einem Siege, nach einer Niederlage, er stand immer auf festen Füßen und war immer klar und entschieden, was zu thun sei. Er war immer in seinem Element und jedem Augenblick und jedem Zustande gewachsen, so wie es Hummeln gleichviel ist, ob er ein Adagio oder ein Allegro, ob er im Baß oder im Discant spielt. Das ist die Facilität, die sich überall findet wo ein wirkliches Talent vorhanden ist, in Künsten des Friedens wie des Kriegs, am Klavier wie hinter den Kanonen.»
Die Zeitungen wurden gebracht, worein wir uns theilten, in Erwartung der Suppe.

Donnerstag, 12. März 2020

Die Deutschen aber gehen jeder seinem Kopfe nach, jeder sucht sich selber genug zu thun, er fragt nicht nach dem andern; denn in jedem lebt, wie Guizot richtig gefunden hat, die Idee der persönlichen Freiheit, woraus denn, wie gesagt, viel Treffliches hervorgeht, aber auch viel Absurdes.  
«Liebes Kind,» sagte Goethe, «ein Name ist nichts Geringes. Hat doch Napoleon eines großen Namens wegen fast die halbe Welt in Stücke geschlagen!»

«Eine eigene Zaubergewalt,» sagte ich, «mußte er in seiner Persönlichkeit haben, daß die Menschen ihm sogleich zufielen und anhingen und sich von ihm leiten ließen.»

«Allerdings,» sagte Goethe, «war seine Persönlichkeit eine überlegene. Die Hauptsache aber bestand darin, daß die Menschen gewiß waren, ihre Zwecke unter ihm zu erreichen. Deshalb fielen sie ihm zu, sowie sie es jedem thun, der ihnen eine ähnliche Gewißheit einflößt. Fallen doch die Schauspieler einem neuen Regisseur zu, von dem sie glauben, daß er sie in gute Rollen bringen werde. Dies ist ein altes Märchen, das sich immer wiederholt; die menschliche Natur ist einmal so eingerichtet. Niemand dient einem andern aus freien Stücken, weiß er aber, daß er damit sich selber dient, so thut er es gern. Napoleon kannte die Menschen zu gut, und er wußte von ihren Schwächen den gehörigen Gebrauch zu machen.»

Donnerstag, 5. März 2020

Das Böhmen ist ein eigenes Land, ich bin dort immer gern gewesen. Die Bildung der Literatoren hat noch etwas Reines, welches im nördlichen Deutschland schon anfängt selten zu werden, indem hier jeder Lump schreibt, bei dem an ein sittliches Fundament und eine höhere Absicht nicht zu denken ist.

Wir waren darauf noch eine Weile heiter beisammen, und Goethe bewirthete mich zuletzt noch mit vielem Honig, auch mit einigen Datteln, die ich mitnahm.  

Prächtige Gebäude und Zimmer sind für Fürsten und Reiche. Wenn man darin lebt, fühlt man sich beruhigt, man ist zufrieden und will nichts weiter.
 

Meiner Natur ist es ganz zuwider. Ich bin in einer prächtigen Wohnung, wie ich sie in Karlsbad gehabt, sogleich faul und untätig. Geringe Wohnung dagegen, wie dieses schlechte Zimmer, worin wir sind, ein wenig unordentlich ordentlich, ein wenig zigeunerhaft, ist für mich das Rechte; es läßt meiner inneren Natur volle Freiheit, tätig zu sein und aus mir selber zu schaffen.

Freitag, 28. Februar 2020


An Carl Ludwig von Knebel. Mayland d. 24. May 88.

…  Erst heute hat mich die Mineralogie wieder einmal angelächelt. Ich war beym Vater Pini und sah seine Berge kristallisirten Feldspaths und ward wieder einmal nach einem Stück Stein lüstern. Er hat mir einiges versprochen, es ist ein guter behaglicher Mann.

Freitag, 21. Februar 2020


An den Herzog Carl August
Rom d. 29. Dec. 87.

Von allen Seiten höre ich daß es Ihnen wohl geht, daß Sie im Haag vergnügt sind und der Kriegshimmel sich aufgeheitert hat. Das Glück bey Frauen das Ihnen niemals gefehlt hat, wird Sie auch in Holland nicht verlassen und Sie dafür schadloß halten, daß Sie die schöne Emilie in Ihrem Hause versäumt haben.

Mich hat der süße kleine Gott in einen bösen Weltwinckel relegirt. Die öffentlichen Mädchen der Lust sind unsicher wie überall. Die Zitellen (unverheurathete Mädchen) sind keuscher als irgendwo, sie lassen sich nicht anrühren und fragen gleich, wenn man artig mit ihnen thut: e che concluderemo? Denn entweder man soll sie heurathen oder sie verheurathen und wenn sie einen Mann haben, dann ist die Messe gesungen. Ja man kann fast sagen, daß alle verheurathete Weiber dem zu Gebote stehn, der die Familie erhalten will. Das sind denn alles böse Bedingungen und zu naschen ist nur bey denen, die so unsicher sind als öffentliche Creaturen. Was das Herz betrifft; so gehört es gar nicht in die Terminologie der hiesigen Liebeskanzley.

Nach diesem Beytrag zur statistischen Kenntniß des Landes werden Sie urtheilen, wie knapp unsre Zustände seyn müßen und werden ein sonderbar Phenomen begreifen, das ich nirgends so starck als hier gesehen habe, es ist die Liebe der Männer untereinander. Vorausgesetzt daß sie selten biß zum höchsten Grab der Sinnlichkeit getrieben wird, sondern sich in den mittlern Regionen der Neigung und Leidenschafft verweilt; so kann ich sagen, daß ich die schönsten Erscheinungen davon, welche wir nur aus griechischen Überlieferungen haben, hier mit eignen Augen sehen und als ein aufmercksamer Naturforscher, das phisische und moralische davon beobachten konnte. Es ist eine Materie von der sich kaum reden, geschweige schreiben läßt, sie sey also, zu künftigen Unterhaltungen aufgespart.


Dienstag, 18. Februar 2020


Die Schröter ist ein Engel - wenn mir doch Gott so ein Weib bescheeren wollte dass ich euch könnt in Frieden lassen - Doch sie sieht dir nicht ähnlich genug. Ade. 
In Goethes Betragen gegen Fichte sehen wir also keineswegs die häßlichen Motive, die von manchen Zeitgenossen mit noch häßlicheren Worten bezeichnet worden. Sie hatten die verschiedene Natur beider Männer nicht begriffen. Die Mildesten mißdeuteten die Passivität Goethes, als später Fichte stark bedrängt und verfolgt wurde. Sie berücksichtigten nicht Goethes Lage. Dieser Riese war Minister in einem deutschen Zwergstaate. Er konnte sich nie natürlich bewegen. Man sagte von dem sitzenden Jupiter des Phidias zu Olympia, daß er das Dachgewölbe des Tempels zersprengen würde, wenn er einmal plötzlich aufstünde. Dies war ganz die Lage Goethes zu Weimar; wenn er aus seiner stillsitzenden Ruhe einmal plötzlich in die Höhe gefahren wäre, er hätte den Staatsgiebel durchbrochen, oder, was noch wahrscheinlicher, er hätte sich daran den Kopf zerstoßen. Und dieses sollte er riskieren für eine Lehre, die nicht bloß irrig, sondern auch lächerlich? Der deutsche Jupiter blieb ruhig sitzen und ließ sich ruhig anbeten und beräuchern. 

Sonntag, 9. Februar 2020

„Glaubt nicht“, sagte er gestern, „dass er dort frei von Verdruss und Aerger sein wird; er wird überall die Neider und Heuchler, und wie sie heissen, finden; sein Gemüt bringt er ja überall mit. Also von dieser Seite ist’s dort nicht um ein Haar besser als überall.“
Sie hatte in diesem Augenblick, in dem sich die übrige Gesellschaft in die andern Zimmer gezogen zu haben scheint, benutzt, ihm mit begeisterter Seele und grosser Lebhaftigkeit den Vorwurf zu machen, dass er ihr ernstes Streben nach Bildung so ganz unberücksichtigt gelassen habe. Goethe hatte - ohne Zweifel in der Annahme, dass ihr gegenwärtiger Zustand der Seele nur Moment sei, erwidert: „Der Mond ist nur für einen Augenblick voll.“

Donnerstag, 6. Februar 2020

Goethe erzählt einen sehr scharfsinnigen philosophischen Traum, den er in verflossener Nacht gehabt habe.

Samstag, 1. Februar 2020


Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.

Tut ein Schilf sich doch hervor,
Welten zu versüßen!
Möge meinem Schreiberohr
Liebliches entfließen!

Freitag, 31. Januar 2020

Nach Reinholds Abgang von Jena, der mit Recht als ein großer Verlust für die Akademie erschien, war mit Kühnheit, ja Verwegenheit, an seine Stelle Fichte berufen worden, der in seinen Schriften sich mit Großheit, aber vielleicht nicht ganz gehörig über die wichtigsten Sitten- und Staatsgegenstände erklärt hatte. Er war eine der tüchtigsten Persönlichkeiten, die man je gesehen, und an seinen Gesinnungen im höheren Betracht nichts auszusetzen; aber wie hätte er mit der Welt, die er als seinen erschaffenen Besitz betrachtete, gleichen Schritt halten sollen?

Da man ihm die Stunden, die er zu öffentlichen Vorlesungen benutzen wollte, an Werktagen verkümmert hatte, so unternahm er sonntags Vorlesungen, deren Einleitung Hindernisse fand. Kleine und größere daraus entspringende Widerwärtigkeiten waren kaum, nicht ohne Unbequemlichkeit der oberen Behörden, getuscht und geschlichtet, als uns dessen Äußerungen über Gott und göttliche Dinge, über die man freilich besser ein tiefes Stillschweigen beobachtet, von außen beschwerende Anregungen zuzogen.


Fichte hatte in seinem philosophischen Journal über Gott und göttliche Dinge auf eine Weise sich zu äußern gewagt, welche den hergebrachten Ausdrücken über solche Geheimnisse zu widersprechen schien. Er ward in Anspruch genommen; seine Verteidigung besserte die Sache nicht, weil er leidenschaftlich zu Werke ging, ohne Ahnung, wie gut man diesseits für ihn gesinnt sei, wiewohl man seine Gedanken, seine Worte auszulegen wisse, welches man freilich ihm nicht gerade mit dürren Worten zu erkennen geben konnte, und ebenso wenig wie man ihm auf das Gelindeste herauszuhelfen gedachte. Das Hin- und Widerreden, das Vermuten und Behaupten, das Bestärken und Entschließen wogte in vielfachen unsicheren Reden auf der Akademie ineinander; man sprach von einem ministeriellen Vorhalt, von nichts Geringerem als einer Art Verweis, dessen Fichte sich zu gewärtigen hätte. Hierüber ganz außer Fassung, hielt er sich für berechtigt, ein heftiges Schreiben beim Ministerium einzureichen, worin er jene Maßregel als gewiß voraussetzend, mit Ungestüm und Trotz erklärte, er werde dergleichen niemals dulden, er werde lieber ohne weiteres von der Akademie abziehen, und in solchem Falle nicht allein, indem mehrere bedeutende Lehrer, mit ihm einstimmig, den Ort zu verlassen gedächten.


Hierdurch war nun auf einmal aller gegen ihn gehegte gute Wille gehemmt, ja paralysiert: hier blieb kein Ausweg, keine Vermittlung übrig, und das Gelindeste war, ihm ohne weiteres seine Entlassung zu erteilen. Nun erst, nachdem die Sache sich nicht mehr ändern ließ, vernahm er die Wendung, die man ihr zu geben im Sinne gehabt, und er mußte seinen übereilten Schritt bereuen, wie wir ihn bedauerten.

Donnerstag, 23. Januar 2020


Der Mensch mag sich wenden, wohin er will, er mag unternehmen, was es auch sei, stets wird er auf jenen Weg wieder zurückkehren, den die Natur einmal vorgezeichnet hat.

Dienstag, 21. Januar 2020

Wenn steigend sich der Wasserstrahl entfaltet,
Allspielende, wie froh erkenn ich dich!
Wenn Wolke sich gestaltend umgestaltet,
Allmannigfaltge, dort erkenn ich dich.

An des geblümten Schleiers Wiesenteppich,
Allbuntbesternte, schön erkenn ich dich;
Und greift umher ein tausendarmger Eppich,
O Allumklammernde, da kenn ich dich.

Sonntag, 5. Januar 2020

„Mich soll nur wundern, ob diese so zerrissene, so gemarterte Einheit wieder als neue Einheit wird auftreten und sich gestalten können.“ Zu Ulriken sagte er: „Ach, du glaubst nicht, wie die Ideen mich quälen, wie sie sich durchkreuzen und verwirren.“

Freitag, 3. Januar 2020

Sobald er sich leidlicher fühlt, will ich ihn besuchen, ob mir gleich seine Umgebungen widern. Er lebt eigentlich nur ausser Meyer und Riemer mit plattem Volk und kann das Gemeine am besten vertragen wie von je her. Doch wäre es mir lieb, noch eine rein menschliche Stunde mit ihm zu verleben.